„Ich habe meinen Sohn jahrelang mit dem Gürtel geschlagen“Wenn türkische Männer sich selbst aus dem Patriarchat befreien wollen
13.7.2016 • Gesellschaft – Text: Monika Herrmann, Fotos: Jan-Peter Wulf„Paschas“ nennt Karzim Erdogan seine Gruppenteilnehmer: türkische Männer aus Berlin-Neukölln, die sich wöchentlich treffen, weil sie sich ändern möchten. Sie wollen raus aus der Rolle des strafenden Patriarchen und rein in die Rolle des verständnisvollen, fürsorglichen Vaters und Familienmenschen. Seit rund zehn Jahren schon gibt es diese Selbsthilfegruppen. Worüber wird dort gesprochen? Monika Herrmann ist für DAS FILTER zu einem Treffen gegangen.
„Neukölln ist so ein bisschen wie Ankara oder Istanbul“, sagt Fatma und korrigiert sich gleich: „Naja, nicht so richtig, aber die Atmosphäre, das Ambiente, die kleinen Cafés und türkischen Läden erinnern mich schon an die Türkei“. Fatma ist 24 Jahre alt und lebt seit 15 Jahren in Neukölln. „Meine Eltern sind so genannte Gastarbeiter-Kinder. Oma und Opa kamen vor rund 40 Jahren nach Berlin und haben in der Fabrik gearbeitet. Ich glaube bei Siemens. Jetzt sind sie alt und leben wieder in der Türkei“.
Wir sitzen auf einer Bank an der Karl-Marx-Straße gleich neben der Magdalenenkirche, mitten im Neuköllner Kiez. Ich lerne Fatma zufällig kennen, weil ich auf der Suche nach der Uthmannstraße bin. Auch in Neukölln gelegen. Fatma erklärt mir den Weg und wir reden gleich ein bisschen. Ich erfahre, dass sie noch bei ihren Eltern wohnt, einen Job im Café hat und gern eine eigene kleine Wohnung hätte. Sie trägt Kopftuch und lange weite Hosen. Ich erzähle Fatma, dass ich Journalistin bin und einen Artikel schreibe. Über türkische Männer, ihre Familien, die Traditionen und so weiter. „Oh“, sagt Fatma, „da gibt’s eine Menge zu schreiben“. Sie bittet mich, ihren Namen in dem Artikel zu verändern. „Unbedingt, meine Familie darf nicht erfahren, dass ich mit einer Journalistin geredet habe“.
Der Grund: Ihr Vater, aber auch ihre Brüder und Cousins, alle sind in Berlin aufgewachsen, beobachten und bewerten so gut wie alles in Fatmas Leben. „Wo gehst du hin, wen triffst du dort? Eben alles“. Demnächst bekommt Fatma Besuch von einem Cousin, der in der Türkei lebt. „Meine Familie möchte, dass ich diesen Typen heirate, aber ich kenne ihn gar nicht und will überhaupt nicht heiraten“, erzählt sie. Und dass solche von den Familien arrangierten Eheanbahnungstreffen in der türkischen Kultur „normal“ seien, auch in Neukölln. Dann verabschieden wir uns. Ich bin heute Abend Gast in einer türkischen Männergruppe in der Uthmannstraße.
Kazim Erdogan hat mich eingeladen. „Kommen Sie einfach vorbei“, hat er gesagt und dass die Männer, die allesamt auch Väter sind, meine Fragen beantworten würden. Erdogan, 63 Jahre alt, Psychologe, ist der Erfinder der türkischen Männergruppen in Neukölln, die inzwischen deutschlandweit bekannt sind. Er sagt, dass sich vor allem die türkischen Männer ändern müssen. „Sie müssen ihr Verhalten überdenken und vor allem darüber reden“, sagt der Psychologe vor allem mit Blick auf die Familie. Erdogan hat auch türkische Wurzeln. 1974 kam er zum Studieren nach Berlin und blieb. „Ich denke europäisch und sage, was ich denke“, betont er immer wieder. Als er vor rund zehn Jahren in Neukölln die erste Männergruppe gründete, war das sofort ein Highlight im Kiez. Der Journalistin gegenüber nennt Erdogan die Männer auch gern mal Paschas. „Die Paschas kommen und reden offen über ihre Rolle als Oberhäupter der Familie.“ Das nennt er Erfolg.
Heute Abend will ich das überprüfen. Eine geräumige Parterre-Wohnung dient als Versammlungsort. 15 Männer, junge und ältere, sitzen um den großen Tisch. Es ist mitten im Ramadan. Essen und Trinken ist für fromme Muslime vor Sonnenuntergang eigentlich verboten. Aber die meisten Männer trinken Tee. Ich auch. Manche habe ihre Gebetskette in der Hand und lassen die einzelnen Perlen durch die Finger gleiten. Kazim Erdogan steht auf und bittet die Männer, ihre Handys auszuschalten.
##Was ist dran am Patriarchat?
