Im Studio bei Conny PlankDokumentation: „The Potential of Noise“ stellt den einflussreichen deutschen Musikproduzenten vor
2.1.2018 • Film – Text: Matti HummelsiepSein Name steht für Kompromisslosigkeit und prangt auf zahlreichen legendären Alben: Conny Plank gilt als einer der wichtigsten und kreativsten Produzenten Europas. Sein Credo? Jedes Geräusch kann Musik sein. So ist es keine Überraschung, dass er querbeet in den unterschiedlichsten Genres aktiv war: von Krautrock über Schlager bis hin zu elektroakustischer Musik – alles hat er in seinem selbstgebauten Studio auf einem Bauernhof bei Köln aufgenommen. Akribisch und einfühlsam versuchte er dort, aus seinen jungen Schützlingen alles rauszuholen. Künstler und Bands wie NEU!, Brian Eno, U2, D.A.F., Kraftwerk, Eurythmics, David Bowie, Whodini und Annette Humpe wollten mit ihm produzieren, doch nicht alle bekamen eine Chance beim eigenwilligen Tonmeister. 30 Jahre nach seinem Tod arbeitet Planks Sohn die Geschichte seines Vaters in einer Dokumentation auf.
Am 18. Dezember 1987 starb Conny Plank. Damals war sein Sohn Stephan gerade erst 13 Jahre alt. Kennengelernt hat er seinen Vater vor allem bei der Arbeit am Mischpult. Jetzt hat er sich mit dem Lebenswerk seines einflussreichen Vaters beschäftigt, begab sich auf Spurensuche ins Archiv und hat Zeitzeugen getroffen, um so mehr über ihn zu erfahren. The Potential of Noise ist die erste Dokumentation über Conny Plank überhaupt. Das Filmplakat entpuppt sich vorab schon mal als echter Hingucker: Man schaut Plank direkt in die Augen. Er trägt ein dunkles Jackett; ein hoher Hemdkragen mit Krawatte umrahmt seinen Hals, der füllige Bart ist sorgfältig gestutzt. Besonders auffällig: seine aalglatte Prinz-Eisenherz-Gedächtnisfrisur, deren fein geschnittener Pony im Bob-Format exakt an den oberen Kanten der Augenbrauen endet.
Tonstudio im Schweinestall
Conny Plank ließ sich beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Tonmeister ausbilden, arbeitete beim WDR mit Karlheinz Stockhausen zusammen und produzierte Schallplatten in großen Studios. Doch er merkte, dass er etwas anderes wollte: „Ich fand die Situation für die spezielle Art der Musik, die ich meistens mache, nicht sehr angenehm. Dann hab ich rum gesucht in dieser Gegend und diesen Bauernhof gefunden“, erklärt Conny Plank in der Dokumentation. Zusammen mit seiner Freundin Christa Fast zog er nach Wolperath, ein Nest außerhalb von Köln mit gerade mal 1.500 Einwohnern, umgeben von hügeligen Feldern und Wiesen. Doch nicht etwa das Bauernleben reizte ihn, im Gegenteil. Im ehemaligen Schweinestall baute er das Tonstudio auf, die Regie kam nebenan in den Pferdestall. Das kleine Schild „Conny’s Studio“ am Eingang erinnert noch heute an die alten Zeiten. Ein Ort, „wo sich jeder (…) überlegt, warum er hier rauskommt“. Der eine oder andere Künstler kam sich sicher komisch vor, wenn es nicht, wie üblich, in ein bekanntes Studio nach Hamburg oder London ging, sondern ausgerechnet auf einen Bauernhof in die rheinische Pampa. Das bedeutete auch: nur ein Badezimmer für alle, gemeinsames Essen am großen Küchentisch und Federball spielen im Innenhof. Gleich am Anfang der Dokumentation wird die traumhafte Landidylle vorgestellt. In verwackelten, körnigen Aufnahmen ist das große Bauernhaus zu sehen. Ein kleiner Rotschopf (Stephan Plank) unternimmt seine ersten Gehversuche, die Mutter daneben, ein Kätzchen huscht vorbei. Der Kleine stößt im Kriechen die Tür zum Studio auf. Conny Plank sitzt lächelnd am Mischpult und streckt seinem Kind die Hand entgegen.
