„Social Enterprises sollten so viel Nutzen wie möglich schaffen“Im Interview: Lisa Wendzich vom Solar-Start-up Suncrafter
24.5.2019 • Gesellschaft – Text: Ji-Hun KimDas Start-up Suncrafter aus Berlin hat die Solarenergie 2.0 erfunden. Hier geht es quasi um das Recycling von erneuerbaren Energiequellen, oder in diesem Fall, um das Recyclen von Solarmodulen, die heute häufig nach wenigen Jahren bereits ausrangiert werden und auf Deponien landen. Lisa Wendzich hat gemeinsam mit ihrem australischen Partner Bryce Felmingham die gemeinsame Firma Suncrafter ins Leben gerufen. Die Solarladestationen des Start-ups für Smartphones sind auf Festivals und Messen bereits ein großer Erfolg, abseits dessen soll die Technologie aber vor allem in den Regionen zum Einsatz kommen, in denen elektrische Infrastrukturen noch gar nicht vorhanden sind. Im Interview mit Das Filter spricht Lisa über ihre größten Herausforderungen, wieso man mit großen Unternehmen sich nicht sofort gemein machen sollte und dass die Welt vielleicht gar nicht so schlecht ist, wie viele behaupten.
Erklär uns kurz die Idee von Suncrafter.
Wir haben eine Technologie entwickelt, die uns hilft, das Konzept Solar abzukürzen. Energietechnologie ist sehr komplex. Man braucht dafür immer Elektriker oder andere Leute mit viel technischem Know-how wie Ingenieure. Diese benötigt man selbst bei kleinen Solarunternehmen. Wir haben das abgekürzt, indem wir auf Gebrauchtmodule setzen. Das spart signifikant Kosten und Emissionen. Solarmodule zu recyclen ist ein intensiver Prozess. Und es werden Millionen Module vorzeitig ausrangiert. Die müssen entweder recyclet werden oder landen auf der Mülldeponie. Wir haben uns daher für diese bereits bestehende Ressource entschieden.
Wieso kommt man da nicht früher drauf?
Letztendlich wollen wir mit diesem Produkt mehr Freiheit für unsere Kunden generieren. Was sie damit machen, sollen sie entscheiden. Ursprünglich haben wir die Sache für den Katastropheneinsatz konzipiert – als resiliente Ad-hoc-Stromquelle. Auf dem Weg dahin haben wir festgestellt, dass es einen enormen Solarstrom-Bedarf für die ländliche Entwicklung gibt. Menschen, die gar keinen Zugang zu Strom haben und eine günstige erneuerbare Energiequelle brauchen, ohne auf das technische Know-how angewiesen zu sein. Das ist der Schritt, den wir gehen wollen. In Deutschland sind wir schon am Markt. Wir vermieten unsere Ladestationen, die auf großen Festivals, Messen und Events zum Einsatz kommen.
Gab es eine Inspiration für das Business-Modell?
Lange bevor wir mit Suncrafter anfingen, war mir klar, dass mich Social Enterprises sehr interessieren. Der Bereich öffentlicher Dienst hat mich aber auch interessiert. Der Aha-Moment, dass man privatwirtschaftlich arbeiten und trotzdem einen Purpose haben kann, das war fast zu schön, um wahr zu sein.
Was sind die großen Herausforderungen?
Es ist jeden Tag eine große Herausforderung. In jeder Phase gibt es einen anderen Stressfaktor. Anfangs ist es schwer, die Leute zu überzeugen. Wenn sie überzeugt sind, ist es schwer Leute zu finden, um ein Team aufzubauen, die das wirklich von der Kompetenz tragen können. Dann hat man die Leute und muss die Finanzierung sicherstellen. Für ein Social Enterprise ist auch das wieder eine Challenge. Der Fokus ist ebenfalls eine Herausforderung, weil man viele Möglichkeiten hat. Am Ende wird das nicht abreißen. Das wird eine Perlenkette von Hürden sein. Was aber bleibt ist, dass das, was man macht, aus voller Überzeugung passiert. Kürzlich waren wir im Fernsehen und auch auf der Hannover Messe. Wenn ich nervös werde, sage ich mir: Du hast nichts zu verstecken. Da fällt die Nervosität ab.
Wo siehst du die größten Potentiale für Social Entrepreneurship?
