Podcast-Kritik: Faking HitlerWenn der Stern auf Serial macht

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Vor fast genau 36 Jahren wollte der „Stern“ bei einer großen Pressekonferenz den medialen Scoop der Nachkriegsbundesrepublik präsentieren: die Entdeckung der Tagebücher Hitlers. Und landete bekanntlich kräftig auf dem Bauch, binnen kurzer Zeit erwiesen sich die Funde als Fake. Jetzt erzählt das Medienhaus, das damals fast daran zugrunde ging, die unglaubliche Geschichte in einem Podcast. Der orientiert sich an US-Vorbildern, ist nicht wirklich gut, aber hörenswert, findet Redakteur Jan-Peter Wulf.

Ein Telefonanruf von Stern-Reporter Gerd Heidemann bei Konrad Kujau. Heidemann: „Conny!“. Auf der gegenüberliegenden Seite ist ein „Hmm“ zu hören. Heidemann: „Was ist los?“ Kujau, mit Stöhnen: „Oohhh ...“

Gibt es bei Podcasts ein tldh, wie es bei Texten ein tldr gibt? Dann wäre dieser Dialog genau das. Gut, worum es inhaltlich geht, weiß man bei diesem kurzen Passus nicht. Aber dafür ist auf emotionaler Ebene eigentlich alles gesagt: Da ruft einer bei einem vermeintlichen Freund an, nennt ihm beim Kurz- bzw. Kosenamen, und hat zu diesem Zeitpunkt – da war der Schwindel nämlich bereits aufgeflogen – immer noch nicht gecheckt: Er wurde von genau diesem Menschen betrogen. Auf der einen Seite der naive Reporter, auf der anderen das ausgekochte Schlitzohr.

Mit diesem Gesprächsfetzen beginnt jede Folge von Faking Hitler, dem Podcast des Stern, der auf derzeit so angesagte auditive Weise noch einmal einen der größten (hausgemachten) Skandale der bundesrepublikanischen Medienzeit aufrollt: die vermeintliche Entdeckung der Tagebücher Hitlers. Stern-Reporter Gerd Heidemann hatte Konrad Fischer (als solcher gab sich Kujau bei ihm aus) als Sammler von Nazi-Devotionalien kontaktiert. Dieser tat ihm kund, die Hitler-Tagebücher aus der DDR beschaffen zu können. Sie waren, so hatte Kujau ihm gesteckt, im sächsischen Börnersdorf mitsamt der Maschine bruchgelandet, die sie mitsamt anderer Besitztümer des Führers im April 1945 aus dem eingekreisten Berlin ausgeflogen hatte. Ein Buch nach dem anderen lieferte Kujau dem leichtgläubigen Journalisten aus, bis der Stern am Ende 62 Bücher präsentierte – dafür hatte Kujau eine Neun-Millionen-Summe kassiert. Und am Ende flog die Nummer auf: alles Fake.

Das ist hinlänglich bekannt. Zahllose Artikel, Bücher und nicht zuletzt die grandiose Film-Groteske „Schtonk“ haben die Bruchlandung, die der Stern mit dem angeblichen Jahrhundertfund hingelegt hat, beschrieben. Was kann da ein Podcast an neuen Erkenntnissen bringen?

Die Antwort: viel, dank der Tonaufnahmen. Denn in dieser Form erstmalig – das wird in der übrigens von Ex-Viva-Moderator Nilz Bokelberg produzierten Serie auch unermüdlich betont – sind die Mitschnitte der Telefonate zwischen Heidemann und Kujau zu hören, und auch die aufgezeichneten „Verhöre“ Heidemanns, die es nach Auffliegen des Schwindels in der Stern-Zentrale gab. Man hatte ihm von Gruner + Jahr extra ein Privatflugzeug nach München geschickt, damit ihn nicht bereits die Journalisten der Konkurrenz bei der Ankunft mit dem Linienflug am Flughafen in Hamburg grillten, das wollte man schon inhouse machen (wenigstens gab es Whisky und Cognac vorab für den armen Heidemann).

Dass wir den Gesprächen, der sich entwickelnden Fake-Männerfreundschaft lauschen können, über manchmal minutenlange Passagen, ist die Stärke von „Faking Hitler“. Es ist wahrhaft sensationell, wie Kujau Heidemann hinhält, wie er von Problemen bei den Lieferungen und bei den Übergaben schwadroniert, wie er im Kopf, oft mitten im Telefonat, Konstrukte baut, ohne sich dabei zu widersprechen. Er muss ja Zeit gewinnen, um die Tagebücher zu schreiben! Man glaubt mitunter fast selbst, was Kujau von sich gibt, es baut sich ein inneres Bild aus schmierigen Materialschleusern, nächtlichen Transitstrecken und Kujaus (erfundener) Verwandtschaft auf, die über Monate nur damit beschäftigt ist, die Bücher des Gröfaz in den Nichtsozialistischen Wirtschaftsraum zu schmuggeln. Und man fragt sich zugleich, wo die beim Stern eigentlich das ganze Bargeld herhaben. Und anscheinend überhaupt keine Probleme damit haben, es rauszuhauen.

Still bleibt es um die eigentliche Meisterleistung des Fälschers: das Schreiben wie ein Irrer. Nur zu gerne würde man hören, wie sich Kujau (Stern-Journalist Michael Seufert nennt ihn in einer Folge zurecht „die schönste Figur in diesem ganzen Spiel“) die Nächte mit an den Haaren herbei gezogenen Geschichten aus dem „Privatleben“ Hitlers um die Ohren geschlagen hat. Doch das war vermutlich eine kräftezehrende, schweigsame Arbeit.

Dass so viel O-Ton zu hören ist, ist – persönliche Meinung – nicht langatmig, wie „Übermedien“ es findet, sondern ganz im Gegenteil: Footage, I just can't get enough. Wie gut, wie spannend das sein kann, hat der amerikanische Podcast-Primus Serial unter Beweis gestellt, der ebenfalls aus vielen Telefonat-Mitschnitten besteht. Produzent Bokelberg will zwar nur anderthalb Folgen „Serial“ gehört haben, aber die strukturelle Ähnlichkeit ist nicht von der Hand zu weisen. Den Unterschied macht jedoch die Moderation und Einordnung: „Serial“-Macherin Sarah Koenig kommentiert, erklärt, hinterfragt und zweifelt auf eine Art und Weise, die angenehm ist. Und angemessen, weil sie selbst recherchiert und – vor allem in Staffel eins – telefoniert hat. Bei „Faking Hitler“ dauert es nur eine halbe Folge, bis einem der Sprecher Malte Herwig gehörig auf den Keks geht. Seine gekünstelten Atempausen, seine Betonungen, seine Bemerkungen – komplett drüber. Es nervt. Hier wäre ein sachlicher, zurückhaltender Stil deutlich angebrachter gewesen. Dass der Journalist den Witz bringt, die Initialen „FH“ (statt „AH“) auf einem der Bücher stünden vielleicht für „Führers Hund“, ohne die Witz-Quelle „Schtonk“ zu nennen, ist auch nicht gerade journalistisch. Und wenn man schon unbedingt den humorigen Kommentator haben will, warum hat man dann nicht den auf der Payroll des Verlagshauses stehenden Micky Beisenherz genommen?

Dennoch ist „Faking Hitler“ ein Hörtipp: Telefon-Mitschnitte sind authentisch und mystisch zugleich, zumal dann, wenn sie eine derartige Geschichte erzählen. Was heißt erzählen: sind. Es dürften noch viele ähnliche Schätze auf Tonband in den Archiven der Medienhäuser schlummern.

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