Das BusinessGlobal-lokal: Zu Besuch in der Mikro-Destille Our/Berlin
9.4.2015 • Leben & Stil – Text: Jasmin Tomschi, Bilder: Benedikt BentlerIn unserer neuen Reihe »Das Business« portraitiert Autorin Jasmin Tomschi spannende, innovative und schöne Geschäftskonzepte, sowie die Menschen und Geschichten dahinter. In der ersten Folge schaut sie exklusiv hinter die Kulissen der Mikro-Destillerie von Our/Berlin.
350 Milliliter klare Flüssigkeit, davon 37,5 Prozent Alkohol. Ein ovales Etikett schmiegt sich um eine kleine, durchsichtige Glasflasche mit kurzem Hals und Kronkorken-Verschluss. Die Aufmachung von Our/Berlin ist besonders, das Design kompromisslos minimalistisch, die Initiative hinter dem In-Getränk außergewöhnlich: Dieser Wodka wird nach vorgegebenem Erfolgsrezept in bescheidener Umgebung produziert. Hat man so etwas schon einmal gesehen? Vor März 2013 vermutlich nicht.
Bei der Eröffnung der Mikro-Destillerie dieses mittlerweile bekannten Alkohols wurde am Flutgraben 2 — gleich um die Ecke vom Club der Visionäre, dem Badeschiff und der Arena — zu R’n’B bei großem Andrang Moscow Mule geschlürft. Umgeben von Trendsettern und allen, die es noch werden wollten. Fast auf den Tag genau zwei Jahre später wartet Pauline Hoch, Mitbegründerin der Agentur Paul Sanders und Managing Director von Our/Berlin, in ihrer hippen Produktionsstätte. Exklusiv gibt sie Einblick in ihr lokales Projekt, das allerdings unter globaler Führung steht. Aber dazu später mehr. Was sich in den letzten Jahren wohl getan hat?
Draußen herrschen Minusgrade, die Gastgeberin trägt dennoch frühlingshafte Farben und widmet sich umgehend einer wohligen Tasse Tee der Marke Paper & Tea. Hoch berichtet von einer bevorstehenden Partnerschaft mit der Berliner Manufaktur: Cold Brew Infusion für sommerliche Zeiten. Hierbei wird der hauseigene Wodka mit edlen Teeblättern kalt aufgesetzt. Es herrscht eine gelassene Atmosphäre. Der Blick schweift durch den Raum: hinauf zu einem offenen Arbeitsplatz, wo Hochs Geschäftspartner Jon Sanders angeregt telefoniert, liebevoll drapierte Wodka-Flaschen im Eingangsbereich entlang zum Glasfenster einer weißen Doppeltür — ein erster Blick ins Herz der lokal hergestellten Spirituose tut sich auf.
Die Idee: Wir machen jetzt Wodka
Our/Berlin bittet Besucher seiner Destillerie zu angemessenem Verhalten in der delikaten Umgebung. Ein legerer Ausdruck wird unterschrieben, dann kann es losgehen. Während der Tee zieht, führt Hoch in die Produktionsmaschinerie ein: zwischen Tanks aus poliertem Edelstahl, einer schicken Brennblase, Kesseln und einer kleinen Abfüllstation findet in Anwesenheit von Produktionsmanagerin Kat Adam eine informative Unterhaltung statt. Hoch verweist auf zwei Ethanol-Tanks mit insgesamt 6.000 Litern Fassungsvermögen, spricht von einer halbjährlichen 3.000-Liter-Bestellung von purem Alkohol und einem Resultat von 20.000 Fläschchen voll sanft-fruchtigem Wodka — und das alles, das Augenmaß schätzt, auf rund 70 Quadratmetern.
Es stellt sich die Frage, wie vielen Gästen Pauline Hoch die Geschichte von Our/Berlin und die Über-Vision von Our/Vodka bereits geschildert hat. „Berlin war deshalb ein guter Startpunkt, weil die Stadt genau das verkörpert, was die Marke transportiert: Sie ist jung, wild, noch nicht so richtig angekommen wie etwa Paris, sondern noch in seiner Entwicklung“, plaudert sie fort.
##Die Herausforderung: Der Gigant dahinter
Im nächsten Schritt stellt sich die Unternehmerin allgemeinen, durchaus nachvollziehbaren Bedenken zum Business-Model. Denn was viele nicht wissen: Hinter Our/Berlin steckt der in Frankreich ansässige internationale Spirituosenkonzern Pernod Ricard, der unter anderem 2008 „The Absolute Company“ (Absolut Vodka) aus Schweden übernahm – für nicht weniger als fünf Milliarden Euro.
„Wir haben anfangs viel Kritik von diversen Seiten bekommen, die bemängelten, dass sich nun ein großer Konzern versucht, so klein zu machen.”
