App der Woche: StudytracksMit Grime und HipHop zu besseren Schulnoten
21.6.2017 • Technik & Wissen – Interview & Fotos: Thaddeus HerrmannMit seiner App „Studytracks“ will George Hammond-Hagan das Bildungssystem von hinten aufrollen. Die Idee: Schulstoff – Mathe, Physik, Geschichte, Chemie oder auch Literatur – wird auf Grime- und HipHop-Tracks den Kindern vorgerappt, auch von bekannten Künstlern. Das holt die Jugendlichen nicht nur dort ab, wo sie eh die ganze Zeit stecken – unter dem Kopfhörer –, sondern kann vor allem denjenigen Kids helfen, die der Lehrplan und das Tempo im Klassenzimmer überfordert. Mehr als 150.000 Mal wurde die App bereits heruntergeladen, Schüler und Lehrer sind gleichermaßen begeistert. Im kommenden Schuljahr soll „Studytracks“ in den USA und Großbritannien an ausgewählten Schulen getestet werden. Im Interview spricht Hammond-Hagan über seine Motivation, Hürden und Herausforderungen.
Auch wenn Bill Cosby eigentlich keinerlei Erwähnung mehr finden dürfte und seine gleichnamige Show ohnehin nicht mehr relevant ist: Dieses Video erklärt das Prinzip von „Studytracks“ in knapp zwei Minuten. Also ab dafür.
Genau so funktioniert „Studytracks“, die App von George Hammond-Hagan, natürlich nur moderner. Der Clip aus der „Cosby Show“ zeigt den Teenager Theo Huxtable und seinen Kumpel „Cockroach“, wie sie einen Weg gefunden haben, William Shakespeare nicht nur zu verstehen, sondern auch irgendwie cool zu finden. Anstatt immer wieder den Originaltext durchzuackern, rappen sie ihn einfach runter. Das gleiche Prinzip wendet Hammond-Hagan in seiner App an. Über 800 Tracks umfasst „Studytracks“ bereits, mit denen sich Kids mit ganz unterschiedlichen Fächern und Themen beschäftigen können. Ohne die große Hemmschwelle: Buch auf und lesen. Das macht nicht nur Spaß, sondern hilft auch Kindern mit Lernschwäche. So wie Theo Huxtable in der „Cosby Show“, der Legastheniker ist.
Die Idee ist ganz einfach: Wichtiger Schulstoff, zusammengefasst gerappt und auf Grime- und HipHop-Tracks gebettet. Immer in der richtigen Länge, sodass man sich trotz ernstem Hintergrund wie auf dem Dancefloor fühlt, immer mit der richtigen Anzahl von Wiederholungen, sodass es sich auch einprägt und Lust darauf macht, sich im Unterricht zu engagieren. Denn die App soll das Klassenzimmer natürlich nicht ersetzen, sondern vielmehr versuchen, die Kids initial so zu begeistern, dass sie wieder gerne in die Schule gehen.
Aber kann das überhaupt funktionieren? Hat so eine App wirklich messbaren Erfolg? Hammdon-Hagan sagt: Ja! Erste Tests bewiesen, was er sich erhofft habe: Kinder haben Lust zu lernen, wenn man ihnen nur die richtigen, alternativen Angebote macht. Der Inklusionsgedanke ist ebenso wichtig. Die, die dem strammen Lehrplan nicht schnell genug folgen können und mit dem Frontalunterricht nicht zurechtkommen, werden abgeholt und können aufschließen.
Hammdon-Hagan wuchs in den 80er-Jahren in Großbritannien auf, wurde vom HipHop infiziert und schließlich erfolgreicher Musiker, Songwriter und Produzent. Seine App gibt es zur Zeit nur auf Englisch, in UK und den USA. Doch wenn sein Plan aufgeht und die ersten Praxistests im Unterricht erfolgreich sind, sollen nicht nur weitere Länder folgen, sondern auch Gespräche mit den Bildungsministerien stattfinden, damit die App nicht nur an Privatschulen zum Einsatz kommen kann. Hammond-Hagan gibt sich zuversichtlich. Und er begeisterte auf der MIDEM in Cannes beim Pitch das Auditorium. Im Interview erklärt uns der sympathische Brite die Hintergründe von „Studytracks“.
