„Sync-Buttons sind super!“Jeff Mills im großen Interview

Jeff Mills lead FULL

Foto: João Messias

Jeff Mills: Stratege, Raumschiffbauer, DJ-Legende. Im Interview spricht der Techno-Künstler über die Einsamkeit des DJ, amerikanisch-europäische Tanzbeziehungen und die Zukunft von Musik.

Ist die Techno-Musik von Jeff Mills wertkonservativ? Zum Glück. Mills’ Sound speist sich aus dem Fundus des Immerähnlichen. Des immerähnlich Grandiosen. Das ist auch bei der kürzlich erschienenen EP zum DVD-Release von „Exhibitionist II“ so. Mills feilt harte, tribalistische Tracks, die schier endlos ins Sphärische spulen. Tools, wie sie Techno-DJs brauchen. Und vielleicht ist eben gerade dies der Mills’sche Imperativ: Was lange währt, ist immer noch gut.

Jeff Mills bleibt vielen bis heute der Größte. Eingebrannt hat sich dieses Bild ins kollektive Gedächtnis der Techno-Gemeinschaft: Wie der katzengleiche Mills in den Neunzigern in schwindelerregendem Tempo Platten jonglierte, auf bis zu vier Plattenspielern. Ein paar Sekunden kreiste das Vinyl, und schwupps war schon die nächste dran. Die Zukunft, sie konnte bei Mills nie schnell genug kommen. Das ist heute immer noch so. Auch wenn Mills die Prioritäten beim Auflegen etwas anders legt. Bjørn Schaeffner hat den 52-jährigen Zauberer im Büro seines Labels „Axis“ in Chicago telefonisch erreicht.

Jeff, deine neue DVD „Exhibitionist II“ entschlüsselt das DJ-Handwerk. Für wen ist das interessant?
Wirklich neu ist es vielleicht nicht. Aber für interessierte Laien ist es bestimmt hilfreich. Man erfährt, wie ein DJ-Set aufgebaut ist. Ich habe versucht, das in einer Schritt-für-Schritt-Anleitung aufzuzeigen, erzählt aus verschiedenen Blickwinkeln.

Es gibt wenige andere DJs, die man so stark mit der Mischkunst in Verbindung bringt wie Jeff Mills.
Danke! Ich lege auch schon sehr lange auf. Seit ich 17 oder 18 bin. Ich kenne das DJing gut. Wirklich, wirklich gut. Und durfte auch einige wirklich großartige DJs erleben.

Zum Beispiel?
DJ Keoki, der Resident im Limelight Club in New York war. Er machte das wirklich unglaublich gut, war ein Meister der Programmierung. Mit seinem Mixing trieb er die Crowd schier in den Wahnsinn. Er war ein richtig guter Psychologe. Die Übergänge waren sekundär, obschon Keoki natürlich auch gut mischen konnte.

Stimmt eigentlich das Bild des Über-Technikers Jeff Mills noch?
Früher war ich schneller, technisch viel geschickter (lacht). Wenn du älter wirst, musst du das kompensieren. Ich will ja relevant bleiben.

Du bis in den letzten Jahren also immer mehr zum Programmierer geworden? Wie Keoki?
Ich lege heute wirklich viel mehr Wert darauf, welche Tracks ich wann auflege. Und ich habe ein viel besseres Gefühl dafür bekommen, wie ich Einfluss nehmen kann auf das Geschehen. Ich suche mir aber noch ständig das nötige Equipment, das mir hilft, mein Handwerk weiter zu verbessern.

Du warst also nicht sauer, als der Sync-Button kam?
Im Gegenteil, ich war hocherfreut! Weil er mir erlaubte, mich auf ganz andere Sachen beim Mixen zu konzentrieren. Auch der Loop-Knopf war mir eine große Hilfe. CDJs an sich sind schon eine tolle Sache: Es passt einfach mehr Musik drauf, 80 Minuten. Ganz ohne Qualitätsverlust.

Den Qualitätsverlust, der mit dem Medium Vinyl einhergeht, hast du in der „Waveform Transmission“-Reihe thematisiert.
Richtig. Das waren frühe Axis-Platten. Da ging es um die Erinnerung. Ich wollte zeigen, wie wertvoll sie sind. Wer sich an nichts erinnert, hat kein richtiges Leben! Darum haben wir die Platten auf sehr dünnem Vinyl gepresst. Die konnte man nur ein paar Mal spielen, bis irgendwann nur noch white noise zu hören war.

