Doctorin' The TardisSaroos erfinden die Instrumentalmusik neu
15.2.2016 • Sounds – Text: Thaddeus HerrmannEine der ersten wirklich guten Platten des Jahres 2016 kommt von Saroos. Das neue Album der Band, „Tardis“, beweist, dass Musik auch ohne Gesang packend sein kann. Die Sounds erzählen die Geschichten. Und die sind vielschichtig. Genau wie die Lebensläufe der drei Musiker.
Es gibt diese Mär, dass sich die deutsche Musik Ende der 1960er-Jahre vom Rock'n'Roll emanzipierte. Kein Nachgeäffe mehr des US-amerikanischen und britischen Befreier-Pops, kein Hinterherhecheln, kein Anbiedern, kein manischer Versuch, den längst geschlagenen Brückenkopf zwischen Demokratie und Care-Paket umzukehren, um so eine messbare Rolle in der zunehmend globalisierten Welt des Sounds zu spielen. Die Krauts begannen, ihr eigenes Ding zu machen, zu adaptieren und zu interpretieren, zu experimentieren und zu renovieren. Mehr Realität, mehr Zeitgeschehen, näher dran am Jetzt und weniger Gesang. John Peel soll den Begriff „Krautrock“ erstmalig dafür verwendet haben. Wer sonst.
Worum es geht, ist der Gesang. Bzw. um das Weglassen. Was bleibt, ist Sound. Und der von Saroos ist besonders.
German Engineering
Saroos, das sind Florian Zimmer (Keys, Percussion, Computer, Modularsystem), Max Punktezahl (Bass, Keys, Sampler) und Christoph Brandner (Drums, Keys). Drei Männer, die in den vergangenen Jahren in unterschiedlichsten Projekten ihre Spuren hinterlassen haben, dass man sich fragt, wie sie es eigentlich schaffen, sich die Zeit zu nehmen für eine Platte wie „Tardis“, ihr viertes gemeinsames Album. Iso68, The Notwist, Console, Lali Puna, Contriva, Driftmachine, Jersey sind die Bands, die ohne das Zutun der drei nicht oder falls doch, dann vollkommen anders existieren würden. Zwei der drei, Florian und Max, sitzen kurz vor der Veröffentlichung von „Tardis“ in einer Berliner Küche und wissen noch nicht, dass dieser Artikel mit der ausgelutschten Krautrock-Metapher beginnen wird. Vielleicht ist das sowieso nur ein weit oder zu weit hergeholter Kunstgriff, um den noch ausgelutschteren Begriff Post-Rock zu vermeiden, einem Genre, von dem ja – im Gegensatz zum Krautrock – sowieso niemand mehr mit gutem Gewissen spricht. Und doch bietet sich der Sound Westdeutschlands und -berlins an, um sich „Tardis“ zu nähern. Denn „Tardis“ ist pures german engineering, frei schwingend, vielschichtig, undurchsichtig und klar zu gleich, ein Perpetuum Mobile der Reduktion und Präzision. Musik, die man so gar nicht komponieren kann, die vielmehr einfach entsteht, posthum zusammengefügt wird, vom Studio als unsichtbarem und doch immer präsenten Band-Mitglied. Eskapistische Mikrokosmen, entfremdet und verfremdet und doch vertraut, voller popkultureller Referenzen – im Sound und im Gefühl.
