„Wir haben uns ein Häuschen gebaut“Howling im Interview

Howling-lead

Ist das noch ein Track oder schon ein Song? Frank Wiedemann von Âme und Singer/Songwriter Ry X scheißen auf diese uralte Diskussion und veröffentlichen ihr Debütalbum „Sacred Ground“. Mit Bassdrums zum Mitsingen und Lyrics zum Tanzen.

Ihr kennt ihn alle. Den Track, mit dem Frank Wiedemann von Âme und Ry Cuming – alias RY X und Mitglied von The Acid – 2012 die Grundlage für ihr gemeinsames Projekt Howling gelegt haben. „Howling“ war eine dieser romantischen Pop-Hymnen für den Dancefloor, für die glückseligen Open-Air-Wiesen und die Festival-Sommer, für die Wiedermanns House- und Partyfirma Innervisions unter anderem berühmt geworden ist. Innervisions ist eine Marke, und genau so markant hat sich das Projekt Howling entwickelt, obwohl alles als großer Zufall begann: Über gemeinsame Freunde hatte der in Kalifornien lebende Australier Cuming Kontakt zu Wiedemann, irgendwann schickte er ihm Songskizzen. Aus der Laune heraus brachte Wiedemann einem Folkgitarren-Fragment mit Cumings schmachtenden Falsett durch subtil gesetzte Kicks das Tanzen bei.

Dixon droppte die Nummer gleich zweimal bei einem Boiler Room Set, so geht die Legende weiter, und schon waren weltweit alle Herzen entflammt. Gelernt ist eben gelernt, und im Zuge des großen Hits arbeiteten die beiden über die letzten Jahre darauf hin, was nun endlich die Erfolgsgeschichte weiterschreiben wird: „Sacred Ground“, das Debütalbum von Howling. Während der Release über die letzten Wochen schon mit aussagekräftigen Singleauskopplungen und amtlichen Remixen des aktuellen Club-Who-Is-Who vorbereitet wurde, haben wir Frank Wiedemann und Ry Cuming in einem der seltenen Momente erwischt, in dem sie beide in Berlin weilten, und uns Auskunft geben lassen. Über den Dauerbrenner der Genre-Grenzüberschreitungen, die Arbeit im Team und ihre kommenden Live-Shows.

Die unwichtigste Frage zuerst: Was oder wo ist der „heilige Grund“, nach dem ihr euer Album benannt habt?
Ry Cuming: Überall! Es sind sind Orte, an denen wir leben, die Erde unter unseren Füßen sozusagen. Der heilige Boden von Berlin und der kalifornischen Berge, und von Australien. Die Orte, denen wir entstammen.

Ihr habt irgendwann in Berlin zusammengefunden. Was ist nach eurem ersten Hit passiert und wie habt ihr begonnen, richtig zusammenzuarbeiten?
Frank Wiedemann: Vor zwei oder drei Jahren haben wir hier ein paar Shows zusammen gespielt. Da haben wir uns auch zum ersten Mal getroffen und hatten ungefähr zehn Tage Zeit, um zu proben. Und währenddessen haben wir begonnen, an anderen Sachen zu arbeiten. Das war Grundlage und Ausgangspunkt.

Ry: Die Zusammenarbeit hat sich entwickelt. Es war nicht so, dass ich irgendwas geschrieben und es Frank gegeben habe, um Beats darunter zu legen.

Frank: Und es war auf keinen Fall so, dass wir gedacht haben: Oh, „Howling“ war total erfolgreich, lass uns so weitermachen!

Ry: „Gib mir ein paar Songs, ich mach’ das mit den Drums und stelle sicher, dass alles auf 123 BPM läuft!“ Nee, so haben wir das nicht gemacht.

Pop und House zusammenzubringen ist ja ein alter Hut, an dem sich ständig alle versuchen.
Ry: In den Staaten denken die Leute von mir, dass ich House mache, aber hier in Berlin bin ich derjenige, der diese Melange aus merkwürdigen Elementen fabriziert, die nicht in den Club gehört, sondern irgendwo anders hin. Es ist ja schön, hier zu leben, aber für meinen Sound gibt es keine Szene! Es gibt eine tolle Techno- und House-Industrie, auch eine für Indie, Folk oder experimentelles Zeug. Aber niemand macht das, was wir versuchen: House und Folk und eine Art afrikanischer Musik, es kommt alles zusammen bei uns.

Frank: Naja, die einzigen sind wir nicht.

