Seit 2014 besteht das Institut für Pop-Musik der Folkwang Universität der Künste. Ein in der akademischen Landschaft ziemlich einzigartiger Studiengang in dem sonst an Hochschulen nicht armen Ruhrgebiet.
Der zweijährige Master-Studiengang setzt auf überschaubare Studierendenzahlen, Praxis, Diskurse und persönliche künstlerische Entwicklung. Der Beirat des Instituts besteht aus Diedrich Diederichsen, Christoph Jacke, Anke Engelke und Dirk von Lowtzow. Die Lehrenden stammen aus allen relevanten Bereichen der Popmusik. Sei es die Musikanwältin Anne Ohlen, der Journalist Thomas Venker, der Rapper und Komponist Textor von Kinderzimmer Productions, der Musiktechnik-Papst Numinos oder die Gestalterin Tanja Godlewsky. Ebenfalls von Beginn an im Kollegium dabei ist Gregor Schwellenbach. Der Komponist, Künstler und Orchesterarrangeur ist vielen als Artist beim Kölner Label Kompakt bekannt und betreut indes am Institut die Themenfelder Songwriting und Probenpraxis. Die Bewerbungsphase für das nächste Studienjahr läuft an. Bis zum 15. März 2020 können Projektideen aus allen Pop-Bereichen eingereicht werden. Das Filter sprach mit Gregor Schwellenbach über die Ideen und Besonderheiten des Studiengangs, die neuen Herausforderungen der kreativen und künstlerischen Entwicklung und wieso es sich durchaus lohnen kann, hierfür ein paar Jahre im Ruhrgebiet zu verbringen.
Wie haben wir uns das Studium am Folkwang Institut für Pop-Musik vorzustellen?
Wir sind zunächst kein musikwissenschaftlicher, sondern ein künstlerisch-praktischer Master-Studiengang für Musiker*innen. Ich erinnere mich daran, als ich noch selber studiert habe. Wenn jemand Popmusik machen wollte und dennoch Musik studieren, dann wurde zumeist Jazz studiert. Ich vertrete einen anderen Ansatz. Mein Zugang zu Pop läuft über einen gesellschaftlichen Kontext.
Pop zu studieren, war ja lange Zeit gar nicht denkbar. Mittlerweile hat sich Mannheim in dem Bereich einen Namen machen können, aber sonst ist das Angebot eher rar gesät?
Die Folkwang ist ja eine Kunstuniversität. Das hat mit Haltung und einem künstlerischen Ausdruckswillen zu tun. Wir verstehen und als ein Lern- und ein Denkort für Pop-Künstler*innen. Uns geht es um künstlerische Qualität.
An einer Kunsthochschule wird viel künstlerisch gearbeitet.
Wir sind ein künstlerisch-praktischer Studiengang. Wir wollen Persönlichkeiten fördern und die Musikszene beleben. In den zwei Jahren wird viel musiziert, performt und produziert. Wir sind zugleich sehr diskursfreudig, haben viele Theoretiker*innen wie zuletzt Simon Reynolds zu Gast. Einige unserer Studierenden und Lehrenden arbeiten im Journalismus. Ich habe selber beim Radiosender Cosmo eine wöchentliche Rubrik. Der intellektuelle Ansatz ist uns allen wichtig. Wir sympathisieren mit reflektierten Ansätzen.
In der Regel gibt es in der Popkultur das Narrativ, dass jemand von der Straße kommt, mit gottgeküssten Talenten geschmückt ist und dann Weltstar wird. Die Institution der Uni passt da irgendwie nicht so richtig ins Bild. Wo positioniert ihr euch da?
