Es gibt nur cool und uncool und wie man sich fühltQuarion hat eines der besten House-Alben des Jahres produziert
22.11.2019 • Sounds – Text & Fotos: Ji-Hun KimNach dem House ist vor dem House. Yanneck Salvo aka Quarion hat nach rund 20 Jahren Producer- und DJ-Karriere sein erstes Album beim Schweizer Label Drumpoet Community veröffentlicht. „Shades“ ist ein Exempel für Zeitlosigkeit und frischen Klassizismus. Das Warten hat sich also gelohnt.
Der Berliner Hauptbahnhof fühlt sich auch 13 Jahre nach seiner Eröffnung nicht urban an. Vielleicht wird das auch nie der Fall sein. Touristen ziehen im Regierungsviertel ihre Kreise, der kalte Wind pfeift zwischen der passantenunfreundlichen Architektur wie dem Kanzleramt besonders harsch an den Ohren. Vor kurzer Zeit hat das Futurium in der unmittelbaren Nähe eröffnet. Eine Art interaktives Museum. Hier sollen Visionen für die Zukunft präsentiert werden. Kinder allerorts mit ihren Jack Wolfskin tragenden Eltern. Aber statt utopischer Hollywood-Science-Fiction mit Raumschiffen und Laserkanonen ist hier die Zukunft eine, die sich zurückbesinnt auf Ressourcensparsamkeit, Nachhaltigkeit und sich nicht die Frage stellt, wie wir in Zukunft leben wollen, sondern vielmehr wie wir in Zukunft leben können. Ich treffe hier Yanneck Salvo. Seit über zehn Jahren lebt der gebürtige Genfer in Berlin.
Seit rund 20 Jahren legt Yanneck auf. 2003 veröffentlicht er seine erste EP auf Mental Groove, damals noch als Ianeq. Seinen internationalen Durchbruch erreichte er als Quarion mit der EP „Karasu“ 2006, die beim Zürcher Label Drumpoet Community erschien. Nun hat Yanneck Salvo endlich sein erstes Album fertig gestellt. Eine sprichwörtlich komplexe Geburt, die diverse Anläufe brauchte, nun ist aber „Shades“ endlich da in dieser Welt, ein Glücksmoment. Für jeden Producer, der mehr erzählen will, als nur Tool-Geblubber für schnelllebige Dancefloor-Arschtritte, eine der elementaren Verwirklichungsformen – auch wenn Alben für die Branche heute in etwa so unwichtig geworden sind wie Aretha-Franklin-Samples für zeitgenössischen Rap. Das Futurium könnte ein interessanter Ort sein, um über House und Techno nachzudenken, wo hier doch Futurismus, der utopische Eskapismus und die Auseinandersetzung mit moderner Technik immer Teil der DNA gewesen sind. Im Jahr 2019 ist die Gemengelage eine andere. House und Techno sind Standards geworden. Wie progressiv ist heute noch das Bild des DJs und Bedroom-Producers, das einst noch zahlreiche bestehende Konzepte der Popkultur hinterfragte und umwälzte? Wie futuristisch sind Techno und House eigentlich noch?
„Bei „Shades“ geht es um Farben in der Musik“, erklärt Quarion sein Konzept, „Ich versuche seit Jahren ein Album zu machen. Mehrfach hatte ich das probiert. Oft hatte ich zu 80 Prozent ein Album fertig, habe es dann wieder eingemottet. Ich bin kein Perfektionist, aber ein Album muss Sinn machen. Ich finde für House und Techno ist das Albumformat wirklich schwierig. Allermeist ist das eine einfache Collection von Tracks, um mehr Festival-Bookings zu bekommen. Mir ist das aber zu langweilig.“ Das Album bleibt für Quarion bei aller Playlist-Dominanz der Output, um als Künstler eine Idee zu deklinieren, sich zu präsentieren, eine Geschichte zu erzählen. Aber wie vielen elektronischen Alben gelingt das? „Das erste Album von Photek ist so ein großartiges Album. Wie man mit wenigen Elementen etwas so Großes daraus schafft. Aber auch A Tribe Called Quest und Group Home waren wichtige Einflüsse für mich. Gerade Group Home waren ja kommerziell gesehen ein Flop. Aber für mich ist das eine der Arbeiten von DJ Premier und immer noch wahnsinnig spannend zu hören. So sollte ein Album klingen. Nicht zu lang. Die Philosophie ist klar erkennbar.“
Farbpaletten
„Shades“ hätte erst auf Rippertons Label Tamed erscheinen sollen. Aber manchmal fügen sich Dinge nicht, wie man sie sich ausgemalt hat. Und wie es die Geschichte oft will, zeigte sich Quarions erste Label-Heimat Drumpoet sehr angetan – der Kreis schloss sich gewissermaßen. „Alex Dallas schrieb mir am gleichen Tag noch zurück und überzeugte mich das Album auf Drumpoet zu releasen. Es ließ sich alles gut an.“ Quarions Produktionen klingen präzise und detailliert, ohne zu sehr aufs Ornament zu setzen. Elegante Chord-Progressionen bieten eine schwelgerische Harmoniebasis, ohne cheesy zu wirken. Ein reifes Werk, ein unerwartet konsequentes und konkretes Album, das völlig legitimiert, wieso House-Alben noch immer gemacht werden sollten. Von Quarions Talent die schönsten und knackigsten Bassdrums zu zeichnen mal ganz abgesehen. Der Club, der Dancefloor, die Kommunion der Menschen wird hier nicht aus dem Fokus gelassen, dennoch lassen die Tracks Raum für intime Assoziationen, man rückt mit der musikalischen Vision des Musikers auf Tuchfühlung. Ein bisschen, wie wenn man ohne Erwartungen am Wochenende irgendwohin ausgeht, ein unbekannter DJ für fünf Leute spielt und die Musik einen dennoch derartig ergreift, dass man nie wieder jemand anderem zuhören will. Solche Momente dürften einige kennen und sind sie doch die wichtigsten – und eben nicht jene Monster-Sets von Super-DJs mit acht Millionen Instagram-Followern.