Als Vater nicht präsent
Stephan Plank ergänzt aus dem Off: „Unser Haus war immer voll mit Musikern, meine Spielkameraden für ein paar Wochen, bis wieder neue verrückte Figuren bei uns einzogen.“ Doch so leicht und locker wie zunächst dargestellt war das Familienleben auf dem Hof nicht. Die interviewten Weggefährten lassen kein gutes Haar an Conny Plank als Vater. In einer Szene fragt Stephan Plank den kürzlich verstorbenen Bassisten Holger Czukay (Can) aus: „Erinnerst du dich, wie er mit mir umgegangen ist? Hast du erlebt, wie er mit mir gespielt hat?“ – „Du bist Christas Sohn gewesen. Conny hatte offensichtlich seiner Produktion und dem, was er eigentlich machte, den Vorzug gegeben. Er hatte sich meines Erachtens nicht wirklich um dich gekümmert.“ – „Und das hast du damals wahrgenommen?“ - „Das haben wir beide [mit Keyboarder Irmin Schmidt, Anmerk. des Autors] alles wahrgenommen, natürlich.“ - „Okay.“
Auch Annette Humpe kritisiert den Produzenten offen: „Ein Traumpapa war das nicht, das konnte man schon sehen. Hat er dir jemals was vorgelesen, oder dich ins Bett gebracht, oder irgendwas schönes mit dir unternommen?“ - „Ich war einmal mit ihm Zelten und Paddeln.“ - „Einen Nachmittag. Donnerwetter.“
Die Kleinen und die Bösen
In den ersten Jahren kamen vor allem krautrockige und elektroakustische Formationen wie „Cluster & Eno“ ins Bergische Land, Ende der 1970er-Jahre dann mit Ultravox und Devo die ersten New-Wave-Bands. Auch D.A.F. nahmen hier ihr zweites Album auf – Daniel Miller, Chef von Mute Records beschreibt, wie er sich Geld von seiner Mutter geliehen hatte, um drei Tage bei Conny Plank zu buchen: „Christa holte mich vom Flughafen ab, zuvorkommend wie sie war. Als ich ins Studio kam, war die Band schon da. Unter den Mitgliedern gab es oft Streit und Diskussionen. Also wandte ich mich an Conny. Ich wurde nervös, denn es war mein erstes Album. Ich saß neben meinem Helden unter den Produzenten. (…) Er sagte nur ‘Keine Sorge, das wird schon.’“ Aber auch am zweiten Tag sei nichts passiert, fährt Miller fort, und flippte innerlich aus: „Ich hab sicher irre genervt. Ich muss ihm mit meinen Fragen echt auf den Keks gegangen sein. Er spielte da mit den Tönen und Steckern rum.“ Am dritten Tag wurde endlich „Die Kleinen und die Bösen“ produziert – nach ein paar Singles das erste Album überhaupt auf Mute.
Die Eurythmics in Wolperath
Einigen Protagonisten der Dokumentation sieht man an, dass sie jahrelang fett gefeiert haben müssen. David A. Stewart beispielsweise wirkt aufgedunsen, seine Augen hinter einer Sonnenbrille versteckt und Weinglas in der Hand. Er erklärt, dass man bei anderen Produzenten noch nicht mal das Mischpult hätte berühren dürfen. Bei Conny sei das anders gewesen, hier gab es keine Regeln. Die Eurythmics produzierten 1981 mit ihm ihr wenig erfolgreiches Debütalbum „In The Garden“. Planks „no rules“-Prinzip haben Annie Lennox und David A. Stewart anschließend aber beibehalten, der Ansatz sollte sich auszahlen: Das Folgealbum „Sweet Dreams“ wurde weltweit ein riesiger Erfolg. Immer wieder erinnern sich die Zeitzeugen an die spannenden Studio Sessions mit offenem Ausgang. Das Studio selbst ist dabei leider kaum zu sehen. Auch welche Technik und weitere Produktionsmittel Conny Plank in seinem Studio zusammengetragen hatte, bleibt unklar.
Bläck Fööss statt Bowie
An den Beispielen wird deutlich, dass es auf Connys Hof relativ unverbindlich zuging und es vorab keine Vorstellung davon gab, was am Ende der Jam Sessions rauskommen soll. Planks musikalische Unvoreingenommenheit trieb mitunter merkwürdige Blüten: Warum er ausgerechnet die italienische Rockröhre Gianna Nannini oder die Schlagerkombo Bläck Fööss einlud, bleibt für immer sein Geheimnis. Andere Musiker hatten weniger Glück: David Bowie blitzte ab. Auch Bono ließ sich blicken, um „The Joshua Tree“ bei ihm zu produzieren: „Ich hab’ U2 abgelehnt. Ich kam damit nicht zurecht. Ich hab mit dem Herrn Bono gesprochen und dann hab ich mich am Kopf gekratzt,“ erinnert sich der Produzent. Der Absage vorausgegangen war eine voreilige Ankündigung von Bono, dass Plank der neue Produzent von U2 sei. Wie „The Joshua Tree“ wohl von Plank geklungen hätte anstatt von Brian Eno, der es letztlich produzierte?
Planks Einfluss auf Kraftwerk
Merkwürdig ist, dass in The Potential of Noise fast kein Bezug auf die Zusammenarbeit zu Ralf Hütter und seiner Band Kraftwerk genommen wird. Conny Plank produzierte nämlich schon in den 1960ern für Ralf und Florian. Jahre später war er, sowohl im Kling Klang Studio als auch in Wolperath, für die Produktion des Albums „Autobahn“ verantwortlich. David Buckley, Autor der einzigen und von Kraftwerk selbstverständlich nicht autorisierten Kraftwerk-Autobiografie, schreibt, dass Plank stinksauer gewesen sei, als er erfahren hätte, dass die Band durch einen Deal mit einem amerikanischen Geschäftsmann Millionen mit dem Album verdiente und er selbst nur mit 5.000 Mark für die Studionutzung entlohnt und in den Credits lediglich als Tontechniker aufgeführt wurde.
