Algorithmen und ihre GrenzenMastering Engineer Andreas (Lupo) Lubich über den Audio-Service Landr

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Der Weg von einer Songidee zu einem fertigen Klangprodukt ist seit vielen Jahrzehnten der gleiche: Zuerst nimmt man auf, dann kommt die Produktion und am Ende das Mastering. Wie die meisten von uns wissen, wurden durch Laptops und passende Software die ersten beiden Schritte stark demokratisiert. Jeder, der möchte, kann sich mit einer kleineren Investition ein Studio daheim einrichten. Beim Mastering war es bislang anders. Wer ein ernsthaft gut klingendes Endprodukt haben wollte, kam am Mastering Studio nicht vorbei.

Unterdessen macht seit einiger Zeit der Online-Service Landr von sich reden. Landr verspricht professionelles Audio-Mastering zum Mini-Bruchteil des Preises eines echten Studios. Auch das Erlernen von komplizierten Software-Tools kann man sich laut Landr sparen. „Sound like a pro“, lautet die Devise. Das wollten wir uns mal genauer anhören. Aber nicht mit unseren aufgeweichten Ohren, sondern mit denen eines Profis: Andreas „Lupo“ Lubich ist Mastering Engineer bei Calyx in Berlin. Zuvor war er Mitbetreiber von Dubplates & Mastering. Lupos Kundenliste liest sich famos. Er arbeitete unter anderem für Labels wie die Deutsche Grammophon, Running Back, Raster-Noton, Dial, Permanent Vacation, Mute, Delsin und viele mehr. Das Filter hat ihn in seinem Studio besucht und gefragt: Was geht bei Landr überhaupt?

Als du zum ersten Mal von Landr gehört hast, was hast du dir gedacht?
Dass ich es unbedingt einmal ausprobieren muss. Weil es spannend und naheliegend ist, so was zu machen.

Warum?
Weil immer mehr ins Netz verlagert wird. Weil die Technik vorhanden ist, und weil die Bandbreiten da sind. Ich arbeite hier seit Jahren nicht mehr mit CDs. Ich bekomme die Mixe übers Netz und schicke die Master übers Netz zurück. Bei Landr ist es das gleiche Konzept, nur dass da am anderen Ende kein Mastering Engineer sitzt, sondern ein Algorithmus.

Das musst du doch furchtbar finden.
Jein. Heutzutage ist es ja so, dass viel auf Software-Plug-Ins basiert und die sind mittlerweile so gut geworden, dass man alles digital übers Internet machen könnte. Das Problem ist allerdings, dass die ästhetische Komponente völlig runter fällt. Ein Beispiel: Vor einiger Zeit hatte ich Kunden bei mir. Die wollten, dass das Ergebnis wie beim Wu-Tang Clan klingt. Dann weißt du schon mal, in welche Richtung das gehen soll. Aber die Frage ist, wie klingt Wu-Tang Clan? Sehr präsent, ein bisschen „boomy“, auf jeden Fall nicht zu viele Höhen, aber trotzdem gibt es welche. Spätestens da kann ein Algorithmus alleine nicht weiterkommen.

Bei jedem Stück, das du bearbeitest, entwickelst du eine ästhetische Idee?
Klar. Faktoren sind der Künstler, aber auch das Label, auf dem es veröffentlicht werden soll. Welchem Genre und Stil ist die Musik unterzuordnen? Was definiert das jeweilige Genre? Dann kommt hinzu, welche Qualität der Mix des Künstlers hat und vor allem auch die Idee des Musikers. Häufig bekomme ich zu hören: „Vergiss, was ich in den Alben zuvor gemacht habe. Diesmal soll es in eine ganz andere Sound-Richtung gehen. Ich will was Neues!“ Bei Landr gibt es solche Optionen nicht.

lupo landr logo

Logo des digitalen Mastering-Service „Landr“ mit Sitz in Montreal

Was ist dann Landr?
Letztlich eine Art Software, wie es sie vor einiger Zeit schon mit Ozone gegeben hat. Man sucht sich ein zu bearbeitendes Stück aus und wählt aus einer von zahlreichen Einstellungen wie „besonders komprimiert“, „dynamisch“, oder „glänzend mit vielen Höhen“.
Bei Landr hingegen kann man nur die Intensität in drei Stufen auswählen. Das lässt sich mit einem richtigen Master leider nicht vergleichen. Landr reicht aber allemal dafür aus, bei einem Rough Mix einzelne Signale lauter zu machen. Oder wenn man z.B. einen DJ-Mix lauter machen möchte. Der Service produziert aber leider keinen Sound, der nachhaltig ist. Gerade wenn es um Dinge wie Klangcharakter geht.