Die Musiklandschaft und Musikindustrie hat sich stark gewandelt. Man muss heute viel schneller am Start sein. Früher hatten Bands eher die Zeit, jahrelang durch Bars und Clubs zu tingeln und dabei gut zu werden und eine individuelle Qualität zu entwickeln. Kanye West meinte mal, dass er drei Jahre lang nur Beats produziert hätte. So machte er jeden Tag fünf Beats fertig und mit der Zeit wurde er erst richtig bekannt. Als es für ihn losging, hatte er dann bereits eine große Basis, auf welcher er weiter aufbauen konnte. So eine Phase ist wichtig. Weil man dabei auch mal scheiße sein kann und sich die Persönlichkeit dadurch entwickelt. Bei Jazz-Musikern war es oft so, dass man als junges begnadetes Talent erstmal bei einem bekannten Künstler spielte. Viele berühmte Jazzer einer bestimmten Generation haben alle in der Band von Miles Davis gespielt. Davis hat sich die guten Typen rausgesucht, die spielten dann zwei Jahre lang in der Band und machten später ihr eigenes Ding.
„Uns geht es um Empowerment und die künstlerische Entwicklung.“
Heute müssen Künstler*innen schneller liefern?
Die Industrie ist schneller geworden. Wer heute zwei Songs fertig hat, muss scheinbar gleich einen Instagram-Account anlegen, auf dem dann alles gezeigt wird. Auch dadurch entstand die Notwendigkeit, einen schützenden Raum zu schaffen, in dem man derjenige wird, der man wirklich ist. Unser Ansatz des Studiengangs ist, solch einen Raum für die Entwicklung anzubieten. Dabei können bestimmte Knoten platzen. Manchmal stehen sich Menschen im Weg, weil sie zu viel oder zu wenig Ehrgeiz haben. Das Gleiche gilt für den Fokus und das Selbstbewusstsein. Nach fünf Jahren Erfahrungen am Institut können wir sagen, dass das sehr gut funktioniert. Als Master-Studiengang nehmen wir nur Leute, die handwerklich im Großen und Ganzen schon alles drauf haben. Wir bilden nicht das Berufsbild Musiker aus. Wir sind Teil einer Kunsthochschule. Uns geht es um Empowerment und die künstlerische Entwicklung.
Ihr arbeitet bei eurem Master-Studiengang projektorientiert. Was ist in etwa die thematische Bandbreite?
Bewerben muss man sich bei uns mit einem Projektvorhaben. Allerdings ist es nicht so, dass dieses Projekt exakt eins zu eins im Laufe des Studiums realisiert wird. Es läuft eher darauf hinaus, dass man ein Paket erarbeitet. Zum einen ist das eine Live-Performance. Man erarbeitet Material und Expertise für ein ca. einstündiges Konzert. Zum anderen werden Aufnahmen produziert. Einige machen ihr erstes Album bei uns, andere ihr zweites. Da Alben heute kaum noch Relevanz haben, arbeiten einige auch mit einem Konzept von acht Singles oder ähnliches. Dazu gibt es Fotos und Pressetexte. Man entwickelt sich bei uns quasi zum fertig buchbaren Artist.
Was ist wichtig für eine gute Bewerbung?
Wir suchen Studierende, die was wollen, die für etwas brennen und etwas zu sagen haben. Manchmal sind die Projektbewerbungen zu sehr an den Haaren herbei gezogen. Manchmal ist das zu akademisch gedacht. Eine Rap-Oper wird immer wieder mal angeboten. Das interessiert uns aber weniger als jemand, der LoFi-Songs auf vier Spuren aufnimmt, dafür aber für seine Sache brennt. Aber auch Theater- oder Filmmusiken werden entwickelt. Heute wird in der elektronischen Musik das Performative immer wichtiger. Audioinstallationen, Kunstinstallationen mit vielen Klangelementen, Tanztheater. Wir gucken, dass die Projekte zu den Leuten passen. Uns interessiert ihre Leidenschaft, Denkfreudigkeit und ihr Interesse an Themen der anderen Studierenden.
Was kannst du über die Studierenden sagen? Wo kommen sie her? Welche Genres sind vertreten?
