Die Geister, die ich riefFilmkritik: „Black Mass“

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Alle Fotos: Warner Bros. Pictures

Seine Premiere feierte Black Mass bei den diesjährigen Filmfestspielen in Venedig. Ab heute läuft das Gangster-Biopic mit Johnny Depp in der Hauptrolle auch in Deutschland. Tim Schenkl hat sich den Film für uns angesehen.

Nachdem Martin Scorsese sich für die Rolle des Frank Costello (Jack Nicholson) in The Departed bereits von James „Whitey“ Bulger inspirieren ließ, hat Scott Cooper (Crazy Heart, Out of the Furnace) nun dessen Lebensgeschichte verfilmt. Der ehemalige Gangsterboss mit irischen Wurzeln aus South Boston verbüßt, nachdem er Mitte der Neunziger untergetaucht war und mehr als zehn Jahre als Nr. 2 hinter Osama Bin Laden auf der Fahndungsliste des FBIs stand, momentan eine lebenslängliche Haftstrafe.
Eine frühe Szene von Black Mass verrät, wie der geradezu psychopathische Kriminelle tickt und welches Wertesystem seinem Handeln zugrunde liegt. In dieser sitzt Whitey mit seiner Frau Lindsey, toll gespielt von Dakota Johnson, und seinem kleinen Sohn Douglas (Luke Ryan) am Frühstückstisch. Offensichtlich hat Lindsey ihren Mann vorher instruiert, er solle seinen Sohn fragen, was am vorherigen Tag in der Schule passiert sei. Als Whitey dies tut, erzählt der Junge, dass er einen Klassenkameraden, der ihm seine Stifte geklaut hätte, geschlagen habe. „Good Boy“, ist die Antwort des Gangsters. Nach einem vorwurfsvollen Blick seiner Frau fährt er fort, dass der einzige Fehler des Jungen gewesen sei, dass es für die Tat Zeugen gebe, denn: „If nobody sees it, it didn’t happen.“ Für Whitey selbst gilt diese goldene Regel des Gangstermilieus jedoch nicht mehr. Er kann es sich leisten, seine Gewalttaten in aller Öffentlichkeit und am helllichten Tage zu begehen, ohne befürchten zu müssen, dafür belangt zu werden.

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Dakota Johnson

Ein Pakt mit dem Teufel

Zu verdanken hat er dies einem Deal mit dem FBI-Beamten John Connolly (Joel Edgerton). Connolly wuchs genau wie Whitey und dessen Bruder Billy (Benedict Cumberbatch), ein karriereorientierter Politiker und späterer Senator, in Southie auf, wie der südliche Teil Bostons von seinen Einwohner liebevoll genannt wird. Zu Beginn des Films wird Connolly vom FBI in seine Heimatstadt zurückgeschickt, um dort dem organisierten Verbrechen, was zu diesem Zeitpunkt noch in erster Linie die italienische Mafia bedeutet, den Kampf anzusagen. Schnell besinnt er sich auf seine alten Verbindungen und schmiedet mit Whitey eine fatale Allianz. Whitey verspricht regelmäßig Informationen über die Mafia zu liefern und entledigt sich dadurch seiner eigenen Konkurrenz. Im Gegenzug sorgt Connolly dafür, dass das FBI bei den Aktivitäten von Whiteys Winter Hill Gang ein Auge zudrückt. Ein Pakt mit dem Teufel, wie er im Bilderbuch steht! Whitey steigt mit der Hilfe des FBIs vom unbedeutenden Kriminellen zum gefürchteten Gangsterboss auf, und Connolly steht relativ schnell vor der Frage, auf welcher Seite er eigentlich steht.

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Johnny Depp und Joel Edgerton

Solides Genrekino

Black Mass ist in vielerlei Hinsicht Johnny Depps Rückkehr ins „Charakterfach“. Früher noch vom Arthouse-Publikum für seine Zusammenarbeiten mit Jim Jarmusch und Emir Kusturica gefeiert, hat sein Ruf unter der Pirates of the Caribbean-Reihe und Filmen wie The Tourist und Mortdecai doch arg gelitten. Gemeinsam mit Regisseur Cooper gelingt es ihm, James „Whitey“ Bulger geradezu „unmenschlich“ darzustellen und dessen Geschichte in keiner Weise zum rebellischen Outsider-Mythos zu stilisieren. So etwas wie Empathie für den Protagonisten wird sich wohl nur bei den wenigsten Zuschauern einstellen.
„Black Mass“ ist nur bedingt ein klassisches Gangsterporträt und gerade das zeichnet den Film aus. Scott Cooper ist weniger von der Person James „Whitey“ Bulger fasziniert, viel mehr interessiert er sich für das System, welches Whiteys Aufstieg zum Gangsterboss überhaupt erst ermöglicht. Schnell werden dabei Parallelen zur US-amerikanischen Außenpolitik deutlich. Die Geister, die ich rief, werde ich irgendwann nicht mehr los. Und was dann?
Wenn man dazu in der Lage ist, über Johnny Depps leicht absurde Maskerade hinwegzusehen und wenn man Scott Cooper die eine oder andere zu offensichtliche Anleihe bei Martin Scorsese verzeiht, – Montagesequenzen zu Stones-Musik kann man einfach in diesem Kontext nicht mehr bringen und die berühmte „Funny how?“-Szene aus Goodfellas findet man hier auch fast eins zu eins wieder – dann bietet einem Black Mass durchaus solides und unterhaltsames Genrekino. Der mit Abstand beste Beitrag zu dieser Thematik bleibt im Jahr 2015 aber weiterhin J. C. Chandors großartiger Film A Most Violent Year.

Black Mass
USA 2015
Regie: Scott Cooper
Drehbuch: Jez Butterworth, Mark Mallouk
Darsteller: Johnny Depp, Joel Edgerton, Benedict Cumberbatch, Kevin Bacon, Jesse Plemons, Rory Cochrane, Peter Sarsgaard, Dakota Johnson
Kamera: Masanobu Takayanagi
Musik: Junkie XL
Laufzeit: 122 min
Ab dem 15.10.2015 im Kino

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