„Ich vermisse diese Zeit.“Plug Research oder: Techno aus Los Angeles
6.5.2014 • Sounds – Interview: Thaddeus HerrmannDetroit, Chicago, vielleicht noch New York: Das sind die drei US-amerikanischen Städte, in denen Techno und House traditionell gepflegt wurde. Mit Partys und auch den entsprechenden Produzenten und Labels. Aber Los Angeles? Kein markanter Punkt auf der Landkarte der elektronischen Musik. In den 1990er-Jahren jedoch war die kleine Plattenfirma Plug Research ein Garant für Qualität. Auch, aber nicht ausschließlich mit Künstlern aus der Stadt an der Westküste. Allen Avanessian gründete das Label 1994. Und betreibt es noch immer, jedoch mit völlig anderem musikalischen Fokus. Avanessian wollte damals vor allem seine eigene Platte veröffentlichen. Kein Masterplan, keine Strategie für eine Karriere. 20 Jahre später sitzt er noch immer am Label-Schreibtisch, hat Dntel, Safety Scissors, John Tejada, Move D, Low Res oder auch Smyglyssna veröffentlicht und damit einen ganz entscheidenden Teil des Dancefloors mitgeprägt. Für uns blickt er auf die ersten Jahre des Labels zurück, das damals noch voll und ganz von Techno und House bestimmt wurde. Und John Tejada steuert einen exklusiven Mix mit genau den Platten bei, die damals auch in Europa großen Eindruck hinterließen.
Das Filter: Die allwissende Webseite discogs.com datiert den Start von Plug Research auf 1994. Hast du damals schon in Los Angeles gelebt? Und warum hast du gerade zu diesem Zeitpunkt ein Label gegründet?
Allen Avanessian: Ich bin in Los Angeles aufgewachsen und ging damals in den frühen 90ern zur Uni. Musik faszinierte und interessierte mich. Dabei war es vollkommen egal, um welches Genre es ging. Ich war zu dieser Zeit bereits als DJ aktiv und gemeinsam mit einem Freund hatte ich gerade angefangen, Equipment zu kaufen, um selbst zu produzieren. Natürlich hatten wir keine Ahnung, wie das funktioniert, also haben wir zunächst wild experimentiert, bis sich ganz sachte die ersten wirklichen Tracks herausschälten. Es ging uns um Sound. So nannten wir uns für unsere erste gemeinsame EP dann r.e.a.l.m, was für researching electronically advanced listening music steht. Wir verschickten die Tracks an ein paar Labels. Als daraufhin nichts passierte, entschieden wir uns, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Unsere „Wrench“-EP war der erste Release auf Plug Research.
Das Filter: Aus der europäischen Perspektive spielte Los Angeles nie eine große Rolle in der Geschichte der elektronischen Musik. Ein Blick auf eine Stadt und seine Szene aus weiter Ferne produziert ja gerne eine ordentliche Fehleinschätzung. Wie war die Situation damals in L.A.? Fühltest du dich von deiner Stadt angespornt, das Label zu starten oder war es eher eine „Jetzt erst recht“-Reaktion?
Allen Avanessian: Eher Letzteres. In der Mitte der 90er-Jahre gab es in L.A. nur die Rave-Szene. Das hat Spaß gemacht, mich musikalisch aber überhaupt nicht inspiriert. Das Gleiche galt für Produktionen aus meiner Stadt. Mich interessierten eher Labels und Musik aus anderen Städten. Berlin, Detroit, Chicago, London. Das hatte die nötige Tiefe.
Das Filter: Dann ist es ja auch keine Überraschung, dass Plug Research sehr schnell zu einem Label wurde, auf dem eher internationale Künstler ihre Musik veröffentlichten. Abgesehen von dir und John Tejada. Wie kamen diese Kontakte damals zustande?
Allen Avanessian: Ganz klassisch, über Demos. Unsere ersten Veröffentlichungen wurden überraschend gut rumgereicht, also kamen Produzenten auf mich zu. Einige der frühen Platten auf Plug Research waren tatsächlich Demos. Das änderte sich dann aber sehr schnell.
##Kein Melting Pot
Das Filter: Für mich gibt es zwei relativ klar auszumachende musikalische Richtungen, die du in den ersten Jahren auf dem Label verfolgt hast. Da ist zum einen der mehr oder weniger klassische Dancefloor, den auch John Tejada in seinem Mix für uns abbildet. Und andererseits war Plug Research damals auch immer ein Garant für eher abstrakte Tracks. Das hört man in deinen eigenen Produktionen immer wieder durch, aber auch bei Smyglyssna zum Beispiel. Machen wir mal das ganz große Fass auf und blicken durch die Brille des Historikers und Soziologen Mike Davis auf Los Angeles, der selbst aus L.A. stammt: In seinem Buch „City Of Quartz“ beschreibt er die Stadt als strategisch geplanten Moloch, als großes Gebiet, das nie wirklich als Stadt zusammenwachsen konnte, sondern immer ein Sammelsurium von Siedlungen und Ortschaften blieb. Mit ganz unterschiedlichen Färbungen und Eigenschaften. Eben kein melting pot. Ich höre das auch in den Plug-Research-Platten. Bin ich wahnsinnig oder stimmt das?