Dann stellt er mich vor. Eine Journalistin also. Manche Männer ziehen die Stirn in Falten, andere sagen freundlich Hallo. Das Gespräch findet auf Türkisch statt. Deshalb hat Erdogan extra eine Dolmetscherin bestellt, die neben mir sitzt und übersetzen soll. Ich darf meine Fragen stellen, etwa: Was ist dran am Patriarchat der Väter in den Familien? „Ach das ist alles kein Problem“, höre ich. „Es ändert sich ja auch, weil die Frauen sich wehren und auch bestimmen wollen“, sagt ein junger Mann. Er ist in Berlin geboren, geschieden und sorgt allein für seine Kinder. Ich frage ihn, wie das im Alltag funktioniert. „Naja, ich gehe mit den Kindern einkaufen, auch Klamotten, bringe sie in die Kita oder zum Sport, eben alles was so anfällt“. Dann regt er sich auf, dass es so lange gedauert hat, bis er vom Jugendamt das Sorgerecht erhalten hat. „Aber jetzt bin ich der Baba, der alles macht für seine Kinder“, sagt er. Andere Männer verteidigen ihr Recht auf das Patriarchat. „Das ist eben unsere Kultur“, sagen sie so, als wollten sie daran auch nichts ändern.
Ob das Patriarchat auch die Gewalt der Babas (Papas, Väter, d. Red.) einschließe, frage ich. Eigentlich erwarte ich darauf keine Antwort. Zu persönlich, denke ich. Aber es kommt anders. Die Männer erzählen offen und ehrlich. „Die Bestrafung von Familienmitgliedern bei Fehlverhalten ist natürlich Sache der Väter“. Ein Mann im mittleren Alter legt gleich los. Er spricht von Züchtigung, die er jahrelang praktiziert habe und erzählt, wie er seinen Sohn jahrelang mit dem Ledergürtel geschlagen hat. Bei den kleinsten Verfehlungen. „Ich habe ihn regelrecht verdroschen“, sagt er und redet ganz offen darüber über seine Gewalttaten. Es tue ihm leid und er habe seinen jetzt 17-jährigen Sohn um Verzeihung gebeten. „Doch er will sich nicht mit mir versöhnen“, erzählt er und wischt sich ein paar Tränen aus den Augen. Die anderen in der Runde nicken. „Ja, so ist es“, sagt einer und die Dolmetscherin erklärt mir, dass es oft auch die Mütter sind, die so ein Verhalten der Väter unterstützen: „Warte, bis Baba kommt, der wird dich bestrafen“. Manche Mütter drohen sogar mit der Polizei, anstatt ihre Kinder in den Arm zu nehmen, egal was passiert ist. Mütter nehmen ihre Kinder nicht in Schutz und denunzieren sie beim Vater? „Ja, genau so ist es“, sagt ein Vater und gießt sich erneut Tee ins Glas.
Ich erfahre, dass auch er straft, prügelt und dass es ihm hinterher regelmäßig leid tut. Ob das in jeder Familie so sei, will ich wissen und höre, dass es natürlich Ausnahmen gebe. Einer der Väter sagt: „Das Problem ist, Männer reden ja nicht über ihre Probleme, Frauen holen sich auch mal Rat bei anderen, gehen vielleicht in eine Beratungsstelle, wenn sie nicht mehr weiter wissen. Wir eher selten“. Dass die Väter jetzt doch reden und das sogar mit einer Journalistin, das gehört zu den Erfolgen, die Kazim Erdogan verbucht: „Es hat sich was geändert“, ist er überzeugt. Am großen Tisch in der Uthmannstraße reden die Männer auch über ihre so genannten Nebenrollen in den Familien. Dabei bedauern sie sich ein bisschen selbst. Viele von ihnen seien ja Heiratsmigranten, erklären sie mir. Das heißt: Sie sind nach Berlin gekommen, um hier eine Frau zu heiraten, die von ihrem Clan ausgesucht wurde. Sie hatten in der Türkei oft gute Jobs, in Berlin sind sie arbeitslos und vom Taschengeld ihrer Ehefrau abhängig. „Diese Männer verlieren ihr Selbstbewusstsein, sie fühlen sich als Versager“, meint einer der Babas und erklärt auch gleich die islamische Kultur, in der natürlich der Mann der Ernährer der Familie ist. „Jungs brauchen aber Väter, die was leisten, die Geld verdienen, also Vorbilder sind“, sagt einer. Auch Großväter seien wichtig, Onkels und männliche Cousins. Ich erfahre, dass in den Clans eben alles oder fast alles über die Männer-Schiene läuft und denke an Fatma, die genau dieses Schema kritisiert hat. Aber auch sie wusste eigentlich keine recht Antwort auf meine Frage, warum Muslimas das alles mitmachen? „Es ist eben so in unserer Kultur“, hat sie gesagt auf der Bank in der Karl-Marx-Straße.
Kazim Erdogan schaut auf die Uhr. Es ist fast 20 Uhr. Er will die heutige Sitzung beenden und lässt mich noch wissen, dass auch die Mütter Hilfe brauchen. „Die Rollen in den Familien müssen neu verteilt werden“, sagt er. Einer der Väter meldet sich noch mal zu Wort, weil er sagen will: „In deutschen Familien wird auch geschlagen, Frauen von ihren Männern und Kinder von Vätern und Müttern“. Stimmt, aber eine Entschuldigung ist das natürlich nicht. Ein kleiner Junge kommt herein, geht auf einen jungen Mann zu, der ihn liebevoll in den Arm nimmt. Dieser Baba scheint etwas gelernt zu haben in der Vätergruppe, denke ich, danke den Männern für ihre Offenheit und verabschiede mich. „Kommen Sie doch mal wieder“, ruft einer noch. Mach ich bestimmt. Ich habe noch viele Fragen an die Babas.