Ich bin mit der Zeit wirtschaftsgläubiger geworden und denke, dass man Menschen Optionen anbieten muss, mit denen sie Geld verdienen können. Wenn ein Social Enterprise gut funktioniert, stellt es ein Marktgleichgewicht her. Deshalb glaube ich, dass das eine riesige Chance ist. Politische Regulation kann an einer Sache vorbeigehen. Kunden müssen Nachfrage schaffen, damit es funktioniert. Das ist ein gutes Indiz.
Wo siehst du Probleme in dem Konzept?
Ein offensichtliches Problem ist „qui bono“. Wem nützt es denn? Was einem vielleicht nützt, muss nicht sozial für alle sein. Da muss man aufpassen, dass man das nicht durcheinander bringt. Und immer wieder hinterfragen, ob mein Social Enterprise für alle gut ist. Wahrscheinlich ist das nicht so. Daher muss man offen sein für Grauschattierungen. Ein Social Enterprise sollte erstmal utilitaristisch sein. So viel Nutzen wie möglich schaffen. Zugleich habe ich kein Interesse daran, in die Impact-Kategorie gesteckt zu werden. Ich habe keine Lust, mich über den Begriff Social Enterprise diskreditieren zu lassen. Wenn man mit Siemens spricht und denen sagt, man wäre ein Social Enterprise, dann machen die das vielleicht nur aus Image-Gründen. Ich will aber, dass Siemens sieht, dass das Produkt fantastisch ist. Vielleicht kann man die soziale Komponente hintenrum als trojanisches Pferd wieder einschleusen.
Wieso tut sich die Solarenergie so schwer, sich flächendeckend zu etablieren?
Erstmal haben wir große Zuwachsraten in der erneuerbaren Energie. Es gibt durchaus einen Engpass in Deutschland – die Politik versucht das aber immer auf die Physik zu schieben: die Netze. Am Ende sind die Netze aber ein politisches Thema. Im Moment liegt das daran, dass wir mit der Variabilität der erneuerbaren Energien nicht umgehen können. Ich glaube dennoch, dass sich da was tun kann.
Speicher gäbe es ja auch?
Speicher sind bis heute nicht kosteneffizient. Deswegen liegt die Chance darin, innovative Technologien solange zu fördern, bis sie marktfähig sind. Damit wären wir wieder beim Thema Enterprise. Was nicht marktfähig ist, wird auch nicht überleben. Politik kann Anreize geben, dass etwas funktioniert. So etwas wie die CO2-Steuer würde ja funktionieren. Spätestens dann wären erneuerbare Energien so wettbewerbsfähig – darüber muss man gar nicht reden.
Hat das Konzept des Start-ups in diesem Zusammenhang nicht auch Grenzen?
Da fehlt mir die Draufsicht. Ich glaube aber, dass Start-ups disruptive Innovationen schaffen können, weil sie zu Kosten operieren, zu denen Corporates das nicht können. Wir sind da ein gutes Beispiel. Wir setzen auf eine gebrauchte Ressource, die kein Großunternehmen jemals benutzen würde. Verwenden darauf eine Technologie, die ebenfalls kein Corporate nutzen würde. Es ist eben Lowtech. Wir kürzen und streichen Technologie raus. Wir machen es so einfach wie möglich. Dadurch können wir das Menschen anbieten, die so weit von Infrastruktur entfernt leben, dass niemand in dortige Netze investieren will. Man kann dort keine Wartung oder Kundenbetreuung garantieren. So etwas können nur wir machen. Dadurch hat ein Start-up eine absolute Lebensberechtigung.
Du sagtest, dass Social Businesses von Unternehmen als Imagepflege genutzt werden.
Wenn ich zum Beispiel mit Siemens spreche, wollen die oft etwas in die Richtung „Power to the People“ und Maker’s Spaces organisieren. Wenn ich die aber reden hören, denken die wieder nur an zentrale Strukturen. Da merkt man die Pfadabhängigkeit. Wie sollen sie auch anders denken? Das ist schon immer in denen drin. Manchmal clasht das, was aber auch gut ist. So können wir sagen: Wir wollen und können so nicht arbeiten. Weil wir nicht an zentrale Strukturen glauben und es den Menschen in den jeweiligen Gebieten auch nichts bringt. Wir wollen was Organisches, das sich von unten entwickelt.
