Clubkultur als UtopieEin Interview mit Sarah Ulrich und Xavi Thiem vom Balance Festival in Leipzig
12.4.2019 • Kultur – Text: Ji-Hun KimDas Thema Clubkultur spielt die zentrale Rolle beim Balance Festival, das am letzten Mai-Wochenende in Leipzig zum zweiten Mal stattfinden wird. Ein Austragungsort ist der Club IfZ (Institut für Zukunft), der seit seiner Eröffnung vor fünf Jahren auch international für Aufmerksamkeit gesorgt hat. Das interdisziplinäre Festivalteam bespielt den Themenkomplex aus diversen Perspektiven. Neben Musik und Clubnächten nehmen auch Performances, Vorträge, Diskussionen und Workshops eine zentrale Rolle ein. Teil des Festivalteams sind Sarah Ulrich und Xavi Thiem. Im Interview erklären sie ihre Definition von Clubkultur, langwierige Annäherungsprozesse mit der Stadt Leipzig und wieso Clubkultur helfen kann, Gegenentwürfe für eine bessere Welt zu schaffen.
Erzählt doch zuerst, was ihr neben dem Festival eigentlich macht und welche Rolle ihr beim Balance einnehmt.
Xavi Thiem: Ich bin Mitbegründer vom Institut für Zukunft in Leipzig. Dort bin ich Managers und Supervisors und kümmere mich um die Verwaltung. Beim Balance kümmere ich mich um Booking, Produktion, Finanzen und habe das Festival mittinitiiert. Unser Kernteam besteht aus sieben Leuten. Dazu zählen Anja Kaiser (Design), Anna Jehle (Performance und Kunst), Ulla Heinrich (PR), Jonas Holfeld/Stanley Schmidt (Booking) und Kyle van Horn.
Sarah Ulrich: Ich bin Journalistin, arbeite für verschiedene Medien zu verschiedenen Themen, darunter auch Clubkultur. Beim Balance Festival bin ich für die Kuration des diskursiven Tagesprogramms zuständig. Dazu gehören Workshops, Panels und so weiter.
Worum geht es euch bei dem Festival?
Sarah: Es geht ohne Frage um Musik. Aber Balance steht auch dafür, Räume zu schaffen, damit zu experimentieren. Wir wollen erforschen, inwiefern Clubkultur Gegenkultur sein kann. Können Gegenentwürfe von gesellschaftlichen Räumen erprobt werden? Können Identitäten aufgebrochen werden? Wir setzen uns derzeit intensiv mit dem Thema Body Politics auseinander. Dazu die Frage, inwiefern marginalisierte Körper sich Raum schaffen und aneignen können. Die aktuelle Edition fußt auf drei Säulen: performative Kunst, Diskurs und Musik.
Man könnte meinen, Leipzigs Clubkultur ist mit seinen politischen Diskursen landesweit schon etwas besonderes. Wie würdet ihr das einschätzen?
Xavi: Es geht um eine Lebensansicht. In Leipzig ist das IfZ aus linken politischen Zusammenhängen heraus entstanden. Es geht eben nicht nur ums Feiern und Saufen, sondern darum, gemeinsame Räume temporärer Utopie zu schaffen. Einen gewissen theoretischen Überbau gibt es da schon, das macht Leipzig besonders. Nicht nur das IfZ, auch der Club Mjut ist da ähnlich aufgestellt. Auch dort werden stundenlang auf Plenardiskussionen bis ins kleinste Detail Dinge durchgekaut. Für mich ist aber genau das Clubkultur. Gemeinsam im Kollektiv diese Arbeit zu gestalten. Das ist lebendig und deckt mehr als nur die Wochenendbelustigung ab.
Sarah: Es gibt zwischen Diskurs und Clubkultur viele Überschneidungen. Dabei geht es um Fragen wie: Welche Identität nehme ich im Club an? Wie wird mit Sexualität experimentiert? Wie funktionieren Ausschlussmechanismen? Der Club ist immer auch Spiegelbild der Gesellschaft, auch oder gerade wenn er versucht Gegenentwürfe zu liefern. Dann kommt man nicht umhin, diese Fragen auch politisch zu diskutieren. Gerade in heutigen Zeiten, in denen immer mehr Ausschluss produziert wird. Diesbezüglich ist Leipzig ein fruchtbarer Ort. Hier wird viel diskutiert, und die Leute sind empfänglich für solche Themen.
Das IfZ hatte in der Vergangenheit im Rahmen der Sperrstundendebatte in Leipzig einige Probleme mit der Stadt und den Behörden. Einige Zeit lang musste der Club um 5 Uhr für eine Stunde schließen. Mittlerweile scheint der Status von Clubkultur ein anderer zu sein. Das Balance wird mit öffentlichen Fördermitteln unterstützt. Wie versöhnlich ist der Umgang mittlerweile?
Xavi: Die Anfangszeiten waren kompliziert. Auch weil keiner von uns so richtig Erfahrungen hatte, wie man zwischen Amt, Steuerabrechnungen und Tagesgeschäft zu navigieren hatte. Mittlerweile hat sich das gut eingeschliffen. Jetzt hat man Kapazitäten, sich abseits der regulären Abläufe auf Projekte wie das Festival zu konzentrieren. Wir haben Kontakte zur Stadt aufbauen können, aber auch zu anderen Institutionen. Es ist ein schönes Gefühl, nach fünf Jahren die Anerkennung zu bekommen für die Arbeit, die man da macht. Viele verstehen zwar noch immer nicht, was wir mit Clubkultur meinen oder inwiefern sich das von typischen Großraumdiscos unterscheidet. Es ist dennoch ein wichtiger Baustein, dass wir von jenen Leuten, die am längeren Hebel sitzen, auch anerkannt werden.
