Review: Apple iPad Mini (2019)With A Little love
7.5.2019 • Technik & Wissen – Text & Fotos: Thaddeus HerrmannTotgesagte leben länger: Mit einer Neuauflage des iPad Mini hatte eigentlich niemand mehr gerechnet. In Zeiten immer größer werdender Smartphone-Displays schien der Traum eines kleinen Tablets ein für alle Mal ausgeträumt. Denkste. Vor wenigen Wochen hat Apple dem Mini nach rund dreieinhalb Jahren erstmals wieder aktuelle Technik spendiert und auch Unterstützung für den hauseigenen Stylus eingebaut. Ist das neue iPad Mini heute nur noch ein Nischenprodukt oder ein Klassiker mit nach wie vor großem Potenzial?
Bei einem Blick zurück in die Historie sucht man ja oft nach den disruptiven Momenten, in denen sich die Dinge grundlegend verändert haben. Bei Apple markiert das Jahr 2012 solch einen Moment, vor allem was die Displays der iOS-Geräte anging, also iPhone und iPad. Der Bildschirm des Smartphones wuchs damals erstmals überhaupt in seiner Geschichte – von 3,5" auf 4". Und die gerade mal zwei Jahre alte Idee des iPads manifestierte sich mit gleich drei neuen Modellen – darunter das erste iPad Mini, mit kleinerem Screen, weniger Gewicht, Gesäßtaschen-Kompatibilität ab Bundweite 34 und ordentlich cuteness.
Apples Tablet – das darf man nicht vergessen – war 2010 als ein ziemlich undefinierbarer Heilsbringer gleich mehrerer Branchen gestartet. Vor allem die großen Medienhäuser waren hin und weg und voller Hoffnung, mit dem Gerät endlich den Sprung in die digitale Profitabilität zu schaffen, die Druckerpressen mittelfristig abschalten und ihre Zeitungen und Magazine fortan nur noch als kopiergeschützte und verkapselte E-Paper verkaufen zu können. Von Murdoch bis Döpfner galt ab sofort die Prämisse des App-Journalismus. Da lagen sie falsch, die Unsympathen der Medienbranche. Es sollte Jahre dauern und ordentlich Kapital kosten, bis die Verlage endlich auf wackligen, aber immerhin zwei Beinen in der digitalen Realität standen.
„Das iPad Mini war fast so klein wie ein Kindle, aber eben kein Plastikschrott, sondern mit Farb-Display und mehr Möglichkeiten.“
Apples Tablet – auch das darf man nicht vergessen – war in seinen ersten Jahren nicht nur auf der Suche nach einem echten Lebenssinn, sondern auch noch ein ziemlicher Klopper. Zwar hatten die Ingenieur*innen das Tablet bis 2012 bereits deutlich dünner bekommen und auch ein bisschen leichter. Aber gerade beim Medienkonsum – egal ob in der komfortablen Seitenlage oder in der Bahn – wollte sich der Zauber nicht recht einstellen. Da kam das iPad Mini gerade recht. Das war fast so klein wie ein Kindle, aber eben kein Plastikschrott, sondern mit Farb-Display und mehr Möglichkeiten. So ist es keine Überraschung, dass das Mini-Tablet mit seiner 7,9"-Bildschirmdiagonale zum Erfolg und immer wieder überarbeitet wurde. Bis 2015. Danach wurde es still um das Mini.
Zwar verschwand es nicht aus den Regalen, doch einen wirklichen Grund es zu kaufen gab es nicht mehr. Die Displays der Smartphones wurden immer größer. Ein Trend, dem sich auch Apple nach anfänglicher Bockigkeit nicht länger verschloss. Das Design der Geräte veränderte sich, und kleine(re) Tablets schienen plötzlich ein Phänomen, das nicht mehr zeitgemäß schien. Also ab damit auf den Schrottplatz? In die digitale „Ich wollte die Welt verändern, aber die Zeit war gegen mich“-Trauergruppe? Nö. Dreieinhalb Jahre später gibt Apple dem iPad Mini noch eine Chance.