Zum Thema Kraftwerk wird in der Dokumentation nur der Journalist David Stubbs zitiert, der sich sicher ist, dass Plank bei Kraftwerk entscheidend den Übergang vom krautrockigen zum minimalistischen Stil mitgestaltet hat: „Conny Plank muss ihnen geholfen haben, diese Vision zu entwickeln und sich auf das Wesentliche in ihrer Musik zu besinnen. Obwohl er die späteren Platten nicht produziert hat, glaube ich, dass er eine zwar stille und vielleicht nicht anerkannte, aber maßgebliche Rolle spielte bei der Entwicklung von Kraftwerks Vision.“
The Potential of Noise pendelt zwischen teils sehr lustigen, albernen Anekdoten und dem Einzelschicksal eines Jungen, der vom Vater nicht wahrgenommen wurde und vielleicht sogar weniger von ihm gehabt hat als manch Künstler in drei Studiotagen.
The Potential of Noise ist durch die große Menge an Originalaufnahmen und privater Fotos, die durch viel zeitgenössische Musik in Szene gesetzt werden, äußerst bildstark. Als Übergang zwischen den Interviews wurden allerdings belanglose Bilder gesetzt: Stephan Plank fährt Auto, sitzt im Flugzeug, öffnet eine Tür, geht auf ein Haus zu. Der Fokus dabei stets auf den schweigenden und eher schüchtern wirkenden Plank, bei dem man sich jedes Mal fragt, was er wohl die ganze Zeit denkt auf seinen Reisen? Die Idee, sich erst jetzt, mit 43 Jahren, auf die Spuren des Vaters zu begeben, wirkt auch etwas aufgesetzt. Schließlich hat er das Studio nach dem Tod seines Vaters noch bis 2002 gemanagt. Der dramaturgische Tiefpunkt wird am Ende der Dokumentation erreicht, als er samt Frau und Kindern auf den Hof des Opas nach Wolperath fährt: „Guck mal, auf diesem Steinboden hab ich immer gespielt als kleiner Junge.“ Aha.
Musikdokumentationen sind ja per se schon sehr subjektiv. Und die Idee Planks, selbst die Dokumentation zu produzieren, klingt zunächst folgerichtig. Aber es ist doch klar, dass alle zu Wort kommenden Weggefährten gegenüber Stephan Plank bestätigen, dass Conny Plank der damals beste, größte und bedeutendste Produzent war, der aus ihnen als Musiker einfach alles heraus gekitzelt hat. Die Aussagen driften dabei oft in ein erzählerisches, sich ähnelndes Wiederkäuen an Erlebnissen aus guten alten Zeiten ab. The Potential of Noise pendelt zwischen teils sehr lustigen, albernen Anekdoten und dem Einzelschicksal eines Jungen, der vom Vater nicht wahrgenommen wurde und vielleicht sogar weniger von ihm gehabt hat als manch Künstler in drei Studiotagen.
Auf der anderen Seite erfahren wir aus produktionstechnischer Sicht wenig über die neuen Sounddesigns, die Conny Plank zusammen mit den Künstlern entworfen hat. Einzig Stubbs bemüht sich um eine etwas konkretere Einordnung: „Deutschland war zerstört, es gab diese kulturell verwaiste Generation. Es fand zwar in den 1950er- und 1960er-Jahren eine Aufarbeitung statt, aber nicht intellektuell und kulturell, hier kamen die Künstler ins Spiel“, erklärt der Musikjournalist die Situation nach dem Krieg. Stubbs ergänzt, Plank hätte die Künstler dazu animiert, „sich über ihre Vision klar zu werden (…). Deshalb klingt die Musik, als wäre sie gestern entstanden, wenn nicht sogar übermorgen.“
Und was ist Stephan Planks Fazit? Er erklärt am Ende des Films, er habe viel über die „Arbeit und seine Leidenschaft erfahren, für die er sein Leben hergegeben hat“. Doch die Szenen, in denen über Conny Plank als Vater geredet wird, wirken bedrückend und bleiben zudem unkommentiert. Was die Spurensuche also mit Sohn Stephan selbst gemacht hat, bleibt ungewiss.
Fast 20 Jahre lang hat Christa Fast das Studio weiter betrieben, bis zu ihrem Tod 2006. Danach wurde die Firma geschlossen und der alte Schweinestall abgerissen. Das riesige Mischpult brachte Produzent Mark Ralph (u.a. Hot Chip) nach London, auf dem ehemaligen Studiogelände in Neunkirchen-Seelscheid entstand eine Siedlung mit energieeffizienten Häusern.
Die Dokumentation erscheint im März 2018 auf DVD, Termine von Kino-Vorführungen gibt es hier.