A propos Erinnerungen: 1991 warst du erstmals in Europa. Ich habe dich in Bern gesehen.
Ja, ich war mit Mike Banks als Teil von Underground Resistance da. Damals sind wir zum ersten Mal von Detroit nach Europa rübergekommen. In diesem Club [Stufenbau, Anm. des Autors] war doch die New Yorker Freiheitsstatue nachgebaut. Die ist uns aufgefallen. Und genau an diesem Abend ging mir mein Kopfhörer kaputt. Ein Ersatz war nicht aufzutreiben. So mixte ich die ganze Nacht lang ohne Kopfhörer.

Ich muss auch immer an die „Sonar by Night“ 2003 in Barcelona denken. Tausend Körper hüpften im Takt, der Raum hob förmlich ab. Völlig losgelöst!
Ja, so könnte man beschreiben, worum es mir beim Auflegen geht. Oder anders gesagt: Ich versuche die Zeit einzufrieren. Indem ich Platten so smooth mixe, dass es weder einen Anfang noch ein Ende gibt. So, dass du dich als Tänzer komplett vergisst. Als DJ wirkst du auf die Leute ein. Du hast die Kontrolle, lässt die Leute warten. Du zeigst ihnen, dass sie verletzlich sind. Und wenn sie dir dann folgen, kannst du ganz spezielle Dinge mit ihnen anstellen.

„Das Publikum und ich, wir befinden uns ja faktisch in unterschiedlichen Zeitzonen. Auf meinem Kopfhörer läuft immer schon der nächste Track.“

Wenn diese gewissen Momente im Club passieren: Ist das etwas Spirituelles? Oder eher Physik?
Es ist etwas, das wir alle in uns haben. Es geht einfach darum, den richtigen Schlüssel zu finden. Im richtigen Moment können wir dann alle loslassen. Darum geht es ja für alle an einer Party. Diese connection.

In dem Dokumentarfilm über dich, „Man From Tomorrow“, wirkst du sehr distanziert.
Das war eine Entscheidung der Regisseurin Jaqueline Caux. Wir haben zuvor ausführlich über meine Beziehung zum Clubpublikum gesprochen. Es ist ja so: Ich bin in einem Raum mit vielen Menschen, bin aber gleichzeitig allein, von der Menge isoliert. Ich bin hier, um das Equipment zu bedienen. Und: Das Publikum und ich, wir befinden uns ja faktisch in unterschiedlichen Zeitzonen. Auf meinem Kopfhörer läuft immer schon der nächste Track.

Du kannst die Zukunft hören. Die des Publikums.
Ja, das gehört zum Auflegen. Und das zeigt sich auch anderswo: Du lernst, vorauszuplanen. Die Situation im Club einzuschätzen. Gesichtsausdrücke zu lesen. Die Bewegungen der Menschen richtig zu deuten.

Störst du dich eigentlich am weißen, kommerziellen EDM-Sound, wie ihn ein David Guetta propagiert?
Stören würde es mich höchstens, wenn die Leute nicht frei wählen dürften. Aber jeder kann entscheiden, ob er nun David Guetta oder lieber DJ Hell hören will. Das muss man respektieren. David erfüllt ein Bedürfnis bei seiner Zielgruppe. Und David macht, was David eben macht. Ich wünsche ihm nur das Beste. Er bringt die Leute zum Tanzen!

Und wie das passiert, ist dir egal? EDM ist ja eine Radikalabkehr von den afroamerikanischen Wurzeln von Clubmusik.
Nochmal: Die Leute entscheiden, was sie hören möchten. Detroit war der Ort in den USA, wo Mitte der 80er Techno entstand. Wenn sich die Amerikaner also unsere Clubmusik gewünscht hätten, wäre das auch so passiert. Aber niemand hat hingehört. Die USA sind rückständig. Und werden immer rückständiger. Aber warum sollte ich mich daran stören? Nicht so lange es Menschen an anderen Orten der Welt gibt, die meine Sachen gut finden.

Jeff Mills 02

Foto: Roberto Ty

„In Detroit ging es immer um Widerstand.“

In Europa gedeiht die Szene seit 25 Jahren.
Klar! Und genau darum sollte man in den USA nie vergessen, dass uns die Europäer unsere Karrieren überhaupt erst ermöglicht haben. Sie haben uns aus Chicago und Detroit eingeladen. Nicht einmal oder zweimal: zigmal! So konnte etwas wachsen. Wir konnten als Künstler wachsen. Und dabei geht’s gar nicht mal ums Geld. Die Europäer haben uns ihre Wohnungen geöffnet, ja, ihre Herzen.