Das Credo wäre aber nie gewesen zu verschleiern, wer hinter Our/Berlin steckt, sondern so transparent wie möglich zu sein. Seit ungefähr einem halben Jahr liest sich deshalb auf dem Etikett ein Hinweis über die Zusammenarbeit mit dem Konzern. „Wir finden es wichtig, dass auf unseren Flaschen Pernod Ricard steht. Sie ist die Mutterfirma und hat in das Ganze investiert.“
Pauline Hoch legt die Karten selbstbewusst auf den Tisch. Hier hat niemand etwas zu verbergen. Offen wird auch über die Herkunft einzelner Zutaten gesprochen. „Aufgrund der Tatsache, dass wir hier selbst nicht maischen können, bekommen wir unseren Alkohol angeliefert. Da die Mutterfirma im Berliner Umland keinen qualitativ hochwertigen Weizen gefunden hat, der die entsprechenden Standards erfüllt, beziehen wir unseren Neutral-Alkohol aus dem Münsterland. Das verwendete Wasser ist lokal, gefiltert und gesäubert und unser Rohdestillat kommt aus Schweden.“ So viel dazu.
Das Angebot: Sprung ins kalte Wasser
Strategie und Infrastruktur stellt Pernod Ricard, ausgewählte Partner kümmern sich um Management, Produktion, Verkauf und Marketing. Die ursprüngliche Idee stammt von Åsa Caap, Innovation Director bei The Absolute Company und CEO von Our/Vodka. „Vor drei Jahren rief meine ehemalige Chefin an und fragte, ob wir Lust auf ein ungewöhnliches Projekt hätten“, erinnert sich Hoch. Kurze Zeit später klingelte das Telefon bei der Agentur Paul Sanders erneut. Caap gefielen Website und Profil, sie wollte das Duo dahinter gerne treffen. „Das Team aus Stockholm hat sofort gemerkt, dass wir dieselbe Sprache sprechen. Wir wurden in den Plan eingeweiht und waren doch einigermaßen überrascht,“ gesteht Hoch.
Zum Verständnis: Jon Sanders und Pauline Hoch sind branchenfremd, wenn es um die Produktion von Alkohol geht. Sanders kommt aus dem Einzelhandel, Hoch blickt auf eine Karriere im PR-Sektor zurück. Gemeinsam fokussieren sich beide auf Marketing, Events und Konzeption. „Es war definitiv neu und ungewohnt für uns. Aber es hat Sinn gemacht, dabei zu sein, weil wir alles vereinen konnten, was ohnehin bereits Teil unserer Expertise war.“
Heute wird neben Berlin auch in Detroit und Seattle produziert, ein neuer Ableger in London nimmt bereits Gestalt an und weitere Destinationen befinden sich in Planung. „Es ist ein sehr schlaues Konzept, weil es für beide Seiten gut funktioniert. Als eine Art Franchise sind wir an den Umsätzen beteiligt. Man gibt uns quasi die ganze Verantwortung und eine Teilhaberschaft, was uns automatisch stark an das Unternehmen bindet und natürlich gewinnorientierter arbeiten lässt.“
Das richtige Mischverhältnis: Intuitiv zum Erfolg
Nach zwei Jahren im Business zieht Hoch Bilanz, es geht, wie so oft, um die richtige Zeit und den richtigen Ort. Sie lässt klassischen Vertrieb außen vor und spricht sich für Umwege aus, die nur jemand geht, der „überhaupt keine Ahnung“ von der Materie hat. Genau diese Unbeholfenheit führte zu viel Presse und der entsprechenden Nachfrage. Auch als es im Laufe des Gesprächs vermehrt um Positionierung, Vermarktung und Kommunikation geht, verweist Hoch immer wieder auf ihre Intuition.
Dieser Tage kommt Our/Berlin in der Kreuzberger Boutique des Vertrauens und bei größeren Adressen wie dem Kaufhaus des Westens gleichermaßen unter — als Four-Pack mit Mischgetränken einer Hamburger Fairtrade-Limo oder in Kooperation mit Oskar Roehlers aktuellem Kinostreifen „Tod den Hippies! Es lebe der Punk“.
Der Abgang: Mit gutem Gewissen?
Bevor es wieder hinaus in die Kälte geht, wird noch eine Flasche des im Raum nebenan produzierten Wodkas verschenkt. Kritik hin oder her – denn trotz der Tatsache, dass ein Großkonzern hinter diesem Innovationsversuch steckt, bleibt das Gefühl, dass Pernod Ricard mit Pauline Hoch und ihrem Partner genau die Richtigen für das Projekt gefunden haben. Sie sind von ihrer Sache überzeugt, tragen Verantwortung und haben eine Vision für das Produkt. Das unterscheidet sie in diesen Punkten nicht groß von anderen ambitionierten Start-ups. Our/Berlin zeigt aber auch ein anderes Zeitphänomen, allerdings aus einer bislang ungewohnten Perspektive. Nämlich, dass die Welt zwischen lokal und global, Mainstream und Underground, zwischen Großkapitalismus und flexibler Jungunternehmer-Unabhängigkeit immer komplexer und verworrener geworden ist. Dass das irgendwann auch für kleine Manufakturen in Berlin gilt, wer hätte das vor ein paar Jahren noch gedacht? Ob daraus auch ein Rolemodel für andere Branchen werden könnte? Vielleicht eine rhetorische Frage.