TCP/IP Politics: Content, Carrier und PlattformUnderstanding Digital Capitalism | Teil 16
5.10.2015 • Gesellschaft – Text: Timo Daum, Illustration: Susann MassuteWas haben terrestrische Frequenzvergaben mit der Luftsäule über Hühnern zu tun? Die Antwort gibt es in dieser Ausgabe unserer Reihe „Understanding Digital Capitalism“. Timo Daum unterwegs im konfliktgeladenen Spannungsfeld zwischen Inhaltsproduzenten, Informationsträgern und Plattformen - den drei Akteuren des Digitalen Kapitalismus.
Letzte Woche ging es um die Frage, welche Bedeutung Infrastrukturen und technische Standards wie TCP/IP für Nutzungsarten, Geschäftsmodelle und Design digitaler Dienste haben. Am Beispiel Netzneutralität wurde der Kampf um Infrastrukturen, Protokolle und Standards besprochen. Diesmal geht es um Strategien und Geschäftsmodelle von Medienunternehmen (Content), Infrastruktur-Betreibern (Carrier) und Mediatoren (Plattformen) im Digitalen Kapitalismus. Und darum, weshalb Privathaushalte heute ca. 20 Euro pro Monat für einen DSL-Zugang zahlen und ob das in ein paar Jahren noch so sein wird. Dabei wird die amerikanische Federal Communications Commission (FCC), die uns schon beim Kampf um das Internet der zwei Geschwindigkeiten begegnet ist, wieder eine Rolle spielen.
##Carrier
Da sind zum einen die Carrier (Netzbetreiber, Provider) – Telekommunikationsunternehmen, die die physische Infrastruktur betreiben. Unternehmen wie die Telekom und 1&1 in Deutschland oder Verizon und AT&T in den USA errichten und betreiben Infrastrukturen, die wiederum über öffentliche Subventionen finanziert werden. Zusätzlich verlangen sie von Haushalten oder Website-Betreibern Zugangsgebühren für deren Nutzung. Diese Firmen verdienen an der privatwirtschaftlichen Verwertung von Internetzugängen für Privatpersonen und Firmen, für die sie möglichst wenig investieren wollen, weshalb ihnen bandbreitenintensive Services wie Video On Demand ein Dorn im Auge sind.
##Content
Auf der anderen Seite stehen die Anbieter digitaler Inhalte. Das sind die Firmen, die Content produzieren und über das Netz vertreiben: Filmstudios, Verlage, die Musikindustrie. Diese klassischen Medienunternehmen sind an einer gut funktionierenden Infrastruktur interessiert: Je zuverlässiger diese ist, desto besser lassen sich ihre Produkte vermarkten. Je verbreiteter und billiger Breitbandzugänge werden, desto größer kann auch ihr Kundenkreis werden. Die klassischen Content-Industrien stehen am stärksten unter dem Druck der Mechanismen der Digitalisierung. In Zeiten der One-Copy-Economy wird es für sie immer schwerer, an der Bereitstellung digitaler Inhalte zu verdienen. Digitales Rechtemanagement (DRM), technische und rechtliche Maßnahmen des Kopierschutzes, Ländereinschränkungen, Abmahnungen – sie kämpfen an vielen Fronten um den profitablen Erhalt ihrer Verwertungsrechte.
##Plattform
Dritter im Bunde sind die Plattformen, die der User-Daten-Ökonomie zuzurechnen sind (z.B. Google oder Facebook). Sie produzieren selbst keine Inhalte. Ihre User produzieren den Content, der dann in Form von Nutzerdaten kapitalisiert wird. Auch diese Unternehmen sind stark an einem Ausbau der Infrastruktur interessiert – möglichst alle Menschen auf der Welt sollen immer und überall ihre Services nutzen können. Die Plattformen nutzen eine Infrastruktur, die von anderen verwaltet wird – das führt zu Interessenskonflikten. Nicht umsonst werden sie selbst aktiv beim Infrastrukturausbau: Sie investieren in Firmen und Projekte, die Internetzugang über Satelliten, Drohnen, Fesselballons und mehr ermöglichen.