Blast From The Past
Ich war immer Fan des iPad Mini – von Anfang an (siehe Reviews in mittlerweile von Unsympathen der Medienbranche abgeschalteten Portalen) bis 2014, habe es aber irgendwann auch nicht mehr benutzt. Gründe? Siehe oben. Die Dringlichkeit seines ursprünglichen use case löste sich mit den Jahren im Fortschritt schlicht auf. Warum Apple dieses Tablet in den vergangenen Jahren so tapfer weiterproduziert hat und nicht einfach hat auslaufen lassen: Darüber kann nur spekuliert werden. Eine Möglichkeit ist, dass es bei den Endkunden zwar keine große Rolle mehr spielte, im B2B-Bereich aber nach wie vor ein Bestseller war. Bei Außendienstler*innen, in der Produktion, wo mobile Bildschirme Trumpf sind, und nicht zuletzt im Einzelhandel für POS-Demos. Letzterer Einsatz könnte auch ausschlaggebend sein für die Tatsache, dass sich am Design des neuen iPad Minis rein gar nichts geändert hat – damit die neuen Geräte nach wie vor in die alten Aufsteller passen.
So wirkt das 2019er-Modell des Tablets auf den ersten (und zweiten) Blick dann auch ein wenig aus der Zeit gefallen. Ober- und unterhalb des Displays pranken große Einfassungen, die an alte Apple-Zeiten erinnern und gerade ob des vergleichsweise kleinen Displays schon arg auftragen. Innen jedoch ist alles neu: Der Prozessor ist der gleiche wie bei den aktuellen iPhones, das Display ist laminiert, bietet P3 als Farbraum und kann True Tone, auch die erste Generation des Apple Pencils wird unterstützt. Es klingt mit seinen 300 Gramm nach dem perfekten digitalen Notizbuch und YouTube-Fernseher, mit dem einem selbst im Bett nicht nach zehn Minuten der Arm einschläft. Oder einfach nach einem kleinen Tablet für kleine Menschen. Ist doch beides gut.
Taschenbuch hinter Glas
Aber auch ein bisschen komisch. Gegenüber meinem aktuellen Telefon, das ich in der Review ja noch als „Tor zur Welt“ betitelte, und außerdem mutig konstatierte, dass ich mir nun erstmalig zutrauen würde, eBooks nun auch auf dem Handy zu lesen, legt das iPad Mini „nur“ mit 1,2" mehr Display auf die Pixel-Schippe. Warum also die ganze Aufregung? Muss ich wohl blankziehen. Bücher lesen auf dem Smartphone ist einfach Quatsch. Artikel – ja, zumindest grob und oberflächlich. Für alles andere brauche ich einen anderen Fokus.
„Die 7,9" Bildschirmfläche sind wie ein Taschenbuch, das auch Twitter kann. Das Telefon hingegen kann Twitter und ist erst dann eines dieser irritierenden Mini-Bücher, die man immer öfter im Laden sieht und mit denen die Verlage Bestseller im Matrjoschka-kompatiblen Schmuggler-Format neu vermarkten.“
Und der stellt sich bei mir am iPad ein, ob nun Mini oder nicht. Mein Gehirn nimmt diese Geräteklasse anders wahr und assoziiert ganz automatisch andere Anwendungsgebiete damit. Zum Beispiel eben das Lesen. Die 7,9" Bildschirmfläche sind wie ein Taschenbuch, das auch Twitter kann. Das Telefon hingegen kann Twitter und ist erst dann eines dieser irritierenden Mini-Bücher, die man immer öfter im Laden sieht und mit denen die Verlage Bestseller im Matrjoschka-kompatiblen Schmuggler-Format neu vermarkten. Das Lesen auf dem iPad Mini ist eine wahre Freude und erinnert mich daran, warum ich dieses Tablet schon damals so sehr mochte. Das Mini ist eines dieser Geräte, die man gar nicht mehr hinlegen, sondern vielmehr als medialen Begleiter immer bei sich haben möchte – in den Umgebungen, in denen man das Telefon, endlich, in die Pause schicken konnte. Über die Psychologie der Display-Größen sollte mal ein Buch geschrieben werden. Das kaufe ich. Und lese es auf dem iPad Mini.
