„Wer weiß denn schon, wie wir in fünf Jahren Musik hören“Permanent-Vacation-Macher Benjamin Fröhlich über sein Debütalbum, Clubkultur und die Zukunft der Musik
22.5.2019 • Sounds – Interview & Fotos: Thaddeus HerrmannBenjamin Fröhlich kannte man vor den Kulissen bislang vor allem als DJ – und hinter den Kulissen als kreativen Kopf hinter dem Label „Permanent Vacation“. Zusammen mit seinem Partner Tom Bioly hat Fröhlich in den vergangenen zwölf Jahren eines der wichtigsten Labels für elektronische Musik überhaupt etabliert. Hier geht es nicht um Techno von der Stange, sondern vielmehr um brillant kuratierte Entwürfe zwischen Disco, Cosmic, balearischen Zuspitzungen und den deepesten Deep-House-Entwürfen. Nach ein paar wenigen EPs hat Fröhlich nun sein Debütalbum veröffentlicht. „Amiata“ zieht den Sack zu, der auf dem Label bislang den musikalischen Diskurs bestimmte – ein Album für die Ewigkeit. Aber wie genau diese Ewigkeit aussehen oder klingen wird, weiß aktuell niemand. Ein Gespräch über Rap als Stressfaktor, die Münchener Szene und die ewige Bitch namens Instagram.
Deutet dein Debüt-Album einen Berufswechsel an, einen neuen Fokus in deinem Leben rund um die Musik? Vom Label-Betreiber und DJ hin zum Producer?
Ich produziere ja schon eine ganze Weile , seit rund vier Jahren. Erst gab es ein paar EPs, jetzt das Album. Bei Permanent Vacation hatten sich ein paar Dinge verändert. Mein Kollege Tom Bioly kümmerte sich vornehmlich um seine zwei Kinder und erledigte parallel die Büro-Arbeit. Das hat mir die Möglichkeit gegeben, mich mehr auf das Produzieren zu konzentrieren. Wir konnten uns diese Aufteilung zu diesem Zeitpunkt zum Glück erlauben. Das Label war etabliert und wir mussten nicht mehr bei jedem Release von neuem um die Aufmerksamkeit kämpfen. Natürlich muss man dennoch jeden Tag daran arbeiten, weil der Markt ja eigentlich vollkommen übersättigt ist. Umso wichtiger ist es da, noch besser hinzuhören, alles sacken zu lassen und dann die Tracks auszuwählen, die hängen geblieben sind.
Permanent Vacation gibt es mittlerweile seit über zehn Jahren. Ihr habt eine Menge mitgemacht und erlebt in diesem Business. Ich bin mittlerweile an einem Punkt angekommen, wo ich sage: Ich verstehe das alles nicht mehr. Downloads spielen keine Rolle mehr, mit Streaming ist kaum Geld zu verdienen und Vinyl ist komplett tot.
Ja, der Hype um die Schallplatte vor ein paar Jahren hat nicht gehalten. Das sieht man ja überall. Im MediaMarkt verstauben die Remasters und Neupressungen von Iron Maiden, bei denen die Majors ja dachten, nochmal durchstarten zu können. Klar kauft man sich ab und an mal eine LP, aber als Kunde macht alles jenseits des Streamings ja faktisch keinen Sinn mehr. Als DJ muss man einfach sagen: Die Möglichkeiten eines CDJs sind einfach besser. Und es macht auch Spaß.
Bist du jemand, der das Technische beim Auflegen ausreizt? Loops +x?
Loops schon. Ich bereite das aber nicht großartig vor dem Set vor, das kommt eher aus dem Moment. Gleichzeitig sind mir viele Funktionen dieser Geräte immer noch ein Rätsel. Ich habe selber auch keine CDJs zu Hause. Es hält sich also in Grenzen.
Ich höre dein Album als eine Art musikalische Autobiografie. Liege ich damit richtig?
Total. Die Platte spiegelt meine Einflüsse aus den vergangenen 20 Jahren. Ich hatte mal angefangen, meine Musik-Sammlung zu sichten und zu ordnen, Platten wie Files und CDs. Ich hatte ein wenig den Überblick verloren. Und um all dem Herr zu werden, habe ich damit begonnen, Mixe für Freunde zu machen, immer genrespezifisch. Das hat mir dabei geholfen, das alles nochmal zu verdauen. Und auf dem Album tauchen diese Dinge wieder auf.
Sind beim Machen dieser Mixe auch deine ganz prägenden Momente wieder hochgespült worden?
Die gibt es nicht wirklich, oder zumindest tue ich mich schwer damit sie zu identifizieren. Ich kann mich an keinen Moment erinnern, an dem ich wusste, dass ich DJ werden will oder muss. Eigentlich komme ich ja vom HipHop. Der elektronischen Musik kam ich dann näher, als TripHop aufkam. An den Beats konnte ich anknüpfen und mochte dann auch die anderen Sounds drumherum. Das hat schon eine neue Welt für mich aufgemacht und habe erstmal viel gehört und entdeckt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich alles mit 4/4-Bassdrum überhaupt nicht gemocht. Und dann habe ich mal DJ Hell auflegen hören. Wir hatten in München ja keine Love Parade, sondern den Union Move.
„Ich empfinde HipHop heute als sehr präsent, wenn viel mit Vocals gearbeitet wird. Das erfordert viel Aufmerksamkeit. Was sagt der jetzt? Warum sagt er es? Ich glaube, deshalb können Techno-Partys auch so lange gehen, die Musik fließt einfach mit.
Erinnerst du dich daran, wann das war?
