„Diese Krise wird nicht auf Knopfdruck verschwinden“Interview mit Lutz Leichsenring von der Clubcommission Berlin

Lutz Leichsenring Portrait lede

Foto: Pavol Putnoki

DJs arbeiten in Impfzentren, Clubs kämpfen mit Abschlagszahlungen von Fördergelder, Bund und Länder schieben Verantwortlichkeiten hin und her. Das Nachtleben bleibt auch weiterhin geschlossen – von den Plague Raves mal abgesehen. Wir haben Lutz Leichsenring, Vorstandsmitglied und Pressesprecher der Berliner Clubcommission um eine Bestandsaufnahme der aktuellen Situation gebeten. Dass es im Frühling in den Außenbereichen der Hauptstadt-Clubs wieder Pizza geben wird, scheint klar. Aber sonst?

Lutz, ich habe die Berliner Clubkultur in der Öffentlichkeit zum letzten Mal am 3. Oktober 2020 wahrgenommen, zum „Tag der Clubkultur“. Im Winter ist es still geworden um Clubs und Diskotheken. Was ist seitdem passiert, bzw.: Wie geht es uns?
Der Lockdown Anfang November hat unsere ursprüngliche Pläne zunichte gemacht. Wir waren im Oktober noch damit beschäftigt, Konzepte zu entwickeln, wie man in den Clubs Schnelltests anbieten kann – richtige Test-Straßen –, dazu gab es auch intensive Kommunikation mit den entsprechenden Firmen. Wir haben diese Initiative zunächst nicht an die große Glocke gehängt, um keine Hoffnungen zu wecken. Dann kam die Ansage von Senat mit dem Lockdown. Unser Ansinnen war, das Nachtleben sicherer zu machen, vorausgesetzt, Öffnungen wären möglich. Das hatte sich dann wieder erledigt. Seit Jahresbeginn tauschen wir uns lokal und national vor allem über Fördergelder, deren Bedingungen und Auszahlungen aus.

„Es ist eine wirklich nervenaufreibende Situation.“

National ist ein gutes Stichwort. Wie stellt sich für dich aktuell die generelle Stimmung bei allen Beteiligten dar?
Was man nicht vergessen darf – wir haben jetzt seit einem Jahr zu, was die Innenräume angeht. Seit dem Herbst haben sich auch Sonderveranstaltungen wieder erledigt, also das kontrollierte Bespielen von Außenflächen. Für Clubbetreiber*innen sind solche saisonalen Aktionen mit immensem Aufwand verbunden. Weil es konkret bedeutet, die Mitarbeiter*innen aus der Kurzarbeit zu holen. Geht die dann wieder los, starten alle Betroffenen wieder bei 60 % ihres Gehalts. Alle versuchen also, das Risiko so gering wie möglich zu halten. Aktuell geht es vor allem um das operative Geschäft – Liquiditätsprobleme. Das hat mit den Hilfsgeldern zu tun, bzw. mit den Auszahlungsmodalitäten. Ein Beispiel: Das Kurzarbeiter-Geld ist zugesagt, dann verzögert sich die Überweisung, den Krankenkassen wurde Vollzug signalisiert und die ziehen ihre Beiträge – pünktlich und zu 100 %. Konto ist leer, die Beträge können nicht abgebucht werden das Konto wird geblockt, dann werden Gelder eines anderen Hilfsprogramms überwiesen ... es ist eine wirklich nervenaufreibende Situation.

Um welche Hilfsgelder geht es aktuell?
Im Moment ist die Ansage, dass zunächst Bundesmittel beantragt werden sollen. Erst wenn die nicht greifen, kommen die Förderungen der Länder ins Spiel. Gerade sind die Gelder der Bundesländer – die Soforthilfe IV – ausgesetzt. Beim Bund geht es um die November- und Dezember-Hilfe. Die versprechen viel, im Kleingedruckten findet man dann aber Formulierungen wie „auszahlbar nur, wenn das gesamte Jahr verlustreich war“. Da lässt Hintertüren offen. Und viele wissen schlicht nicht, ob sie nun antragsberechtigt sind oder nicht. Das führt zu Unsicherheiten. Weil: Als die Clubs schließen mussten, war natürlich noch Geld auf dem Konto. Die Steuerberater*innen sagen dann: Nee, gebt das Geld besser mal nicht aus. Gleichzeitig stehen natürlich Mietzahlungen an. Dazu kommen die Abschlagszahlungen. Das versteht niemand. Konkret: Du beantragst 20.000 Euro, weil das genau die Miete ist, die du für drei Monate brauchst, und du bekommst 40.000 Euro. Was machst du dann? Natürlich gibt es auch keinen erklärenden Bescheid dazu. Du sitzt also auf dem Geld und weißt nicht, was du jetzt damit machen sollst bzw. darfst. Damit schlagen sich Clubbetreiber*innen zur Zeit rum. Um es ganz klar zu machen: Wir fühlen uns nicht an der Nase herum geführt – die Situation ist eher ein Anzeichen dafür, wie komplex es ist, mit Steuergeldern in Krisenzeiten zu hantieren. Alle sind vorsichtig und wollen keine Fehler machen.

Die Landesmittel sind die bessere Lösung, weil es einen direkteren Draht zu den Verantwortlichen gibt?
Wir haben gemeinsam daran gearbeitet und die Voraussetzungen geklärt. Die Initiativen an die Realität angepasst. Wie viele Mitarbeiter*innen sind fest beschäftigt? Ist die Mindestzahl realistisch? Solche Dinge. Wir haben an den Stellschrauben gedreht, und das hat wirklich funktioniert.