Reporter ohne Stift
Was für mich hingegen nicht wirklich überzeugend funktioniert, ist der Einsatz des Tablets als Notizbuch-Ersatz. Das hat mehrere Gründe. Zum einen bin ich bislang nach jedem Anlauf immer wieder zu Stift und Papier zurückgekehrt. Trotz aller Tools und Möglichkeiten, Handschrifterkennung und Synchronisation auf allen Apple-Geräten: Ich bin auf Papier einfach schneller, das so Geschriebene prägt sich mir besser ein. Sorry, Zukunft. Zum anderen entpuppt sich beim iPad Mini eine Design-Entscheidung als Hindernis. Der Apple Pencil der ersten Generation – gestartet mit dem ersten iPad Pro – bedient heute alle iPads jenseits der 2018er-Pro-Linie. Aufgepasst? Ja, es stimmt tatsächlich: Jedes iPad, das Apple heute verkauft, kann auch mit einem Stift bedient werden.
„Wäre dieser Apple Pencil ein Bleistift: Ich würde ihn erstmal runteranspitzen, und zwar ordentlich. Dann passt er auch besser hinters Ohr.“
Aber: Der erste Pencil ist im Falle des iPad Mini halt auch fast so lang wie das Tablet selbst, und das ist ergonomisch suboptimal. Vielleicht kann man sich daran gewöhnen. Vielleicht macht es auch einen Unterschied, ob man schreibt (ich) oder zeichnet (nicht ich), und vielleicht ist es wieder nur so ein dämlicher psychologischer Effekt: Aber auf (vergleichsweise) wenig Tablet möchte ich mit (vergleichsweise) viel Stift nicht schreiben. Wäre dieser Apple Pencil ein Bleistift, würde ich ihn erstmal runter anspitzen, und zwar ordentlich. Dann passt er auch besser hinters Ohr. Vielleicht macht sich ja die einzige Alternative zum Apple Pencil besser mit dem neuen Mini?
Großes Potenzial
Dass Apple das iPad Mini 2019 wieder aufgelegt und mit aktueller Technik ausgestattet hat, ist ein Glücksfall – Verpflichtung den Großkunden gegenüber hin oder her. Tatsache ist: 2019 ist Apple der einzige Hersteller überhaupt, der noch ein Tablet mit aktueller Technik in dieser Größe anbietet. In der Android-Welt gibt es nichts Vergleichbares. Das macht das Gerät zu einem Nischenprodukt. Wie groß oder klein diese Nische aber wirklich ist, weiß man nicht. Ich tippe auf ziemlich groß. Denn die Vorteile eines solchen Geräts liegen auf bzw. buchstäblich in der Hand: ein ausreichend großes Display, verpackt in ein platzsparendes Gehäuse und kombiniert mit den Stärken von iOS anno 2019. Beim iPad Mini geht es nicht um Produktivität, um die neue Definition des Begriffs Computer oder darum, den Laptop zu ersetzen. Das iPad Mini ist eine ultra-mobile Universal-Lösung, die man am besten ohne SIM-Karte nutzt – auch wenn das natürlich möglich ist. Dank der aktuellen Technik und dem A12-Bionic-Prozessor ist das Tablet für die kommenden Jahre bestens gewappnet, alles auszuhalten und auszuführen, was die Zukunft uns bringen wird.
Dabei spielt Netflix, pardon: Apple TV+, nur eine Rolle unter vielen. Gerade der kompakte Formfaktor macht das Mini zum idealen und groß-screenigen Begleiter nicht nur für Spiele – auch in Verbindung mit AR. Das hat natürlich, wie immer, seinen Preis. Das iPad Mini gibt es ab 449 Euro. Immer noch preiswerter als ein aktuelles iPhone. Aber im Zweifelsfall stellt sich hier unbedingt die Frage der Notwendigkeit. Immerhin gibt es auch ein Tablet für 100 Euro weniger und mit größerem Display. Aber vielleicht gibt es Menschen, denen das klassische 10"-Format schon zu groß ist. Oder die 2019 kein Gerät mehr kaufen wollen mit einem Prozessor, der zwei Generationen hinten dran ist. In Apples Öko-System spielt das keine so große Rolle wie bei Android. Aber: Irgendwann laufen auch hier keine OS-Updates mehr auf. Und dann zählt jedes Jahr, jede Prozessor-Generation. Ich habe die vergangenen Wochen mit dem iPad Mini als ausgesprochen erhellend empfunden: Ja, diese Größe hat ihre Berechtigung – für eine noch intimere Auseinandersetzung mit ganz bestimmten Arten von Medien und Formaten – von denen Murdoch und Döpfner damals niemals geträumt hätten. Geschieht ihnen recht.