Kinder an die MachtWie das Junior Lab den Kleinsten Coden, Hacken und Hardware basteln beibringt
14.10.2016 • Technik & Wissen – Interview: Susann MassuteHat noch jemand eine ähnlich dröge Erinnerung an den – wenn überhaupt vorhandenen – Informatikunterricht in der Schule? Ein kurz vor der Pensionierung stehender Mathe- oder Physiklehrer lehrt junge Menschen noch weit über das Jahr 2000 hinaus eine überalterte Programmiersprache wie Turbo Pascal und lässt sie so spaßige Dinge wie einen Zufallsgenerator programmieren. Die Schülerinnen und Schüler wissen sich nur mit dem ausgedehnten Spielen von Blobby Volley oder Minesweeper zu helfen und jeglicher, existenter Technikenthusiasmus wird im Keim erstickt.
Sven Ehmann wäre eine Rettung für all die Informatikunterricht-Geplagten gewesen: Vor zwei Jahren kam ihm die Idee zum Junior Lab, ein Workshop für Kinder zwischen 8 und 14 Jahren, in dem sie spielerisch zahlreiche Anwendungen von Soft- und Hardware kennen lernen. Mit ganz zeitgemäßen Methoden wie der Physical-Computing-Umgebung Arduino, 3D-Drucken oder dem Erlernen von Programmiersprachen können die Mädchen und Jungen Spiele entwickeln, kluge Kleidung erfinden oder Superhelden bauen. Ihnen zur Seite steht ein bunt gemischtes Mentoren-Team aus Künstlern, Designern, Technikern, Pädagogen, Start-up-Gründern und Spielzeugentwicklern. Das Filter sprach mit dem Initiator darüber, wie eine Ampel den Anstoß für das Junior Lab gab, wie wichtig Spaß bei den Ferien-Workshops ist und was er sich unter dem Buzzword „Technologieverständnis“ eigentlich vorstellt.
Wie kommt man auf die Idee zu einem Junior Lab?
Morgens auf dem Schulweg mit meiner Tochter. Zumindest hat sie da ihren Ursprung. Auf diesem Weg bleiben wir jeden Morgen an der selben Ampel, auf der selben Mittelinsel stehen und irgendwann sagte meine Tochter „wenn ich eine Erfinderin wäre, würde ich eine Ampel erfinden, die uns sieht und noch rüber lässt“. Und ich dachte: „1 Sensor, 1 Microcontroller, 3 LEDs, 1 Klopapierrolle und 2 Plastikfiguren und heute Abend haben wir einen Prototypen dieser Idee.“ Ich selbst weiß zwar, dass es geht, aber leider nicht wie.
Also haben wir ein paar Veranstaltungen besucht, auf denen Kinder den Umgang mit Hard- und vor allem Software lernen können, aber so richtig Klick hat es nicht gemacht. Letztendlich entstand gemeinsam mit Wolf Jeschonnek vom Fab Lab Berlin die Idee, es selbst zu machen. Und zwar so, dass es für Kinder funktioniert, die noch kein bestehendes oder ausgeprägtes Technikinteresse haben. Spaß machen sollte es natürlich auch.
Wie hast du ein so vielseitiges und großes Team aufgestellt?
Das Team hat sich auf wundersame Weise ergeben und von Veranstaltung zu Veranstaltung weiterentwickelt. Einige der Mentoren kannte ich bereits, andere kamen über das Fab Lab. Oft haben die Mentoren wiederum Freunde oder Bekannte gehabt, die helfen konnten und sich untereinander gut ergänzten. Manchmal sind wir auch von einer Idee, einem Thema oder einer Technologie ausgegangen und haben uns dann auf die Suche nach einem Experten oder einer Expertin gemacht. Das hat über Mundpropaganda gut funktioniert.
Welche Reaktionen erfährst du von Kindern, die Junior Lab besucht haben? Und welche von ihren Eltern – bekommen die selbst Lust auf solche Workshops?
Die Kinder sind fast immer total bei der Sache. In der Zeit, in der wir das Junior Lab machen, haben nur zwei Kinder frühzeitig aufgehört. Andere kommen schon zum dritten oder vierten mal zu uns. Besonders toll ist, die Kinder dabei zu beobachten, wie sie sich die Aufgaben und Themen zu eigen machen. Berührungsängste mit Technologie gibt es keine, Ideen und Fragen dafür ohne Ende. Zum Schluss sind alle stolz darauf, dass sie etwas gebaut haben, von dem sie wenige Stunden zuvor noch gar keine Ahnung hatten.
Natürlich sind auch die Eltern stolz, wenn sie Ergebnisse am Ende der Woche sehen – und oft auch ein bisschen neidisch. Wir sind bereits Ostern 2015, also direkt zu Beginn des Junior Lab, gefragt worden, wann wir mit einem Senior Lab starten würden. Momentan gibt es dazu aber noch keine Pläne.
Gibt es einen Alltime-Favorite bei den Workshops? Was kommt bei den Kindern gut an?
3D-Drucken ist für die meisten unglaublich faszinierend. Das ist immer eines der Highlights. Das Programm ist grundsätzlich so angelegt, dass die Kids einen Querschnitt an Themen, Technologien und Herausforderungen erleben. Mal geht es mehr ums Basteln, mal mehr ums Verstehen und Ausprobieren. Dann mehr um Hardware, aber dann wieder auch um Software. Ich glaube in dieser Abwechslung steckt etwas, das den Kindern gefällt. Es wird nicht langweilig.
