Apple steigt in das Musik-Streaming ein. Und scheint dabei vieles richtig zu machen. Am 30. Juni startet der Service, auch in Deutschland.
Apple hat das Musik-Streaming verschlafen. Komplett. Mit dem halbherzigen „iTunes Radio“ – einem Dienst, den es in Deutschland sowieso nie gab – versuchte sich Cupertino an einer schalen Kopie von Pandora, das war es dann aber auch schon. Doch der Verkauf von Downloads via iTunes ist längst nicht mehr so profitabel, wie er jahrelang war. Die Welt gehört Spotify. Und Rdio, Deezer und Tidal. Wahrscheinlich auch in dieser Reihenfolge.
Als Apple das Beats-Imperium von Dr. Dre und Jimmy Iovine übernahm, war schnell klar, dass es bei diesem Deal nicht um die Kopfhörer gegangen sein kann. Apple wollte den kurz zuvor gestarteten Streaming-Service, die daran angeschlossenen Lizenz-Deals, natürlich auch das Image von Beats und Dr. Dre, vor allem jedoch: endlich einen Fuß in dieser vielversprechenden Tür und Mitarbeiter, die dann doch etwas mehr von Musik verstehen, als die Führungs-Riege von Apple.
Seit heute ist Beats Music tot. Der neue Dienst heißt Apple Music.
Streaming von Musik ist mittlerweile ein Convenience-Produkt wie Tiefkühlpizza. Alle Anbieter haben praktisch das gleiche im Programm. Lediglich die Algorithmen und die Server-Struktur bestimmen darüber, ob der Service XY ein Quäntchen besser ist als der andere. Spotify hat die Nase vorn. Und sei es nur deshalb, weil einem – anders als bei Rdio oder Tidal – nicht ständig Alben angezeigt werden, die man ob territorialer Lizenzabkommen dann doch nicht streamen kann. Geschenkt, wenn auch frustrierend. Das gilt auch für das „HiFi"-Streaming von Tidal, auch wenn der Unterschied bei neueren Produktionen hörbar ist. Das ist auf dem Telefon a) egal und b) bescheißt Tidal bei älteren Titeln sowieso und verkauft die gleichen ollen MP3s, die man auch überall sonst hören kann, als FLAC-Files. Ich habe den Test mit meiner eigenen Musik gemacht. Die kenne ich ziemlich gut und was ich bei Tidal höre, ist keine FLAC-Qualität. Basta.
Aber die Anbieter suchen nach Alleinstellungsmerkmalen. Bei Tidal sind es Videos – auch exklusive Konzert-Streams –, die immer wieder so gefeierten „kuratierten“ Playlists. Bei Spotify seit neustem Podcasts, Videos ohne Musik und ein Fitness-Assistent. Und bei Apple? Das gute alte Radio. Rund um die Uhr, mit Moderatoren, mit Ansprache. Und dem ganzen Rest, den die anderen Anbieter auch haben. Apple hat jedoch einen großen Vorteil: iTunes und die Integration der Massen an CDs, die man über die Jahre gerippt und in der Software abgelegt hat.
Beats 1 heißt die Radio-Station, die uns zukünftig bei Bedarf berieseln soll. Die Idee ist gut: Echte Menschen moderieren rund um die Uhr, haben ihre eigenen Shows, mit vermeintlich musikalischen Schwerpunkten. Wirklich konkrete Anhaltspunkte zum Programm gibt es aktuell noch nicht, die Idee ist aber unbedingt unterstützenswert. Wer will schon am laufenden Band Playlisten hören oder – noch schlimmer – „Internet-Radio“, wo auch nichts anderes passiert und die Macher der Mixe nicht den Mut haben, den Mund aufzumachen, ihre Shows aber dennoch Radio nennen. Eine gute Internet-Verbindung braucht man dennoch. Denn natürlich hat Apple keine UKW-Frequenzen weltweit erworben – der Service startet in über 100 Ländern. Geholfen hätte das eh nicht: iPhones haben keine UKW-Empänger. Wie gut dieses Programm wirklich ist, muss man abwarten. Dass der ehemalige BBC-DJ Zane Lowe eines der Zugpferde des neuen Radio ist, überzeugt nicht so recht. Eine Chance sollte man ihm als Kurator und quasi Chefredakteur des Projekts dennoch geben.
Das Radio ist natürlich nicht der einzige Aspekt von Apple Music. Der Service verbindet vielmehr die Musik, die man selbst in iTunes abgelegt hat mit dem gesamten Angebot des iTunes Store und legt noch kuratierte Playlisten, automatisierte Kanäle, Musikvideos und ein eigenes soziales Netzwerk oben drauf. Der Reihe nach.
Apple Music soll das Streaming des gesamten iTunes-Katalogs erlauben. Das wäre in der Tat eine Art Revolution. Denn der Katalog von Spotify un Co. ist lückenhaft, sehr lückenhaft. Das ist der von iTunes auch, doch viele Labels haben sich dazu entschlossen, ihre Inhalte zwar Apple für den Verkauf zu überlassen, Spotify etc. aber nicht für das Streaming zur Verfügung zu stellen. Sollte sich dies bewahrheiten, dann hat Apple was die Inhalte angeht tatsächlich einen Streaming-Vorsprung. Allein das wäre dann den Abschluss eines Abos wert. Die ersten drei Monate werden übrigens kostenlos sein – danach werden 10 US-Dollar fällig. Wie viele Euros das bei Apple sein werden, wird im Moment noch nicht verraten. Mehr als 15 sollten es aber nicht sein.
Die Playlisten? Geschenkt. Videos? Auch. Aber das soziale Netzwerk ist interessant. Nicht nur, weil Apple vor Jahren mit Ping schon so heftig auf die Schnauze gefallen ist. „Connect“ bietet Künstlerinnen und Künstlern die Möglichkeit, jegliche Arten von Inhalten bei Apple Music einzustellen. Videos, Texte, Bilder. Das betrifft nicht nur die Musiker, die bereits einen Plattenvertrag haben, sondern auch solche, die gerade erst anfangen. Apple verfolgt hier also ein ähnliches Prinzip wie Tidal mit dem „Discovery“-Service.
Wenn das Konzept aufgeht, hat Apple tatsächlich ein attraktives Produkt im Anschlag. Ein vermeintlich größeres Angebot an Musik, verbunden mit echtem Radio, der lokal gespeicherten Musik (die iTunes-Integration ist Spotify ja nie wirklich überzeugend gelungen), Offline-Speicherung, einer Schnittstelle zu den sozialen Netzwerken und – wenn es denn sein muss – der Entmündigung der eigenen Fähigkeiten via Playlists. Und das alles für zehn Dollar/Euro pro Monat. Da könnte sich etwas bewegen.