„Überwältigt sein ist keine Lösung“Beats In Space: Radio-DJ Tim Sweeney im Interview
13.1.2023 • Sounds – Interview & Fotos: Thaddeus HerrmannWie läuft es eigentlich mit der elektronischen Musik im Radio? Und: Was ist Radio 2023 überhaupt? Seit 1999 bläst Tim Sweeney seine Sendung „Beats in Space“ in den Äther. Der DFA-Intimus, DJ und Labelbetreiber ist eine Institution in der elektronischen Dance Music. In seiner Show haben alle gespielt. Seit einiger Zeit läuft „Beats In Space“ nicht mehr auf WNYU in New York über UKW, sondern bei Apple Music 1, Apples hauseigenem Radiosender. Thaddeus Herrmann hat Tim Sweeney in Berlin getroffen – natürlich im Radiostudio.
Techno und Radio: Das ist für viele Generationen von Raver:innen eine initialzündende Gleichung. Ob die hr3-Clubnacht, Monika Dietl oder Marusha in Berlin und Brandenburg, Steve Mason auf BFBS, die Londoner Pirates, The Electrifying Mojo in Detroit oder die zahllosen anderen lokalen Shows und Hosts – für viele Jahre war klar: erst Radio hören, dann ausgehen. Ob Studentenradio oder öffentlich-rechtliches Dickschiff: Die elektronische Musik – und das gilt auch für viele weitere subkulturelle, in Beats gegossene Styles, wurde durch Radiosendungen populär. Hier liefen die Tracks, zu denen wir wenige Stunden später im Club die Kontrolle verloren, und die wir wenige Tage später im Plattenladen versuchten zu erinnern. Radio-DJs waren eine Instanz, hatten das Wissen und die Tracks, die allen anderen fehlten. Sie ordneten ein, erklärten, schufen Kontexte. Und dann kam das Internet.
Seitdem wurden nicht nur die Hierarchien flacher. Auch das „Konzept Radio“ hat sich grundlegend verändert und wandelt sich weiter. Warum denn nicht eine DJ-Mix-Serie auf Soundcloud als Radiosendung betiteln? Warum denn nicht Show XY vom Studierendenradio Z auf Mixcloud posten? Im (digitalen) Äther ist es heuer mindestens genauso schwer, das richtige Angebot zu finden, wie die passende 12" im Hardwax vor 25 Jahren.
Tim Sweeney ist einer, der das Radiomachen von der Pike auf und oldschoolig gelernt hat. 1999 startete seine Show „Beats In Space“ auf dem New Yorker College Radio WNYU 89.1 FM. NYC zum Jahrtausendwechsel ... das bedeutete musikalisch alles und nichts. Viele Labels, vergleichsweise wenig Profil. Die großen Tage des New Yorker House waren vorbei, die ikonischen Clubs zu großen Teil auch. Ein wasteland. Giuliani hatte aufgeräumt. New York war nice. Und auch langweilig.
In seiner Show spielte Sweeney Musik, die Gewicht hatte. Moderiert und praktisch immer mit Gästen. Die Hörer:innenschaft mag klein gewesen sein, das Netz und sein Engagement katapultieren ihn, seine Sendung und seine Haltung jedoch schnell hinaus in die Welt. Das klebte wie Pattex. Wie auch seine DJ-Sets, die er weltweit spielte und spielt, und die Releases auf seinem „Beats In Space“-Label.
Von UKW ins Streaming
Seit geraumer Zeit läuft Sweeneys Show nicht mehr auf dem Studio-Radio in New York, sondern auf Apple Music 1. Das ist der Radiosender, den Apple schon 2015 als Beats1 startete, im Rahmen des eigenen Streaming-Services. Wir erinnern uns. Das daran gekoppelte Radio-Programm war ambitioniert: Mit Studios in L.A., New York und London (wir waren 2019 vor Ort) gab es nicht nur die benötigte Infrastruktur, sondern zumindest auch für den anglo-amerikanischen Raum genügend subkulturelle Anknüpfungspunkte, passende DJs inklusive. Durch die Decke ging diese Initiative gefühlt jedoch nie. Schade eigentlich. Bzw. es lohnt sich tatsächlich, nochmal nachzuhören, was sich hier mittlerweile getan hat. Zum Beispiel eben Tim Sweeney. Oder auch die Deutschrap-Show „Hyped“. Oder eine Show von Moderat. In Berlin hat sich Apple ein Radio-Studio gebaut (in Paris, Tokio und Nashville auch), in dem diese deutschsprachigen und/oder Shows für den deutschen Markt produziert werden. Genau hier treffen wir Tim Sweeney. Seine Homebase ist und bleibt New York, im Dezember 2022 war er jedoch für einige Tage in der Stadt, um Shows mit Berliner Künstler:innen aufzunehmen. Im Streaming bzw. online hat sich seine Show einerseits gar nicht verändert. Und andererseits fundamental. Zum Besseren, wie ich finde. Denn jenseits der Musik bietet „Beats In Space“ nun auch eine musikjournalistische Komponente, die es so bislang im Radio nicht gab.
