Sympathie für die TeufelinFilmkritik: „Tár“ von Todd Field

Blanchett

Alle Fotos: © 2022 Focus Features, LLC.

Mit insgesamt sechs Nominierungen zählt Tár von Todd Fields zu den Favoriten bei den diesjährigen Oscars. Cate Blanchett spielt in dem Film die fiktive Dirigentin der Berliner Philharmoniker Lydia Tár, die sowohl beruflich als auch privat zur Grenzüberschreitung neigt.

Das erste, was ich von Tár gehört habe, ist, dass die Szene, in der Cate Blanchett den woken Millennial nach allen Regeln der Kunst klitzeklein zusammenfaltet, langanhaltenden Szenenapplaus bekommen hat. Sehr zu recht, wie ich finde. Nicht unbedingt, weil ich ihr in allem, was sie an Max’ (Zethphan Smith-Gneist) selbstgerechten Schädel wirft, zustimme, sondern weil Blanchett so verflucht grandios ist – das ist die Coffee’s for Closers-Rede für das 21. Jahrhundert. Wie zur Hölle macht die das? Was schlummert da in ihr drin, das sie scheinbar so mühelos auf die Bühne zaubern kann?
Da wird kolportiert, dass sie für den Film noch fix dirigieren und die deutsche Sprache gelernt hat. Aber nicht Klavierspielen, weil, das konnte sie ja schon. Der Oscar 2023 ist hers to lose. Das wird dann ihr dritter, nach ihren prämierten Auftritten in Woody Allens Blue Jasmine und Martin Scorseses The Aviator.

One of a kind

Aber irgendwie kann man es gar nicht auseinanderhalten, ob man nun von Blanchetts Spiel beeindruckt oder von den unzähligen Errungenschaften ihrer fiktiven Figur Lydia Tár geblendet und eingeschüchtert ist. Direkt im Prolog, wenn sie von „New Yorker“-Journalist und Schriftsteller Adam Gobnik (als er selbst) offenbar anlässlich der Erscheinung ihrer Biografie „Tár on Tár“ interviewt und für uns als Titelfigur etabliert wird, bekommen wir aufgelistet, was Lydia bereits alles gemacht hat, wie hervorragend sie darin war, und wie einzigartig sie das macht. Harvard-Absolventin ist sie, sie war Schülerin von Leonard Bernstein, sie ist EGOT-Gewinnerin und die erste Chefdirigentin der Berliner Philharmonie. Und doch ist diese Sequenz, in der ihre Erfolgsgeschichte ausgebreitet wird, merkwürdig off und unheimlich. Ein ähnliches Gefühl stellt sich ein, wenn Regisseur Todd Field und seine Cutterin Monika Willi Szenen und Einzeleinstellungen einfügen, die wir nicht einordnen können. Da ist der Schnitt auf den Hinterkopf einer offenbar weiblichen Person, die weit hinten im Auditorium sitzt. Dass dies Társ verschmähte Liebschaft und ehemaliger Schützling Krista (Sylvia Flote) sein könnte, deren Karriere sie – Lydia – aktiv torpediert hat, und die sich schon bald das Leben nehmen wird, erschließt sich einem erst beim zweiten oder dritten Kinobesuch. Dann ist da die Szene direkt im Anschluss, in der Lydias Assistentin Francesca (Noémie Merlant) Adam Gobniks Monolog lautlos nachspricht. Wieso kann sie das Skript auswendig? Und was spiegelt sich da in ihrem Gesichtsausdruck wider? Und wie nah ist sie Lydia eigentlich? Ist es etwa ihr nackter Fuß, der sich ins Bild schiebt, als Lydia ihre Plattensammlung ausbreitet, um sich Inspiration für ihr Fotoshooting zu holen?

