„Typischer Vocal-House klingt scheiße“George FitzGerald im Interview über japanische Schrein-Inseln, Mietpreise, Vinyl und Vocals

George FitzGerald Header

Foto: Steve Gullick

Seit Freitag steht „Fading Love“, das neue Album von George FitzGerald, in den Läden. Und auf einmal klingt der Brite, der bisher bekannt dafür war, den Charakter des 90er-Jahre-House in ein zeitgemäßes Format zu bringen, so gar nicht mehr nach Garage und Breakbeats. Stattdessen gibt es Vocals und Lyrics von Herzen auf Viervierteln. Was ist denn da los? Benedikt Bentler hat sich mit dem Wahlberliner unterhalten – nicht nur über das Album.

Wo ist er hin, der Garage-liebende Typ aus London?
Es gibt ihn noch (lacht). Nur nicht mehr in den Drums. Aber ich glaube, du kannst Garage immer noch hören bzw. ich kann es immer noch. Es steckt immer noch in der Einstellung, mit der ich an dieses Album gegangen bin. Auch bezüglich der Vocals und der Art und Weise, wie ich die Aufnahmen gemacht habe. Was ich an Vocal-Garage immer geliebt habe: die unperfekte Aufnahme. Das Mädchen nebenan, das unter der Dusche oder auf dem Klo singt. Diesen Sound wollte ich auch hier erzeugen.

Aber du hast nicht unter der Dusche gesungen?
George FitzGerald: Nein (lacht). Die Aufnahmen wurden aber auch nicht in einem superteuren Studio gemacht, sondern in meinem Studio im DIY-Stil.

Nun klingt „Frading Love“ völlig anders als vorherige Releases. Warum geht es jetzt in diese Richtung?
Ich glaube, die LP unterscheidet sich vor allem von der Musik, die ich in der Mitte meiner bisherigen Karriere gemacht habe. Es klingt schon nach meinen früheren Sachen, wenn auch melodischer und verträumter. Menschen entwickeln sich von ihrem Sound aus weiter. Ich kann nicht für andere sprechen, aber ich fand auf einmal ganz viel von dieser Musik, wie ich sie vorher gemacht habe, langweilig. Sie war für eine bestimmte Zeit interessant, aber jetzt wollte ich weitergehen. Und für mich hieß das: eigene Texte. Ich glaube, der Unterschied erscheint auch deshalb so krass, weil ich in den letzten anderthalb Jahren nichts veröffentlicht habe. Wenn du nur auf 12'' veröffentlichst, kann man die Entwicklung Schritt für Schritt mitverfolgen. Mit einer langen Pause erscheint der Sprung einfach größer.

Ehrlich gesagt bin ich kein großer Freund von Vocal-House. Aber „Fading Love“ schafft es, den Club-Drive und das Tempo, das House innewohnt, zu erhalten. „Crystallize“ hat mit dieser geschlossenen Hi-Hat zum Beispiel ein entscheidendes Detail, dass dazu beiträgt. Hast du dir Gedanken darüber gemacht, wo und wie diese Musik funktioniert oder funktionieren soll?
Ich glaube, ich habe zum ersten Mal nicht darüber nachgedacht, wo diese Musik funktionieren kann, weil ich zum ersten Mal nicht für den Club geschrieben habe. Es ging vor allem darum, ob dieser Sound in sich selbst schlüssig ist – unabhängig vom Setting. Es geht um Balance. Ich mag diesen typischen Vocal-House mit Stimme über der gesamten Länge nämlich auch nicht. Das klingt einfach scheiße. Aber ich mag Vocal-House, wenn er richtig gemacht ist. Und damit das der Fall ist, muss man den House-Elementen in Instrumental-Parts den nötigen Raum zum Atmen geben. Es funktioniert nie über dieses Popsong-Schema.

Was hat es mit der japanischen Insel Miyajima auf sich?
Ich habe dort angefangen, den Track zu schreiben, während des Urlaubs. Ich war da mit meiner Freundin und es ist wirklich ein mystischer Ort. Die Insel liegt in der Nähe von Hiroshima, mit einem tausende Jahre alten Schrein im Meer, direkt vor der Insel. Überall laufen Hirsche herum und du hast diese Bergkulisse vor dir. Es sieht aus wie eine Landschaft, die im Studio Ghibli erschaffen wurde. Hat was von Animé und wirkt unglaublich friedlich.