Tim, das letzte Mal haben wir uns 2009 getroffen. In New York, im Studio von WNYU 89.1 FM in Lower Manhattan. Aus diesem Keller hast du seit 1999 deine Show in die Welt geschickt.
Und heute treffen wir uns wieder im Keller, ha! Auch wenn es hier schon anders aussieht.
Kellerkinder halt. Ich erinnere mich, dass es nicht ganz einfach war, das Studio im Uni-Gebäude zu finden, ich fragte im Erdgeschoss rum, aber niemand konnte mir helfen. Das Studio selbst erinnere ich sympathisch-chaotisch. Genau richtig also. Lass uns in der Zeit zurückreisen. Du bist DJ, auch im Radio. Wie kam das damals für dich alles zusammen?
Ich muss ungefähr 15 Jahre alt gewesen sein, als ich das Auflegen lernte. Mein Bruder studierte in Pittsburgh zu dieser Zeit, und ich besuchte ihn. Er hatte dort eine Radiosendung beim Campus-Radio, und ich sollte ein Set spielen. Ich fand das wunderbar. Bis heute bin ich bei Sets in Clubs extrem nervös. Das Auflegen im Radio fühlte sich aber praktisch genauso an wie zu Hause, wenn ich im Keller übte. Dass im Radio Menschen tatsächlich zuhören, merkst du ja nicht – es gibt keinen direkten Kontakt. Ich wohnte damals in Baltimore. Nahm Kontakt auf zu WNYU, spielte dort zwei Sets und wollte meine eigene Sendung. Nach New York ziehen und der Stadt Musik vorspielen. Schließlich bekam ich meine eigene Show. Ich war 18.
Und das Jahr war 1999. Seitdem hat sich viel verändert. In der elektronischen Musik weltweit, vor allem aber in den USA. EDM war noch nicht erfunden. Trotz Detroit, Chicago und New York, Disco, House und Techno spielte diese Musik in den USA ein Nischendasein. Warum also diese Art von Musik? Wie hast du deinen eigenen Style gefunden und entwickelt?
Die Vielfältigkeit ist wichtig. Ich war zum Beispiel ein großer Fan der „Solid Steel“-Sendung von Coldcut. Da lief ja praktisch alles. Ich arbeitete auch für den New Yorker HipHop-Producer Steinski, für den ich eigentlich nur seine Plattensammlung nach BPM sortierte. Auch er hatte eine Radiosendung in der Stadt, in der er die unterschiedlichsten Arten von Musik spielte. Bei ihm – und mit seiner Plattensammlung – habe ich sehr viel gelernt. Und auch eine Leidenschaft für Spoken-Word-Samples entwickelt, die ich viele Jahre in meiner eigenen Show immer gespielt habe. Sprache ist wichtig. Er hatte einen Anrufbeantworter geschaltet, auf dem Menschen Nachrichten hinterlassen konnten, die er in seiner Show spielte. Das Konzept habe ich übernommen. Für mich ist jede Sendung ein Zeitdokument. Und mit dem Zutun der Hörer:innen funktioniert das noch besser. Kommunikation. Interaktion.
Das sind Dinge, die heute immer weniger eine tragende Rolle spielen. Die Radiolandschaft hat sich verändert. Der Begriff Radio steht heute oft für vollkommen andere Formate, inkl. Mixe z.B. auf Soundcloud. Mir persönlich geht dabei regelmäßig die Hutschnur hoch. Für mich bedeutet Radio: UKW, live, mit Ansprache – also mit Menschen im Studio, die die Musik, die sie spielen, in Echtzeit einordnen und kommentieren. Ich weiß, das ist vielleicht nicht mehr zeitgemäß. Wie siehst du das? Immerhin bist du auch nicht mehr auf UKW unterwegs, sondern im Streaming bei Apple Music.
Ich finde diesen Wandel generell erstmal interessant. Ich verstehe deine Haltung und kann die auch nachvollziehen, habe aber auch verstanden, dass junge Menschen das Radio anders begreifen und nicht mehr so hören, wie wir beide es kennengelernt haben. Diese Veränderung ist spannend. Und macht Spaß.
Wie passt du dich und deine Arbeit diesen anderen und neuen Voraussetzungen an?
Das ist manchmal frustrierend. Ich bin den „alten Weg“ eben noch gewohnt. Aber dann denke ich: Hmmm, das ist doch einfach etwas anderes. Ich habe nicht mehr das direkte Feedback von Hörer:innen. Gleichzeitig erreiche ich aber viel mehr Menschen auf der ganzen Welt. Ich mache meine Show wöchentlich – und ich kann dabei nur lernen, mich auf dieses andere Verhältnis zwischen Sender und Empfänger einstellen. Und das funktioniert auch.
Nun sind wir jeden Tag mit mehr neuer Musik konfrontiert als jemals bevor. Wie schaffst du dir Klarheit und Ordnung?
