Das Leben in BrooklynBerlinale 2017: „Golden Exits“ von Alex Ross Perry
10.2.2017 • Film – Text: Christian BlumbergEr gilt als Vertreter eines subtilen US-Indiekinos: Regisseur Alex Ross Perry kehrt zurück zur Berlinale. „Golden Exits“ ist Milieustück und Panoptikum zwischenmenschlicher Beziehungen, dabei aber zu wenig dramatisch, um es ein Beziehungsdrama zu nennen.
„Niemand dreht Filme über gewöhnliche Leute, die nichts als gewöhnliche Dinge tun.“ Diese Beobachtung macht eine der Figuren in Golden Exits gleich zu Beginn. Und sie ist freilich programmatisch zu verstehen: Dramaturgische Zuspitzungen haben den US-amerikanischen Regisseur Alex Ross Perry schon immer nur am Rande interessiert. Wohl aber die profan erscheinenden Dramen, die seine Figuren mit sich und ihren Mitmenschen durchleben. Perrys „gewöhnliche“ Figuren – das muss man einschränkend bemerken – sind im neuen Film allesamt weiß, mittelalt, gehören einer urbanen Mittelschicht an und haben Jobs im Kulturbetrieb von New York City. Der Film zeigt sie an ihren Schreibtischen, in ihren Küchen und den Bars von Brooklyn. Sie unterhalten sich, gehen arbeiten und anschließend etwas trinken, machmal starren sie einfach nur Löcher in die Luft. Sie sind gut gekleidet und ein bisschen unglücklich sind sie auch. Die Verkrachtheit ihrer Existenzen hält sich jedoch im sozialverträglichen Rahmen. Es sind eben Großstädter mit ihren Großstadt-Problemen, und das sind ganz bestimmt nicht gleich Neurosen, obgleich die Ausgangssituation von Golden Exits auch die eines Films von Woody Allen sein könnte.
Die junge Australierin Naomi kommt für ein studentisches Praktikum ein paar Monate in die Stadt und bringt die Leben derer, denen sie begegnet, ein wenig durcheinander (wirklich nur: ein wenig). Die Frauen, auf die Naomi trifft, versuchen sie als Verbündete zu gewinnen, um sich letztlich die eigenen Lebensentwürfe bestätigen zu lassen. Die Männer prüfen hingegen zumindest theoretisch die Möglichkeit einer romantischen Verbindung zu Naomi. Da ist etwas ihr Chef Nick. Nick ist Archivar und Mitte 40. Er ist wahrlich kein ladies man, doch allein die Anwesenheit einer Praktikantin in seiner sonst so isolierten Arbeitsstätte stellt ihn vor die Frage, ob er sich nun die eigene Männlichkeit noch einmal beweisen müsste. Leises Misstrauen schleicht sich deshalb in die Beziehung zu seiner Partnerin Alyssa, größere Turbulenzen bleiben hingegen aus.
Studie der Einsamkeit
Das kann man nun alles sehr langweilig finden, die Stärke von Perrys Film liegt aber gerade in seiner Unaufgeregtheit und dem lakonischen Erzählstil. Es ist eine nüchterne und sehr präzise Bestandsaufnahme von Menschen, deren Biografien eigentlich keinen Filmstoff hergeben. Was sie eint, ist die Tatsache, dass sie ihre Probleme letztlich mit sich selbst auszumachen haben – Golden Exits ist in weiten Teilen auch eine Studie der Einsamkeit innerhalb sozialer Beziehungen (und einem sozialen Milieu). Und Perry weiß diese Einsamkeiten auch in filmische Parameter zu übersetzen. Es dominieren Großaufnahmen von Gesichtern, und von den sich in diesen Gesichtern offenbarenden Affekten. Es dominiert damit auch eine Einstellungsgröße, in der Figuren zwangsläufig ganz für sich bleiben. Sie bleiben sie selbst in Unterhaltungen: Wenn Nick und seine Partnerin Alyssa miteinander sprechen, sitzt Nick meist mit dem Rücken zu ihr am Schreibtisch. Oder aber die Beiden geraten abwechselnd von links und rechts in den Frame, begegnen sich flüchtig im Bild und verschwinden wieder im Off – die Kamera fixiert stattdessen den Küchentisch, auf dem eine Flasche Olivenöl vergeblich auf ihre Benutzung wartet. Diese Tristesse wird immer wieder gerahmt von sonnendurchfluteten Einstellungen der Straßen von Brooklyn und gefälligem Jazz – der Sommer hält Einzug in New York, doch in die Wohnungen vermag er kaum vorzudringen, das Licht in den Innenräumen wirkt stattdessen zunehmend artifiziell.
Es ist tatsächlich keine Floskel, Golden Exits einen leisen Film zu nennen. Nie erhebt hier jemand die Stimme, der Score bleibt konsequent unaufdringlich. Es ist deshalb auch ein Film, um den man sogleich Sorge hat, er könne im Trubel eines Festivals leicht untergehen. Vor zwei Jahren war Alex Ross Perry schon einmal im Forum der Berlinale vertreten: mit dem ähnlich stillen, überaus klugen Film Queen Earth. Der mauserte sich damals zu einem Geheimtipp der Berlinale. Golden Exits ist zwar nicht weniger smart, könnte es aber dennoch schwerer haben. Angesichts gewisser politischer Entwicklungen in den USA bekommen die First World Problems von Ross Perrys Figuren schnell den Beigeschmack des allzu Banalen.
Golden Exits
USA/Griechenland 2017
Regie: Alex Ross Perry
Darsteller: Emily Browning, Adam Horovitz, Mary-Louise Parker
Screenings während der Berlinale:
So, 12.02., 19:15: CineStar 8
Mo, 13.02., 20:00: Cubix 9
Do, 16.02., 11:00: CineStar 8
Sa, 18.02., 19:00: Delphi Filmpalast