Ich tippe auf die späten 90er. Das fand bei mir um die Ecke statt, habe ich mir also angeschaut. Hell spielte damals ein Set mit viel EBM und Electro. Da merkte ich plötzlich, dass das ja gar nicht immer super schnell und hart sein muss – ich mochte diese gewisse Funkiness. So ging das dann Schritt für Schritt los. Wenn ich mich heute an meine HipHop-Zeit erinnere, fällt mir auf, dass ich mich zwar freue, wenn auf einer Party mal kein House oder Techno, sondern eben HipHop oder Funk läuft – nach einer Weile finde ich das dann aber auch sehr anstrengend. Die Musik ist so präsent, wenn viel mit Vocals gearbeitet wird, und erfordert mehr Aufmerksamkeit. Was sagt der jetzt? Warum sagt er es? Ich glaube, deshalb können Techno-Partys auch so lange gehen, die Musik fließt einfach mit.
In München gibt es aktuell einen Club weniger, wo diese Partys stattfinden können. Das MMA hat zugemacht. Wie steht es um die Dance-Kultur?
München funktioniert generell anders als zum Beispiel Berlin und ist ja auch viel kleiner. Den klassischen Rave-Tourismus kennen wir nicht, wobei sich gerade um das MMA etwas ähnliches entwickelt hatte – das Gleiche gilt für den Blitz. Wenn zum Beispiel Ben Klock spielt, ist klar, dass dafür auch Menschen anreisen, weil sie wissen, dass sie größere Chancen haben, reinzukommen als ins Berghain. Prinzipiell habe ich aber das Gefühl, dass die Club-Kultur besser akzeptiert wird in München. Das ist ja auch keine Überraschung – es ist ein Geschäft, da fließt Geld. Der Rave ist mittlerweile in München schon angekommen. Man darf ja auch nicht vergessen, wo die Stadt liegt. Da fällt es einem leichter zu sagen, nein, heute keine Party, wir fahren lieber in die Berge. Die erste Techno-Welle in München habe ich ohnehin nicht miterlebt. Im Ultraschall auf dem ehemaligen Flughafen war ich nie, und im Kunstpark Ost nur ein paar Mal. Das fand ich gut, ich war aber einfach musikalisch noch nicht wirklich angekommen.
„Die Goldgräberstimmung von früher ist vorbei.“
In den Bergen kann man auch feiern. Machen die Festivals die Club-Szene kaputt?
Darüber habe ich viel nachgedacht in letzter Zeit. Spätestens seit dank der Erderwärmung der Sommer ja faktisch von April bis Oktober dauert, ist das für die Clubs problematisch, na klar. Die Szene ist explodiert – von klein bis groß. Das merkt man auch in München. Da sind die Clubs eher leer, weil rund um die Stadt Open Airs stattfinden. Das ist ja eigentlich auch schön, hat aber bestimmt Konsequenzen. Die frühere Goldgräberstimmung ist ja eh vorbei. Niemand macht mehr einen Club auf, weil er Millionär werden will. Der Konkurrenzdruck ist groß, und je größer der Laden ist, desto mehr muss man in Sachen Booking vorlegen, was wiederum sehr teuer ist. Die Gagen sind ja auch explodiert.
„Ich kenne viele DJs nur auf Instagram, weiß aber eigentlich gar nicht, wie die auflegen.“
Das Berufsbild des DJs – da sind wir wieder bei meiner ersten Frage – hat sich ebenfalls dramatisch gewandelt. Auflegen reicht nicht mehr. Selbst zu produzieren, wird heutzutage praktisch von allen erwartet, um im Gespräch zu bleiben. Aber noch „wichtiger“ ist es ja, die Sozialen Medien zu bespielen – natürlich authentisch. Du legst selber schon ewig auf. Wie nimmst du diesen Wandel wahr?
Der entscheidende Schnitt war meiner Meinung nach Instagram. Wenn das läuft, hat du 80 Prozent deiner Miete schon drin. Ich finde das schon witzig auf eine Art und Weise. Ich kenne viele DJs nur auf Instagram, weiß aber eigentlich gar nicht, wie die auflegen. Die Plattform ist nochmal weiter weg von der Musik, als alle anderen, weil man ja nirgendwo drauf klicken kann, um sich alles gleich anzuhören – von den Party-Videos mal abgesehen. Da musste ich mich selbst auch erst dran gewöhnen.
Wie ist das ausgegangen?
Lange habe ich das alles gar nicht gemacht. Geht aber natürlich auch nicht. Jetzt bespiele ich das nach bestem Wissen und Gewissen, und das funktioniert auch ganz gut. Eine Selbstverständlichkeit war das für mich aber nicht. Diese Art der Kommunikation war neu.
Wie passt denn „Amiata“ in die Landschaft der aktuellen elektronischen Musik?
Das kann ich dir nicht beantworten. Ich hoffe natürlich, dass sie passt, aber es geht doch schon mit der Idee des Albums los. Die passt doch eigentlich nicht mehr zum Musikkonsum, merke ich ja auch an mir selber.
Das ist doch die typische Handbewegung eines jeden DJs – das schnelle Durchskippen.
Stimmt natürlich. Und ich habe mir natürlich sehr gut und lange überlegt, wie ich die Tracks am besten in Reihe bringe, wie sie am besten miteinander funktionieren – Playlisten hin oder her. Vielleicht ist jetzt ja auch die letzte Chance, überhaupt noch ein Album in dieser Form zu machen. Wer weiß denn schon, wie wir in fünf oder zehn Jahren Musik hören. Aber: Jeder Trend erzeugt mitunter auch einen Gegentrend. Ich persönlich muss aber konstatieren, dass ich kaum noch dazu komme, wirklich Alben zu hören. Mit fiel das neulich beim Aufräumen exemplarisch auf. Da fand ich eine große Beatles-Box. Man denkt ja immer, dass man jeden Song dieser Band kennt. War aber überhaupt nicht so.