Wochenend-Walkman – Sommer-SpecialDiesmal mit: David First & The Western Enisphere, Leafar Legov, Mac Miller, Max Richter, Land of Talk

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Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch. Das ist die Regel, die unsere Kolumne in den vergangenen Jahren ausgemacht hat. Heute jedoch – passend zu unserer Sommerpause – sind es ein paar mehr. Damit ihr auch in den kommenden Wochen genug zu hören habt, bzw. immer wieder auf unsere Hörtipps zurückgreifen könnt, wenn die eigene Library gerade nichts hergeben will. Danke an alle und: einen schönen Sommer.

David First  The Western Enisphere Artwork

David First & The Western Enisphere – The Consummation of Right and Wrong

Kristoffer: Stille kann so erschlagend sein. Auf „The Consummation of Right and Wrong“ – was zur Hölle soll das eigentlich heißen? – gibt es das eigentlich nicht: Stille. Irgendwas dröhnt immer, ob nun eine Trompete, eine Bratsche oder gleich ein ganzes Ensemble. Eso-Esprit und szientistischer Mikrotonfanatismus geben einander die Hand und schliddern gemeinsam die Innenohrkanäle herunter, und das ganze zwei Stunden und 23 Minuten lang. Obwohl es sich gar nicht so anfühlt, als würde die Zeit überhaupt voranschreiten, sondern nach einem einzigen, poren- und hirnwindungenreinigen Drone-Fest. Lärm, aber still. Ein Augenblick, eine Ewigkeit – das ist einerlei. Das zur Hölle soll das heißen.

Leafar Legov Artwork

Leafar Legov – Mirror

Matti: Dass Leafar Legov in seinen Produktionen eher ruhige Töne anschlägt, ist nicht nur eingefleischten Giegling-Jüngern bekannt. Der vorläufige Höhepunkt seiner emotionalen Kreuzung aus Pop Ambient und Downtempo hat er nun mit dicken Ausrufezeichen auf sein Deüutalbum gepresst! Viel zu sagen hat er darüber offensichtlich nicht, jedenfalls bleiben Interviewanfragen unbeantwortet. Aber egal! Seine erste Langspielplatte ist eine von der Sorte Alben, die einem schon mal die Haare auf dem Arm stehen lassen. Los geht’s mit einer Art Mini-Prolog zur Einstimmung: „From darkness into light. Into a freedom of a spirit.“ Ah, alles klar. Wir gleiten zu „Wave“ hinüber. Die Geschichte beginnt. Eine Oboe kommt aus der Tiefe und überstrahlt mit ihrem zarten Aufgang das diesige Gerüst aus einer geloopten Fläche. Violinen streichen sich dazu. Mit Snare und Becken trippt sich das ganze vorwärts, oder woanders lang. Was bei Leafar Legov so angenehm ist, dass er sich trotz der knisternden Erwartungshaltung nicht im minimalistischen Größenwahn verkrampft, sondern gerne mal in einer bestimmten Stimmung verharrt – und innehält. Doch mitnichten geht es ihm ums easy listening. „Mirror“ bleibt bis zum Ende diffus, verraucht, aber spannend. Ende offen. Ganz Legovesk eben. Beeindruckend intensiv für ein Debüt! Viel musisches Verständnis und vor allem gute Ideen, die er mit den vorhandenen Produktionsmitteln gekonnt umsetzt. Hoffentlich behält er sich die emotionale Tiefe auch beim schwierigeren zweiten Langspieler bei.

