Zwischen Selbstzensur und Ghetto-BombastÜber die Halbzeitshow des Super Bowl mit Dr. Dre, Snoop, Kendrick Lamar, Eminem und Mary J. Blige
14.2.2022 • Kultur – Text: Ji-Hun KimEs war das erste große Pop-Spektakel des Jahres: Die Halbzeitshow des Super Bowl mit Dr. Dre, Eminem, Snoop Dogg, Mary J. Blige und Kendrick Lamar. Diese Performance sagt aber auch viel über den Status Quo von Rap aus. Es wird Zeit, sich neu zu erfinden. Ein Kommentar.
Die gestrige Halbzeitshow des Super Bowl LVI mit Dr. Dre, Snoop Dogg, Eminem, Mary J. Blige und Kendrick Lamar hatte im Vorfeld schon für viel Aufsehen gesorgt. Was für ein Line-up! Seit Jay-Z und seine Firma Roc Nation 2020 als Producer für die vielleicht wichtigste jährliche Pop-TV-Produktion der Welt eingestiegen sind, hat sich der Fokus der darbietenden Artists in eine andere Richtung entwickelt. 2021 war es The Weeknd – und nun dieses Triumvirat des West-Coast-Rap. Zuvor zeigte sich, seit 2011, Ricky Kirschner als Producer verantwortlich. Der Sohn des Medienmoguls Don Kirshner buchte in seinem aktiven Jahrzehnt Katy Perry, Coldplay, Lady Gaga, Beyoncé und Madonna. Im Jahr 2019 unter dem Headliner Maroon 5 zwar auch Rap-Stars wie Travis Scott und Big Boi (Outkast), aber die diesjährige Show war wohl die erste reine HipHop-Rap-Show in der Geschichte des Football-Finals der NFL.
Der Hype um die Super-Bowl-Halbzeitshow begann 1993 mit der Performance von Michael Jackson. Seitdem ist dieser Premium-Lückenfüller zum Ritterschlag für alle Pop- und Rockstars der Beletage geworden. Gloria Estefan, Paul McCartney, Aerosmith, NSYNC, Prince, U2, Shania Twain. 2004 produzierte der Musiksender MTV die legendäre Show mit Jessica Simpson, Nelly, Kid Rock, P Diddy, Janet Jackson und Justin Timberlake. Jene Show, die als Nipple-Gate in die Geschichtsbücher einging und der Karriere von Janet Jackson viel Schaden einbrachte, Justin Timberlake indes nicht. Dies war auch das einzige Mal, dass MTV als Producer mitwirken durfte. Die verantwortlichen Stühle auf so hochleveligen Spektakeln können wackelig sein. Das haben auch Dr. Dre, Jay-Z und Co. für die diesjährige Show gewusst.
Die 15-minütige Performance war die vielleicht beste Show der Geschichte. Minutiös orchestriert, ein Bühnenbild, das den Bezug zur „Straße“ mit typischen L.A.-Vororthäusern und in den Boden eingelassenen Straßenkarten bemühte und eben Laser oder Feuerfontänen im typischen Stadionrock-Duktus außen vorließ. Für zusätzliche Gänsehaut-Momente sorgten die Überraschungsauftritte von 50 Cent und Anderson .Paak. Die Band spielte perfekt, die Details für die TV-Kameras waren zahlreich, hunderte Tänzer:innen und Kompars:innen füllten die Räume und die Performances aller Artists waren tight und ziemlich souverän. Hier wurde nichts dem Zufall überlassen und die Crowd in Los Angeles wusste dieses musikalische Heimspiel frenetisch zu honorieren. Aber der Super Bowl ist ein Mainstream- und Familienevent. Das ist Rap im 21. Jahrhundert ohne Frage auch. Daher verordnete man sich einer Selbstzensur und weder Fucks, noch N-Wörter oder Motherfucker tauchten während der Performance auf. Die Artists „biepten“ sich quasi selbst. Man merkte, wie schwer das den Rappern teilweise fiel. Vor allem Kendrick Lamar. Das nun Ausverkauf zu nennen, wäre zu einfach. Dr. Dre ist bereits Milliardär, Snoop Dogg kaufte kürzlich das Label Death Row Records. Mit Straße und Gangs hat das alles seit langem nichts mehr zu tun. Auch sind die dargebotenen Songs zum Großteil über 15 Jahre alt – so gesehen Oldies.
Es zeigt vor allem, wo Rap und HipHop heute angelangt ist: Nämlich da, wo Rock und Pop noch vor 15 Jahren waren. Dass die Inhalte der Songs wie Hülsen anmuten, ein 50 Cent sichtlich Mühe hat, die Athletik und Aggressivität vergangener Tage zu konservieren, ist kein Vorwurf. Das sind die Zeitläufte der Popkultur. Rap schafft es mit dieser Darbietung zu zeigen, wie man in Würde altern kann, sich überlebensgroß aufzublasen, wenn auch die Diskrepanzen zwischen Schein und Sein unüberwindbar erscheinen. It’s entertainment. Es ist vielmehr eine Feststellung, dass ab einem gewissen Level Kernbegriffe wie Credibility oder Authentizität keine Rolle mehr spielen. Vielleicht auch nie gespielt haben. Dass die einst subversive, politische und kritische Haltung von HipHop sich nicht mehr per se soundästhetisch artikulieren kann. Dr. Dre und seine Fellowship sind da angelangt, wo Mitte der Nullerjahre The Rolling Stones, Tom Petty, Bruce Springsteen und The Who waren, als eben sie die Halbzeitshows des Super Bowl bespielten. (Blockbuster-)Rap hat es geschafft, die weiße Dominanzkultur im Musikgeschäft vom Thron zu stoßen. Nun muss man sich aber auch neu erfinden, damit die Talabfahrt vom Zenith in die diskursive Bedeutungslosigkeit nicht zu rasant von statten geht. Dazu gehört auch, dass weibliche Superstars wie Mary J. Blige nicht mehr wie Staffagen, Ausnahmen und Quoten inszeniert werden. It’s still a boy’s club.