Das war das Atonal Festival 2015Interview: Alessandro Cortini von den Nine Inch Nails über vier Tage lautes und episches Brummen
29.8.2015 • Sounds – Interview: Michael DöringerZum dritten Mal fand am letzten Wochenende die Reinkarnation des Berlin Atonal statt, dem Festival für experimentelle Musik, das der Berliner Techno-Don Dimitri Hegemann in den 1980er-Jahren im SO36 veranstaltete. Seit 2013 findet es wieder statt, in der beeindruckenden, postindustriellen Kulisse des ehemaligen Heizkraftwerks an der Köpenicker Straße, in dessen Mauern sich auch der (neue) Tresor befindet. Das Atonal hat seinen ursprünglichen Auftrag wieder aufgenommen und der Jetztzeit angepasst: In wundervoll pathetischer und trotzdem zurückhaltender Verfallsästhetik wird dem ewigen Brummen von Industrial, Noise, Ambient und diversen Techno-Dekonstruktionen gehuldigt. Es gibt wenig bis keine Veranstaltungen, wo man das so geballt, hochwertig und trotz deutlicher Internationalität auch familiär erleben kann. Das Atonal ist eine aufregende und entspannte Fledermaus-Convention, bei der man das Gefühl hat, dass sich alle einig und vertraut sind. Ein großer Spaß in Schwarz-Weiß.
Alessandro Cortini war in diesem Jahr wohl die gefragteste Personalie, gleich drei Shows hatte man ihn gebucht: Einmal für ein vom Festival in Auftrag gegebenes Projekt zusammen mit Lawrence English, dann für ein Liveset unter seinem Techno-Alias Skarn und schließlich für eine Aufführung seiner beiden Solo-Alben, die er dieses und letztes Jahr auf Hospital Recordings veröffentlicht hat. Cortini ist zwar auch Mitglied bei Nine Inch Nails, auf „Sonno“ und „Risveglio“ macht der Synthesizer-Spezialist aber deutlich andere Musik: klaustrophobische, verträumte und manchmal fast gruselige Ambient-Tracks, die mit einfachsten Mitteln auf einer Roland MC-202 und einer TB-303 entstanden, und nur manchmal das weiche Pochen einer Kickdrum mit einbeziehen.
Viele Gründe sprachen dafür, gemeinsam mit Cortini das Festival zu rekapitulieren. Besonders seine „Sonno“-Performance war ein Höhepunkt des Wochenendes, das er von Anfang bis Ende miterlebt hat. Cortini ist nicht nur begeisterungsfähig, sondern hat auch eine klare Meinung zum manchmal ermattenden Dauer-Drone des Atonals, der in manchem Rückblick schon als austauschbar bewertet wurde. Wie er mit solchen Situationen umgeht, wie es sich anfühlt, beim Atonal auf der Bühne zu stehen und was Aphex Twin damit zu tun hat, erzählte er uns zwei Tage nach dem Festival im wieder verlassenen Kraftwerk.
Alessandro, wie war es für dich im härtesten Techno-Bunker der Stadt? Du bist doch alles andere als ein Raver!
Techno hat immer eine Anziehung auf mich ausgeübt, aber für Clubs und lange Nächte hatte ich nie viel übrig. Ich stehe da deutlich neben der Zielgruppe und der dazugehörige Lifestyle ist auch nichts für mich. Für mich ist es schon schwierig, morgens um 5 Uhr eine Show zu spielen.
Du hattest drei Auftritte in vier Tagen. Konntest du das Festival trotzdem genießen?
Vieles hatte ich schon sehr gut vorbereitet, bevor ich hier ankam. Sogar für die Show mit Lawrence English konnten wir vorher schon die Grundlagen schaffen. Montag und Dienstag vor dem Festival haben wir ausschließlich mit Proben verbracht und alles vorbereitet. Diese Kollaboration war ja am ersten Festival-Abend, und sobald das gelaufen war, konnte ich mich erst mal erholen und mich wie ein Besucher auf dem Festival bewegen. Am Samstag war ich dann wieder im Auftritts-Modus und konnte mir deshalb nichts anderes ansehen. Da ziehe ich mich lieber ins Hotel zurück, weil ich vor Auftritten immer unter Strom stehe. Aber ich fand das Festival großartig - die Organisation, die Location, die Menschen, die dort gearbeitet haben, auch das Publikum. Und natürlich all die Künstler, die aufgetreten sind. Das war eine Ansammlung von Freunden und solchen Leuten, deren Platten ich in den letzten Jahren gekauft habe. Für mich war das fast unglaublich, jemanden wie Peder Mannerfelt live zu sehen, oder das Northern Electronics Showcase, und ganz besonders meine Zusammenarbeit mit Lawrence English.
Keine Kritikpunkte?
