Halb Motorrad, halb Roller. Der C 400 X ist der erste Midsize-Scooter aus dem Münchener Traditionshaus BMW Motorrad. Vor allem im urbanen Verkehr könnte so ein Konzept für die Zukunft eine immer größere Rolle spielen, glauben die Macher dahinter. Ji-Hun Kim durfte Probe fahren.
Urbanität und Mobilität wandeln sich derzeit wie kaum ein anderer Gesellschafts- und Fortschrittsbereich. Konzepte wie Sharing-Plattformen, die vor zehn Jahren noch unvorstellbar gewesen wären, gehören heute zum Großstadtalltag und das bekannte Paradigma – ein Haushalt, (mindestens) ein Auto – zählt derweil zu Denkweisen eines vergangenen Jahrhunderts. Mobilität ist modular geworden. Man kann ein Fahrrad besitzen, aber dennoch Bike-Sharing in der Großstadt nutzen. Man muss kein eigenes Auto mehr haben, um auf vier Rädern individuell mobil zu sein. Es gibt ja Car-Sharing.
Derzeit bewegt sich eine Menge im Sektor Zweirad. Gehypte Pedelecs und Roller, wie die von Emmy oder Coup, die auf Plattform-Basis gemietet werden können, erfreuen sich großer Beliebtheit. Die zumeist elektrischen Motorroller reichen für den städtischen Gebrauch mit rund 45 Spitze aus. Der Ausflug zum See im Berliner Umland wird damit aber eher beschwerlich, auch dürfte die Batterie-Reichweite dafür nicht reichen. Das nächste große Ding (laut Silicon Valley) sollen nun elektrifizierte Tretroller sein. Hier spricht man von der disruptiven Revolution vom Last-Mile-Transit – also: Wie komme ich von der Haustür zur Tram-Station? Aber wie sieht es am anderen Ende des Leistungsspektrums aus?
BMW Motorrad hat kürzlich den ersten Midsize-Scooter der Firmengeschichte präsentiert. Der BMW C 400 X soll erstmalig in eine Nische vordringen, die hierzulande noch relativ unbekannt ist. In Südeuropa und Asien, wo der Verkehr gerne mal etwas rudeliger und rauschhafter ist, gehören solche Motorrad-Roller aber zum fest etablierten Stadtbild. Absatztrend: steigend. In Barcelona sind Polizisten auf solchen Rollern unterwegs. Bisherige Platzhirsche im Midsize-Segment sind die Modelle Yamaha X-Max 400 und Kymco Xciting 400i. BMW Motorrad möchte hier aber (Tradition verpflichtet) erstmalig ein Premiumprodukt etablieren. Wie wird das gelingen? Und: Wer braucht so etwas?
Auch wenn der C 400 X wie ein Roller bedient wird, handelt es sich streng genommen um ein Motorrad. Heißt, man braucht den entsprechenden Führerschein. Dafür gibt es 34 PS Leistung aus 350 ccm Hubraum, eine Beschleunigung von 0 auf 50 in 3,1 Sekunden. In 9,5 Sekunden ist man bei 100 km/h angekommen. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt laut Factsheet 139 km/h. Auf der Testfahrt konnten sogar ein paar km/h mehr rausgeholt werden. Mit 3,5 Litern kommt man 100 Kilometer weit. Der C 400 X lässt sich also ohne Bedenken auf der Autobahn fahren und kann mit anderen Motorrädern durchaus mithalten.
2011 erschienen die ersten Scooter von BMW Motorrad. C 600 Sport und C 650 GT bespielten das sogenannte Maxi-Segment. 2014 kam mit dem C evolution der erste vollelektrische Scooter auf den Markt. Visionär, leise und in der Beschleunigung enorm flott, dafür mit knapp 15.000 Euro auch sehr kostspielig. Der C 400 X, der im Oktober in den Handel kommt, startet bei 6.800 Euro. Das Portfolio wird somit am unteren Ende ergänzt.
