Die vier Airbnb-Gäste der ApokalypseFilmkritik: „Knock at the Cabin” von M. Night Shyamalan
9.2.2023 • Film – Text: Alexander BuchholzWenn der Schwurbler dreimal klopft. In M. Night Shyamalans neuestem Werk wird eine Regenbogenfamilie von einer Gruppe Verschwörungstheoretiker:innen heimgesucht. Alexander Buchholz konnte dem Film durchaus etwas abgewinnen.
Ich kann mich an eine Zeit erinnern, als die Beschäftigung mit Verschwörungsgeschichten noch ein netter Zeitvertreib war – und nicht wie jetzt im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts diskursbestimmende, kreischende und hysterische Psychoscheiße im endlosen Abwärtsstrudel. Ende der 1990er hat man damit – sachte – herumexperimentiert, um sich die Welt zu erschließen, andere Sichtweisen kennenzulernen und einfach seinen Horizont zu erweitern. Das war quasi dazu da, um seine eigenen eingerosteten Ansichten mit mentalen Lockerungsübungen wieder elastisch zu machen. Jetzt in den 2020ern ist es das genaue Gegenteil: Heutzutage sind alle und alles so fragmentiert und voneinander abgetrennt, dass, so scheint es, eine beunruhigend große Masse an Leuten sich den Mist unverschnitten direkt in die Halsschlagader spritzen muss, um nicht total auseinanderzufallen.
Damals ging es auch um ganz andere Sachen: Etwa um fliegende Untertassen, die irgendwo versteckt wurden, und/oder ob Elvis Presley noch am Leben sei. Jetzt kann man sich ja nicht mal mehr von der Sesamstraße den Buchstaben „Q“ erklären lassen, ohne von den üblichen Assoziationen heimgesucht zu werden. Schnell, googelt euch mal den gestern noch völlig arglosen 16. Buchstaben des Alphabets und lenkt eure Aufmerksamkeit auf das zweite Suchergebnis! Fucking. Hell.
Culture Wars in vollem Gange
M. Night Shyamalans Knock at the Cabin mit seiner Verschwörungsmythen-Thematik erinnert ein wenig an dessen Signs aus dem Jahr 2002. Beides sind home invasion movies, bei denen eine von der Außenwelt isolierte Familie im Fokus steht. In beiden Filmen haben die Protagonist:innen mit einem Trauma zu kämpfen, das sich als zentral für ihr Schicksal erweisen wird. Und schlussendlich geht es in beiden ums Glauben: Um das „vom Glauben abfallen“ oder um das „zum Glauben zurückfinden“. Aber nun sind – neben anderen Kriegen – die culture wars gerade voll im Gange und die Fronten in Knock at the Cabin von Anfang an schon so verhärtet, als wenn über Trans-Rechte oder Black Lives Matter gestritten wird. Denn schließlich fordern Leonard und sein buntes Gefolge – höflich, aber bestimmt – von Andrews kleiner Regenbogenfamilie, nachdem sie diese in ihrem Feriendomizil überfallen haben, eine unmögliche Entscheidung ein: Einer von den Dreien soll sich rituell opfern lassen, um den Weltuntergang zu verhindern. Für Andrew ist klar, dass er und seine Familie in die Hände einer sich im Netz radikalisierten Sekte geraten sind, und er versucht – ganz der Rechtsanwalt, der er ist – die Eindringlinge sachlich zur Vernunft zu bringen und die Katastrophenmeldungen im Fernsehen, die Leonards Behauptung einer drohenden Apokalypse scheinbar untermauern, wegzurationalisieren. Für Andrews Partner Eric, der im Handgemenge eine Gehirnerschütterung davon trägt, ist die Lage hingegen nicht ganz so klar.
Was wäre, wenn ...
Wer Shyamalans Filme mit deren Was-wäre-wenn-Plots und das Faible des Regisseurs für twist endings kennt, wird sich vermutlich in etwa ausrechnen können, wo Knock at the Cabin landen wird. Ich sehe selten voraus, wie ein Film ausgehen wird, aber ich kann mich immerhin damit rühmen, dass ich den Schluss von The Sixth Sense habe kommen sehen – aber auch nur, weil ich mich in Shyamalans Kassenschlager ziemlich gelangweilt habe und darüber nachdenken konnte, was denn das von allen herausposaunte „überraschende Ende“ seien würde. Knock at the Cabin hat mich nicht gelangweilt, sondern von Anfang bis Ende in Bann gehalten und dafür gesorgt, dass ich mich vom Plot emotional packen lassen konnte. Viel hat der Film seinem Ensemble zu verdanken, allen voran ausgerechnet Dave Bautista, den ich nun gar nicht auf dem Schirm hatte. Irgendwie bekommt Shyamalan nie genug Anerkennung dafür, wie gut seine Schauspielführung und seine Casting-Entscheidungen sind. Unter seiner Regie hatten so unterschiedliche Darsteller wie Bruce Willis, Mel Gibson, James McAvoy und Paul Giamatti ihre denkwürdigsten Auftritte. Zu behaupten, dass Bautista den Film trägt, würde den Co-Stars Unrecht tun, aber Knock at the Cabin wäre ohne ihn etwas ganz anders geworden. Irgendwie ist Bautista mit seiner Hünenhaftigkeit und seinen unzähligen Tattoos gleichzeitig die Verkörperung des Unheils und der Ruhepol des Films. Ein anderer Darsteller als er für diese Rolle ist kaum denkbar.
Shyamalan hat ja meistens den Mut, seine Filme peinlich melodramatisch zu gestalten - etwas, was sich etwa Jordan Peele mit seinen abgeklärten und ironischen Horrorgeschichten nie leisten würde. Damit brüskiert Shyamalan immer wieder einen Teil seines Publikums. Aber was heißt das schon? Heutzutage ist ja jeder snarky af, online und IRL.
Knock at the Cabin ist wahrscheinlich nicht der Film, der an Shyamalans Image als Möchtegern-Spielberg viel ändern wird, zu sehr ist der Filme eine Variation seiner zu Genüge bekannten Themen. Auf sein Meisterwerk müssen wir immer noch warten. Aber mir hat es trotzdem sehr gefallen, diese Weltzerstörungsfantasie anzuschauen. Das Ganze ist ziemlich gritty, low budget und High-Concept, aber – oder gerade deswegen – sehr charmant. Und ein Ausdruck humanistischer Ideale, wie eine alte Twilight Zone-Episode – und eben nicht wie eine Folge Black Mirror, ob dessen Nihilismus man sich direkt danach die Kugel geben will.
Knock at the Cabin
USA/CHN 2023
Regie: M. Night Shyamalan
Drehbuch: M. Night Shyamalan, Steve Desmond, Michael Sherman, basierend auf dem Roman „The Cabin at the End of the World“
Darsteller:innen: Dave Bautista, Jonathan Groff, Ben Aldridge, Nikki Amuka-Bird, Rupert Grint, Abby Quinn, Kristen Cui
Kamera: Jarin Blaschke, Lowell A. Meyer
Schnitt: Noemi Katharina Preiswerk
Musik: Herdís Stefánsdóttir
Laufzeit: 100 min
ab dem 09.02.2023 im Kino