Der einzige negative Moment war, als ein paar Leute diesen kleinen „Detroit Zen & Tea Pavillon“ zerstört haben, der draußen vor dem Kraftwerk stand. Das hätte ich in so einem liberalen Umfeld nicht erwartet. Dummköpfe gibt es leider überall.
Dein Auftritt mit Lawrence English war eine Auftragsarbeit des Festivals. Wie kam das zustande?
Laurens von Oswald, der Atonal-Organisator, hat mich quasi im Paket gebucht. Lawrence English war meine erste Wahl für das kollaborative Projekt. Wir sind letztes Jahr zur gleichen Zeit auf die Musik des anderen aufmerksam geworden: Er brachte „Wilderness Of Mirrors“ auf den Weg und ich hatte gerade „Sonno“ veröffentlicht. So sind wir langsam miteinander ins Gespräch gekommen. Und als Laurens die Kollaboration ansprach, dachte ich sofort an Lawrence. Daraus wird bestimmt mehr werden – wenn nicht ein Live-Projekt, dann setzen wir das Material definitiv auf einer gemeinsamen Platte um.
Ich habe eure Show leider verpasst. Wie war’s?
Abgesehen von einer kleinen Notiz am Anfang haben wir haben die große Leinwand nicht benutzt. Wir haben die Leute nur gebeten, sich hinzusetzen und es sich gemütlich zu machen, um die Musik zu genießen. Denn wir haben schon früh in der Vorbereitung gemerkt, dass es hier vor allem um den Effekt von Ebbe und Flut der Dynamik geht, und wie man das klanglich und körperlich wahrnehmen kann. Also dachten wir es sei am besten, einfach nur die Augen zu schließen und es sich bequem zu machen. Denn Performance gibt es bei so etwas ja kaum zu sehen, es sei denn man benutzt Visuals. Das Publikum hat sich dem total hingegeben und die Musik ganz ruhig absorbiert. So hat es glaube ich allen Spaß gemacht.
##Schaltkreise der Vorstellungskraft
Für dein „Sonno“-Set hast du eine unglaublich intensive aber simple Bebilderung gewählt, sehr grobpixelige Landschaftsaufnahmen mit fehlerhaften Farben. Ein verschwommener Zoom, dahinter Wälder, Wiesen und Atomkraftwerke. So melancholisch, euphorisch und gespenstisch wie die Musik.
„Sonno“ basiert nicht auf bestimmten Konzepten, die typisch sind für Songs. Deshalb wollte ich auf jeden Fall Filmmaterial haben: etwas, das auf Realität basiert, aber auf traumähnliche Weise umgesetzt ist, damit man meint, Muster darin erkennen zu können. Du siehst beispielsweise Aufnahmen von einem Haus, aber es entwickelt sich zu einer Art Schaltkreis deiner Vorstellungskraft. So wie man über Dinge nachdenkt, kurz bevor man einschläft – ein Gedanke morpht unbemerkt in einen anderen und so weiter. Auf dieser Idee beruht auch das Album.
Der Blick von der Bühne muss ziemlich überwältigend sein. Für den Zuschauer ist es schon sehr ergreifend, wenn man über diesen massiven Raum blickt, in dem alle andächtig auf diesen kleinen Menschen unter der riesigen Leinwand blicken. Es ist tatsächlich wie in einer Kathedrale.
Auf der Bühne versuche ich deshalb, mich nicht sehr oft umzusehen. Sonst fühle ich mich zu sehr ins Visier genommen und denke zu viel darüber nach, wer da gerade zuhört. Es ist mir natürlich nicht egal, dass all die Leute da wegen mir stehen. Aber es beeinflusst mich einfach, wenn ich zu sehr darauf achte. Genau in den Momenten nämlich, wo ich ins Publikum geschaut habe, sind mir fast die Tränen gekommen. Es war einfach so perfekt.
Steht man gerade auf so einem Festival unter besonderem Druck? Weil gefühlt 98% Musikexperten vor der Bühne stehen?
Das Gefühl habe ich in den Staaten viel öfter, besonders in der Synth-Szene. Die ist mittlerweile zum Äquivalent der Heavy-Metal-Shredding-Welt der 80er und 90er geworden. Du übst und übst auf deiner Gitarre und dann warten im Publikum alle anderen Gitarristen nur darauf, dass du einen Fehler machst. Genau so fühlt es sich manchmal an. Hier beim Atonal kam es mir so vor, dass die meisten gar nicht mit dieser Welt verbunden sind, zumindest habe ich ganz anderes Feedback bekommen: Die waren stark emotional berührt, und es war ihnen egal, was für Equipment ich benutzt habe. Niemand hat mich gefragt, welche Effekte ich verwende. Die Verbindung zur Musik war viel wichtiger. Das ist relativ neu für mich. Erstens, weil ich noch nicht lange Instrumentalmusik live spiele, und zweitens ist es ein tolles Gefühl, positives Feedback für etwas zu bekommen, das man eigentlich ausschließlich für sich selbst gemacht hat. Viele Leute die ich kenne, mich eingeschlossen, versuchten ihre ganze Karriere lang, sich Gehör zu verschaffen und relevant zu sein. Dass ich das jetzt mit dieser sehr persönlichen, selbsttherapeutischen Musik erreiche, ist etwas ganz Besonderes.