„Ich finde, das Album ist klassischer Deep-House. Heute ist aber Deep House die uncoolste und unhippste Musik, die man sich vorstellen kann. Wer interessiert sich heute für Deep House? Ich finde das aber gut. Weil im Moment wird so was immer seltener. Ich denke an frühere Alben von Lawrence oder die ersten Sachen von Carl Craig. Das vermisse ich ein bisschen. Dabei ist heute Deep House fast eine Beleidigung geworden, findest du nicht?“ Vielleicht braucht es die Distanz und die Erfahrung, solche Schritte zu gehen. Dass man als Producer nicht versucht, auf Wellen zu surfen, sondern stattdessen unter Wasser mühsam nach wertvollen Abalonen zu tauchen. Auch um bei sich selbst und seiner Sprache zu bleiben.
„Laurent Garnier meinte auch mal in etwa so was, dass Techno heute nicht mehr so futuristisch sei wie damals. Vielleicht ist wie bei Francis Fukuyama die Geschichte an ein Ende angelangt. Was aber nicht bedeutet, dass nicht dabei Tore für neue Sachen geöffnet würden. Auf dem Unsound Festival in Krakau habe ich immer wieder viele innovative und inspirierende Sachen erlebt. Teilweise krasse Sachen, von denen ich nie ausgegangen wäre, dass es so was gibt. Das waren für mich alles Fortschreibungen von Detroit und Chicago. Und noch immer sind Clubs in vielen Ländern wichtige Orte für marginalisierte Gruppen. Das ist bei aller Kommerzialisierung im Mainstream auf der anderen Seite noch gelebter Underground. Es gibt Subkulturen, in denen die Musik weiterhin freiheitliche Räume schafft und das würde ich nicht unterschätzen wollen. Ein Club kann immer noch ein Ort ohne Überwachung sein und wo man frei agieren kann. Auch wenn das durch Livestreams und Smartphones seltener wird. Aber in dem Kontext kann House und Techno vielen Menschen noch immer Identifikation geben und Communitys schaffen. Durch die Musik kann man gemeinsam etwas ausdrücken.“
Der Plan
Am Ende geht es Yanneck Salvo um was völlig anderes als Follower-Fame und Dancefloor-Quickie-Orgasmen. Sonst wäre er auch nicht so lange dabei geblieben. Indes ist es heute für DJs, die eben nicht in den immergleichen Deluxe-Festival-Bookings gelistet werden, immer schwieriger geworden, aktiv zu bleiben. Wie überall in der Welt auch, wird die Schere zwischen den wenigen handverlesenen Topverdienern und der eigentlichen Basis stetig auseinandergerissen. „Heute ist das alles eine große Businessmaschine geworden. Für mich bleibt es eine individuelle Sache. Mir geht es darum, dass man in der Musik noch immer seine eigene Stimme ausdrücken kann. Es gibt Millionen Leute, die sich künstlerisch nicht ausdrücken können. Vielleicht kann meine Musik, Menschen dazu motivieren, ebenfalls ihren Ausdruck zu finden. Das Gefühl wieder zu entdecken, dass man so etwas machen kann“, erklärt Quarion.
„Für mich persönlich kann das Projekt Album eine Tür werden, die sich schließt, aber auch eine andere, die sich öffnet. Ich gehe mit beiden Ausgängen d’accord. Musik werde ich immer machen. Wie es mit Quarion weitergeht, wir werden sehen. Momentan sehe ich, dass die Systeme nicht mehr so laufen wie noch vor zehn Jahren. Ich versuche aber weiterhin zu verstehen, wie Dinge funktionieren. Die Regeln sind neu, aber ich möchte die Sachen, die mir am Herzen liegen, weiterhin ausdrücken können. Wenn das auf Platte herauskommt, ist das super. Das ist mir am wichtigsten. Da habe ich keinen Businessplan.“ Und wer braucht schon einen Businessplan, wenn man einen Herzensplan hat, dem man intuitiv und ohne kommerzielle Kompromisse folgen kann. Wie gut es doch ist, wenn man diesen bereits gefunden hat. Und wie schön es für jeden ist, der diesen in der Musik findet.