Es ist eigentlich ein Kompressor?
So wie ich es wahrnehme, ja. Im Grunde genommen handelt es sich um einen dynamischen Equalizer mit einem dreistufigen Kompressor.

Das heißt?
Jede Frequenz in einem Mix kann ich in der Lautstärke regeln. Diese Frequenzen kann man filtern oder hervorheben, um einen ausgewogeneren Gesamtklang zu erzeugen. Es ist vergleichbar mit Equalizern bei alten Stereoanlagen, wo man mit Schiebereglern den Bass lauter oder leiser machen konnte. Im Anschluss daran kommt ein Limiter, ein Kompressor, der beim Überschreiten eines Schwellwerts sofort die Lautstärke absenkt, um einen gleichmäßig lauteren Gesamteindruck zu erzeugen. Wobei das nur eine Vermutung meinerseits ist, nachdem ich verschiedene Sounds getestet habe. Die Ergebnisse klingen allesamt sehr ähnlich. Es fehlt an Transparenz.

Was heißt Mastern eigentlich genau?
Aus Scheiße Gold machen (lacht). Wobei Scheiße vergolden trifft es eher. Ich kann schlechte Musik ja nicht besser machen. Wenn ich zum Beispiel Leuten vom Film erkläre, dass ich so was wie Farbkorrektur mache, dann wissen die sofort Bescheid. Mastering ist der letzte ästhetisch-technische Schritt vor Veröffentlichung eines Musikstücks und soll dort eingreifen, wo man mit dem Mix nicht mehr weiter kommt. In der Regel ist man ein unabhängiges, professionelles drittes Ohr, da die Musiker/Produzenten häufig keinen Abstand mehr zu ihrer Musik haben. Manchmal weiß der Künstler nicht, dass er schon was Perfektes abgeliefert hat. Oder man entdeckt einen Fehler und kann das vor dem Mastering noch ausmerzen. Man berät auch Musiker und Labelbetreiber, was sie beim nächsten Mal besser machen können. Alles Dinge, die zum Prozess des Mastering dazu gehören.

Ein gemasterter Track muss außerdem auf allen Systemen gut klingen. Heute muss es auf iPod-Kopfhörern, auf Laptops, aber auch auf 14-Euro-Saturnlautsprechern gut klingen. Im Zweifelsfall muss ein Track aber auch im Club ballern. Das war früher einfacher. Da gab es, überspitzt gesagt, das Autoradio und die Stereoanlage im Wohnzimmer. Heute haben die Wenigsten noch so was wie eine Musikanlage.

Ich war neulich auf der IFA und es war deprimierend. Die gesamte HiFi-Halle bestand aus USB-Lautsprechern, Soundbars und designten Kopfhörern der Gattung Beats Audio, die nur noch „Oumff, oumff“ machen. Das klingt leider alles überhaupt nicht mehr.

Lupo Portrait

Skeptisch über die Ergebnisse bei Landr: Andreas „Lupo“ Lubich in seinem Studio in Berlin-Kreuzberg. Da ein gutes Master auf allen Anlagen gut klingen muss, stehen dort nebst viel teurer Technik auch 14 Euro-Boxen aus Plastik.

Der englische Producer Four Tet sagt, er braucht kein Master.
Das sagen einige. Skrillex und Momus glaub ich auch. Das kann ich durchaus nachvollziehen, zumal wenn ein Künstler eine ganz klare musikalische Vorstellung davon hat, wie ein Sound zu klingen hat. Das respektiere ich und find es auch völlig okay. Wobei ich gerade bei Four Tet, dessen Musik ich ja sehr mag, schon manchmal denke: Hier und da ein bisschen mehr Feinschliff und es könnte noch besser sein.