Gibt es die Tendenz der Vereinnahmung?
Das könnte sein. Erstmal lassen die einen machen. Sie sitzen in einer komfortablen Situation, schauen sich an, wie andere sich die Hörner abstoßen, wie man sich kaputt arbeitet, wie man mit der neuen Idee um die Ecke kommt und dann können sie sagen: Ok, jetzt wollen wir uns mit euch gemein machen. Das ist komfortabel. Man muss aber aufpassen: Zu früh mit einem Corporate gemeine Sache zu machen, kann echt gefährlich sein. Wir haben immer wieder die Investorenentscheidung vertagt. Je früher wir jemanden drin haben, der uns beeinflusst, desto weniger können wir unseren Weg gehen. Das ist uns aber sehr wichtig.
Kommen wir zum Thema Nachhaltigkeit. Wo siehst du noch Optimierungsbedarf in den Diskursen?
Ich hasse es, wenn solche Sachen als Elitenthemen verhandelt werden. Ich mag es nicht, wenn wir ständig in unseren Blasen bleiben. Wir hatten einen Auftritt bei der TV-Show „Höhle der Löwen“ und alle haben gesagt: Wieso wollt ihr das machen, das ist doch Privatfernsehen! Aber wenn ich da jetzt nicht hingehe, dann verpasse ich die Chance mit den Leuten zu reden, die so etwas gucken. So redete ich weiter nur mit denjenigen, die das alles ohnehin schon verstanden haben.
Was noch?
Wir sollten so unarrogant wie möglich an die Sache rangehen und versuchen, so inklusiv wie möglich zu arbeiten. Bioprodukte sind ein gutes Beispiel dafür. Biowurst kostet zu viel Geld, als dass eine Familie mit geringem Einkommen sich das leisten kann. Da wird die Verantwortung auf Konsumenten verlagert, und das finde ich falsch. Da sollte die Politik die Verantwortung tragen und sagen: Wir sorgen dafür, dass es einen Standard für Tierwohl gibt. Das würde pro Konsument 11 Cent mehr am Tag kosten, damit alle Tierprodukte, die wir konsumieren aus fairer Haltung sind. Das ist eine politische Aufgabe. Wenn sich nur die Oberschicht Biofleisch leisten kann, dann geht das am Problem vorbei.
So schreckt man viele ab.
Man verliert die Leute. Nichts ist schlimmer als das. In Deutschland hat man gesehen, dass es eine gesellschaftliche Spannung gibt. Man darf denen, die nicht mitziehen können, so etwas nicht zum Vorwurf machen. Wir sollten ihnen lieber die Hand reichen und versuchen, alle auf dieses Level zu heben.
Wie definiert ihr Erfolg?
Wenn wir es schaffen, einen Impact zu schaffen und dabei Profite zu generieren – dann haben wir Erfolg. Das ist ein persönlicher Anspruch. Wir sind angetreten, zu beweisen, dass es funktioniert und wenn wir das beweisen können, dann hat mit jedem Positivbeispiel der Sektor neue Chancen.
Wo siehst du die Welt in 20 Jahren?
Ich glaube an kulturelle Evolution. Die Welt wird trotz Rückschlägen immer besser werden. Ich hoffe, dass wir uns weiter entwickeln. In 20 Jahren werden wir in unserem System weniger Emissionen haben. Mobilität und Energie wird sich gewendet haben. Die heutigen Verlierer sind morgen vielleicht die Gewinner. Weil sie am meisten von der Ressource Solarenergie zur Verfügung haben. Subsahara, Afrika, Südostasien – dort haben immer noch eine Milliarde keinen Zugang zu Energie.
Leapfrogging sozusagen.
Absolutes Leapfrogging. Warum sollten sie unsere alten Ideen nachbauen?
Braucht es dafür einen globalen Konsens?
Darauf werden wir uns zubewegen. Ich glaube total, dass Menschen immer weiter lernen. Die Welt vor 500 Jahren sah ganz anders aus. Ich glaube, in Menschen besteht der Wunsch nach Zivilisation, Gerechtigkeit, Freiheit, Fairness und so weiter. Die Welt ist nicht immer toll. Aber in winzigen Schritten bewegen wir uns auf eine immer bessere Welt zu.