##Interessenkonflikte im Plattform-Kapitalismus
Google ist eine Firma, die radikal dafür ist, Information kostenlos und öffentlich zugänglich zu machen. Ganz im Gegensatz zu den Firmen, die auf traditionelle Verwertungsketten von digitalen Inhalten setzen. Ihre Haltung zu eingeschränkten Nutzungsrechten und Copyrights sind zumindest indifferent – Videos auf YouTube, die viele Klicks bekommen, sind gut, egal ob die Angebote „legal“ sind. Sobald es aber um den Schutz der Privatsphäre geht, um die Einschränkung des Erzeugens von und Handelns mit Nutzer-Daten, wird Google empfindlich – Regulationsbestrebungen in diese Richtung tangieren das zentrale Geschäftsmodell: Google macht immer noch 90 Prozent seines Umsatzes mit personalisierter Online-Werbung.
Wie kommen wir ins Internet?
Noch vor zwei, drei Jahrzehnten war die Einwahl mit Hilfe eines Modems über einen Telefonanschluss der Deutsche Bundespost die einzige Möglichkeit für Privathaushalte, sich ins Internet einzuwählen. Bei einem Minutentarif von 23 Pfennigen und Übertragungsraten von ca. 40 kbit/s – das entspricht etwa einer Seite reinen Texts pro Sekunde – eine mühselige und kostspielige Sache. Bis Mitte der Achtziger Jahre war es in Deutschland wie in vielen anderen Ländern nicht erlaubt, andere als posteigene Modems an die Telefonleitung anzuschließen. Heute verfügen 77 Prozent der deutschen Haushalte über einen privaten Internetanschluss, 93 Prozent davon sind Breitbandanschlüsse, und die meisten davon (82 Prozent) sind wiederum DSL-Anschlüsse, die pro Anschluss bzw. Haushalt rund 25 Euro im Monat kosten. Sie sind immer noch an die Telefonleitung gekoppelt, einen Festnetzanschluss gibt’s dazu, auch wenn der immer weniger genutzt wird. TV-Kabel spielen als Breitbandzugangsform nur eine geringe Rolle (16 Prozent). Bei diesen ist der Anschluss an die Fernseh-Infrastruktur gekoppelt.
Diese Verbindungsarten sitzen auf Technologien auf (Telefon oder Fernsehen), die mit dem Internet eigentlich nichts zu tun haben. Ihre Kopplung an einen Standort und einen Anschluss (Haushalt) passen so gar nicht zum Internet, das zudem immer häufiger mobil genutzt wird. Auch das mobile Internet ist immer noch gekoppelt an eine andere Träger-Technologie: die Mobilfunknetze. Man benötigt einen Telefon- und Mobilfunkvertrag, um mobil im Internet surfen zu können. Diese Legacy-Technologien könnten jedoch schon bald der Vergangenheit angehören.
##Der Kampf ums elektromagnetische Spektrum
Die Federal Communications Commission (FCC) ist uns ja schon beim Thema Netzneutralität begegnet. Sie wurde 1934 gegründet, um das elektromagnetische Spektrum in den USA zu verwalten. Radio- und TV-Stationen wurden bestimmte Frequenzbereiche zugewiesen, die sie nicht überschreiten durften, damit sich die (analogen) Signale nicht störten.
Aus der einstmals knappen Ressource der Airwaves ist heute dank neuer Technologien wie digitalem Broadcasting, dynamischer Vergabe von Kapazitäten und zielgerichteter Sendung eine im Überfluss vorhandene Quelle geworden, von der nur noch ein Bruchteil benötigt wird.
Was also tun mit den frei werdenden Frequenzbereichen? Im Februar 2013 überraschte die FCC die Fachwelt mit einem Kommuniqué. TV und Radiosender sollen nicht mehr benötigte Frequenzen an die Regierung zurückgeben. Freiwerdende Teile des elektromagnetischen Spektrums sollen verwendet werden, um ein leistungsfähiges kabelloses Netzwerk einzurichten – ein landesweites kostenloses „Super-WLAN-Network“ für alle.