Was muss vorfallen, um sich mit so einer Idee in den App-Wahnsinn zu begeben?
Als mein Sohn 15 Jahre alt war und wichtige Prüfungen in der Schule ablegen musste, merkte ich, dass er keinen Spaß am Lernen hatte. Er konnte sich nicht konzentrieren, war abgelenkt und hatte nur Musik im Kopf. Ständig hatte er die Kopfhörer auf. Ich habe mir das eine Weile angesehen und natürlich war mein erster Instinkt, ihm die Musik wegzunehmen. Gleichzeitig sträubte sich alles in mir dagegen, immerhin bin ich ja auch Musiker. Ich fragte mich, ob es möglich wäre, die Musik unterstützend beim Lernen einzusetzen. Ich schnappte mir sein Physik-Buch, ging ins Studio und rappte eine zufällig ausgewählte Seite auf einen Beat. Ich spielte ihm das vor und er war begeistert. Er verstand das sofort. Dass man aus diesem Prinzip etwas entwickeln könnte, merkte ich dann ein paar Tage später, als mein Sohn mir erzählte, dass alle in seiner Schule, denen er den Track vorgespielt hatte, Feuer und Flamme waren. Ich habe ein paar weitere Tracks aufgenommen – Mathe, Biologie –, das Feedback blieb positiv. Ich fragte mich: Was muss ich tun, um nicht nur meinen Sohn unterstützen, sondern auch andere Kinder, die genauso ticken?
„Die klassischen Lehrmethoden sprechen die Kinder einfach nicht an.“
Und dann hast du die App programmiert.
Nein. Ich kann gar nicht programmieren. Zuerst dachte ich an eine Website – übersichtlich. Aber das Web ist schwierig, wenn es um Musik und Urheberrecht geht, das hätte auf Dauer nicht funktioniert. Also habe ich für 400 Pfund online einen Prototypen zusammengeklickt. Nur um zu zeigen, worum es geht und dass es funktioniert. Mein Cousin macht in FinTech, der hat mir dann eine minimale Finanzierung besorgt, um mehr Tracks zu produzieren und die App in einen vorzeigbaren Zustand zu bringen. Und dann haben wir die App veröffentlicht. Mit 800 Pfund Marketing-Budget. Mein Ziel war es, irgendwann 10.000 Downloads zu haben. Irgendwann. Nach drei Wochen war das Ziel erreicht. Aktuell stehen wir bei knapp 150.000 Downloads, nur in England und den USA. Die App ist komplett neu und es gibt rund 800 Tracks.
Ich finde es überraschend, wie frisch die Tracks klingen. Viel Grime und HipHop. Das passt ja eigentlich nicht in unsere Bildungssysteme.
