„Was ihr hier macht, ist super.“Dieter Puhl leitet die Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo Berlin

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Dieter Puhl, Leiter der Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo

Es gibt Menschen, die leisten eine sehr besondere Arbeit. Zum Beispiel Sozialarbeit für Obdachlose. Dieter Puhl ist so ein Mensch. Der 59-Jährige leitet die Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo in Berlin. Wie sieht diese Arbeit aus? Ist jetzt, in milden Monaten, wo der Kältebus in der Garage bleibt und es keine heißen Suppen braucht, eigentlich viel zu tun? Monika Herrmann hat Dieter Puhl an seinem Arbeitsplatz besucht. In seinem winzigem Büro stapeln sich Sachspenden, die an die Obdachlosen und Armen verteilt werden. Einige von ihnen warten schon vor der Tür.

Puhl und seine Leute von der Bahnhofsmission sind auf materielle Zuwendungen angewiesen. Kleidung, Socken, Schlafsäcke oder Isomatten zum Beispiel. Denn es sind wichtige Utensilien für diejenigen, die gar nichts haben: keine Wohnung, kein Geld und keine Kleidung zum Wechseln. „Wir können alles gebrauchen, was noch brauchbar ist“, erklärt Puhl. Bietet Kaffee an, dreht sich eine Zigarette und beginnt zu erzählen.

„Als Sozialarbeiter hatte ich immer Kontakt zu obdachlosen und armen Menschen. Jahrelang Elend und Armut. Dann wollte ich eigentlich mal eine Weile abtauchen, etwas ganz anderes machen. Aber vor sieben Jahren wurde ich gefragt: Willst du nicht die Bahnhofsmission am Zoo übernehmen? Als Leiter sozusagen. Es gab hier gerade Schwierigkeiten: Der Laden war eigentlich pleite. Ich bin dann nicht abgetaucht, sondern bin ran an die neue Arbeit gegangen und habe mich sofort in diese Einrichtung und vor allem in die obdachlosen Gäste regelrecht verliebt. Ich wusste, das ist mein Ding. Bei der ersten Dienstbesprechung mit den Mitarbeitern und ehrenamtlichen Helfern haben wir geübt, wie man respektvoll mit den Gästen umgeht.“

Meine Anweisung war damals: Jeder, der zur Tür hereinkommt, muss freundlich begrüßt werden und sich sofort willkommen fühlen. Ich finde das wichtig.

„Aber es führte dazu, dass einige Ehrenamtliche gingen. Da hatte ich das Gefühl, den Laden vielleicht gegen die Wand gefahren zu haben. Stimmte aber nicht. Im Gegenteil. Die Zahl der Ehrenamtlichen stieg danach ständig. Wir arbeiten jetzt mit 300 Männern und Frauen von 14 bis über 80 Jahren, die hier freiwillig und sehr engagiert helfen, dass es läuft. Viele Schülerpraktikanten sind übrigens darunter. Ganz junge Leute, die hier helfen und sich nicht scheuen, mit den Obdachlosen zu quatschen, Kaffee zu trinken. Und sie auch mal ermuntern, in die Dusche zu gehen: Es sind Menschen, die stinken, weil sie auf der Straße leben.“

„Alle verstehen sich wie eine große Familie. Auch die Gäste, also die Armen und Obdachlosen, die hier Tag für Tag in der Schlange stehen, werden immer zahlreicher. Es sind jetzt rund 600 Menschen pro Tag, die alle Hilfe brauchen: Stullen, Schlafsäcke, neue Klamotten, aber vor allem ein gutes Wort, einen Rat, Ermutigung.“

Die meisten kommen jeden Tag, manche öfter am Tag. Sie fühlen sich hier aber nicht als Bettler. Ich denke, dass sie unsere Gastfreundschaft spüren, die niemanden ausgrenzt. Die sagen dann: Mensch, was ihr hier macht, ist super. Und das macht mich – bei all dem Elend an diesem Ort - auch ein bisschen glücklich.

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„Es sind Begegnungen auf Augenhöhe, die hier Tag für Tag stattfinden. Wir verstehen uns als Dienstleister im Wortsinn: Wir dienen und leisten. Ich sitze mit den Obdachlosen an einem Tisch. Wir trinken Kaffee zusammen, essen und ich höre zu. Manchmal sind es Geschichten, die unglaublich klingen, aber Alltag sind im Leben von Menschen, die auf der Straße leben. Ich denke gerade an Marlene und Max, zwei obdachlose Menschen. Beide kamen vor kurzem völlig verwahrlost, inkontinent und alkoholisiert. Sie konnten duschen, bekamen neue Klamotten und Stullen. Jetzt kommen sie täglich und holen sich das, was sie gerade brauchen. Es geht ihnen besser.

Ich selber habe eine Wohnung, bekomme Gehalt und kann nach Dienstschluss ganz entspannt beim Italiener essen gehen, Pause machen von all dem Elend in der Bahnhofsmission. Wie ich das zusammenbringe? Gut, obwohl ich weiß, dass zur gleichen Zeit Menschen am Bahnhof Zoo auf Isomatten auf der Straße liegen, weil sie keine Kraft mehr haben, in eine Notübernachtung zu gehen. Diesen Spannungsbogen muss ich aushalten. Sonst könnte ich diese Arbeit hier nicht durchstehen.

„Wenn ich am nächsten Morgen wieder hierher komme, passieren ja auch ganz schöne Dinge – jeden Tag. Beispiel: Menschen, die straffällig geworden sind, können hier arbeiten, statt in den Knast zu wandern. Viele bleiben dann und arbeiten ehrenamtlich weiter. Oder die vielen Promis, die hier mal mitarbeiten, Stullen schmieren und sich mit den Menschen von der Straße unterhalten, ihnen zuhören und sie damit wertschätzen, auch helfen, in dem sie eine Spende hier lassen.“

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„Dieser Ort hier am Bahnhof ist für viele zum Rettungsanker geworden. Natürlich können wir hier das Elend nicht wirklich beseitigen. Das erwarten die Gäste auch gar nicht. Aber die Wertschätzung, die ihnen hier entgegen gebracht wird, ist heilsam für sie und macht ihnen Mut zum Weiterleben. Es sind ja nicht nur die Stullen, die neuen Klamotten und die Duschgelegenheit, sondern das Sitzen hier im Gastraum, das Sich-angenommen-Fühlen. Keine Vorwürfe, das ist uns wichtig. Niemand, der kommt, muss einen Nachweis seiner Bedürftigkeit mitbringen. Niemand mogelt sich hier rein, alle haben es nötig. Ich denke inzwischen: Durch unsere Hilfe verlängern oder verhindern wir vielleicht das Sterben von Menschen.“

Dieter Puhl dreht sich noch eine Zigarette, dann muss er raus. Eine Praktikantin hat ihm signalisiert: Jemand braucht deine Hilfe. Dringend.

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