Hatte deine Freundin einen Einfluss auf das Album, auch im Hinblick auf die persönlichen Texte? Es geht ja oft um Liebe.
Ich habe keine Freundin mehr (lacht). Aber trotzdem, ja: Das ganze Album ist sehr autobiografisch, auch wenn es keine Geschichte im engeren Sinne erzählt. Aber jeder einzelne Track hat mit bestimmten Lebensumständen zu tun. Die LP behandelt das Thema Liebe keineswegs auf einer abstrakten oder entfernten Ebene. Es ist persönlicher als alles, was ich bisher geschrieben habe.

George FitzGerald Cover Wide

Du kommst aus London, lebst aber hier in Berlin. Warum eigentlich?
London ist spannend, es passiert überall Neues, die ganze Zeit. Aber es ist gleichzeitig superhektisch, stressig und teuer. Berlin hingegen ist das Gegenteil. Berlin ist ein Dorf, so fühlt es sich an – auf positive Art und Weise – und es ist billiger. Man hat das Gefühl, dass Dinge mehr Sinn machen. Und ich habe Zeit und kann mich frei von Ablenkungen auf Dinge konzentrieren. Manchmal ist es mir ein bisschen zu langsam, aber ich fühle mich hier mehr zu Hause.

Menschen beschweren sich auch hier in Berlin über steigende Preise und Gentrifizierung. Wie denkt man denn aus Londoner Perspektive darüber? Die Preise sind hier im Vergleich ja immer noch lächerlich niedrig.
Ich glaube der Prozess hat in Berlin einfach nur sehr verspätet begonnen – nämlich erst in den letzten 20 Jahren. Du musst dich nur hier im Prenzlauer Berg umgucken: Vor zehn Jahren war das noch eine coole Area (lacht). Jetzt kann man es sich kaum noch leisten hier zu leben. Selbiges gilt für den nördlichen Teil von Mitte oder auch Kreuzberg. Das ist schade. Aber ich glaube die Leute in Berlin sind sich mehr als woanders über den Prozess im Klaren. Sie sehen bereits, was in Städten wie New York oder London oder Paris passiert ist. Und eine Menge Menschen sind eben genau aus diesen Städten nach Berlin gekommen. Kreative Wirtschaftsflüchtlinge (lacht). Aber Gentrifizierung passiert und keiner weiß, wie man es aufhalten soll. Berlin hat noch den Vorteil, dass die Finanzindustrie nicht hier ist. Die Menschen mit den gigantischen Einkommen, die sich mal eben ein Haus für zwei Millionen leisten können, die leben eher in München oder Frankfurt. Vielleicht wird es also niemals so schlimm wie in New York oder woanders. Die Mieten in Manhattan sind doch verrückt, ich kenne niemanden, der da leben kann. Warum sollte man auch 75 Prozent seines Einkommens für die Miete ausgeben? Das ist doch Bullshit.

George Fitzgerald hochkant

Foto: Steve Gullick

Dein alter Arbeitgeber Black Market Records in London ist auch der Gentrifizierung zum Opfer gefallen.
Ja, vielleicht. Aber Menschen sind auch schnell dabei, die Gründe für ein Scheitern in der Gentrifizierung zu suchen. Black Market hat schon lange gekämpft. Und die Leute sagen: „Ist es nicht scheiße, dass dieser Plattenladen zu machen musste?“ Obwohl sie selbst keine Platten dort gekauft haben. Da kann man doch nur sagen: „Ja dann hör auf deine Platten bei Juno oder decks.de zu kaufen.“ Denn das ist der Grund, warum diese Läden schließen müssen. Und wenn du in den letzten zwei Jahren nur einmal dort warst, musst du nicht angepisst sein, weil der Laden zu macht. Ich habe da gearbeitet und es kamen weniger und weniger Leute. Es hat sicher auch was mit Gentrifzierung zu tun, vor allem liegt es aber daran, dass die Leute ihre lokalen Shops nicht mehr unterstützen.

Aber Vinyl ist zurück.
Ich glaube nicht, dass man es feiern muss, dass jetzt haufenweise Alben der Foo Fighters gepresst werden und so ein Zeug. Das ist kein Vinyl-Pressing, das ist ein Digital Remaster auf Platte. Abseits davon, wenn es um White Labels und kleine Auflagen geht, hat sich der Vinylmarkt inzwischen stabilisiert, was gut ist. Aber das große Labels jetzt gemerkt haben, dass sich Vinyl wieder verkaufen lässt, ist mir relativ egal.