Stilfrage
Motorrad fahren ist bei vielen eine Stilfrage. Ob Chopper, Supersportler, Enduro, Craft-Bike oder Tourenmaschine – man fährt immer auch ein Statement mit sich herum. Motorradfahrer sind bekanntlich eine eingeschworene Gemeinde, man nickt sich unbekannterweise zu, man organisiert sich und trifft sich zu gemeinsamen Touren am Wochenende oder raubt zusammen Banken aus. Bei vielen ist es ein Lifestyle, von einigen teils kultisch exerziert und verehrt. Midsize-Scooter spielen in diesen Szenen bislang keine Rolle. Sie werden indes eher für die praktischen, täglichen Routinen und Routen genutzt. Persistente Arbeitstiere, die schnell und wendig den Arbeitsweg von den Suburbs in die Innenstadt und zurück absolvieren. Scooter kennen nämlich weder Staus noch mühsame Parkplatzsuchen. Im Vergleich zum Auto noch immer eine starke USP.
Daheim in Berlin fahre ich ein altes Rennrad. Das ist schick und die Fahrradwerkstatt in meinem Kiez wollte das Rad nach einem Schlauchwechsel gar nicht wieder rausrücken, weil man sich das Stück daheim am liebsten an die Wand gehangen hätte. Ein natürlich tolles Kompliment. Aber so ein altes Rennrad ist im Alltag eben auch unpraktisch. Schlecht für den geschundenen Computerrücken, miserabel gefedert, mühsam anzuschließen. Vielleicht a bisserl fesch, aber ursprünglich ja ein Sportgerät und für die Stadt auch damals schon gar nicht gedacht. Wer einmal ein modernes, sicheres und robustes Citybike gefahren ist, weiß: Diese Modelle sind vielleicht nicht so stylish wie hochpolierte, artisanale Vintage-Perlen oder Fixies, aber doch weitaus bequemer und ja, irgendwie auch besser. Wie praktisch doch ein Fahrradständer sein kann. Und erst der Dynamo und dann noch der Korb! Man fragt sich, ob Vernunft oder Alter an dieser Erkenntnis schuld sind. Es könnte beides sein. Jogginghose trägt sich schlichtweg komfortabler als ein weißer Smoking. Hätte ich Anfang 20 nicht gesagt.
Coolness-Frage
Reden wir nicht lange rum. Midsize-Scooter sind irgendwie alles andere als cool. Es gibt keine ikonischen, klassischen Design-Referenzen, was auch daran liegen mag, dass die Kategorie an sich noch sehr neu ist. Und es gibt auch wenig große Geschichten wie bei anderen Bikes (Easy Rider, Quadrophenia, Che Guevara, Evil Knievel, Valentino Rossi, Paris-Dakar) zu erzählen. Der BMW C 400 X sieht auf dem ersten Blick dementsprechend auch ein wenig „dazwischen“ aus. Zu groß und aggressiv-bullig für eine putzige Vespa, zu sesselig für ein sportliches Motorrad. Das Design suggeriert: Hier steht ein Crossover. Das Beste aus zwei Welten. Toast Hawaii und Currywurst mussten sich auch erst etablieren. SUVs hielten die meisten vor 15 Jahren auch für eine Schnapsidee mit der Lebensdauer eines brennenden Böllers. Zu Beginn vielleicht gewöhnungsbedürftig, aber man freundet sich an. Am Ende des Tages gefällt er sogar richtig gut. Es fühlt sich irgendwie modern an.
Lange Zeit handelte es sich um ein Stiefkind in der Branche, aber Konnektivität und die Nutzung digitaler, mobiler Services sind endlich auch bei Motorrädern angekommen. Optional gibt es dafür beim C 400 X ein System mit zentralem TFT-Display, mit dem Navigation, Musik und andere Features vom Smartphone bedient werden können. Die Steuerung des Connectivity-Pakets erfolgt über ein multifunktionales Drehrad am linken Lenkergriff. Das ist haptisch, logisch und gut gelöst. Das Interface ist grafisch minimal gehalten, um während der Fahrt möglichst wenig abzulenken. Die dazugehörige App gibt es für Android und iOS und man spürt, dass die Erfahrung der Autoschwester BMW in dem Gebiet einen guten Einfluss auf die Entwicklung der Interfaces ausgeübt hat. Die Kopplung fiel beim Test hier und da mal hakelig aus, wenn die Bluetooth-Verbindung aber einmal stand, funktionierte das System recht zuverlässig. Viele Motorradhelme verfügen heute über Bluetooth. Diese können ebenfalls mit dem System genutzt werden. So lassen sich Navigationsanweisungen über Sprache ansagen oder die Lieblings-Musik-Playlist vom Handy streamen. Alles zusammen eine sinnvolle Angelegenheit, wenn auch noch nicht perfekt. Aber Software lässt sich zum Glück ja tweaken. Von Premiumautos kennt man Keyless-Technologien. Auch beim C 400 X kann der Motorradschlüssel in der Jacke bleiben. Per Sensor erkennt die Maschine, dass der Besitzer vor Ort ist und macht sich so startbereit. Nicht unbedingt notwendig, aber gerade beim ständigen Gefriemel mit Handschuhen und Helm doch recht praktisch. Ebenfalls als Sonderausstattung erhältlich: Sitz- und Griffheizung, um die Saison zu verlängern, falls es der Klimawandel nicht ohnehin schon tut.