Ry: Ok, jemand wie Arthur Russell oder andere, die das mal vor langer Zeit auf eine andere Art und Weise versucht haben.

Howling - Ry Cuming

Ry Cuming

Wie bekommt man diese Mischung so gut hin wie ihr? Ihr habt dieses gewisse Etwas in euren Songs, das große Unbekannte.
Ry: Der Prozess macht den Unterschied. Jeder aus der Indie-Szene lässt sich ja mittlerweile Remixe machen – wirklich jeder, total verrückt! Viele Freunde von mir sind tolle Indie-Künstler, aber wenn ich sie sagen höre: „Alter, ich kriege jetzt einen Remix von diesem einen Typen, der kommt auch aus Berlin“, denke ich nur: Nein, genau der sollte deine Musik nicht remixen. Das macht überhaupt keinen Sinn! Auf der anderen Seite hast du Techno- und House-Produzenten, die sagen: „Ich brauche Vocals auf diesem Track!“ Und dann suchen sie sich irgendeinen Indie-Künstler aus und lassen ihn oder sie singen. Aber das ist doch eigentlich nur der Versuch, ein kleines Stückchen irgendwo auszuschneiden und es anderswo wieder einzupflanzen. Dabei ist doch eigentlich interessant, wenn die beiden Welten wirklich zusammenfinden; in einer Schnittmenge, an der man wirklich arbeiten muss, die sich Schritt für Schritt ergibt. Genau da am Ball zu bleiben, ist nicht immer ganz einfach. Klar, man kann dort sozusagen mal „kurz reinschauen“, aber Frank und ich haben uns ein Häuschen gebaut dort. Wir wissen zwar noch nicht, ob es stehen bleibt wird, aber …

… ihr wollt euch dort ansiedeln.
Ry: Es ist so schön hier!

Frank: Wenn man sich den Verlauf der Techno- und House-Branche ansieht, dann gab es immer Phasen, in denen es in die Popmusik überschwappte. Das passierte gleich zu Beginn, kurz nachdem es kurz total underground war. Siehe Snap! oder so in Deutschland. Und dann ging es wieder in den Underground. So geht es in allen Genres hin und her - es gibt Hochphasen, und dann ebbt es wieder ab. House ist mittlerweile genau so etabliert wie HipHop, trotzdem passiert noch sehr viel abseits der Masse. Momentan erleben wir eben mal wieder eine Phase mit starken Popeinflüssen. Das wird wieder vorbeigehen, da bin ich mir ziemlich sicher. Das große Problem dabei ist, dass es generell wirklich schwierig ist, keinen Kitsch zu produzieren, wenn man Housetracks zu Songs macht. Âme ist natürlich ein Projekt, das für diesen songorientierten Housestil steht, immer schon. Und ich bin ganz zufrieden damit. Gerade im Moment versuchen nur leider viel zu viele Leute, diesen Weg zu gehen - das finde ich auf der einen Seite toll, weil ich Songs ja mag, aber auf der anderen Seite ist mir das meiste viel zu cheesy und gewollt.

Howling 03

Bei The Howling sind die Vocals ein entscheidendes Element, sie führen die Songs. Trotzdem habt ihr es geschafft, den Gesang angenehm minimalistisch zu halten.
Ry: Es läuft so: Wir sitzen in einem Raum mit unseren alten Synths und Orgeln und spielen etwas, wozu ich dann anfange zu singen. Das ist es. Ich plane das nicht zu sehr, und wenn es sich nicht gut anfühlt, dann lassen wir es wieder. Frank und ich haben richtig tolle Tracks gemacht, mit geilen Hooks und deepen Rhythmen. Aber sie hatten keinen Platz für Vocals, es hat nicht zusammengepasst. Deshalb sind sie auch nicht auf dem Album. Weil wir eben unsere beiden Welten verschmelzen wollten. Und das lief so, dass Frank mir immer alte House-Klassiker vorgespielt hat, oder ich ihm ein paar Kniffe von Jeff Buckley oder Arthur Russell gezeigt habe. Und dann haben wir uns immer gefragt, wie wir diese Elemente miteinander zusammenbringen können. Aber du hast schon Recht, die Vocals sind entscheidend: Sie halten alles zusammen, die Musikalität, die Emotionen.

„Ich mag es auch überhaupt nicht, wenn eine Technoband für Liveshows einen Drummer mit echtem Schlagzeug hat.“ (Frank Wiedemann)

Wie setzt ihr das live um?
Frank: Âme ist ja eine reine Computer-Geschichte, deshalb wollte ich bei Howling einiges ändern. Ich will mittelfristig den Rechner ganz von der Bühne verbannen. Das klappt noch nicht ganz, aber wir sind auf einem guten Weg.