Absolut. Aber: Wenn ein Track nicht cool ist, nicht modern klingt und die Kids nicht unter ihren Kopfhörern abholt, dann hätten wir es auch gleich bleiben lassen können. Ich bin Musiker und kein Lehrer, habe mich dem Projekt also ausschließlich von dieser Warte aus genähert. Mittlerweile ist mein Sohn unser Musik-Chef. Er macht das viel besser als ich, weil er als 18-Jähriger genau weiß, was die Jugendlichen hören und was nicht. Im Moment arbeiten wir zum Beispiel an der Umsetzung von Dr. Jekyll & Mr. Hyde; dafür brauchen wir rund zehn Tracks. Die müssen die gleiche Stimmung haben wie der Stoff, den wir vertonen, und auch den Inhalt musikalisch abbilden. Sonst funktioniert es ja nicht. Das gilt für jedes Thema, für jedes Fach. Wir ergänzen uns da sehr gut. Je tiefer ich mich in das Projekt stürzte, desto mehr erinnerte ich mich an meine eigene Schulzeit und mein Studium und wie sehr ich es gehasst habe, mich hinzusetzen und lernen. Dinge aufzuschreiben. Auch da sind wir uns sehr ähnlich. Das Problem ist doch Folgendes: Wenn Kinder in der Schule nicht so funktionieren, wie es von ihnen erwartet wird, bedeutet das ja nicht, dass sie dumm sind. Ganz im Gegenteil. Die klassischen Lehrmethoden sprechen sie einfach nicht an, stimulieren sie nicht. Von den Legasthenikern ganz zu schweigen. Wie kommt man an diese Kinder ran, was kann man ihnen anbieten und ihr Interesse wecken? Es ist eine Tatsache, dass unsere Kinder heute Dinge können und wissen, von denen wir Erwachsenen keinen blassen Schimmer haben. Wir müssen auf die Kinder zugehen.
„Taxi-Fahrer finden Uber auch scheiße. Aber Dinge verändern sich.“
Das sagt sich so einfach. Aber wie finden das denn die Schulen? Die Lehrerinnen und Lehrer, unterbezahlt und überfordert?
Das war das erste Feedback, das ich bekommen habe: Wie willst du mit diesem Konzept in das Bildungssystem? Die werden das nicht gut finden. Ich sage dann immer: Weißt du, Taxi-Fahrer finden Uber auch scheiße. Aber Dinge verändern sich. Fakt ist: Wenn wir mit Lehrern sprechen und ihnen die App zeigen, sind sie genauso enthusiastisch wie die Schüler. So bei der Sache habe ich die Kids noch nie gesehen, heißt es dann oft. Es geht ja nur darum, das Interesse der Kinder zu wecken. Geschichte ist ein gutes Beispiel. Bevor die Römer auf dem Lehrplan stehen, kann der Lehrer den Kids drei Tracks zu diesem Thema als Hausaufgabe mit ins Wochenende geben. Hört euch das an, am Montag reden wir darüber. Ein paar Tunes kann man sich am Sonntag ja mal anhören, und im besten Fall haben die Jugendlichen dann tatsächlich Lust, im Unterricht über Rom zu sprechen und sich mit den Lehrern auszutauschen. Da steht die Tür dann plötzlich offen. All das testen wir im Moment noch. In wenigen Schulen und in enger Zusammenarbeit mit den Lehrerinnen und Lehrern. Wir haben viel Zeit investiert, unsere App so einfach wie möglich in das Curriculum zu integrieren. Oft scheitert es ja schon daran, dass Lehrerinnen und Lehrer vielleicht Interesse, aber einfach keine Zeit haben, sich auch noch mit einer App auseinanderzusetzen. Eine neue Online-Plattform hilft ihnen jetzt dabei. Im kommenden Schuljahr wollen wir jetzt in UK und den USA an einigen Schulen wirklich starten.
Das sind dann Privatschulen, die mehr Freiheiten in der Lehre haben?
Vornehmlich, ja. Natürlich weiß ich, dass es viel Zeit kosten wird, unsere App in Verhandlungen mit dem Bildungsministerium durchzuboxen. Unsere Strategie ist es daher, im kleinen Rahmen zu starten und mit vorzeigbaren Ergebnissen dann in diese Diskussion einzusteigen. Wir wollen die führen, unbedingt. Und hoffen, dass unsere App nach dem Schuljahr 2017/2018 in rund 200 Schulen im Einsatz gewesen sein wird. Alles wird dokumentiert, das sollte dann Argument genug sein. Das ist ja letztendlich genau wie mit der Musik. Als junger Künstler, der noch nichts vorzuweisen hat, stelle ich mich auch nicht vor die BBC und warte darauf, dass sie meinen Song spielen.
Um die App für iOS oder Android zu laden, braucht man ein App-Store-Konto in den USA oder Großbritannien.