Der C 400 X lässt sich trotz seiner 200 kg Gewicht prima fahren und manövrieren. Er hängt gut und elastisch am Gas, ist agil und fräst sich satt und stabil in die Kurven. Auf der Landstraße lässt er sich vom Handling wie ein Motorrad an. Die Bremsen lassen sich intuitiv dosieren. Man kann ihn rhythmisch mit der Hüfte in die Kurven drücken, der Scooter zieht mit wie aufgezogen. Ein sportliches, valides, stringentes Fahrgefühl stellt sich ein, und die wertige Ausführung und Verarbeitung untermauern den Anspruch: Man fährt ja immer noch BMW. Trotz aller potentiellen Vorurteile wirkt das alles durchdacht, solide und ziemlich ausgereift. Und man ist erstaunt, wie komfortabel man auf so einem Scooter dahin cruist. Nicht wie bei einem Sportmotorrad, wo man das Vehikel umschlingt wie einen wackeligen Sprungbock aus dem Turnunterricht. Man sitzt hier aufrecht wie auf einem bequemen Stuhl. Die Füße können frei positioniert werden. Schalten brauchen sie dank Automatik ohnehin nicht. Man könnte „Westworld“ auf dem Sitz gucken, das ist schon recht bequem. Das Handling und die Federung vermitteln ein präzises Gefühl von der Straße, und für nicht allzu lange Strecken wünscht man sich plötzlich nichts anderes mehr. Es macht halt viel Spaß, sich an Blechlawinen vorbeizuschlängeln und beim Ampelrennen in der Stadt auch Sportwagen Paroli bieten zu können. Aber auch außerorts lassen sich Wochenenden mit sportlichen Ausfahrten dekorieren. Es gibt den Fahrspaß eines Motorrads, ohne dabei so angsteinflößend wie so manch übermotorisiertes Sportmotorrad zu sein. Ziemlich cool. Wer hätte das gedacht?
Warum-Frage
Es gibt in der Verkehrsforschung den sogenannten Besetzungsgrad. Bei Pkw beträgt er bei dienstlichen Wegen 1,1, bei Wegen zur Arbeit 1,2. Bedeutet also, in zehn Autos sitzen durchschnittlich 11 bzw. 12 Menschen, wenn es um den berüchtigten Berufsverkehr geht, der täglich die Straßen zur Rushhour verstopft. Die allermeisten Autos transportieren also nur den Fahrer und benötigen dafür viel zu viel Platz auf Straßen und Abstellflächen. Wie würden Städte wie Stuttgart, Berlin und München funktionieren, wenn weniger Autos, dafür mehr Roller auf der Straße fahren würden? Wenn man aus Pforzheim, Potsdam oder Starnberg mit einem Midsize-Scooter statt mit einem Auto zur Arbeit käme? Würde sich die Lage ein wenig entspannen? Denn dass in Zukunft weniger Menschen in Ballungsgebieten leben werden, ist eher unwahrscheinlich. Die oft zitierte Mobilität der Zukunft wird nicht durch die eine Idee definiert werden. Gratis-ÖPNV könnte genauso eine Rolle spielen wie autonome Taxi-Kapseln. Die Argumente pro motorisierte Zweiräder werden indes aber auch nicht weniger. Ein bisschen mehr Akira. Wieso nicht? Vielleicht bekommt der C 400 X eine elektrische Version. Es wäre wünschenswert. Genauso die Tatsache, dass man solche Scooter demnächst in der Stadt über eine Sharing-App mieten kann. Meine Kontonummer gebe ich dafür gerne her.