„Was würde Peter Sellers jetzt spielen?“Vladimir Ivkovic im Interview

Ivkovic Start

Vladimir Ivkovic ist ein Mann der Möglichkeiten. Ein Künstler, der Gegensätze balanciert. Ein DJ, der auflegt, damit Menschen vergessen und ihre Erwartungen ablegen. So etwas kann nur jemand, der seine DJ-Sets aus vollem Vermächtnis schöpft. Komödie, Tragödie, Bukowski, Dostojewski. Full circle. Ivkovic emigrierte 1992 aus dem damaligen Jugoslawien nach Deutschland, seine Eltern waren mittendrin im Herzen der Belgrader Gegenkultur.

In den letzten Jahren hat viel Gehör gefunden, was Vladimir mit seinen Schicksalsgenossen Tolouse Low Trax und Lena Willikens im Salon des Amateurs in Düsseldorf als eine Art Versuchskultur etablierte. Man darf sich freuen, wie stilprägend dieser lang abgekapselte Salon-Sound für einen Teil der internationalen Szene geworden ist. Gleichzeitig ist es ironisch, dass diese dogmenfreie Zone heute immer öfters kleinkariert wird: reduziert auf einen musikalischen Gemeinplatz.

Wer sich mit Ivkovic unterhält, merkt rasch: Er nimmt es genau. So wach die Augen hinter der Brille funkeln, so filigran seine Finger über den Mixer huschen, Ivkovic ist ein ewig Forschender nach dem akkuraten Ton. Versteht sich aber, dass er sich nicht in Pedanterie verliert: Bei Ivkovic wartet die Horizonterweiterung immer schon im nächsten Set.

Vladimir, du warst einer der gefragtesten DJs des Jahres 2017. So postulierte zumindest Resident Advisor.
Nein, nicht einer der gefragtesten DJs. In dem Artikel steht: „No other DJ sounded like him“. Die Gefahr ist halt bei solchen Urteilen, dass man vereinnahmt wird. Aber es geht sowieso alles unglaublich schnell heute, der Hypefaktor wird zum Glück abnehmen.

Du meinst innerhalb dieses zeitgenössischen Underground-Systems?
Underground ist ein gefährliches Wort! Es ist ja immer alles verfügbar: Die einen laden ganze Künstlerkataloge über Soulseek runter. Die anderen streamen dich live, wenn du auflegst. Zwar ist das, was die Massen mögen immer noch weit entfernt von dem, was wir tun. Aber in in dieser Öffentlichkeitskultur entsteht dann plötzlich so eine Erwartungshaltung. Darüber habe ich mich kürzlich mit Detlef Weinrich (Tolouse Low Trax) im Salon des Amateurs unterhalten. Wir wollten uns dem ja entziehen, als wir mit dem Salon angefangen haben. Ganz bewusst.



Also doch eine gewisse Form von Underground kultivieren?
Das klingt anmaßend. Wir waren einfach Leute, die sich zu einer bestimmten Zeit getroffen und ausgetauscht haben, auf einer Art Identitätssuche. Wer und was wir nicht sind: Darum ging es. Im Salon gibt es keine Nebelmaschine und keine Lightshow. Die Kapazität ist begrenzt. Wir haben nie Partys gestreamt. Der Salon war immer das, was jeder von uns an jedem Abend – inklusive der Gäste – daraus gemacht haben. Dort ist man nicht abgelenkt, dort muss man sich selbst begegnen. Wie das draußen wahrgenommen wird, ist eine andere Sache. Auf einmal erlebst du, dass so ein Sound weichgespült wird. Wenn plötzlich jede Balearic- und EBM-Platte gedrosselt wird, dann hat das nichts mehr mit unserer Gefühlswelt zu tun.

„Im Club geht es für die meisten wahrscheinlich ums Ficken, Trinken und Drogen nehmen. Das ist völlig in Ordnung. Aber es geht nicht nur schneller und härter, es geht auch fröhlicher und trauriger.“

Wenn die Kultur zum Klischee gefriert.
Ja, dieses Klischee von den schlecht gelaunten Typen, die mit obskuren Platten in gedrosseltem Tempo auflegen. Schlimm ist, wenn die Leute wie Lemminge in den Salon des Amateurs kommen und die runtergepitchte Trance-Show erwarten, aber nicht offen dafür sind, wenn es anders wird. Meistens ist es eh anders.