Wie oft kommen Leute, die sagen: Ich will jetzt, dass das wie Daft Punk klingt.
Es kommt relativ selten vor. Wenn es aber vorkommt, ist das lustigerweise bei fast 100 Prozent der Fälle so, dass die Vorstellungen vom Master total konträr zum Ausgangsmaterial sind. Wenn ich klingen will wie beispielsweise Daft Punk, wieso nehme ich dann eine Bassdrum, die total anders klingt, oder einen Synthesizer, der nichts im Geringsten damit zu tun hat? Das ist wirklich komisch. Wenn aber im Ausgangsmaterial die Basis vorhanden ist, kann man solche Facetten durchaus herausarbeiten.

Die Idee von Landr findest du aber weiterhin nachvollziehbar, auch weil es sich weiter entwickeln kann?
Es passt sehr gut in die Entwicklung, die seit einigen Jahren stattfindet. Eigentlich fing es mit dem Musik machen auf Laptops an. Firmen wie Ableton und Native Instruments haben die Demokratisierung der Musikproduktion enorm vorangebracht. Man kann heute mit wenig Geld Musik machen. Das erwartet man vom Mastering mittlerweile auch. So gibt es heute einfache Mastering-Softwaretools oder eben Ideen wie Landr.

Das Traurige in meinen Augen aber ist, dass die Wenigsten erfahren können, wozu ein Master eigentlich in der Lage ist. Und so wie Ableton und Native einen bestimmten Sound geprägt haben, ob nun gewollt oder unfreiwillig. So könnte auch Landr eine in meinen Augen zweifelhafte Referenz dafür werden, wie ein Master klingt.

Kann man sich das wie bei einen Instagram-Filter für schlechte Handyfotos vorstellen?
Ja durchaus. Wobei bei Instagram ja zwischen verschiedenen Filtern gewählt werden kann. Es wäre ja durchaus interessant, erst einen Wu Tang-Filter zu benutzen und danach mit einem Daft Punk-Filter zu vergleichen. Vielleicht kommt so was aber noch. Der jetzige Stand von Landr wird nicht das Ende der Fahnenstange sein. Wenn aber alle Leute Ableton, Macbooks und Landr benutzen, besteht die Gefahr, dass am Ende alles gleich klingt. Ich will nicht altmodisch klingen, aber ein bisschen bedauerlich ist diese Entwicklung schon. Trotz schneller Internetbandbreiten hören die meisten nur MP3s, viele Musiker nehmen das erstbeste Preset. Dabei haben wir gerade heute doch die Möglichkeit, so diverse und tolle Sounds zu kreieren. Alle reden über Sounds machen, über die Potentiale und wie toll doch alles ist. Aber die wenigsten schöpfen diese Potentiale aus. Die meisten hören ihre Musik über Beats-Kopfhörer auf ihren Telefonen. Ganz ehrlich, so schlimm wie heute war es eigentlich noch nie (lacht).

Soll man also von Landr die Finger lassen?
Eigentlich ja. Mit einem guten Software-Mulitband-Limiter und ein bisschen Zeit sollten sich bessere Ergebnisse erzielen lassen. Landr hat offensichtlich auch nicht das gerade erwähnte „dritte Ohr“ und scheinbar immer die gleiche Herangehensweise. Was mir auch gefehlt hat, ist ein gewisses Maß an klanglicher Transparenz. Was aber wirklich zu bemängeln ist, ist das Zerren. Egal, was ich ausprobiert habe, ab der mittleren und hohen Intensität gab es sehr oft Clippings. Aus Soundsicht ist das nicht nur im Club ein Desaster.

Aus professioneller Sicht ist das also Mumpitz?
Nicht nur aus professioneller Sicht, weil das Ergebnis häufig schlechter klingt als das Original. Aber noch mal: Ich finde den Ansatz mit dem Algorithmus interessant. Auch, weil ich gerne sehen möchte, wie man so einen Algorithmus weiter entwickeln und auch sozusagen klüger machen kann. Aber das ist ein eher wissenschaftlicher Ansatz. Das Tool auf die musizierende Menschheit loszulassen, könnte man schon als grob fahrlässig bezeichnen.

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