„Wie in einem Museum, in dem ständig Musik läuft.“
Das Atonal ist in erster Linie ein Festival der Drones, nicht der Beats. Manche Shows konnten durchaus anstrengend sein. Rumstehen und Zuhören ist manchmal kräftezehrender als Tanzen.
Das macht dieses Festival auch besonders: Bei vielen Shows bin ich kurz vor der Bühne rumgelaufen, habe mir die Visuals angesehen und bin dann nach unten gegangen und habe mich irgendwo hingesetzt, mich entspannt, meine Mails gelesen oder die Installationen angesehen. Diese Location ist ideal für so ein passives Zuhören. Natürlich kann man da oben stehen und sich die ganze Show reinziehen, aber man konnte die Musik auch gut genießen, während man was anderes macht. Es war wie in einem Museum, in dem ständig Musik läuft.
Die Anstrengung meinte ich aber auch positiv: Manchmal fordert gute Kunst Geduld und Kraft.
Für mich gibt es nur eine Art von anstrengend. Da sehe ich nichts Konstruktives, kein Künstler könnte mich vier Stunden am Ball halten. Ich bin auch mehre Male bei Radiohead-Konzerten irgendwann gegangen. Mehr als eine Stunde halte ich es nicht aus, egal wer spielt.
Du bist also ungeduldig?
Man kann mich nicht sehr lange begeistern. Bei Platten ist es anders, die kann ich mir unzählige Male anhören, solange ich in meiner eigenen Umgebung bin. Vielleicht liegt es daran, dass ich schon so lange bei Nine Inch Mails bin. Der Aufwand, der da in eine Show gesteckt wird, sowie das Budget und die Vorbereitung, ergeben am Ende ein unvergleichliches Produkt. Das ist natürlich eine vollkommen andere Musik. Aber trotzdem gab es eigentlich keine Show beim Atonal, außer der von Peder, wo ich bis zum Ende geblieben bin.
Findest du vieles der vorgeblich experimentellen elektronischen Musik also eher langweilig?
Es ist so subjektiv, deswegen sage ich schon lange nicht mehr, dass dieses oder jenes scheiße oder toll ist. Was dir gefällt, gefällt mir vielleicht nicht, aber das macht die Musik trotzdem nicht per se schlecht. Wenn man das voraussetzt, hast du recht: Es gibt wirklich wenig, was mich musikalisch anspricht, besonders in der elektronischen Welt. Da neige ich zu Sachen, die wie meine eigene Musik auf sehr einfachen Elementen basieren, mit wenig Abwechslung. Ich möchte mich in kleine Einheiten hineinversetzen, die der Musiker für besonders wichtig gehalten hat und dann darauf aufbaut. Bei sehr üppigen, ausgeschmückten Produktionen, verliere ich schnell die Begeisterung. Es gibt Ausnahmen, Oneohtrix Point Never zum Beispiel. Bei Daniel habe ich das Gefühl, dass er nicht bloß Sounds anhäuft, mit seinem großen Vokabular prahlt und nur große Töne spuckt.
Die Platte, die ich bis heute andauernd höre, ist „Selected Ambient Works 85-92“ von Aphex Twin. Weil ich finde, dass diese Platte ein totales Pop-Moment in sich trägt und einen sehr eigenen Sound hat, aber trotzdem aus total simplen Elementen besteht. Da sind nie mehr als vier oder fünf Instrumente pro Track, so kommt es mir zumindest vor. Es ist so clever arrangiert. Heutzutage gibt es so viel Trickserei und Effekthascherei mit unzähligen Plug-ins oder Tools, aber es fehlt den meisten einfach am Feingefühl, das Richard besitzt. Er hat eine angeborene Sensibilität, um diese angenehme Musik zu machen, egal welches Werkzeug er benutzt. Das ist einzigartig! Mit einem Album wie „Syro“ hat er allen wieder eine Lehre erteilt, nachdem er über zehn Jahre weg war. Da muss jeder große Name der elektronischen Musik erstmal den Schwanz einziehen, das lässt sich nicht leugnen. Leute wie Deadmau5 oder Skrillex behaupten zwar, dass sie das auch so hätten machen können, aber keine Chance! Er ist unschlagbar.