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Cate Blanchett als Lydia Tár

Workplace Thriller

Ich bin mir jedenfalls ziemlich sicher, dass es Francescas Hand ist, die wir in der ersten Einstellung von Tár zu sehen bekommen – eine Szene, die gewissermaßen die Gründe für den Aufstieg und Fall der Protagonistin zusammenfasst: Eine Halbnahe, die unscharf im Hintergrund Lydia Tár bei ihrer eitlen Selbstinszenierung gerade noch mitnimmt, aber den Fokus auf das Smartphone legt, in das gehässige Kommentare über sie getippt werden – jemand immunisiert sich da mittels des schwarzen Spiegels gegen Lydias Aura. Da bilden sich bereits mehrere Gegensatzpaare ab, die in Tár unversöhnlich im Konflikt stehen: Analog vs. Digital; hochkant und optimiert für Insta und Tiktok vs. Cinemascope; Kino vs. das, was die Leute eben nicht machen sollen, wenn sie ins Kino gehen, also z.B. chatten. Aber auch alteingesessen, etabliert und gutbesoldet vs. jung, prekär und nur befristet angestellt.

Tár, das „workplace drama“, zeigt, wie Lydia beim Erklimmen der Karriereleiter ihre Macht ausspielt, frei von Skrupeln Kolleg:innen ins Messer laufen lässt, die Konkurrenz kaltstellt, Partner:innen verrät und gleichzeitig die in die vorderste Reihe platziert, die ihr romantisches Interesse geweckt haben.Tár, der Thriller, lässt Lydia ob ihrer Machtfülle und der daraus folgenden Hybris langsam überschnappen und bebildert dies expressionistisch – wenn ein US-Amerikaner in Deutschland dreht, kommt wohl notgedrungen immer ein wenig Caligari in die Mise-en-scene. Stichwort: klaustrophobische Architektur. Aber Field gelingt es ziemlich gut, beide Genres in seinem Film koexistieren zu lassen. Der Trailer – so effektiv er ist – überakzentuiert den Thriller ein wenig, ist der Film doch über weite Strecken sehr viel nüchterner in seiner Analyse der verdeckten Machtstrukturen, die im Hochkulturbetrieb offenbar am wirken sind.

Dabei verliert der Film nie völlig seine Sympathie für seine Titelfigur, ohne diese in Anbetracht ihrer Vergehen gänzlich vom Haken zu lassen. Wo etwa andere #MeToo-Filme wie Maria Schraders She Said oder Kitty Greens The Assistent im Opferdiskurs hängen bleiben und ob der Monstrosität der Gewalttaten in Schockstarre verfallen (und deswegen etwas dröge bleiben), zeichnet Tár ein weit differenziertes Bild vom Verhältnis zwischen Raubtier und dessen Beute. Ich will die zwei Filme gar nicht als Betroffenheitskino diffamieren, aber da, wo Tár ein komplexeres Bild seines Bösewichtes zeichnet, haben diese beiden nur eine Harvey-Weinstein-förmige Leerstelle anzubieten. Mit anderen Worten: Lydia hat manchmal sehr nachvollziehbare Gründe für ihr verantwortungsloses Tun. Man schaue sich nur die Szene an, in der sie sich die minderjährige Rädelsführerin, welche die kleine Tochter von Lydias Partnerin Sharon (Nina Hoss) schikaniert, zur Brust nimmt und den Zorn Gottes auf sie niederregnen lässt. Wer würde hier den ersten Stein werfen und ernsthaft behaupten, dass ihre Konfliktlösungsstrategien auf dem Schulhof irgendwie fragwürdig seien? „You gotta protect your kids…“

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Nina Hoss spielt Társ Lebensgefährtin Sharon.

Allein diese Szene macht Tár zum grimmigen, völlig Satire-freien Zwilling von Ruben Östlunds The Square, in dem der Antiheld ja auch einen plausiblen Grund für Kindesmisshandlung findet. Die Fallhöhe für Östlunds Figur ist natürlich weniger groß, stolpert da schließlich nur ein Trottel aus dem Kulturmanagement über seine eigenen Füße und von einer Lose-Lose-Situation in die andere. In Tár hingegen stürzt eine Gottheit.

Tár
USA 2023
Regie: Todd Field
Drehbuch: Todd Field
Darsteller:innen: Cate Blanchett, Nina Hoss, Noémie Merlant, Mark Strong, Julian Glover, Sophie Kauer
Kamera: Florian Hoffmeister
Schnitt: Monika Willi
Musik: Hildur Guðnadóttir
Laufzeit: 158 min
ab dem 02.03.2023 im Kino

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