Großes DJ-KinoRomuald Karmakars „Denk ich an Deutschland in der Nacht“
13.2.2017 • Film – Text: Christian BlumbergKeine Techno-Dokumentation nach Schema F: Romuald Karmakar nähert sich in seinem neuen Film dem Dancefloor und seinen Protagonisten auf respektvolle und ungewöhnliche Art. Der Regisseur, der das Prinzip des Boiler Room bereits Anfang der Nullerjahre erfand, baut die Wucht der Musik nicht in schnellen Schnitt-Sequenzen nach, sondern konzentriert sich vielmehr auf die stillen Momente. Und lässt Ricardo Villalobos, Move D, Sonja Moonear, Ata und Roman Flügel einfach machen. Eine unbedingte Empfehlung von Christian Blumberg: Der Film läuft noch drei Mal während der Berlinale, bevor er im Mai in die Kinos kommt.
Als ihm die Erleuchtung kommt, hat David Moufang aka Move D den Heidelberger Philosophenweg erklommen und steht unter einem Birnbaum. Die Vögel singen, der Wind geht, alles ist Musik für Moufang. Und dann erzählt er, wie alles irgendwie mit allem zusammenhängt: der Birnbaum, der Techno, das Weltall, sogar Sun Ra und der Wissenschaftsstandort Heidelberg. Moufang weiß genau, wie fürchterlich bekifft er gerade klingt, er muss ja selbst lachen. Aber ergriffen ist er trotzdem, ganz aufrichtig. Romuald Karmakar hat Moufangs Monolog eingefangen, weitestgehend ungefiltert. Es ist vielleicht die amüsanteste, vor allem aber eine durch und durch liebevolle Beobachtung in seinem neuen Film Denk ich an Deutschland in der Nacht. Einem Film, der aus lauter beobachtenden Einstellungen besteht: sehr vergnüglich und sehr ernst zugleich.
Karmakar und Clubmusik, das gab es schon häufiger. Zum Beispiel 2003. Da drehte er mit 196 BPM einen einstündigen Film. Ein Dokument, kein Dokumentarfilm. Man sah damals vor allem DJ Hell, Karmakar filmte ihn frontal ab, im Berliner WMF. DJ Hell drehte Regler, wendete Vinyl, alles ungeschnitten. Visuell nahm 196 BPM im Prinzip das „Prinzip Boiler Room“ vorweg: die starre Kamera, der DJ, dahinter Menschen.
Manchmal liefen Clubbesucher auch in den Bildausschnitt. Wenn Hell gerade nicht den Körper im Takt nach links und rechts stemmte, verlegte man als Zuschauer die Aufmerksamkeit auf die Geschehnisse im Hintergrund. Lauter kleine Vorgänge gab es da zu sehen, Tänzer, Zigaretten, gezückte Mobiltelefone: angerissene Geschichten, die man selber weiterspinnen konnte. Der Hintergrund war eigentlich kein Hintergrund.
Keine Geschichte der Clubkultur
Das ist auch im neuen Film so. Allerdings hört man heute nur noch selten Techno bei 196 BPM, so wie man ja Techno überhaupt etwas seltener hört. Während jüngere DJs zunehmend einen Netz-geschulten, hyperaktiven und alles andere als hypnotischen Sound durch die Clubs peitschen, stehen die Protagonisten aus Denk ich an Deutschland in der Nacht für die gerade Bassdrum. Ata, Move D, Sonja Moonear, Roman Flügel und Ricardo Villalobos (dem der Regisseur 2009 bereits einen eigenen Film widmete) mögen zwar nach wie vor bestens gefüllte Auftragsbücher haben, sind inzwischen aber eben auch ZeitzeugInnen einer rund 25 Jahre andauernden Ära von House und Techno. Deswegen macht es auch Sinn, dass Karmakar sie nicht nur als arbeitende DJs und Musiker portraitiert, sondern sie gleichsam als Talking Heads in den Film implementiert, sich also einer inzwischen etwas angestaubten Form bedient, die aber im Umgang mit Zeitzeugenschaft noch immer Konjunktur hat.
Doch Karmakar geht es eben nicht darum, eine Geschichte der Clubkultur zu erzählen, die von Interviewschnipseln möglichst schlüssig belegt werden soll. Seine ProtagonistInnen dürfen auch mal den Faden verlieren oder Blödsinn erzählen. Als Chronist und Erklärer historischer Zusammenhänge versucht sich hier einzig Ata. Roman Flügel erzählt dagegen von Partys in Zeiten des Terrors und Ricardo Villalobos gibt den Soundtüftler. Vor seinem Maschinenpark sitzend, kleidet er Funktionsweisen von Musik in Sprachbilder, die ebenso einleuchtend sind wie spontan – und gerne auch ein bisschen schief. Es ist eben kein Film der fertigen Statements, eher ein Film der Verfertigung.
Konzentration auf das vermeintlich Unwesentliche
Trotz des Fehlens eines erklärenden Narrativs verfertigt sich in diesem Film tatsächlich das Portrait einer ganzen Kultur: Denk ich an Deutschland in der Nacht zeigt Produktion, Rezeption und einen ideellen Wert, der als etwas geradezu Religiöses immer wieder anklingt. Dies gelingt trotz oder gerade wegen der Konzentration auf das vermeintlich Unwesentliche. Beinahe analytische Funktion haben etwa Clubszenen, in denen die Perspektive von 196 BBM umgekehrt wird: Die Kamera fokussiert nicht länger die DJs, sondern blickt ihnen über die Schulter und ins Publikum. Das tut, was ein Clubpublikum eben so tut, ob im Robert Johnson oder im Club der Visionäre. Zu hören ist jedoch, was eigentlich nicht zu hören ist: Die Tonspur bildet nicht die im Saal laufende Musik ab, sondern was die Kopfhörer der DJs ausgeben, während sie mixen, Tracks vorhören und die Nadel auf der nächsten Schallplatte platzieren.
Karmakar beweist sich mit Denk ich an Deutschland in der Nacht erneut als Formalist. Er benutzt nur eine Kamera, vermeidet Schnitte, will nicht inszenieren und nicht deuten. Überhaupt ist sein empathischer, zugleich elegant distanzierter Stil einer des Weglassens. Er unterlässt jede Bebilderung dessen, was seine ProtagonistInnen erzählen, er unterlässt vor allem, was Musikdokumentationen gemeinhin tun, nämlich die Wucht der Musik durch rasante Montagen nachzubauen. Karmakar präferiert stattdessen die stillen Momente. Das Aufleuchten der LEDs an Sonja Moonears Drumcomputer wird genauso konzentriert eingefangen wie der Moment, in dem Villalobos einen Stecker aus dem Modulsystem zieht oder Moufang am Spliff. Und tänzelt ein DJ mal aus dem Bild, schwenkt die Kamera ihm nicht hinterher, sondern schaut einer im ewigen Takt wackelnden Monitorbox zu.
Denk ich an Deutschland in der Nacht
Deutschland 2017
Regie: Romuald Karmakar
Mit: Ricardo Villalobos, Sonja Moonear, Ata, Roman Flügel, David Moufang
Kinostart: Mai 2017