Wie gehst du mit dieser Erwartungshaltung um?

Im Salon ist es einfach. Da geht es vornehmlich um andere Dinge. Einmal, als ich in Winterthur gespielt habe, hat sich ein Typ bei mir beklagt, weil kein Techno oder House lief. Ehe ich ihm antworten konnte, ist er schon wieder davon gestampft. Das passierte früh am Abend. Ich habe den Laden dann über die nächsten vier Stunden konsequent leer gehalten. Immer wenn ein Grüppchen kam, waren die spätestens bei der nächsten Platte wieder weg. Dafür waren die letzten zwei Stunden mit denjenigen, die geblieben waren, wirklich toll. 


Du hast die Leute ein wenig erzogen?
Nein, das wäre mir zu überheblich. Erziehen ist nicht meine Aufgabe. Es geht mir darum, Möglichkeiten aufzuzeigen. Oder andersrum formuliert: Die Leute sollen vergessen. Es geht darum, zu zeigen, dass es mehr gibt als explizite Tanzmusik. Dass man auf der Tanzfläche auch Humor erleben kann. Oder Trauer. Ich stelle mir immer vor: Was würde Peter Sellers jetzt spielen?

Du betreibst das als Club-Unterhaltertum der etwas anderen Art?
Ich bin kein Entertainer – Lena Willikens nicht und Detlef auch nicht. Ich spiele ja zunächst für mich – und für keinen anderen. Im Club geht es für die meisten wahrscheinlich ums Ficken, Trinken und Drogen nehmen. Das ist völlig in Ordnung. Aber es geht nicht nur schneller und härter, es geht auch fröhlicher und trauriger. Andererseits ist es so: Wenn du mitten in der Nacht in diesem Laden stehst, dann wirst du jetzt nicht deine 7"s aus Usbekistan hervorkramen, so Selector-mäßig.

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Selector, das ist heute ja ein ziemliches Reizwort.

Heute kann jeder ein Selector sein! Es ist alles verfügbar. Ich fürchte, dass unter diesem Selector-Wahn die eigentliche DJ-Kultur leidet, dass damit deren Geschichte, deren Haltung ausradiert wird. So wie bei Facebook, wo der Algorithmus einen Post zensiert, weil darauf Titten zu sehen sind. Egal, ob es nur eine Staubsauger-Werbung aus den Fünfzigern war. 


Aber habt ihr das Selector-Ding im Salon nicht ein bisschen mit angestoßen?

Ich weiß es nicht – bewusst jedenfalls nie. Im Salon ging es darum zu zeigen, dass es nirgendwo geschrieben steht, dass man etwas nicht machen darf. Wir haben uns dem, was als konform galt, verweigert. Denn das hatte nie etwas mit unserem Leben zu tun. Einmal, als ich mit Detlef im Salon spielte, starrte mich dieser Typ zehn Minuten lang an. Es war etwa halb drei, da lief eine Afro-Platte von Fela Kuti. Ich habe ihn dann gefragt, ob ich ihm helfen kann. Ob denn hier jetzt Techno gespielt werde, fragt er mich.



Schon wieder.

Ich sagte ihm: Ich weiß es nicht. Es kann sein, aber auch nicht. Aber wenn es dir nicht gefällt, hier hast du deine drei Euro, fahr in die Harpune, da wirst du bedient. Die Harpune, das war damals ein waschechter Techno-Club, den es heute leider nicht mehr gibt. Und in dem Moment drehe ich mich nach rechts und da steht Detlef, zieht an seiner Zigarette und zückt diese Magnetic-North-Platte. Die erste von Cristian Vogel. Und ich denke mir, das wird er jetzt nicht tun! Und natürlich macht er es. Zieht den Fader hoch, und knallt dieses unfassbar gute und brutale Techno-Stück rein. Dann ist die Zeit wie eingefroren. Die Leute auf der Tanzfläche starren uns an. Detlef dreht sich zu mir um und meint: Ich glaube, das hat nicht wirklich gepasst. Ich antworte, das war die perfekte Platte. Und in dem Moment explodiert der Salon!