Europäer neigen dazu, die Techno-Geburtsstadt Detroit zu mystifizieren. Ruin porn nennt sich das.
Ja, das ist schon eine spezielle Form der Wertschätzung. Andererseits ist es so: Wenn sich die Stadt nicht so entwickelt hätte, nicht praktisch bankrott gegangen wäre, dann wäre in Detroit nicht die selbe Szene entstanden. Das war eine Form des Widerstands. Um zu sagen: Hey, wir sind sind tough! Wir brauchen eure Unterstützung nicht. Detroit hat sich immer als sehr widerstandsfähig gezeigt. Und jeder Künstler aus Detroit hat heute sein eigenes, weltweites Netzwerk. Nur eben nicht in den USA.

Tresor-Gründer Dimitri Hegemann plant einen Ableger in Detroit. Ist das realistisch?
Es ist eine spannende Idee, aber auch eine ziemlich harte Nuss. Die Menschen in Detroit haben ja kaum Geld. Die Stadt hat ganz andere, grundlegende Probleme. Man darf froh sein, wenn die Straßenbeleuchtung und die Wasserhydranten funktionieren. Wenn Dimitri also das Banner für Detroit hochhält, ist das verdienstvoll. Aber du möchtest ja immer noch, dass die Detroiter selbst in den Club kommen.

Jeff Mills 03

Foto: Jacob Khrist

Als Künstler haben dich immer auch Hybridformen interessiert. Ich denke an deine Stummfilmvertonungen, angefangen bei Fritz Langs Metropolis.
Damit ging es 1990 los. Ich wollte zeigen, wie Techno aussehen kann, nachdem ja jedermann wusste, wie er sich anhört. Eine Form zu finden, wie Techno auch anderen Kunstformen zudienen kann. Später kamen dann auch Filme von Cecil B. DeMille oder Sergey Eisenstein, fast jedes Jahr hatte ich so ein Projekt. Mich reizt der Partizipationsfaktor. Und die Möglichkeit, eine Geschichte zu erzählen. Einfach ist das oft nicht, gerade wenn man mit Film arbeitet, wo die Suggestionskraft spielt.

Mills-Klassiker wie „The Bells“ hört man mittlerweile in klassischen Konzertsälen. Warum eigentlich?
Ich wollte schon immer wissen, wie meine Tracks klingen, wenn sie von einem Orchester gespielt werden. Ich habe ja auch auch Sachen produziert, die ähnlich wie klassische Musik arrangiert sind. Ich weiß nicht, ob dir das bewusst ist, aber in Detroit machen wir keine silly music. Musik ist für uns etwas Ernsthaftes. Wir wollen damit etwas Bedeutsames ausdrücken.

Dass du mit Buster Keaton auch Slapstick-Stummfilmbilder vertont hast, war die eine silly Ausnahme?
Das war wirklich das einzige Mal, das ich so etwas versucht habe. Eine schwierige Erfahrung. Diese Leichtfüßigkeit war mir fremd. Da den passenden Groove zu finden. Seither bin ich wieder viel ernsthafter unterwegs (lacht).

Apropos Detroitiger Ernsthaftigkeit: Wie blickst du auf die militanten Tage von Underground Resistance zurück?
Unser Aktivismus hatte mit unserer Herkunft zu tun. Mit den üblen Erfahrungen, die wir mit den Major Labels gemacht hatten. Das ging uns beiden so, Mike Banks und mir. Diese Haltung passte in diese Zeit Anfang der Neunziger. Aber heute stehen die Dinge ja anders.

Wie denn?
Wir haben viel mehr Freiheit. Die unabhängige Dance-Music-Szene ist besser organisiert, früher war alles viel fragmentierter. Und wir hatten keine Ahnung wie die Welt aussieht, kannten höchstens ein paar Länder wie vielleicht Holland oder Belgien. Heute ist das Bild natürlich viel kompletter. Wir sind viel freier. Wir kennen Menschen aus der ganzen Welt. Wir haben das erreicht, was wir früher wollten. Es gibt eine Menge anderer Gründe, warum man heute eine Gasmaske tragen sollte (lacht).

Weil die Umwelt vor die Hunde geht?
Die Gasmaske hat als Symbol immer noch ihre Berechtigung. Dafür, dass man sich aggressiv und nachdrücklich für Dinge einsetzt. Zum Wohle der Gemeinschaft. Die Umwelt befindet sich ja in einer Abwärtsspirale seit es die Menschheit gibt. Gleichzeitig geht es aber auch bergauf: Wir planen voraus. Um die Zukunft zu gestalten. Das hat die Menschen immer angetrieben, sich weiter zu entwickeln. Fortschritt!

