Eine amerikanische UtopieFilmkritik: „Paterson“ von Jim Jarmusch

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Alle Fotos: © Mary Cybulski

Das Leben als eine einzige Wiederholungsschleife: Vor dem Hintergrund des Wahlsieges von Donald Trump in den USA und dem Vormarsch nationalistischer Gruppierungen im Rest der Welt erscheinen nichtlineare Geschichts- und Zeitmodelle aktueller denn je zu sein. Auch die Hauptfigur von Jim Jarmuschs neuem Film Paterson wirkt wie im Loop gefangen, ohne jedoch im geringsten darunter zu leiden. Tim Schenkl hat sich den Film für Das Filter angesehen.

Paterson (Adam Driver) ist Busfahrer in dem Städtchen Paterson in New Jersey. In seiner Freizeit schreibt er Gedichte. Sein großes Vorbild ist der bekannte, ebenfalls aus Paterson stammende Poet William Carlos Williams, dessen Hauptberuf Kinderarzt war. Patersons Leben besteht vornehmlich aus den immer selben Handlungen, Wegen und sozialen Kontakten: Er wacht morgens auf, frühstückt alleine in der Küche, spaziert dann zu seinem Arbeitsplatz, wo er auf seinen Vorgesetzten Donnie (Rizwan Manji) trifft, der ihm täglich sein privates Leid klagt. Danach macht sich Paterson auf seine Tour mit dem Bus. Seine Mittagspause verbringt er mit Blick auf die Great-Falls-Wasserfälle, eine der wenigen Sehenswürdigkeiten der Kleinstadt, auf einer Parkbank, wo er meist einige Gedichtzeilen verfasst. Nach getaner Arbeit läuft Paterson wieder denselben Weg nach Hause, dann isst er zu Abend. Anschließend führt er die britische Bulldogge Marvin spazieren und kehrt auf ein Bier in seine Stammkneipe ein. Patersons Leben ist monoton und bescheiden, doch er scheint zufrieden zu sein.

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Ein wenig Abwechslung in seinen Alltag bringt seine Lebensgefährtin Laura, die von der in Teheran geborenen Schauspielerin Golshifteh Farahani gespielt wird. Sie ist das komplette Gegenteil des zurückhaltenden und in sich ruhenden Busfahrers. Laura schmiedet ständig neue Pläne und sprudelt über vor Kreativität. Ihre neuesten Projekte sind ein Online-Gitarrenkurs, der sie zum Country-Star machen soll, und Cupcakes, die sie auf dem Markt verkaufen will. Außerdem hat sie einen ausgeprägten Schwarz-Weiß-Tick, der sowohl das komplette Haus der beiden als auch ihre Garderobe dominiert. Sie shoppt vorwiegend online und ist bei Instagram aktiv – Paterson besitzt nicht einmal ein Handy.

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Ein Relikt aus einer anderen Zeit

Jim Jarmusch hat mit Paterson ein bemerkenswertes Film-Poem geschaffen. Mit großer Souveränität operiert der Regisseur mit Wiederholungsstrukturen, Dopplungen und Verweisen auf das eigene Werk und erinnert dabei an stark monothematisch arbeitende Künstler wie den wunderbaren Elliott Smith, Mies van der Rohe oder den koreanischen Meisterregisseur Hong Sangsoo. Auf der Leinwand bekommt der Zuschauer minimale Variationen der immer gleichen Dinge zu sehen und wird dabei immer tiefer in das Leben des Protagonisten hineingezogen. Dieses scheint völlig frei von großen Emotionen oder nennenswerten Konflikten zu sein und ist trotzdem erstaunlich faszinierend. Sieben nahezu identische Tage aus dem Leben eines dichtenden Busfahrers: So einfach kann Kino manchmal sein. Dass Paterson trotzdem nicht an die Qualität von Jarmuschs Filmen aus den 80er- und 90er-Jahren wie Stranger Than Paradise und Dead Man herankommt, liegt vor allem daran, dass der Regisseur, ganz ähnlich wie die Hauptfigur des Films, ein wenig den Kontakt zur Gegenwart verloren zu haben scheint. Genau wie Paterson wirken auch die Filme Jarmuschs immer mehr wie ein Relikt aus einer anderen Zeit.

Doggy
Method Man

Während Jarmusch sich zu Beginn seiner Karriere häufig mit dem Vorwurf auseinandersetzen musste, seine Werke würden sich vor allem auf ihre Hipness verlassen und es fehle ihnen an intellektueller Substanz, so scheint es heute, als habe er jeglichen Bezug zur Populärkultur der Gegenwart verloren. Zwar ist er weiterhin darum bemüht, das kulturelle Zeitgeschehen in seine Werke einfließen zu lassen, doch Auftritte wie der des Rappers Method Man in Paterson, den Jarmusch in einem Waschsalon freestylen lässt, beweisen geradezu schmerzhaft, dass der Regisseur selbst zu einem Vintage-Vampir wie aus Only Lovers Left Alive geworden ist und es ihm nicht mehr gelingt, zu aktuellen kulturellen Phänomenen denselben Zugang zu entwickeln, der seine frühen Filmen so stark auszeichnete. Ebenso störend ist sein Bedürfnis, verstärkt auf Comedy-Elemente zu setzen. Zwar waren Jarmuschs Filme immer schon für einige Lacher gut, ihre Komik resultierte jedoch zumeist aus der lakonischen Außenseiterhaltung ihrer Protagonisten. In Paterson macht es sich Jarmusch deutlich einfacher und versucht, sein Publikum vor allem durch gnadenlose Überzeichnungen typisierter Charaktere und billige Gags wie einem furzenden Hund zum Lachen zu bringen. Trotzdem gehört Paterson mit Sicherheit zu Jarmuschs stärksten Filmen der letzten zwanzig Jahre. Neben der tollen schauspielerischen Leistung von Adam Driver liegt dies vor allem daran, dass es Jarmusch gelingt, ein liebevolles Bild der (weißen) US-amerikanischen Arbeiterklasse zu zeichnen, das sich deutlich abhebt von dem, welches man im Fernsehen momentan täglich präsentiert bekommt. Paterson liebt die schönen Künste, lebt mit einer Frau iranischer Herkunft zusammen und begegnet seinen Mitmenschen mit Toleranz und Respekt. Auch wenn es sich bei ihm um einen fiktionalen Charakter handelt, so verbreitet er doch ein wenig Optimismus und Zuversicht – in Zeiten, in denen man nur allzu leicht die Hoffnung verlieren kann.

Paterson
USA 2016
Regie & Drehbuch: Jim Jarmusch
Darsteller: Adam Driver, Golshifteh Farahani, Chasten Harmon, William Jackson Harper, Barry Shabaka Henley, Rizwan Manji, Cliff Smith
Kamera: Frederick Elmes
Musik: Sqürl
Laufzeit: 117 min
Ab dem 17.11.2016 im Kino.

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