Wie kann man Kindern komplexe Prozesse wie das Programmieren ohne Frust nahe bringen?
Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass jeder Workshop da anfängt, wo die Kinder schon ein Interesse, eine Erfahrung oder eigene Ideen mitbringen. Deshalb gibt es bei uns nicht den Programmierworkshop oder den Arduino-Workshop, sondern den Musik-, Gaming-, Mode- oder Superhelden-Workshop und innerhalb dieses Themas setzt dann die jeweilige Technologie an.
Auf der anderen Seite gehört eine gewisse Frusttoleranz natürlich auch zu jedem Lernprozess dazu. Wir bemühen uns deshalb, schon ganz am Anfang klar zu machen, dass im Junior Lab nicht immer sofort alles richtig gemacht werden muss. Denn es geht gerade ums Ausprobieren, Fehler machen, Nachdenken, Nachfragen, noch mal ausprobieren und dann besser machen als zuvor. Auf diesem Weg entstehen viel intensivere Lernerlebnisse.
Nun startet die vierte Junior-Lab-Ausgabe. Habt ihr wiederkehrende Besucher/innen? Wie nachhaltig ist das Erlernte? Entwickeln die Kinder in ihrer Freizeit weiteres Interesse?
Es gibt sicher sechs bis acht Kinder, die schon mehrfach dabei waren. Wir haben sogar einen Teilnehmer gehabt, der beim darauffolgenden Mal schon als Workshop-Assistent mitmachen konnte. Von einigen habe ich mitbekommen, dass sie in ihrer Freizeit eigene kleine Projekte realisiert haben, etwa einen Film geschnitten und vertont, etwas programmiert oder in 3D gebaut. Aber auch bei den Kindern, die sich nach dem Besuch im Junior Lab nicht zuallererst einen Lötkolben wünschen, glaube ich, dass sie wissen, dass ihnen diese technischen Möglichkeiten zur Verfügung stehen – wenn sie nur wollen.
Was hättest du gerne in deiner eigenen Kindheit gelernt?
Ich hätte gerne früher gelernt ein Instrument zu spielen. In meiner Schulzeit galt der Musikunterricht fast ausschließlich dem Erlernen von Noten. Ich konnte mich nie dazu motivieren, weil ich nicht wirklich verstanden habe, was diese Noten mit mir und mit Musik zu tun haben. Wenn wir im Musikunterricht nur eine Stunde an die Instrumente gedurft hätten, wäre ich danach viel offener für die Notenlehre gewesen. Dazu ist es aber nicht gekommen. Bei Hard- und Software ist es ähnlich. Ich glaube, man lernt eher zu Programmieren, wenn man weiß, was man damit erreichen kann.
Siehst du deine Arbeit politisch? Ist deiner Meinung nach das Verstehen und Beherrschen von Technologien am Ende auch Macht?
Ich sehe unser Tun eher sozial als politisch, eher als Ermächtigung denn als Machtinstrument. Aber es geht in der Tat nicht nur um Kinderbespaßung. Wir sehen in dem, was im Junior Lab seinen Anfang nimmt, die Möglichkeit einen Impuls gegen Fachkräftemangel oder Technologieskepsis oder übertriebene Technologieeuphorie und Leichtgläubigkeit zu setzen. Wenn es gut läuft, tragen wir dazu bei, dass Kinder selbstbewusster, kritischer und kompetenter mit den Medien, Technologien und Herausforderungen ihrer Zeit umgehen – ein bescheidener Beitrag, aber immerhin!
Müsste so etwas nicht viel mehr in Schulen stattfinden?
Eine Frage, die uns immer wieder erreicht. Im Moment ist meine Antwort darauf: Ich finde es gut, wenn Junior Lab ein tolles Ferien- und Freizeitangebot ist, auf das Kinder und Eltern Lust haben. Etwas, das Spaß macht, das sich nicht wie Schule anfühlt, aber auch ganz klar ein Lernerlebnis bietet.
Ich merke gleichzeitig deutlich, wie viel Bewegung in den klassischen Bildungseinrichtungen entsteht. Wie groß das Interesse und zum Teil auch die Frustration ist. Überall wo Leute sind, die so ticken wie unsere Mentoren, könnten und sollten Junior Labs stattfinden. Vielleicht in Schulen, vielleicht auch in Bibliotheken oder anderen Einrichtungen, in den Foyers von Unternehmen, in Zirkuszelten … man könnte über vieles nachdenken.
Gibt es Bestrebungen, das Junior Lab länger, über die Ferien hinaus zu betreiben und auch in anderen Städten?
Ja, das ist unser großer Wunsch für das kommende Jahr. Wir waren vor ein paar Wochen in Wien und werden Anfang November in Baden-Württemberg sein. 2017 soll es mehr „on the road“ gehen. Wenn alles gut läuft, fahren wir in den Sommerferien einmal quer durch Deutschland. Dabei wollen wir nicht nur in den großen Städten Halt machen, sondern gerne auch in der Provinz. Denn oft genug sitzen dort total spannende Unternehmen, die wir gerne als Partner für das Junior Lab gewinnen würden.
Das Junior Lab findet immer in den Oster- und Herbstferien in Berlin statt. Das nächste Mal ab dem 24. Oktober. Wer Interesse daran hat, am Junior Lab mitzuwirken oder es in die eigene Stadt zu holen, kann sich sehr gern an hurra@juniorlab.de wenden.