Mac Miller

Mac Miller – Circles


Julia: Das Sommerloch potenziert sich in der Pandemie zur plötzlich kollektiv angezogenen Handbremse mit anschließendem Schleudertrauma: Zeit zum Reflektieren und alte Platten Durchstöbern; zurück auf Anfang 2020, zurück zur alten Welt, die auch da schon ohne Mac Miller auskommen musste. Genau zwei Jahre ist es her, als der hedonistische Softboy in seinem Anwesen in Studio City, Kalifornien, an einer Überdosis starb. „Only so much time left in this crazy world“, soll er sich laut Autopsie wie ein böses Orakel tätowiert haben. Der Antagonist des American Sunnyboys, immer verschroben high (oder schüchtern ... vielleicht auch beides?), in die Kamera grinsend, passte in keine Schublade: Seine Reality TV Show „Mac Miller and the Most Dope Family“ zeigt wildgewordene Teens, Autos, Villen – eine schräge Mischung aus Jackass, Less Than Zero und MTV Cribs, wobei Mac Millers Augen standardgemäß immer auf Halbmast zu hängen schienen. „Every now and again, baby, I get high“, heißt es in „Once A Day“. Club of 27? Diesen hat er mit zarten 26 Jahren um ein Jahr unterboten. Alkohol, Kokain und Fentanyl, das Opiat, an welchem auch Michael Jackson und Prince gestorben sein sollen, wurden im letalen Drogencocktail identifiziert. Dabei zeichnet sich das proletische Rapper- und Produzentendasein mit drogeninduzierte Rockstarallüren scharf gegen die poetischen Lyrics ab: „I spent all day in my head / do a little spring cleanin’ / always too busy dreamin‘“ („Good News“). Einen Monat vor seinem Tod, gab er noch ein NPR Tiny Desk Concert. „Circles“ wurde im Januar 2020 veröffentlicht und gilt als sein bestes Release, auf dem er sich endgültig von Rap verabschiedete. Stattdessen hüllt er uns in softe Indiegrooves, die uns wie ein lauer Sommerabend umarmen und flauschige Kreise in den Himmel malen. Zum zweijährigen Todestag (7. September) haben Freunde und Familie einen Aufruf gestartet, Erinnerungen an den jungen Rapper zu teilen: Ob sich damit ein zweites posthum veröffentlichtes Album von Seiten Warner Records abzeichnet, das uns auf einer weichen Wolke und sanftem High durch die zweite Jahreshälfte tragen wird? Don’t trip!

Max Richter Voices

Max Richter – Voices

Thaddi: Endlich gibt es ein neues Album von Max Richter. Ein „Album-Album“ und keinen Soundtrack. Mir ist diese Unterscheidung mittlerweile wichtiger denn je, auch wenn ich die kreative Leistung und Hingabe für das Bewegtbild auf der großen Leinwand nicht in Abrede stellen will. Aber wenn jemand wie Richter sich voll und ganz auf seine eigenen Gedanken und Ideen konzentrieren kann, ist das Ergebnis schlicht packender – in aller Stille. Keine acht Stunden, sondern „nur“ rund 120 Minuten lang arbeitet sich Richter an der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 ab. Immer ein wichtiges Thema – die Menschenrechte werden nicht erst seit der Gewalt in den USA wieder mit Füßen getreten. Wir gehen nicht gut miteinander um. Eine zunächst ganz wertfreie Feststellung, die ich mir als alter weißer Mann in Westeuropa natürlich überhaupt nicht leisten kann. Aber: Damit sind zumindest die Dimensionen geklärt. Bei Richters früheren Platten ging es nie ausschließlich um die Musik, sprich klassischen Sound. Seit jeher arbeitet er an der Schnittstelle zwischen Instrumentierung und Text – das sind natürlich keine Songs, dafür ist er zu stark im Konzertanten angekommen. Der Klang der Stimme ist aber ein wichtiger Bestandteil seiner Klangpalette – gesampelt, eingesprochen, eingesungen, klar oder verwaschen, unterstützend oder antreibend, rein tonal oder als verständliche „Lyrics“. Die Erklärung der Menschenrechte, fragmentarisch in mehreren Sprachen vorgetragen, in historischen Aufnahmen und neuen, gebettet auf Richters orchestrales Einmaleins, reißt einem den Boden unter den Füßen weg. Eindringlich führt er uns unsere eigene Verlogenheit vor. Das mag viele verstören, gerade in dieser Feelgood-Melancholie. Vielleicht ist es aber genau der richtige Ansatz, uns in solchen Zeiten leise wachrütteln zu wollen.

Land of Talk Indistinct Conversations Cover

Land of Talk – Indistinct Conversations

Ji-Hun: Auf dieses Album habe ich tatsächlich die letzten Jahre gewartet. Die kanadische Band Land of Talk hat sich bei mir in den letzten zehn Jahren als absolute Lieblingsband etabliert und auch „Indistinct Conversations“ ist alles andere als eine Enttäuschung. Songwriting, Gitarren, Indie und starke weibliche Stimmen feiern derzeit Konjunktur und viele gucken auf junge Wundertalente wie Phoebe Bridgers oder Soccer Mommy. Land of Talk veröffentlichten ihr erstes Album bereits 2006. Die Band um Songwriterin und Gitarristin Elizabeth Warren ist ergo älteren Semesters und so gesehen eigentlich eine Art Blaupause für die eben erwähnten Künstlerinnen. So ist wahrscheinlich, dass Land of Talk weiterhin unter dem Radar laufen werden wie die letzten Jahre auch. Was schade ist, aber für Fans ist der große kommerzielle Erfolg nebensächlich. Wer könnte sich auch vorstellen, dass so eine brillante und tiefe Band sich verbiegt und versucht tanzbare Nummern zu machen, um in irgendwelchen Playlisten zu charten. Es ist vielleicht ganz wunderbar so wie es ist. Ich markiere jetzt schon mal die Jahre zum nächsten Album.

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