Hier zeigten sich die Qualitäten eines wahren Selectors?
Vielleicht die Qualität, Musik auf die ihm eigene, besondere Art zu fühlen. Detlef ist kein DJ im traditionellen Sinne. Und obschon dieser Track eigentlich nicht gepasst hat, war er trotzdem richtig. Es gibt tatsächlich eine ähnliche Frequenz zwischen dem Fela-Kuti-Stück und dem Cristian-Vogel-Track. Aber diese eine Frequenz hat wohl nur Detlef gehört. Das sind die Momente, wo eine Nacht plötzlich links abbiegt und eine ganz andere Richtung einschlägt. Das sind auch die Momente in denen es weh tut, und wir weit weg sind vom Get-down-with-me-baby-Klischee einer Samstagnacht. Wenn so etwas passiert, freut mich das immer.

Du bist Manager von Desolat, dem Label von Loco Dice. Dein eigenes Label Offen Music ist dagegen völlig anders getaktet.
Offen Music ist für mich eine Art Anti-Label. Anti vielleicht auch im Sinne der Anti-University, die es in London 1968 gab, ein Ort, wo das gelehrt wurde, was nicht konform war. Offen ist auch offen. Es suggeriert keine andere Haltung, als das was es ist. Da erscheint nichts, was nicht für alle da sein sollte, die dazu einen Zugang finden.

Die erste Offen-Veröffentlichung hätte eigentlich die Platte von Der Räuber und der Prinz sein sollen. Die erschien dann aber auf Desolat. Warum?
Ich war bei Ralf Beck, der einen Hälfte von Der Räuber und der Prinz, im Studio und er spielte mir „Die Jagd auf den Hirsch“ und „Moogwalzer“ vor. Zu der Zeit war Guti, einer der Desolat-Künstler, dabei, seinen Umzug von Buenos Aires nach Düsseldorf vorzubereiten. Aber er durfte das Haus nicht verlassen, weil eine heftige Grippe umging. Wir haben ein paar Nächte online kommuniziert und ich habe ihm ein paar Stücke geschickt, Musik aus Düsseldorf, die er nicht kannte. Darunter war „Die Jagd auf den Hirsch“ und er fand das so gut, dass er in 45 Minuten einen Remix fertig hatte. Den hat er wohl auch live gespielt, denn irgendwann haben mich Loco Dice und Martin Buttrich darauf angesprochen: Was ist das für ein Track? So ist dann die erste für Offen gedachte Platte auf Desolat erschienen.

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Ich habe diese Platte damals auch gekauft, es ist meine einzige Desolat-Platte.
Das freut mich sehr. Wer diese Platte damals gefunden hat, war keiner dieser typischen Digger-Bros. Die Platte ist ja auf einem Label erschienen, auf dem man es nie erwartet hätte. Desolat galt als uncool, fasst man nicht an! Die Leute, die diese Platte damals gechartet haben, waren unter anderem Andrew Weatherall und Ivan Smagghe. 



Der Räuber und der Prinz klang anders.
Natürlich ist das eine Anspielung auf den gleichnamigen DAF-Song. Für mich ist immer sehr spannend zu erfahren, wie Musik Leute findet.

Heute findet ja viel unbekannte und unveröffentlichte Musik zu den Leuten. Leben wir in einer guten Zeit für Clubkultur?
Jein. Ein bisschen ist es wie im Sport, du hast die National Football League und den Profi-Basketball, aber auch Minigolf. Es gibt für jeden etwas. Das ist grundsätzlich gut. Auch, weil tatsächlich das Musikinteresse über unterschiedlichste Quellen bedient wird. Andererseits weiß ich nicht, ob die Bedeutung des Ausgehens noch existiert. Da macht sich Faulheit breit. Du musst ja heute gar nicht mehr ausgehen, weil morgen ohnehin dieser Stream von Weiß-nicht-Wem aus Kuala Lumpur kommt. All das, was vor der eigenen Haustüre geht, findet gar keine Beachtung mehr. Aber das sind die Orte, wo Clubkultur anfängt.