Willst du die Welt zu einem besseren Ort machen?
Nein, ich bin ein ziemlicher Realist. Wenn man zu extrem in eine Richtung zielt, dann passt das nicht zur Art und Weise, wie die Leute leben und denken. Die Vorstellung, man könnte mit Musik etwas verändern, ist unrealistisch. Ich versuche, meinen Job zu machen, ohne dabei Erwartungen an Hörer und Publikum zu haben. Das hilft mir auch, meine Kunst von diesen Erwartungen zu befreien. Ich kann alles frei entdecken wie ich will, ohne Rücksicht auf irgendwelche Umstände nehmen zu müssen.

Es ist beachtlich, wie viele Projekte du gleichzeitig verfolgst.
Das ist auch eine direkte Reaktion darauf, wie sich die Welt verändert hat. Früher brauchte es geschlagene drei Monate, um ein Album zu promoten. Und du musstest dann noch ein ganzes Jahr warten, bis es im Handel verfügbar war. Heute kannst du ein Album innerhalb Sekunden veröffentlichen und hunderttausende Menschen erreichen.

Die alte Marktlogik ist passé.
Ja, alles ist schneller geworden. Ich hatte schon ewig Pläne, mehrere Alben gleichzeitig rauszugeben. Früher musste man schön brav warten, eins nach dem anderen. Auch wegen der Presse. Mit Social Media sieht das heute ganz anders aus. Ich glaube auch, dass die Informationstoleranz sehr hoch ist. Die Leute sind bereit dafür, in einem Monat ein Jeff-Mills-Album zu bekommen und im nächsten Monat schon wieder ein neues. Für einen Künstler sind die Möglichkeiten großartig. Je mehr du produzieren kannst in den wenigen Jahrzehnten deiner Künstlerkarriere, desto besser. Ich möchte meinen Fans lieber mehr geben als weniger.

Jeff Mills 04

Foto: João Messias

Eine Frage an den Science-Fiction-Experten: Wo siehst du die Zukunft der Musik?
Ich denke, die medialen Grenzen zwischen Musik, Kino und Videospiel werden sich auflösen. Du wirst dich als Konzertbesucher ins Woodstock Festival einklinken können, und dabei sein, wie Jimi Hendrix seine Interpretation von „The Star-Spangled Banner“ spielt. Ja, du wirst selbst in die Haut von Jimi Hendrix schlüpfen können.

Klingt ein wenig nach dem Holo-Deck aus Star Trek.
Stell dir vor, was man mit einer solchen Technologie anstellen könnte! Es könnte den Schulunterricht revolutionieren. Wenn ein Weißer plötzlich erlebt, wie es war, als Sklave in die USA verschifft zu werden. So ein Teil wäre unschlagbar. Es könnte die Welt verändern.

Das glaubst du wirklich?
Ja, sobald es uns gelingt, Simulationen so echt zu gestalten, dass auch das Hirn überzeugt ist, dass es echt ist. Dann wird das Verhältnis von Körper und Geist frisch verhandelt. Zu neuen Ufern!

Vor kurzem hast du deine allererste Roland TR-909 umbauen lassen. Wenn ich richtig verstehe, ist sie eine Art klingendes Raumschiff?
Wir haben der 909 ein neues, futuristisches Design verpasst. Mit dieser Maschine namens „The Visitor“ spiele ich live. Dann haben wir versucht, sie fliegen zu lassen. Dafür war sie aber zu schwer. Wir mussten ein paar Modifikationen vornehmen. Jetzt löst sich immerhin ein Teil von „The Visitor“ ab, fliegt während der Show davon und dockt wieder an.

Vor 22 Jahren hast du dein Label Axis gegründet. Ist die Zukunft, wie du sie dir vor damals vorgestellt hast, heute Realität?
Ja, absolut! Heute haben die Menschen viel mehr Kontrolle über ihr Schicksal. Eben dank Technologie. Wenn ich daran zurückdenke, wie ich damals von Detroit nach New York zog: Unvergessen, wie ich zur Canal Street lief und mir meinen ersten digitalen Rekorder kaufte. Damit nahm ich die Alben „Wave 101“,„ X-103“ und „Atlantis“ und viele andere frühe Axis-Sachen auf. Und das Tolle war: Ich konnte mir mein eigenes Zeug die ganze Zeit anhören, während ich durch Manhattan lief. Ja, das fühlte sich großartig an.

TCP/IP Politics: Content, Carrier und PlattformUnderstanding Digital Capitalism | Teil 16

Mix der Woche: Hard TonSupersize Disco Queen