Allen Avanessian: Es könnte etwas damit zu tun haben. Aber als jemand, der hier schon ewig lebt, denke ich über L.A. nicht auf diese Weise nach. Aber die vielen unterschiedlichen Musikströmungen in unserer Stadt hatten und haben natürlich Einfluss auf den Sound von Plug Research. Man wird mit etwas Neuem konfrontiert, findet es interessant, forscht nach, steigt tiefer ein, versteht im Idealfall auch noch, worum es geht, entdeckt einfach tolle Dinge, tolle Musik. Das war in L.A. schon immer so. Ich hatte immer das Gefühl, dass neue Stile direkt vor meiner Haustür entwickelt und umgesetzt wurden. Es war einzigartig, das mitzuerleben. Und ich vermisse diese Zeit ungemein. Denn heute ist das nicht mehr so.
Das Filter: Entsprechend veränderte sich auch der Sound des Labels immer weiter. Der HipHop der Shadow Huntaz oder auch die „Voices in my Lunchbox“-Serie, auf der eher ein Singer/Songwriter-Einschlag zu hören war.
Allen Avanessian: Die Beispiele, die du nennst, waren aber keine geplanten Entscheidungen. À la „Wir müssen jetzt das Ruder rumreißen“. Für mich passte das alles perfekt zusammen. Bevor ich die Shadow Huntaz kennen lernte, hatte ich mich schon lange Zeit gefragt, warum HipHop eigentlich nicht mehr mit Elektronik arbeitet. Es war doch eh alles Sampling, das Equipment also vorhanden. Ich habe das nie verstanden. Als wir dann gemeinsam im Studio die erste EP produziert haben, waren alle völlig fasziniert davon, was uns da offenbar geglückt war.
Das Filter: Ich erinnere mich gut daran, wie ich die ersten hier in Berlin beim Hardwax gekauft habe. Das waren immer besondere Momente. Vielleicht auch, weil die Macher der Ladens immer sehr auf US-Produktionen fixiert waren, wenn du dich erinnerst. Wurde Plug Research überhaupt als Label aus Los Angeles wahrgenommen oder spielte das überhaupt keine Rolle?
Allen Avanessian: Da bin ich mir nicht sicher. Dass wir aus den USA kamen, war aber immer klar. Es war ein tolles Gefühl, in Europa so wertgeschätzt zu werden. So konnten wir auf Tour gehen, unsere Musik dort spielen und wieder neue Einflüsse sammeln.
Das Filter: In Detroit beschwert man sich ja immer wieder darüber, dass sich in den USA niemand für den Techno-Sound aus Motor City interessierte. Gab es in L.A. Feedback zu euren Veröffentlichungen? Und im Rest der USA?
Allen Avanessian: Oh ja, das gab es. Ich habe diese Haltung auch nie wirklich verstanden. Wir haben von Anfang an versucht, ein bestimmtes Selbstverständnis und unsere eigene Szene aufzubauen. Mit Musikern aus den USA und Europa. Das war ein langer Prozess, der Zeit in Anspruch genommen hat, sich aber auch ausgezahlt hat. Und vielleicht haben wir auch etwas zur musikalischen Rundumerneuerung der Stadt beigetragen. L.A. ist wieder interessant, lebendig. Ich habe hier nur mit Musikern zu tun, die hart arbeiten, an sich und ihre Musik glauben und eine ganz klare Idee davon haben, was sie erreichen wollen.
Das Filter: Kann man den heutigen Sound von Plug Research beschreiben?
Allen Avanessian: Also ich kann es nicht. Ich arbeite mit Menschen, deren Musik ich mag, und denen ich helfen möchte sich weiterzuentwickeln. Plug Research soll eine Art Sprungbrett sein. Das Label soll immer unabhängig bleiben und tolle Releases produzieren.
Das Filter: Du kennst das Geschäft jetzt seit rund 20 Jahren, ein Geschäft, in dem sich ständig Dinge verändern und das gerade in den letzten Jahren dramatische Umwälzungen erlebt hat. Macht dir das eigentlich noch Spaß, ein Label zu leiten? Und wie kann sich jemand der alten Schule auf die neuen Anforderungen einstellen?
Allen Avanessian: Da könnte ich ein Buch drüber schreiben. Ich will einfach nichts anderes tun, auch wenn es manchmal sehr hart und auch unangenehm ist. Die Musikindustrie ist so unberechenbar geworden und ändert sich ständig. Man muss entsprechend schnell reagieren können und immer sein Handeln hinterfragen. Und sich neue Ziele setzen, damit es auch weiterhin Spaß macht. Man muss sich und seine Strategie immer wieder ändern.
Tracklisting
- Kim Rapatti - Mood EP A1
- Dean Decosta - Heavy Circles
- Move D - µst
- Smyglyssna - Insvept I Papper
- r.e.a.l.m - Swift Kick
- Mannequin Lung - City Lights (Mr. Hazeltine Remix Feat. Divine Styler)
- John Tejada - Unit B1656
- The Mannequin Lung - Bias
- Trash Aesthetic - Pimp Impulse
- Mr. Hazeltine - Raspus
- TD5 - Site Overlap
- Spatchula Freak - Metal Thing #1
- Smyglyssna - On Partiklar Och Lyktstolpar