„Die Vorstellung, dass ich da mitten im Wald als Soldat plötzlich jemandem gegenüberstehe, mit dem ich noch ein paar Wochen zuvor im selben Konzert war, war unerträglich!“

Die kleinen Clubs sind in Bedrängnis?
Da müsstest du die Clubs fragen, aber ich kann mir vorstellen, dass dem so ist. Du hast natürlich Festivals, die laufen fantastisch. Da gehen dann auch Leute hin, die mit Clubkultur wenig am Hut haben, weil eine Clubnacht zu intensiv und dreckig – zu beängstigend ist. Aber mit so einer schönen Kulisse tagsüber ist das dann okay, ein bisschen wie diese Promi-Überlebensshows aus Australien. Du weißt, dass das alles abgesichert ist, klinisch sauber, dir kann nichts gefährlich werden. Die Clubs sind die vielleicht letzten geschützten Orte. Wo man sich gehen lässt und Gefühle entwickeln kann durch die Musik und mit der Musik. Es gibt heute auch keine Freaks mehr, keine Dragqueens. Früher hattest du die in jeder Dorfdisco. 



Die Szenen durchmischen sich nicht.
Es ist alles zu uniform geworden. Da findet eine unglaubliche Selbstzensur statt, weil jeder Angst hat, dass das sofort im Internet landet, wenn er Samstagnacht in der eigenen Kotze liegt. Es muss schwierig sein, heute Jugendlicher zu sein. Ich möchte dieser Generation zurufen: Lasst los, lasst euch fallen, das wird schon. Die haben nie was von den Epikureern gelesen, für die das größte Glück das gesellige Miteinander war, zu trinken, zu reden, rumzuspinnen, ja, auch Drogen zu nehmen. Das ist schon traurig.



Du selbst warst noch Teenager, als du aus Belgrad nach Deutschland gekommen bist.
Das war in dem Jahr, als in Ex-Jugoslawien der Krieg los ging. Ich hatte die Aufnahmeprüfung für die Uni bestanden und sollte Philosophie studieren. Mein Jahrgang wurde dann als erster für die Wehrpflicht aufgeboten. Die Vorstellung, dass ich da mitten im Wald als Soldat plötzlich jemandem gegenüberstehe, mit dem ich noch ein paar Wochen zuvor beim selben Konzert war, war unerträglich!

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Und dann?

Ich habe einen Flug gebucht. Am Tag, an dem ich beim Kreiswehrersatzamt meine Uniform und mein Zugticket für die Kaserne abholen sollte. Als ich am Flughafen dem Zollbeamten in die Augen schaute: Das waren die längsten Sekunden meines Lebens. Der hat angenommen, dass ich tatsächlich noch ein Jahr auf die Schule gehen musste und hat mich durchgelassen. Ich habe mich dann in Bochum beworben, weil die Uni einen guten Ruf im Fach Erkenntnistheorie hatte. Ich wurde angenommen.

Deutschland war die naheliegende Wahl?
Ein Großteil der philosophischen Literatur ist ja auf Deutsch geschrieben worden. Ich wollte diese Quellen im Original studieren, das war für mich ausschlaggebend. Das bedeutete, dass ich die Sprache wesentlich besser lernen musste. Einmal habe ich das Wort „wegdenken“ gelesen. Das serbo-kroatische Wörterbuch half nicht weiter, und das Englische lieferte eine umständliche Erklärung in vier Sätzen. Am Anfang stand also mein Zugang zur Sprache, ich wollte das buchstäblich begreifen. 


Du hast dann später bei Important Records in Essen als Plattenverkäufer gearbeitet.