Die Studierendenschaft ist sehr divers. Das macht uns glücklich. Wir hatten schon Trap-Producer, Singer-Songwriterinnen mit Loop-Station, Berliner Underground-Techno-DJs, Beatbastler und Metal-Produzenten darunter. Unsere Studierenden kommen u.a. aus Metropolen wie Istanbul, Chicago, Teheran und Ländern wie Israel und Kolumbien. Wir pflegen einen intensiven Austausch und sorgen für Synergien. Auch wir Lehrenden lernen jeden Tag von den Studierenden. Die Unterschiedlichkeit der Persönlichkeiten und Ansätze sorgt dafür, dass Konkurrenz oder Neid keine Rolle spielen. Auch wenn die Atmosphäre im Institut auch mal der einer WG gleicht, ist das hier keine Reality-Casting-Show, in der es um Verdrängung geht. Das wäre wohl anders, wenn alle Studierenden nur Rapper, House-DJs oder Neo-Soul-Artists wären. Es ist unterdessen spannend zu sehen, wie die Studierenden gemeinsam intuitiv an Problemlösungen arbeiten und sich bei ihren Projekten gegenseitig unterstützen. Da spielen Grabenkämpfe zwischen Genres oder vermeintlich verfeindeten Subkulturen überhaupt keine Rolle.
Für die Aufnahmen und Projekte gibt es im Institut diverse Studios.
Die eigene Arbeit im Studio steht im Vordergrund. Wir haben Projektstudios, die klassischen Bedroom-Studios nachempfunden, aber qualitativ hochwertig ausgestattet sind. Die Studios sind thematisch unterschiedlich angelegt. Eines hat beispielsweise ein Modularsystem und diverse Analog-Synthesizer. Ein anderes ist wiederum eher digital ausgelegt. So verschieden wie Heimstudios eben sein können, sind auch unsere Studios eingerichtet. Es gibt dazu größere Aufnahmeräume, in dem ganze Bands spielen und aufnehmen können. Dann haben wir noch eine Tonregie und zwei Clubanlagen, um Produktionen im Clubkontext testen zu können. In den Bedroom-Suiten verbringen die Studierenden aber die meiste Zeit. Sie können die Studios 24 Stunden nutzen, was sie auch machen. Wenn es aber mal Hochglanz und Radiotauglichkeit braucht, können wir genauso mit der richtigen Infrastruktur und Technik aufwarten.
Auf der einen Seite gibt es im Ruhrgebiet zahlreiche renommierte Universitäten und viele junge Studierende. Dennoch hat die Region ihre Strukturprobleme und gerade junge Kreative ziehen in die größeren Städte ab. Wie siehst du die Situation?
Das Ruhrgebiet ist bekanntlich eines der größten Ballungsgebiete Europas. Aber es ist in der Tat eigen und mit kaum einer anderen Region vergleichbar. Natürlich gibt es in Berlin und Köln eine größere Pop-Szene. Wenn ich mir aber die Entwicklung der Studierenden angucke, denke ich, dass diese inhaltliche und räumliche Konzentration von Vorteil ist. Unser Institut befindet sich abgeschieden in einem ehemaligen Zechengelände. Der Bus dahin kommt paar Mal die Stunde vorbei und das Mittagessen bringt sich jeder mit oder wir kochen etwas gemeinsam in der großen Küche. Ich denke jedoch, dass das Can-Studio in Weilerswist oder das Studio von Conny Plank in Wolperath auch deshalb so gut funktioniert haben, weil man in der Peripherie besser zur Ruhe kommt. Klar, hören wir auch mal, dass jemand sagt: „Ich ziehe aus Berlin doch nicht nach Bochum!“ Aber viele finden gerade das hier gut und kehren nach zwei Jahren zufrieden zurück in ihre Stadt. Man kann sich hier gut fokussieren. Dass jemand Weltstädte wie Istanbul und Chicago verlässt, um nach Bochum zu kommen und es danach heißt, die zwei Jahre Ruhrgebiet hätten gut getan, dann ist das eine gute Nachricht.
Bewerbungsfrist für das WS 2020/21 ist der 15. März 2020. Weitere Informationen zum Studiengang und zur Bewerbung findet ihr hier: