Pils auf PillenIm Gespräch mit Oliver Wesseloh und Alexander Himburg
12.5.2014 • Leben & Stil – Interview: Jan-Peter WulfEine kleine Bier-Revolution ist im Land des Reinheitsgebots im Gange: Neue Brauer experimentieren mit alten Bierstilen und ungewöhnlichen Rohstoffen. Während die Großen über schwindenden Absatz jammern, sorgen die Kleinen in der Nische für geschmacklichen Wirbel. Das Ergebnis ist verheerend: Wer einmal probiert hat, will nicht mehr zum Fernsehbier zurück. Das Filter hat mit Oliver Wesseloh von der „Kreativbrauerei Kehrwieder“ aus Hamburg und mit Alexander Himburg vom „Braukunstkeller“ aus Michelstadt im Odenwald über Pale Ale, Hopfenstopfen, Mandarina Bavaria und Pils auf Pillen gesprochen. Mit ihren Kreationen gehören sie zu den führenden Köpfen der hiesigen Brauerszene.
Wieso seid Ihr Brauer geworden?
Oliver: Ich habe Brauwesen studiert und drei Jahre in den USA gelebt. Dort hatte ich beruflich viel mit dem ganzen Craft-Bier-Markt zu tun. Als es im Sommer 2012 zurück nach Hamburg ging, war für mich klar, dass ich das hier auch machen will.
Alexander: 2011 habe ich in meinem Keller angefangen, die ersten Biere selbst zu brauen, Damals habe ich noch in einer Hausbrauerei gearbeitet. Letztes Jahr habe ich mich dann selbstständig gemacht.
Wollt Ihr mit den Biermarkt auf den Kopf stellen?
Alexander: Nein. Ich mache ja kein Bier im herkömmlichen Sinne.
Sondern?
Ich mache Craft Beer. Das kann man gar nicht mit normalem Bier vergleichen, es ist viel geschmacksintensiver. Für mich ist das ein neues Kapitel.
Oliver: Es ist eine Einstellungssache. Wir brauen kein Bier nach Marktforschungsergebnissen, Rohstoffpreisen und optimierten Kosten. Wir haben Bock, ein geiles Produkt zu machen. Wenn die Leute es mögen, dann freue ich mich, ansonsten trinke ich es halt allein.
Oliver, was war dein erstes Produkt?
Prototyp, ein untergärig gebrautes und kalt gestopftes Lagerbier.
Kalt gestopft?
Am Ende des Gärungsprozesses geben wir noch mal Hopfen dazu, wir legen Saazer Hopfen aus Tschechien und Simcoe aus den USA in den Lagertank. Dadurch ist das Bier leicht wie ein Lager, aber durch das Hopfenstopfen wird es fruchtig und hopfig. Wir nennen es auch „Pils auf Steroiden“. Es passt übrigens super zu gedünstetem Fisch.
##„Deutschland ist immer noch ein Bier-Entwicklungsland“
Verstehen die Leute überhaupt, was ihr da macht?
Alexander: Deutschland ist immer noch ein Bier-Entwicklungsland. Überall woanders ist man viel weiter als bei uns. Hier kennt man eigentlich nur das bittere Pils. Das mögen viele aber nicht, also trinken sie kein Bier. Das ist schade, denn es gibt es so viel mehr als nur das...
Oliver: ...rund 140 verschiedene Bierstile, und da sind die ganzen Zwischenstile noch gar nicht eingerechnet. Wir widmen uns auch den in Vergessenheit geratenen Sorten, Leipziger Gose oder Sticke-Altbier zum Beispiel. Es geht uns darum, dass die Leute entdecken, wie Bier auch schmecken kann. Dann werden sie ganz schnell wieder zu Bierfans.
Die Craft-Biere schmecken teilweise sehr eigen und haben oft deutlich mehr Alkohol als der Standard. Wenn man sich mit dem Thema nicht auskennt, steht man schnell ziemlich ratlos beziehungsweise überfordert oder irritiert da. Was empfehlt Ihr denn zum Einstieg?
Oliver: Pale Ale ist eine gute Einstiegsdroge.
Alexander : So sage ich das auch immer (lacht)
Oliver: Es hat viele Ähnlichkeiten mit einem Pils, hat aber hinten dran noch eine schöne Fruchtigkeit durch den Kalthopfen. Das trinkst Du für ne Weile und dann traust Du Dich an die anderen Sorten heran. Wenn Du gleich mit einem Craft Bier anfängst, das 7,5% Alkohol hat und 65 Bittereinheiten (doppelt so viel wie ein normales Bier, d. Red.) und Dir niemand erklärt, was Du da gerade trinkst, dann können Dir schnell die Sicherungen durchknallen.
##„Ein Stout mit dem Touch von Whisky oder Rum ist so eine krasse Aufwertung“
Woran arbeitet ihr gerade?
Alexander: Ich habe ein Barrel-Aged-Programm am Laufen: Vor Weihnachten habe ich ein Imperial Stout gebraut. Das liegt jetzt bis Oktober auf zehn verschiedenen Fässern, die für schottische Islandwhiskys, Bourbon, Rum, Tequila und Rotwein verwendet wurden. Der Geschmack geht durch die Lagerung in das Bier rein. Ein Stout mit dem Touch von Whisky oder Rum ist so eine krasse Aufwertung. Die beste Veredelung, die man machen kann.
Oliver: Wir führen unsere Single-Hop-IPA-Serie fort, mit der wir verschiedene Hopfensorten vorstellen: Saphir, Polaris, Mandarina Bavaria, Hallertau Blanc... es gibt über 200 Hopfensorten, das geht noch ne Weile weiter (lacht). Für die Weltmeisterschaft im Juni mache ich eine Berliner Weiße aus Vollbier mit sechs Prozent Alkohol, gebraut mit Wildhefe und gelagert in einem Spätburgunderfass mit Himbeeren. Also für die Sommelier-Weltmeisterschaft meine ich, nicht die im Fußball.
(Alex bekommt große Augen)
Oliver: Ich schicke dir eine Flasche. Es wird übrigens nur 200 geben.
Stichwort Weltmeisterschaft: Da wird es wieder viel Bierwerbung geben. These: Wenn man einmal auf den Craft-Beer-Geschmack gekommen ist, will man kein Fernsehbier mehr. Stimmt oder stimmt nicht?
Alexander: Stimmt. Es gibt keinen Weg zurück mehr. Man wird schon ganz schön versaut.
Oliver: Wir sprechen Genussmenschen an, und die gibt es immer mehr. Die kaufen Sachen aus der Region, bei kleinen Kaffeeröstern und machen sich gerne Gedanken darüber, was sie zu sich nehmen. Und sie geben gerne etwas mehr dafür aus, weil sie mehr dafür zurück bekommen.
Alex: Beim Essen, Wein, Whisky oder Gin kennt man das ja schon länger. Ich habe ja früher auch immer gedacht, Bier ist ein total starres Ding, da ändert sich nichts. Es wird auch immer diejenigen geben, die sich lieber eine Kiste für zehn Euro kaufen. Aber jetzt eben auch die anderen.
Oliver: Es gibt eine ganz interessante neue Studie des Brauerbunds: Acht Prozent der Leute finden, dass das Reinheitsgebot erweitert werden und andere Rohstoffe zulassen. Acht Prozent, das klingt nach nicht viel. Aber für uns ein riesengroßes Potential.