Wow. Funkwellen-Kommunismus.
Die fraglichen Frequenzen im 700-Mhz-Band können – anders als das heute übliche WLAN, kilometerweit reichen und Wände und Hindernisse durchdringen. Sie würden mobile und Festnetz-Anschlüsse überflüssig machen. Die Carrier (AT&T, T-Mobile, Intel, Verizon) laufen verständlicherweise Sturm. Sie haben Milliarden in Lizenzen für diese Frequenzen investiert. Analysten sagen voraus, dass kostenloses flächendeckendes WLAN die Services der Telekommunikationsunternehmen überflüssig machen wird: Wenn es ubiquitäres Breitband-WLAN gibt, wird niemand mehr einen DSL- oder Kabelanschluss buchen. Ihr Geschäftsmodell geht damit zu Ende. Google und andere Plattformen begrüßen den Vorstoß und haben kräftig daran mitgewirkt, dass die FCC in diesem Sinne entscheidet.
„Google tritt als Befürworter einer Rückführung von freien Spektren auf und hat ein Gebot von 4,6 Milliarden US-Dollar abgegeben, um dieses Ziel zu erreichen.“
##Die Tage von DSL sind gezählt
Aus der knappen Ressource, die an Telekommunikationsunternehmen versteigert wird, die die weitere Verwertung übernehmen, wird ein üppig vorhandenes Gut. Verknappung und Privatbesitz, Voraussetzung einer jeden Marktökonomie, fallen weg: economy of abundancy.
„Die Benutzung offener Drahtlos-Verbindungen über kostenlose Wi-Fi-Netze wird wahrscheinlich in den nächsten Jahren die Norm werden, nicht nur in Amerika , sondern praktisch weltweit. … Die Vorstellung, über proprietäre zentralisierte Festnetze zu kommunizieren, wird für junge Menschen in der Mitte des 21. Jahrhunderts kaum mehr sein als eine historische Kuriosität.“
##Common sense revolts at the idea
1945 wurde das amerikanische Militär von Thomas Lee und Tinie Causby, zwei Bauern aus North Carolina, verklagt, weil die Flugzeuge beim Überflug die Hühner verschreckten. Laut amerikanischem Recht gehörte ihnen das Land inklusive des zugehörigen Luftraums bis ins Unendliche. Der amerikanische Kongress hatte hingegen den Luftraum für zivilen und militärischen Flugbetrieb freigegeben. Der Supreme Court musste den Fall entscheiden, insbesondere ob es der Regierung erlaubt war, den Luftraum der Causbys für das Durchfliegen kompensationslos freizugeben. Lawrence Lessig, der diesen Fall in seinem Buch „Free Culture“ schildert, zitiert den Urteilsspruch:
„Das alte Recht ist in der modernen Welt fehl am Platz. Der Äther ist eine öffentliche Straße wie vom Kongress erklärt. Andernfalls würde jeder Langstreckenflug die Flugbetreiber einer Unzahl an Klagen wegen unbefugten Betretens aussetzen. Das widerspricht dem gesunden Menschenverstand.”
Das Gericht entschied dagegen: Die Zeiten haben sich geändert, das Recht muss angepasst werden an technische Veränderungen, die so vorher nicht absehbar waren. Es scheint, also stünde dem elektromagnetischen Spektrum eine ähnliche Entwicklung bevor: die Entlassung in die Public Domain. Genau wie fast ein Jahrhundert zuvor die Luft zum Gemeingut und damit zur Grundlage für das Geschäft der Fluggesellschaften wurde.
Auch jetzt setzen sich neue Unternehmen, diejenigen des Digitalen Kapitalismus, mit ihrer Rechtsansicht durch. Sie brauchen das freie Spektrum wie die sprichwörtliche Luft zum Atmen.
Quellen/Links
Jeremy Rifkin: Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft: Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus, Frankfurt 2014
Lawrence Lessig: Free Culture. The Nature and Future of Creativity. New York 2004
Marcel Marss: Ruling Class Studies (Research proposal)
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