Der andere Ort
„Musik ist ja immer eskapistisch. Das jedoch positiv zu drehen, ohne in die Weichspül-Falle zu tappen, das ist die Kunst,“, sagt Max. „Und das haben wir auf diesem Album vor allem Tadklimp zu verdanken. Er hat die Platte produziert, aber auch den gesamten Aufnahmeprozess begleitet. Diese Idee, dass Musik ein Paralleluniversum sein kann – das ist sein Metier.“ „Warum macht man denn überhaupt Musik,“ fragt Florian in die Runde und fügt an: „Entweder man muss es machen, spürt dieses existenzielle Bedürfnis. Oder man hat einen klaren Auftrag – Menschen zum Tanzen zu bringen zum Beispiel. Oder aber man hat gar keinen klar definierten Plan, will sich selbst treiben lassen und ist auch an den Synergien zwischen Musiker und Produzent interessiert, ohne sich dabei an definierten Zielen zu orientieren. Wenn das Ergebnis einen dann für eine Album-Länge aussteigen lässt, dann ist das genau richtig.“
Die Planlosigkeit, die Offenheit, ist der Grund, warum „Tardis“ so besonders ist. Denn bei Saroos war in der Vergangenheit zumindest der Ausgangspunkt für Stücke immer klar definiert: Samples. Fundstücke der großen, weiten Welt. Das stiftet Identität, schränkt aber auch ein: Stimmung, Tonalität und Harmonie bestimmen den weiteren Entstehungsprozess des Tracks, egal wie sehr die Quelle bearbeitet. Samples auf „Tardis“? So gut wie komplette Fehlanzeige, zumindest was die prominente Platzierung angeht. Ein mutiger Neustart. Steht Saroos ausgezeichnet. „Samples sind uns weiterhin wichtig,“ sagt Max. „Sie sind Teil unserer Geschichte.“
„Rein ins Studio, spielen, wieder gehen.“
Es scheint, als hätte die Band mit Tadklimp endlich den perfekten Mitstreiter gefunden. Der Musik, Idee und Konzept der Band versteht und sie zu dem gemacht hat, was Zimmer, Punktezahl und Brandner sind: Musiker. Schuster, bleib' bei deinen Leisten. „Es war ein ganz anderes Arbeiten," sagt Florian. „Er hat sich um alles gekümmert. Die Mikrofonierung, die Aufnahme, Sichtung und Ordnen der Takes. Es war das erste Mal überhaupt, dass wir uns keine 'Hausaufgaben' mit nach Hause genommen haben, Audiofiles oder Arrangements. Rein ins Studio, spielen, wieder gehen. Das war sehr befreiend. Weil wir uns darauf verlassen konnten, dass er die Übersicht behält, sich im richtigen Moment an Fragmente erinnert, die passen, sich einbauen lassen, Dinge miteinander verbinden.“
Dr. Who, verzweifelt gesucht
„Tardis“ ist keine Hommage an die Science-Fiction-Serie der BBC, es galt vielmehr eine thematischen Rahmen für die neue Arbeitsweise zu finden, ein Stichwort, unter dem sich die Stücke einordnen lassen. Tardis – Time And Relative Dimension In Space – ist dieser Rahmen. Ausgesprochen passend. Denn natürlich spült die (neue) Arbeitsweise von Saroos die nostalgisch anmutende und bewusst überzeichnete Vision der Zukunft auf die musikalische Leinwand der Band. Was früher die Samples waren, ist heute das Modularsystem, mit dem sich Zimmer seit geraumer Zeit auseinandersetzt. Das neue Schaltwerk der Band, Taktgeber und Stellwerk zugleich. Nicht nur Weichensteller, sondern eine Art Drehscheibe, wie die, auf der früher Lokomotiven am Endbahnhof ihrer Tour für die Rückfahrt gewendet wurden. Um dieses Biest aus Oszillatoren, Filtern, Frequenzmodulatoren und Patch-Kabel herum entstanden die Stücke der Platte, die in ihrer Reinheit und Ursprünglichkeit so schwer in Worte zu fassen sind. Dafür glühen sie zu hell und fantastisch, wie eine Art Super8-Achterbahn in Zeitlupe. Musik in ihrer ureigensten Form. Gesteuert, berechnet, erdacht, ja. Aber dennoch unberechenbar, nicht zu kategorisieren. Etwas Eigenes, etwas Neues, ein Befreiungsschlag. Genau wie das damals vielleicht auch beim Krautrock war. Saroos ist nur einfach besser.
„Ich freue mich immer, wenn ein Pop-Instrumental im Radio läuft, selbst wenn es Axel F. ist.“
„Ich habe sowieso das Gefühl, dass Instrumentalmusik wieder mehr und mehr akzeptiert wird, eine größere Rolle spielt. Nach Post-Rock kam das große Loch, zehn Jahre lang war das einfach nicht mehr akzeptiert. Jetzt glaube ich, dass man auch ohne Gesang wieder bestehen kann, auch jenseits des Club-Kontext,“ sagt Max. „Wir wurden auch immer wieder gefragt, warum wir denn nicht mit Vocals arbeiten. Warum hatte es Instrumental-Musik in der Vergangenheit im Pop so schwer? In der Klassik ist das doch auch der Mainstream. Ich freue mich immer, wenn ein Pop-Instrumental im Radio läuft, selbst wenn es Axel F. ist. Aber heutzutage gibt es so viel Musik, dass es gar keine Rolle mehr spielt, ob da jemand singt oder nicht. Der Zugang muss da sein, die Identifikation muss auch über eine Bassline oder eine Melodie möglich sein und nicht nur über den Gesang. So wie bei Axel F.“
Vielleicht ist Harold Faltermeyer ja sowieso der bessere Dr. Who.