Plattenkritik: Aphex Twin - SyroAndere machen in 13 Jahren ihr Abitur
19.9.2014 • Sounds – Text: Ji-Hun KimFür viele war es die musikalische Nachricht des Sommers: Aphex Twin bringt erstmalig nach 13 Jahren ein neues Album heraus. Es gab keine andere Platte, die dieses Jahr bereits im Vorhinein so viel Medientrubel produziert hätte wie Syro. Das hatte alles Kalkül und war gut durchdacht. Aber wie ist das Album nun? Die erhoffte Offenbarung oder doch ein Opfer seines eigenen Hypes? Ji-Hun Kim hat sich Syro genauer angehört.
Es gibt wohl keinen so mythischen Elektronikmusiker wie Richard D. James aka Aphex Twin. Man munkelte schon immer mehr über ihn, als man wusste. Es hieß, er hätte sich in ein schottisches Kleinkaff mit 300 Einwohnern verzogen. Dort wohne er zurückgezogen mit Familie und hätte sich ein riesiges Musikmaschinenarsenal zusammen kuratiert. Wie ein Emerit oder vereinsamter Samurai-Großmeister in den japanischen Bergen. Aphex Twin ist wichtiger Einfluss von allen. Kein Musiker mit Zugang zu Synthesizern und Drummachine, der nicht James als prägende Inspiration zitieren würde. Dazu gehören dann auch Radiohead und Skrillex. 1998 drehte er das damals beste Musikvideo aller Zeiten zu „Windowlicker“ mit Chris Cunningham. Er half auch, dass Leute mit dem Aussehen von Dungeons & Dragons-Rollenspielern und Marvelheft-Sammlern auf einmal sexy waren. Sagen wir mal so, Aphex Twin ist fast wie Kraftwerk. Und das weiß er auch.
13 Jahre hat Aphex Twin die Welt warten lassen, bis endlich das erste Album nach „Drukqs“ von 2001 erscheint. „Syro“ heißt das Werk, um das schon viel Marketing-Bohei im Vorhinein gemacht wurde. Ein Zeppelin flog über England, erste Infos wurden über eine Seite geleakt, die wohl nur über das TOR-Netzwerk erreicht werden konnte. Gefälschte Leaks tauchten überall auf. Richard veröffentlichte eine nerdige Liste mit allen benutzten Instrumenten und Geräten des Albums, es müssen Hunderte gewesen sein. Als wäre das elektronische Musikmachen heute noch immer eine Art des Herrschaftswissens. Wer den adäquaten Technikpark nicht hat und nicht seine Studios täglich wechselt wie andere die Tennissocken, der möge doch gleich die Finger davon lassen. Scheinbar ist in Zeiten der omnipräsenten Billig-Bedroom-Ableton-Producer wichtig, das noch mal zu betonen. Oder anders, nur Aphex kann wie Aphex. Nach Belieben streut er Krumen und alle Musikjournalisten drehen frei und fressen ihm wie Pariser Spatzen von der Hand.
Man muss erkennen, dass das alles mit einem typischen Viral nicht mehr viel zu tun hat. Das Label Warp hat das opulente Salamischeibchen verteilen schon bei „Tomorrow’s Harvest“ von Boards of Canada exzellent betrieben. Da konnte man bei Aphex noch eine Schippe drauftun. Wie viel so ein knallgrüner Zeppelin gekostet haben muss? Alleine der Druck … Wie war das noch mal mit der Krise der Musikindustrie?
Noch immer denken Leute, dass Aphex Twin der schüchterne, verschlossene Kaspar Hauser-mäßige Geek sei, der Horror jedes Labelmanagers oder Künstlerbetreuers. Eigentlich, so behaupte ich, ist Richard James ein schlitzohriger, abgebrühter Hund. Vor Kurzem versteigerte er eine Testpressung von „Caustic Windows“ (1994) auf eBay für 46.300 Dollar an den Erfinder von Minecraft. Echte Schluffi-Artists hätten so etwas längst verschenkt, verloren oder als Bauunterlage zerkratzt.
Die zwölf Tracks auf Syro sind, man muss es sagen, unverkennbar Aphex Twin: präziseste Beats, ringmodulierte Vocalsample-Mälträtierungen, sanfte Pads. Es klingt alles noch kompakter, ist minimaler aber besser produziert, ab und dann wird die verstaubte Rave-Keule ausgepackt. Die Grooves und Breakbeats aus dem UK-Hardcore-Vakuum, sorry -Continuum, diese Komplexität und das verschmitzte In-die-Fresse-hauen, Trademarksound. Im Tenor scheint Syro näher an Classics (1995) als das letzte Album Drukqs, das mit präparierten Pianos mechanische Musikmaschinen, Erik Satie und John Cage zitierte. Aber dann meint man etwas zu vermissen. Trotz aller Perfektion der Musik und der akribisch-brillanten Sounddeklinationen. Die Größe von Aphex Twin bestand bis dato darin, dass neben der technischen Fertigkeit auch immer die große Sehnsucht im Vordergrund stand. Was für Gefühle können durch Maschinen ausgedrückt werden, ohne klassische Musikformeln zu bedienen? Kann man durch Klangmodulationen „Ich liebe und fühle dich“ sagen, ohne MTV-Oberflächlichkeit und Kitsch sondern wie bei einem Gedicht von Erich Fried? Das konnte keiner so faszinierend und wundervoll wie Richard D. James. Syro ist da anders. Syro klingt abgeklärt, manchmal zu abgeklärt. Wie eine Einführungsvorlesung eines hochdotierten Professors, der denkbar Besseres zu tun hat, als Erstsemestern die Basics seines Fachs zu erklären. Erst das letzte Stück „aisatsana“ ist ein romantisches, impressionistisches Klavierstück, das in der Form der Darbietung dann aber doch zu sehr nach Alibi schmeckt. Syro lässt die großen Zwischenräume vermissen, diese transzendenten Ebenen zwischen Oszillatoren und hingebungsvoller Ohnmacht.
Rewind. Zwei Tage vor der offiziellen Pressemitteilung im Sommer erschien auf YouTube ein vermeintlicher Album-Stream von Syro. Seltsamerweise da schon mit dem offiziellen Artwork und der korrekten Tracklist. Die Wahrscheinlichkeit dennoch einem Fake aufzusitzen, war in etwa so hoch wie im Görlitzer Park nach Gras angesprochen zu werden. Trotzdem fiel es schwer zu glauben, dass dieses Stück wundervolle und perfekte Musik nicht von Aphex Twin höchstpersönlich stammt. Mittlerweile wurde das Video aufgrund von Urheberrechtsansprüchen eines gewissen McIntosh19 gesperrt. Und eine Gewissheit mehr: Der Leak war nicht Syro. Dabei habe ich diesen Leak oft gehört, mich gefragt, wie man so tolle Sounds produzieren kann und so große Songs. Und nun frage ich, wer das gewesen ist, wenn nicht Aphex selbst. Da wird man von einem Hype eingenebelt, wird in die Irre geführt und fühlt sich enttäuscht: Der Leak wäre die bessere Platte gewesen. Scheinbar gibt es irgendwo da draußen einen anderen, besseren Aphex Twin. Vielleicht ein kleiner, verschrobener, exzentrischer Junge mit Pickeln, irgendwo in Irland. Ein Nerd, der mit Elektronik, Computern und Tonbandgeräten experimentiert, statt mit seinen fehlenden Freunden Fußball spielen geht und demnächst vielleicht so etwas wie der nächste „Mozart des Techno“ werden könnte.