Ja, aber zuerst ging ich da als Käufer ein und aus. Udo Welcker, der Besitzer von Important, hat eine der ersten deutschen Punk-LPs veröffentlicht. In dem Keller seines ersten Ladens Rock On sollen damals auch DAF geprobt haben. Du kennst ja diese sozialen Mikrowelten, die sich im Plattenladen bilden. Irgendwann wird man warm und freundet sich an. Interessant wird es, wenn drei Whitelabels reinkommen und der Verkäufer weiß, dass du an Steve O’Sullivan interessiert bist. Und die Platten wurden laut vorgespielt – das war super. Da konnte dann ein Schranz-Alptraum laufen. Und als nächstes: Was ist denn das Wunderbares? So hast du Musik entdeckt, von der du keine Ahnung hattest.

„Ich habe dann rasch bemerkt, was diese Art von Kommunikation bewirken kann. Dass du dich nicht unterhalten musst. Dass es ein wortloses Verständnis gibt, was dann zu tun ist. Und was plötzlich entsteht: neue Räume. Das klingt jetzt wie Hippiequatsch. Ist es aber nicht.“

Das Runterpitchen von Platten hast du dir damals angeeignet? Mir kommt eine Cosmic Baby-Platte in den Sinn, die in einem Mix von dir war.
Cosmic Baby kannten ja alle! Der wurde dauernd am Radio gespielt. Wenn Du kein Death-Metal-Fraggle warst, dann hast du den auf alle Fälle mitgekriegt. Important hatte eine große Goa-Wand. Und einmal hat der Verkäufer eine Goa-Platte versehentlich auf 33 gespielt hat. Das hat mich fasziniert. So fing ich an, diese Platten auf 33 zu hören. Das waren die Frequenzen, die mir zugesagt haben.



Wie bist du eigentlich zum Auflegen gekommen?
In den Ferien bin ich als Kind zu einem Freund meiner Eltern gefahren, der lebte in Leskovac, einer kleinen Stadt im Süden, etwa 270 Kilometer von Belgrad entfernt. Ein toller Typ! Sein Haus war voller Videos, Platten und Bücher, und war gleichzeitig eine Disco – im Winter im Keller, im Sommer auf der Terrasse, aber ich kann mich an keine Donna-Summer- oder James Brown-Platte erinnern.

Und in dieser Disco hast du erstmals aufgelegt?

Ich war 11, als er mir zum ersten Mal einen Stapel 7“s neben die Plattenspieler gelegt hatte und sagte, dass ich jetzt spielen könne. Diese Partys hatten Abschnitte, in denen schnellere und langsamere Musik gespielt wurden. Und ich sollte mich um die langsame Musik kümmern. Ich habe dann rasch bemerkt, was diese Art von Kommunikation bewirken kann. Dass du dich nicht unterhalten musst. Dass es ein wortloses Verständnis gibt, was dann zu tun ist. Und was plötzlich entsteht: neue Räume. Das klingt jetzt wie Hippiequatsch. Ist es aber nicht.



Damit spielst du auf Zaum' an, die Sprachtheorie der russischen Futuristen?

Das Thema fasziniert mich seit meiner Kindheit. Linguistische Experimente, Chlebnikov, Mayakovski, Malevich oder Daniil Charms mit seinen absurden Kurzgeschichten. Dass es da eine Art Sprache gibt, die das Verborgene erfassen kann. Dass man über gewisse Sachen schweigen kann, gewisse Sachen erst schweigend erfassen kann. Darum geht es im Club für mich immer wieder.

Und welche Platten haben dich damals geprägt?
Der Disco-Freund meiner Eltern hat mir diese Unlimited-Orchestra-Platte mit Human-League-Remixen geschenkt. Das ist immer noch eine der besten elektronischen Dance-Platten. Die frühen Factory-Platten waren wichtig und The Smiths. Ich hatte dann Probleme an der Schule, wo alle Stars on 45, Abba oder Boney M bei Schultänzen hörten. Und ich kam mit New Order oder Simple Minds, was niemand hören wollte. Du stellst dann fest, dass niemand mit deiner Tanzmusik etwas anfangen kann. Das waren die ersten Konfrontationen mit der Gesellschaft, in der ich lebte. Das war unangenehm, aber lehrreich.

