Plattenkritik: Slime/Will Archer - CompanyEin großer Augenblick im Pop
4.9.2015 • Sounds – Text: Ji-Hun KimWill man Alben als „groß“ bezeichnen, braucht es eigentlich immer den Aufhänger, die Next-Big-Thing-Revolution, etwas an dem sich auch der Diskurs abarbeiten kann. „Company“ von Slime/Will Archer kann nichts von dem, aber vielleicht ist genau das der Punkt.
Noch bevor der erste Takt des Debütalbums „Company“ des 23-jährigen Will Archer erklungen ist, gibt es erstmal Konfusionen wegen des Namens. Archers Projekt nennt sich eigentlich Slime. Nun gibt es aber in Deutschland seit über 30 Jahren die gleichnamige Hamburger Punk-Institution (Wir wollen keine Bullenschweine und so, remember?), was wiederum dazu führt, dass der Slime aus England hierzulande unter dem Namen Will Archer vermarktet wird. Hiesige Booker und Festivals werden sich also um eine Lösung bemühen müssen, man könnte sich vorstellen, das so etwas wie Slime (UK) daraus wird. Denn mein Pop-Orakel sagt (oder besser, wünscht sich), dass Archer in Zukunft so viele Bühnen wie möglich auf der Welt bespielen sollte. Sein Album „Company“ ist ihm nämlich – das kann man vorneweg sagen – fantastisch gelungen.
Zu Beginn des Jahrzehnts huschte unter Musikjournalisten das Wort „Wunderkind“ ziemlich oft und unbedarft über die Lippen und Redaktions-Tastaturen. Junge, häufig britische, Musikproduzenten schenkten der elektronischen Musik und dem Erbe des englischen Hardcore Continuums nicht nur neue Nuancen, sondern lieferten zugleich frische und neue Gesichter. James Blake bspw. der mit abstrakten Dubstep-Interpretation bei R&S Records begann und heute weltweit als Intellektuellen-Emo gefeiert wird oder auch hibbeligere Soundentwürfe von Musikern wie Hudson Mohawke, der mittlerweile mit dem US-Präsidentschaftsaspiranten 2020 und dem größten Ego der Popkultur seit Muhammed Ali aka Kanye West voll down ist und natürlich auch massig Tracks für den Superstar produziert. Und ohne krampfhaft und unnötigerweise die fade wie schlonzige Wunderkind-Suppe wieder warm machen zu wollen, stellen sich beim Hören von „Company“ Symptome ein, die einem von den gerade genannten Referenzen durchaus bekannt vorkommen. Zuerst stellt man nämlich fest: Ist das gut. Dann: Verdammt, wer ist das? Um dann darüber zu philosophieren: Wie geht es, dass jemand in dem Alter so etwas hinkriegt?
Will Archer wuchs in Newcastle auf (heute lebt er in Paris), spielte als junger Teenager-DJ Dubstep und Gabba und interessierte sich früh für Jazz, HipHop und klassische Musik. Mit 18 zog er nach London, um Sound Design zu studieren und entwickelte sich zum autodidaktischen Multiinstrumentalisten. Angeblich soll er jedem Instrument nach nur kürzester Zeit angenehme Töne entlocken können. 2011 erschien seine erste EP „Increases“ auf Tough Love Records. „Increases II“ erschien ein Jahr später auf dem Label GETME!, und schon diese Releases sorgten in Londoner Expertenkreisen für Aufmerksamkeit. In der Tate Modern performte er kurz darauf einen Kurzfilmsoundtrack mit Ensemble und gemeinsam mit Jessie Ware schrieb er den Song „Something Inside“, der auf dem 2012er Album „Devotion“ der UK-Pop-Heroine veröffentlicht wurde. Mittlerweile ist Slime bei dem Label Weird World untergekommen und genießt nun die sinnstiftende Gesellschaft von Acts wie Peaking Lights, How To Dress Well, Washed Out und Jib Kidder.
„Company“ bemüht alles andere als eine Neuausrichtung eines bestehenden Genres (etwas, das für disruptive Album-Statements gerne benötigt wird), noch erfindet es gar ein neues oder will die Speerspitze einer bestimmten Szene sein. „Company“ kommt einem beim Hören seltsam vertraut vor. Überall blitzen Verweise und Sound-Referenzen auf, die aber nicht programmatisch-eklektisch zu verstehen sind. Denn das Album könnte so vieles sein. Es könnte die ambitionierte Fortführung des totgeglaubten Chillwave sein, andere dürften darin ein Revival des britischen Trip Hop sehen, denn sowohl Portishead wie auch Tricky luken in den Grooves immer wieder mal neugierig durch den Zaun. Die Atmosphäre zitiert große Momente des Film Noir. Oder die Gitarren, die mal elegisch gezupft Fennesz erklingen lassen und in angezogeneren Momenten auf Bibio oder den angedüsterten Post-Yachtrock von Kindness verweisen. An Kindness’ Stimme erinnert bisweilen auch das Falsett-Timbre von Will Archer. Slime hat aber auch von den Großen des zeitgenössischen R’n’B und Soul gelernt. Wie Über-Maestro D’Angelo versteht auch Archer, dass weniger – allerdings en point – eigentlich immer besser ist als das Zuviel.
Die Song-Produktionen sind gefühlvoll und sorgfältig inszeniert. Rauchige, jazzige Bläsersätze, mitreißende Streicher – LoFi/Indie ist hier nur eine dünne Epidermis, der Verweis auf das intendiert Unprätentiöse, keine unnötig großen Gesten machen zu wollen. Darunter verbergen sich beeindruckende Harmoniekenntnisse, Arrangement-Fertigkeiten und eine scheinbar unerschöpfliche Musikalität. Über 400 Songs soll Archer geschrieben haben, auf deren Basis die zehn finalen Songs entstanden sind. Akribie spielt hier offensichtlich also auch eine Rolle. Am Ende ist „Company“ ein, wenn auch vielleicht ungewollt, universalistischer Entwurf für introvertierte elektronische Popmusik dieses Jahrzehnt. Das zeigt auch der Track „Patricia’s Stories“ mit dem Rapper Jeremiah Jae, der trotz der Rap-Vocals im Album-Kontext überhaupt nicht wie ein Fremdkörper wirkt, sondern vielmehr zu sagen scheint: Schaut her, mit dieser Musik geht eigentlich alles. Man muss es nur wollen (aber vor allem auch können). Ob dieses Debüt in die Pop-Annalen eingeht und in zehn Jahren noch erinnert wird, ist fraglich. Dafür ist es zu dezent, zu evolutionär und zu hype-resistent. Da das Leben aber bekanntlich in der Gegenwart spielt, bleibt nur festzustellen: Der jetzige Popmusik-Moment könnte dank dieser Platte kaum ein besserer sein. Und perfekte Momente sollte man hoffentlich nicht allzu schnell vergessen, auch wenn sie in Zukunft nicht in den Geschichtsbüchern stehen werden.