Das ist mein Job. Und den nehme ich ernst. Ich höre die Promos, ich gehe in den Plattenladen. Und ich schaue natürlich auch nach links und rechts und auf das, was die Kolleg:innen spielen, im Radio oder im Club. Überwältigt sein ist keine Lösung. Natürlich bekomme ich nicht alles mit, das geht ja auch gar nicht. Das ist aber okay. Viel Input ziehe ich auch von meinen Gäst:innen der Show. Und ich hoffe, dass das in beide Richtungen funktioniert.
Gäst:innen haben in deiner Show schon immer eine tragende Rolle gespielt. Das ist ja auch gelernt: Der eine DJ lädt die andere DJ ein: Interview, Set, bis zum nächsten Mal. Bei „Beats In Space“ auf Apple Music 1 geht ihr zumindest im Archiv einen anderen Weg, den ich spannend finde und – Asche auf mein Haupt – auch noch nicht mitbekommen hatte. Die Interviews werden in der App separat ausgespielt, in voller Länge und ohne Musikbett, sie sind praktisch ein Gesprächs-Podcast.
Das ist neu, richtig. Die Interviews sind ein wichtiger Teil der Show, aber auch der, vor dem ich den meisten Respekt habe. Ich habe dafür eine Strategie entwickelt: Ich nehme die Gespräche immer zuletzt auf. Die Künstler:innen kommen ins Studio, dann hole ich meine Polaroid-Kamera und wir machen die Fotos. Das bricht das Eis, nicht alle DJs kenne ich ja bereits persönlich. Danach nehmen sie ihre Mixe auf. Ich halte mich dabei im Hintergrund, hänge einfach rum. Und das Interview kommt zum Schluss. Zu diesem Zeitpunkt habe ich sie schon ein wenig kennengelernt, weiß zumindest im Ansatz wie sie ticken und habe natürlich auch gehört, was sie aufgelegt haben. Für die Ausstrahlung der Sendung verwenden wir nur einen vergleichsweise kurzen Teil des Gesprächs, der Mix steht nach wie vor im Mittelpunkt. Im Archiv aber haben wir Platz und Zeit. Und ganz ehrlich: Mit der Trennung vermeide ich auch die peinliche Stille, die on air nunmal tödlich ist. Ich beschränke mich auch nicht auf eine bestimmte Länge für das Gespräch. Die können eine Stunde dauern oder nach fünf Minuten fertig sein. Mir macht das große Freude. Ich will auch immer besser in der Interviewsituation werden. Hoffentlich ist mir das mit der Zeit schon gelungen. Ich bin ziemlich kritisch mit mir selbst, genauso wie beim Auflegen. Mal flutscht es perfekt, mal denkst du dir ... hmmm, da wäre noch mehr gegangen.
Sprache. Kommunikation. Bleiben wir dabei. Für mich ist es nach wie vor extrem wichtig, dass die DJs im Radio reden. Also mich ansprechen. Als Jugendlicher war das natürlich auch frustrierend, wenn ich eigentlich nur die Tracks auf Kassette mitschneiden wollte. Aber im besten Flow wird aus der Selection und den begleitenden und einordnenden Kommentaren der DJs ja ein Flow, der nicht zu toppen ist. Die Musik ist toll, die Stimme ist toll, beide Elemente grooven gemeinsam voran. Wie wichtig ist dir Moderation? Ich frage auch, weil mit der Verlagerung vieler Spezialsendungen auf Online-Plattformen diese Qualität verloren gegangen ist. Das ist zumindest mein Eindruck.
Ich bin da unentschieden, um ehrlich zu sein. Oder anders: Ich merke an mir selbst, dass beides gut sein kann. Ich will auch nicht immer die Hosts hören, sondern mich auf die Musik konzentrieren. Wenn die Moderator:innen aber wirklich etwas zu erzählen haben, bekommt die Musik eine ganz neue Qualität. Plötzlich macht alles viel mehr Sinn. Gerade bei Dance-Shows, die ja typischerweise am Wochenende und spät am Abend laufen, wollen die Hörer:innen vielleicht eher die Musik. Ich bin froh, dass wir für meine Sendung im Archiv diese Lösung gefunden haben, Musik und Interview zu trennen. Und ich weiß, dass einige zuerst den Mix hören und dann vielleicht noch das Interview, andere es wiederum genau andersherum tun.
Bleibt die offensichtliche Frage: Wie sieht die Zukunft des Radios aus?
Klar ist: Radio verändert sich und wird sich auch weiter verändern. Wohin das am Ende führen wird, weiß ich nicht. Ich bin auf diesem Weg aber gerne dabei: Experimente waren schon immer Teil meiner Sendung. Wir haben schon über die digitale Transformation gesprochen, und ich möchte noch einen Aspekt nennen, der mir wichtig ist: Bei den Shows auf Apple Music 1 werden Tantieme bezahlt an die Künstler:innen, die mit ihrer Musik in Mixes auftauchen. Allein das ist ja schon ein Schritt in die richtige Richtung. Mir war das schon immer ein Anliegen, in den USA lässt sich das im terrestrischen Radio aber nicht leisten – das System mit den Verwertungsgesellschaften ist dafür nicht ausgelegt. Vielleicht können wir so ja ein bisschen zur Gerechtigkeit beitragen.