Der Nachtmahr wurde von vielen Kritikern als Triumph des deutschen Genrekinos gefeiert. Tim Schenkl hat den Film trotz des Hypes im Kino verpasst, aber hat ihn sich jetzt als DVD angeschaut. Was ist sein Urteil?
Egal, wo man sich innerhalb der deutschen Filmszene umhört: Eigentlich wird überall mehr oder minder dasselbe erzählt. So gut wie jeder Regisseur oder Produzent behauptet von sich, die Filme zu machen – oder sie zumindest zu planen –, die es im Ausland bereits seit Langem erfolgreich gibt und die in Deutschland so sehr fehlen. Dies gilt sowohl für den Mainstream-Filmemacher Til Schweiger, der glaubt, Action-Szenen genau so rasant wie die aus Hollywood zu inszenieren als auch für die vielen frustrierten Filmhochschulabsolventen, die der festen Überzeugung sind, dass sie mit ästhetisch anspruchsvollen, intelligenten Werken – wenn man ihnen nur die Chance dazu gäbe – ähnliche Erfolge bei den großen internationalen Arthouse-Festivals feiern würden, wie es Filme aus relativ kleinen Ländern wie Österreich, Dänemark und Rumänien bereits seit Jahren tun.
Auch Der Nachtmahr ist wieder ein Film, von dem erzählt wird, dass er so ganz anders sei als all das, was sonst in Deutschland produziert werde. Ein Film, der sich auf ein Filmschaffen bezieht, das hierzulande bestenfalls sehr vereinzelt existiert. Entstanden komplett ohne Filmförderung und mit einem Mini-Budget von 100.000 Euro, ist es das Spielfilmdebüt von AKIZ, einem Maler und Bildhauer, dessen toller Kurzfilm Painting Reality von BANKSY höchstpersönlich für The Antics Roadshow ausgesucht wurde. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn hinter dem Pseudonym AKIZ versteckt sich der zweimal für den Studenten-Oscar nominierte Regisseur Achim Bornhak, der mit Auftragsproduktionen wie Frühling für Anfänger (2010) mit Simone Thomalla und Das wilde Leben (2007) mit Natalia Avelon und Matthias Schweighöfer filmische Werke schuf, von denen es in Deutschland schon viel zu viele gibt: seichte öffentlich-rechtliche TV-Filme und oberflächliche Biopics.
Sein neuer Film setzt sich audiovisuell dann aber tatsächlich relativ stark von dem ab, was man von deutschen Filmproduktionen sonst häufig gewohnt ist: Auf der liebevoll gestalteten Tonspur kratzt es, brummt es, quietscht es, wechselt sich sakrale Orgelmusik mit dröhnendem Techno ab, der teilweise so laut ist, dass die Stimmen der Protagonisten nicht mehr zu verstehen sind und Untertitel zum Einsatz kommen. Die schmutzigen, häufig stark verrauschten Weitwinkelbilder von Kameramann Clemens Baumeister entstanden vorwiegend ohne künstliche Beleuchtung und setzen sich in ihrer expressiven Farbigkeit wohltuend von dem zurzeit so angesagten, verwaschenem Monochrom-Look ab.
Get Ur Freak On
Die Handlung von „Der Nachtmahr“ ist, wie es sich im Genrekino gehört, relativ schnell erzählt. Die 17-jährige Tina (Carolyn Genzkow) lebt mit ihren Eltern in einer Villa im Berliner Speckgürtel und macht nachts die Clubs der Hauptstadt unsicher. Auf einer Guerilla-Party in einem Schwimmbad hat sie im Drogenrausch einer Art Tagtraum, in dem ein kleines, kauerndes Monster vorkommt. Sie bricht zusammen und ihre Freundinnen bringen sie besorgt nach Hause, wo Tina das seltsame „Viech“, so nennt sie das unförmige Wesen, von nun an regelmäßig erscheint. Als sie ihren Eltern von ihren Begegnungen erzählt, schicken diese sie zum Psychologen. Auch ihre Klassenkameraden glauben ihr nicht und erklären sie anfangs noch hinter vorgehaltener Hand, später immer offener zum Freak. Irgendwann legt Tina ihre Ängste vor dem Monster ab und merkt, dass zwischen ihr und dem „Viech“ eine Verbindung besteht.
Ein Film über andere Filme
Als „Der Nachtmahr“ in die Kinos kam, gerieten viele Kritiker ins Schwärmen. Endlich mal wieder ein wilder deutscher Genrefilm! Doch eine eindeutige Kategorisierung ist gar nicht so einfach: Der Film enthält Elemente eines „Coming-of-Age“-Films, des Horrorfilms, ist in vielerlei Hinsicht ein Techno-Film und seine Storyline erinnert leicht an Steven Spielbergs E.T.. Doch diese gewisse Ambivalenz kann man wahrscheinlich eher als eine Stärke denn als eine Schwäche verbuchen. AKIZ lässt es außerdem geschickt offen, ob es sich bei dem „Viech“ nun um ein „real“ existierendes Wesen oder lediglich um ein Produkt von Tinas Phantasie handelt. Trotzdem stellt sich beim Betrachten des Films nie wirklich das Gefühl ein, dass man es hier irgendwie mit etwas aufregend Anderem, vielleicht sogar mit etwas ganz Neuartigem zu tun hat. Was vor allem daran liegt, dass es AKIZ zu keiner Zeit gelingt, eine interessante und eigenständige Sichtweise auf seine Protagonisten anzubieten. Vielleicht muss ein Genre-Film dies auch nicht, es existiert jedoch auch kein Verbot, welches es ausschließt. Was Der Nachtmahr nicht ist: Ein Film über die Lebensrealität von Berliner Teenagern, das will er wahrscheinlich auch gar nicht sein. Es ist ein Film über andere Filme, und das ist seine große Schwäche. Dem Regisseur gelingt es einfach nicht, sich von seinen großen Vorbildern zu lösen und etwas wirklich Eigenes zu machen. Hier ein wenig David Lynch, da eine Kubrick-Hommage, ständig muss man an Gaspar Noé denken und mit dem Weitwinkelobjektiv gedrehte Bilder in der Psychiatrie oder in einem Berliner Techno-Schuppen hat man nun auch schon wirklich oft genug gesehen. Und so ist Der Nachtmahr am Ende dann wohl ein Film der Kategorie „Für einen deutschen Film nicht schlecht“ – ein Qualitätssiegel, das man eigentlich nicht gelten lassen sollte.
Der Nachtmahr
D 2015
Regie & Drehbuch: AKIZ
Darsteller: Carolyn Genzkow, Wilson Gonzalez Ochsenknecht, Sina Tkotsch, Alexander Scheer, Kim Gordon
Kamera: Clemens Baumeister
Laufzeit: 89 min
Jetzt erhältlich als DVD, Blu-ray und Video on Demand