Wir haben bereits über fällige Mieten gesprochen. Das ist in Berlin ein Problem, weil tatsächlich viel gemietet und vergleichsweise wenig besessen wird. Wie stellt sich für dich die Situation dar? Wie entgegenkommend sind die Immobilieneigentümer*innen?
Sagen wir so: Mir ist bislang kein Beispiel bekannt, bei dem es zur Kündigung kam. Natürlich hat diese Kulanz auch Grenzen. Fakt ist, dass die Eigentümer*innen zur Zeit kaum Alternativen haben. Wem will man denn so eine Fläche verkaufen, bzw. vermieten? Da steht aktuell niemand Schlange. Aber: Je höher die Außenstände werden, desto größer auch die Gefahr.

Der Sommer war geprägt von Open-Air-Nachmittagen – mit Pizza und hier und da auch Tanzen. Das fällt im Winter natürlich flach. Wie siehst du den Frühling perspektivisch? Bleibt es bei Pizza und vielleicht Kunst? Oder werden auch andere Szenarien diskutiert?
Ich denke, alle stehen aktuell in den Startlöchern, das zu machen, womit sie nach dem Sommer aufgehört haben. Denn die warmen Monate haben 2020 gut funktioniert. Die Grundkosten konnten gedeckt werden, und sowohl für die Mitarbeiter*innen als auch für die Gäste war das ein wichtiges Zeichen. Gerade für die Crews war das ein Signal – die willst du als Betreiber*in nicht verlieren. Ich gehe davon aus, dass der Außenbetrieb im Frühjahr wieder losgeht. Die Zahlen gehen ja erfreulicherweise runter. Und im Sommer wird es auch wieder kleine Festivals geben. In diesem Bereich gehören viele Grundstücke ja den Veranstalter*innen. Ich hoffe einfach, dass das Impfen immer schneller vonstatten geht und auch die Schnelltests zugänglicher werden. Das würde unserer Branche mehr Möglichkeiten geben – das Risiko wird hoffentlich immer kleiner und berechenbarer.

„Lüftungsanlagen sind für uns eine ganz große Glaskugel.“

Tests sind ein gutes Stichwort. Schnelltests in Kombination mit neuen Filteranlagen für die Raumluft versprechen risikofreies Feiern. Wie siehst du das?
Lüftungsanlagen sind für uns eine ganz große Glaskugel. Warum? Weil die Technik so diffizil ist. Natürlich gibt es viele Anbieter, die gerne verkaufen wollen. Die Frage ist aber, ob das zu den Clubs auch passt. Je kleinteiliger die Räume sind, desto schwieriger wird es. Die Voraussetzungen sind einfach von Club zu Club unterschiedlich. Und ob man eine bestehende Anlage einfach aufrüsten kann, ist ungeklärt. Wir wissen darüber im Moment einfach noch zu wenig. Weil nicht nur die Technik oder das technisch Machbare eine Rolle spielt, sondern auch die Außenbedingungen: Temperatur, Luftfeuchtigkeit zum Beispiel. Denn: Wenn es trotz neuer Anlage zu einem Ausbruch kommt, haben alle ein Problem. Wir kalkulieren daher lieber mit den Außenflächen für die kommenden Monate. Im Herbst, nach der Impf-Kampagne, sehen und planen wir weiter. Wir können nur in kleinen Schritten denken. Auch weil es dauern wird, bis das Publikum zurückkommen wird.

Und auch, bis das Gros der Mitarbeiter*innen wieder am Start ist. Die Berliner Impfzentren, so heißt es, beschäftigen verstärkt Menschen aus dem Nachtleben.
Das ist richtig. Die Initiative geht auf Booking United zurück und richtet sich vor allem an die Freelancer und Künstler*innen, die nicht in Kurzarbeit sind. Das funktioniert. Clubs und Festangestellte haben immerhin Fördergelder. Da gibt es ein großes Ungleichgewicht. Zumal: Wenn die Läden irgendwann wieder aufmachen, es aber niemanden mehr gibt, die gebucht werden können, haben auch die Clubs keine Perspektive.

Wie und wann es weitergeht, steht weiterhin in den Sternen. Zwischen dem Vertrauen der Gäste, Rentabilität, Erwartungen an das Booking, das gerade in Berlin sehr international, also auch teuer ist: Wie kann das funktionieren?
Natürlich kann ich das nicht pauschal beantworten. Auch in der Zeit vor der Pandemie haben nicht alle Läden ausschließlich auf die Tanzfläche und Techno gesetzt, das war schon immer deutlich diverser. Das wurde ja im vergangenen Sommer nochmal ganz deutlich, als es um alternative Modelle ging. Es ist aber auch klar, dass das Kerngeschäft der meisten die Musikveranstaltungen sind. Ich kann mir gut vorstellen, dass es vielerorts zunächst weiterhin digitale Angebote geben wird – um sich breiter aufzustellen. Anders gesagt: Es wird weniger Berührungsängste geben in Bezug auf neue Formate, als das früher vielleicht der Fall war. Das vergangenen Jahr war auch geprägt von zunehmender Offenheit vieler Akteur*innen, die sonst eher kein großes Interesse daran hatten, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Ob das so bleibt, müssen wir abwarten. Klar ist nur: Diese Krise wird nicht auf Knopfdruck verschwinden.

Am 19. März startet planmäßig die Perspektive Kultur in Berlin: Im Rahmen eines Pilotprojekts soll die logistische Machbarkeit von Veranstaltungen in Verbindung mit SARS-CoV-2-Antigen-Tests getestet werden. Auch die Clubcommission beteiligt sich. Dieses Interview erschien ursprünglich im disco-magazin.

Lutz Leichensring Portrait 02

Foto: Jochen Zick

Leseliste 13. März 2021 – andere Medien, andere ThemenCrypto-Mining im Kosovo, Psychische Erkrankungen in der Pandemie, Musikjournalismus in der UdSSR, Impfen

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