In Belgrad herrschte damals eine Aufbruchstimmung.
Ja, aber auch eine unglaubliche Verunsicherung. Tito starb 1980, er war unser Pharao. Die Auswirkungen waren vielfältig, massenpsychologisch ist da sehr viel passiert. Weil es diesen Übervater nicht mehr gab. Und so wurde dann manches toleriert und ging einfach so durch. Jugoslawien gehörte der Bewegung der blockfreien Staaten an. Du kanntest Dostojewski, du hattest aber auch den Zugang zu Bukowski und Hemingway. Es gab Hollywood-Trash und auch russisches Kino. Es war offen. Aber auch verwirrend. Eine bekannte französische Mode-Historikerin, die 1985 zum ersten Mal nach Belgrad kam, sagte mir einmal, Belgrad war damals spannender als London oder New York. 



Auf Offen erscheint jetzt ein weiteres Album von Suba (alias Rex Ilusivii alias Mitar Subotić). Was fasziniert dich an dieser Musik?
Wie zeitlos sie immer noch klingt. Das ist eine Musik, die keine Geheimnisse hat, ohne Overdubs funktioniert, sie ist immer klar, du hörst alles. Diese unvergleichliche Art, wie Suba mit dem Mischpult gearbeitet hat. Wie intensiv das alles ist, auch dann, wenn es keinen Beat hat, nur eine Pianomelodie. Mich fasziniert die Experimentierlust, die Aufrichtigkeit und Tiefe, die aus Subas Musik strömen. Sie stammt auch aus einer Zeit, in der ich meinen Wurzeln habe. Die Musik kommt mir vor wie ein Spiegel, den man sich vorhält und stillschweigend weiß: So war es eigentlich.

War Suba ein Freund deiner Eltern?

Er war mit meinem Onkel befreundet. Ich muss ihn auch mal gesehen haben, kann mich aber nur vage daran erinnern. Der Freundeskreis meiner Eltern bestand zum größten Teil aus den Leuten, deren Musik man heute sucht. Also die ganzen Yugo-Wave-Sachen. Mit ein paar dieser Musiker hat Suba zusammengearbeitet. Leider sind viele früh gestorben.

Das Album „Wayang“ entstand während der Zeit, als Suba in São Paulo lebte.
Wayang, das sind diese Schattenspiele aus Indonesien, Suba hat das 1995 produziert. Das war die Zeit, als dieser Coffee-Table-Brazil-Sound um die Welt ging – und ich dachte, das klingt wie die Antithese dazu. Es ist ja überhaupt nicht lieblich, belanglos und kolonialistisch. Diese Musik ist tatsächlich da entstanden, wenn auch von jemandem, der von außen kam.

Das ist jetzt bereits die dritte Veröffentlichung von Suba, die auf Offen erscheint.
Als ich zu Subas Archiv kam, wusste ich: Das ist jetzt dein Schwarzer Peter. Du hast die Karte gezogen und kannst sie nicht ignorieren. Das ist auch wie eine Verantwortung denen gegenüber, die nach uns kommen. Diese Musik zugänglich zu machen.



Bald reist du nach Brasilien. Wirst du auf Subas Pfaden wandeln?
Suba war in Brasilien ja ein Held. Das Programm von MTV wurde damals unterbrochen, als er starb. Tatsächlich haben wir ein kleines Projekt: Wir möchten ein paar alten Freunden und Weggefährten von Suba aus São Paulo seine Sachen vorspielen und ihre Reaktionen einfangen. Und das wollen wir dann in Novi Sad vorspielen, der Heimatstadt von Suba. Unter Subas Leuten. Dann ist es ein bisschen so, dass Suba, der nach São Paulo ausgewandert ist, wieder zurück nach Novi Sad kommt – in den Erinnerungen all dieser Menschen. Dass sich da wieder ein Kreis schließt. Natürlich könnte ich am Strand liegen. Aber das gehört sich nicht, weil ich etwas Wichtiges machen kann.

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