Gärten der Welt – #4Streifzüge durch die musikalischen Peripherien

Gärten Der Welt 4 - lede

Die Welt ist eine Scheibe und ganz am Rand, an der unscharfen Peripherie, blüht der Sound bunter, überraschender und kompromissloser. Das kann mal so, mal so klingen. In seiner Kolumne unternimmt Christian Blumberg in loser Folge Streifzüge durch musikalische Peripherien. Diesmal mit Sam Kidel, NKISI, Pom Pom, Tavishi und Christoph de Babalon.

Gärten der Welt 4 Sam Kidel

Sam Kidel – Silicon Ear (Latency)

Weil die Steuergesetze im Bundesstaat Iowa günstig waren, baute Google einen seiner gigantischen Serverparks am Rande von Council Bluffs, einer Kleinstadt am Ufer des Missouri. Da steht sie nun: eine Hochsicherheitszone, umrahmt von einem Wohnwagen-Center und einer FedEx-Lagerhalle. Sam Kidel hat dort zwar kein Konzert gespielt, sich aber gefragt, wie seine auf Algorithmen basierende (und wohl deshalb oft so unnahbare) Musik dort aufgeführt wohl klingen würde. Für das Stück „Live @ Google Data Center“ hat er darum unter Zuhilfenahme von Bauplänen und Fotografien versucht, die akustischen Voraussetzungen des Rechenzentrums zu simulieren. Mimetic Hacking nennt Kidel diese Strategie. Überhaupt lassen seine Arbeiten die Grenzen zwischen posthumanistischer Klangkunst und politischem Aktivismus porös werden. Noch deutlicher wird dies beim zweiten Stück von „Silicon Ear“, einer Montage aus Versatzstücken menschlicher Laute, die darauf ausgerichtet ist, Stimmerkennungs-Software bis zur Dysfunktionalität zu irritieren. Wer sich von den Siris und Alexas dieser Welt besser verstanden fühlt als ihm oder ihr das lieb ist, kann also in Zukunft dieses Album laufen lassen.

Garten-Breaker

NKISI – 7 Directions (UIQ)

NKISI ist neben ANGEL-HO und Cino Amobi Mitbegründerin des Kollektivs (und Labels) „NON Worldwide“, einer Plattform für marginalisierte Stimmen in der Diaspora. Hier veröffentlichen People Of Color elektronische Musik, die dem Noise ebenso verpflichtet ist wie dem Rave. Tendierten NKISIs EPs bisher in die zweite Richtung, so ist ihr Debütalbum, welches nun nach einigen Verzögerungen endlich bei Lee Gambles Label UIQ erscheint, ein eigenwilliges Stück Techno. Harsche und schnelle Beats, deren Polyrhythmik sich an kongolesischer Musik orientiert, finden ihren Gegenpol in irrlichternden Klangflächen und ausschweifenden Meoldiebögen. Auf „7 Directions“ entfaltet sich ein ebenso immersiver wie aufwühlender, nur selten versiegender Klangstrom.

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Gärten der Welt 4 Pom Pom

Pom Pom – Untitled II (A-Ton)

Bei Pom Pom kultiviert man dagegen bekanntlich die gerade Bassdrum. Die Berliner Instanz ist eine der letzten, welche die Idee von Techno als Musik ohne Autorschaft noch hochhalten. Veröffentlicht wird konsequent anonym, Artworks gibt es ebenso wie Tracktitel keine. Wer diese Politik fast 20 Jahre fährt, dem gerät zwangsläufig irgendwann die Verweigerung zum signature move. Vielleicht wollte man bei Pom Pom ja genau damit brechen, als man im letzten Jahr eine EP bei Ostgut Ton veröffentlichte. Dass man Pom-Pom-Tracks seitdem auch bei Spotify hören kann, scheint immer noch wie ein kleines Wunder. Nun folgt mit „Untitled II“ eine LP bei Ostguts Label-Schwester A-Ton, was dem Umstand geschuldet sein dürfte, dass hier weitestgehend auf jenen monolithischen Techno verzichtet wurde, der das Pom-Pom-Universum sonst dominierte. Stattdessen finden sich hier geradezu freundliche Tracks. Die acht Stücke der LP gleiten von nebulösem Ambient und zeitgemäß-unzeitgemäßem Synthie-Pluckern zu zartem Electro, melodischem Downbeat und feingeistiger Electronica, bleiben dem Pom Pom’schen Klangkosmos dennoch immer verhaftet.

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Gärten der Welt 4 Tavishi

Tavishi – মশ্তিষ্কের কণ্ঠশ্বর (Chinabot)

Das Debütalbum von Sarmistha Talukdar ist hingegen nichts und niemandem verpflichtet, außer vielleicht ihrem eigenen Erfahrungshorizont. Taldukdar kam als queer person aus Kalkutta in die USA, wo sie in der medizinischen Forschung arbeitet. Die sich daraus ergebenden biographischen Widersprüchlichkeiten kanalisiert Talukdar mit diesem Album in Musik. „মশ্তিষ্কের কণ্ঠশ্বর“ klingt deshalb auch nur ein paar Minuten nach Wohlfühl-Ambient mit bengalischem Flavour und entpuppt sich bald als Tour de Force. Passagen, in denen Talukdar Stimm- bzw. Gesangsspuren schichtet, als sei sie die nächste Inkarnation von Grouper, kippen plötzlich in atonale Collagen. Die Stimme bleibt oft das Zentrum, auch als Ursprung einer wiederholt ausbrechenden Noisyness. Das menschliche Ausgangsmaterial entwickelt sich dank digitaler Manipulationen zu teils gespenstischen Klagegesängen, die jedoch nie zu einer im Existenziellen wühlenden Leidensmusik verkommen. Tavishis unkonventionelle Produktion unterläuft getriggerte Genre-Stereotype immer wieder. Idiosynkratisch ist eine strapazierte Vokabel, sicher. Hier aber ist ihr Gebrauch wohl angemessen.

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Gärten der Welt 4 Babalon

Die EP erscheint am 18. Januar.

Christoph De Babalon – Hectic Shakes (Alter)

2018 war irgendwie auch das Jahr des Christoph De Babalon: Erst wurde sein 1997 bei DHR erschienenes Album „If You're Into It, I'm Out Of It“ wiederveröffentlicht, über dessen Maßgeblichkeit auch schon beim Filter Schlaues bemerkt wurde. Dann erschien Ende des Jahres auch noch eine sagenhafte Compilation mit Tracks aus der gleichen Shaffensperiode via A Colourful Storm. Soviel zu den 90ern. 2017 gab sich Babalon, auf der „Grim Zenith EP“ für das ausnahmslos tolle VIS-Label dann etwas weniger ungestüm, dafür umso prägnanter. Persönliche Anmerkung: Ich habe meine Kopie damals in dem Glauben verschenkt, ich könnte die ja einfach nachkaufen. Konnte ich natürlich nicht. Das passiert mir dieses Jahr nicht noch einmal, nämlich wenn Babalons seine nächste EP droppt: „Hectic Shakes“, diesmal bei Alter, dem Label von Helm. Klar geht es auch hier um Breakbeats, Jungle und um Soundscapes, aus denen man auch ein Dark-Ambient-Album hätte basteln können. Kontinuitätsästhetik? Schon, aber Babalon klingt hier entschlackter, klarer, feingliedriger und diverser denn je.

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