Ry: Es ist viel freier, und das macht es aber auch viel schwieriger. Das wird eine neue Erfahrung für Frank und spannend für uns alle.

Frank: Moment mal, ich habe schon in Bands gespielt!

Ry: Jaja, ich weiß, Jazz und so … (beide lachen) Ich meine doch nur, dass es eine neue Erfahrung ist, die Computermusik auf der Bühne anders umzusetzen.

Frank: Ja. Es ist wirklich eine Herausforderung, weil die Grundlage unseres Sounds aus dem Sequencer kommt. Ich mag es auch überhaupt nicht, wenn eine Technoband für Liveshows einen Drummer mit echtem Schlagzeug hat. Es fühlt sich nicht richtig an, weil der elektronische Aspekt verloren geht. Genau der macht die Musik doch eigentlich aus! Wir haben, glaube ich, einen guten Weg gefunden, um den elektronischen Sound und das Repetetive beizubehalten, so dass es immer noch ein elektronisches Konzert ist, aber mit vielen menschlichen Elementen und dementsprechenden kleinen Fehlern.

Die Âme-Shows werden auf Dauer bestimmt auch langweilig und das ist eine wunderbare Abwechslung.
Frank: Es ist ja nicht so, dass ich da nur die Play-Taste drücke, das fertige Arrangement durchläuft und ich ab und zu einen Filter reindrehe. Wir stellen die Tracks schon neu zusammen, wenn wir live spielen, aber das ist natürlich immer noch was anderes, als etwa eine Melodie auf einem Keyboard zu spielen. Andererseits finde ich auch, dass das bei Techno und in Clubs nicht notwendig ist. Die Leute sollen doch nicht auf die Bühne schauen und mich bei meinen Moves beobachten, sie sollen tanzen. Wie ich die Musik erzeuge, ist eigentlich völlig unwichtig. Es zählt das, was am Ende rauskommt.

Das heißt also, Howling ist auf jeden Fall anspruchsvoller für dich?
Frank: Richtig. Für Ry ist es natürlich ganz anders – er muss singen, und das ist eine ziemlich körperliche Angelegenheit. Die Leertaste drücken eher nicht so.

Rye: Manchmal bin ich schon neidisch. Frank und ich sind auch beide Anführer-Typen, glaube ich. Ich bin es gewohnt, RY X zu lenken, und auch bei The Acid gebe ich oft den Ton an. Es ist normal für mich, und auch für Frank. Interessanterweise kommen wir uns nie wirklich in die Quere. Manchmal will Frank eben eine Kickdrum lauter oder so, und ich meine Stimme.

Frank: Nee, du willst doch immer, dass ich die Kickdrum lauter mache!

Ry: Ha, na gut. Also hat es sich eben umgekehrt. Ich schätze das ist die Art, wie wir uns gegenseitig beeinflussen.

„Sacred Ground“ ist ein sehr emotionales und flauschiges Album geworden. Ich glaube sogar, dass es für manche zu nett sein könnte. Zu brav. Ihr habt beide eigentlich sehr abenteuerliche und auch andere musikalische Vorlieben. Was führt euch letztendlich zu einem sanften, romantischen Sound?
Ry: Frank und ich befinden uns im Moment wohl einfach an diesem gefühlsbetonten Ort. Provokation, Sex? Das ist alles in den Lyrics versteckt, aber man muss es den Leuten nicht direkt ins Gesicht schreien. Ich mag Death Grips und Punk, oder Björk. Was macht Björk aus? Es ist der reine Ausdruck ihres Herzens. Machmal will man eben zu seinen Wurzeln gehen, das heißt: Wir sind alle empfindsame, liebende Menschen. Es ist schön, das auch manchmal zu kommunizieren.

Frank: Du kannst nur aggressiv oder destruktiv sein, wenn das auch Teil deines Lebens ist. Alles andere ist fake. Glücklicherweise kann ich von mir sagen, dass ich ein sehr schönes Leben führe. Ich bin wahrscheinlich jemand, der immer versucht, die Dinge positiv zu sehen. Vielleicht hast du Recht, vielleicht ist unsere Musik zu nett. Auch die von Âme. Aber so kommt es einfach aus uns raus.

Howling, Sacred Ground, ist auf Monkeytown Records erschienen.

Album bei iTunes

Howling 04

8 - 45.000.000.000Zahlen im Monat April 2015

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