Und oft ist es ja auch ein Problem.
Ja, es bringt die Pressing-Pläne völlig durcheinander.

In Großbritannien gibt es seit gestern wieder Vinyl-Charts.
Wirklich? Ok, wow. Das ist schon irgendwie cool. Es ist ja auch schön, dass sich die Leute wieder dafür begeistern. Aber der Verkauf von Platten im Klamottenladen ist doch nur eine weitere Ausprägung dieser Vintage-Besessenheit. Vinyl gehört zur Hipster-Austattung und macht sich gut an der heimischen Wand. Das hat doch nichts mit Liebe zum Medium zu tun, wenn sich die Leute ihre Platten bei Urban Outfitters kaufen.

Wo sie direkt neben den Lomo-Kameras stehen.
Exakt. Das ist doch das perfekte Beispiel: analog und soooo cool. Und gleichzeitig ist Urban Outfitters damit der größte Vinylverkäufer in den USA und in Großbritannien.

Es gab Zeiten, in denen warst du noch Fan von Grime und HipHop und Dubstep. Beschäftigst du dich noch damit oder findet das außerhalb deines Horizontes statt?
Ja, irgendwie ist das schon außerhalb meines Horizonts. Ich mochte irgendwann die Richtung nicht mehr, in die sich Grime und Dubstep entwickelt haben. Es war traurig zu sehen, was der Dubstep-Hype in den USA mit dieser Musik gemacht hat. Ich weiß, dass da in den letzten ein, zwei Jahren wieder tolle Musik in dieser Richtung entstanden ist. Was interessant ist: Großbritannien kommt wieder über den Vierviertel-Takt hinweg, den so viele Dubstep- oder Post-Dubstep-Künstler in den letzten Jahren angenommen haben. Das ist großartig, denn das ist das, was die Briten schon immer gut konnten – vor allem im Bezug auf Tanzmusik. Auch ich werde sicher wieder in diese Richtung gehen.

Vor einiger Zeit hatte ich den Gedanken, dass britische Künstler einen großen Einfluss auf die weltweite Popmusik haben. Britische Produzenten wirken an unzähligen weltweit erfolgreichen Releases mit, von Banks bis Kanye West. Aber niemand bekommt was davon mit, sie stehen immer in der zweiten Reihe, in den Credits. Warum?
Weil sich der kleine Sound-Nerd aus London oder Glasgow nicht vermarkten lässt (lacht). Er sieht eben nicht aus wie Kanye West – oder Banks oder FKA Twigs. Und er kann nicht singen. Diese Leute sind Stars, weil eben noch mehr als Musik dazugehört. Es geht um Bühnenpräsenz. Natürlich gibt es inzwischen einige DJs, die zu Promis geworden sind. Diese Celebrity-Kultur wird ja auch größer im Bezug auf DJing, was nicht unbedingt eine gute Sache ist. Für mich hieß Auftreten immer, der Typ im Hintergrund zu sein. Ich lasse lieber die Musik sprechen. Wenn man sich große britische Künstler in der elektronischen Musik anguckt, war das schon immer so. Chemical Brothers, Orbital, Leftfield: Ich kann dir gar nichts über diese Bands sagen, aber ich habe alle ihre Platten. Und so sollte es doch bei Musikern eigentlich sein. Ich sage das jetzt und gebe gleichzeitig ein Interview (lacht). Aber dank Internet, Facebook und ähnlichem verlangen die Menschen auch mehr von dir als Person. Es ist schwierig.

Jetzt hast du selbstgeschriebene Lyrics und Vocals. Das rückt deine Persönlichkeit auch mehr in den Fokus.
Durchaus möglich. Damit muss ich dann leben.

George FitzGerald Fading Love Cover

„Fading Love“ ist auf Domino erschienen.

Leseliste: 25. April 2015 - andere Medien, andere ThemenMit komplizierten Kiffer-Start-ups, Lagerfelds Hassliste, Mad Men als Oral History und Ratten in New York

Mix der Woche: Dexter - Sunday Jazz (Pt. 2)Wenn aus Sample-Futter ein Statement wird