Sarah: Ich habe das Thema lange Zeit journalistisch begleitet und war bei Stadtratssitzungen und politischen Diskussionen zu dem Thema dabei. Das hat die Distillery genauso betroffen. Im Laufe der Sperrstundendebatte gab es einen Wandel in der Auseinandersetzung. Als das IfZ aufgemacht hat, hieß es bei den meisten noch relativ polemisch: das Berghain Leipzigs. Mehr und mehr haben sich aber Politiker*innen des Themas angenommen. Sie haben gesehen, wie vielfältig das kulturelle Programm abseits des Clubs ist und sich zunehmend dafür interessiert. Trotzdem muss man sagen, dass sich das IfZ durch die Sperrstundendebatte eine gute Position erarbeitet hat. Es gab viel Öffentlichkeitsarbeit, Aufklärung und Gespräche. Anderen subkulturellen Einrichtungen in Leipzig geht es aber nicht so gut. Das So & So, das kürzlich schließen musste, war so ein wichtiger Ort. Da gab es Proberäume, da haben sich Leute vernetzt, da ging es nicht nur um Party. Aber nun wurde der Ort von der CG Gruppe aufgekauft, und die Betreiber mussten gehen. Da werden nun Häuser gebaut.
Woher aber der generelle Sinneswandel?
Xavi: Clubkultur als touristischer Wirtschaftsfaktor wie in Berlin ist zunächst nicht der ausschlaggebende Punkt. Das gibt Leipzig nicht her und wird es auch nicht in dem Maße, wie es in Berlin der Fall ist. Die Einsicht ist gereift, dass Clubkultur eine relevante Jugendkultur ist. Das sind ja immer die Leute, die eine Stadt erst lebendig und attraktiv machen. Das könnte man einen weichen Standortfaktor nennen. Mir geht es aber nicht darum, Leipzig besser oder schöner zu machen. Vor allem möchte ich mich nicht vor diesen Karren spannen lassen.
Sarah: Am langen Ende hat es doch wieder mit Wirtschaftsfaktoren zu tun. Es geht auch darum, die Stadt attraktiver zu machen. Als Studentenstadt möchte man Zuzug generieren und Studierende sind die, die auf solche Veranstaltungen gehen. Das Spannende an der Sperrstundendebatte war, dass dem IfZ die Sperrstunde auferlegt, aber zugleich auf einer offiziellen Stadtmarketing-Webseite damit geworben wurde, wie weltoffen und bunt Leipzig sei und dass es eben keine Sperrstunde gebe. Da hat selbst die Politik gemerkt, dass das so natürlich nicht funktionieren kann.
Xavi: Die erste Reaktion vonseiten der Politik war, dass während der aufkeimenden Diskussion der besagte Satz von der Webseite gestrichen wurde. Das hat natürlich für viele Lacher gesorgt.
Wie kuschelig darf es mit der Stadt und anderen öffentlichen Einrichtungen werden? Gerade wenn so ein Projekt wie das IfZ aus einer bewussten Gegenkultur heraus entstanden ist?
Xavi: Eine schwierige Frage. Als wir mit dem Club angefangen haben, war das Ergebnis einer Antihaltung. Dass man jetzt mit in die Mühlen reinrutscht, daran muss man sich gewöhnen.
Sarah: Wir wollen mit dem Balance Festival unter dem Label „Club Culture Festival“ etwas veranstalten, wo von vornherein klar ist, dass es weder Hochkultur, noch eine Mainstream-Veranstaltung ist. Dass eigene politische Inhalte gesetzt werden. Natürlich ist man auf Gelder angewiesen – das ist ein Konflikt. So ein Festival kann durch Fördergelder aber erst bestehen. Wir müssen Anträge bearbeiten und auch das Logo des Freistaat Sachsens abbilden. Aber damit kann man ja transparent umgehen.
Eure Definition von Clubkultur ist für mich zwar einleuchtend. Ich habe aber das Gefühl, dass es andernorts oft um was anderes geht. Clubs sind häufig heteronormative Orte, wo es auch mal übergriffig wird und sich Frauen spät nachts nicht mehr alleine auf den Dancefloor trauen. Auch kommen Ausländer seltener in bestimmte Clubs. Wie versucht ihr dieses Gewirr zu entflechten?
Sarah: Erstmal muss man Fragen stellen. Wir können nicht die perfekte Utopie bieten, das ist unmöglich. Aber wir können fragen, wie man dieser Utopie ein Stückchen näher kommen kann.
Clubkultur ist gelebte Utopie?
Sarah: Es wäre anmaßend, zu behaupten, dass wir das zu 100 Prozent schaffen. Wir versuchen es zumindest. Im Endeffekt wollen wir ideale Räume bieten. Wir arbeiten daher auch nicht mit dem Wort Safe Spaces. Wir glauben nicht, dass es in dieser Gesellschaft so etwas gibt. Wir können aber Safer Spaces, also sicherere Orte etablieren. Insbesondere für marginalisierte Gruppen, wie von Sexismus und Rassismus betroffene Personen. Was braucht es, damit dieser Ausschluss in diesen Räumen nicht mehr generiert wird? Damit es nicht mehr zu Übergriffen kommt und dass sich Frauen trauen, alleine tanzen zu gehen, ohne Angst zu haben, angegrabscht zu werden. Da geht es um viele Sachen: ein ausgeglichenes Booking, aber auch die Sichtbarkeit von Transpersonen. Es geht zudem darum, Privilegien zu hinterfragen. Diese Normen aufzubrechen, die auf einer Standard-Party einfach passieren, weil sie ein gesellschaftliches Abbild sind. Das ist interessant und herausfordernd – und kann eben auch politische Debatten anregen.
Die zweite Ausgabe des Balance Festival findet vom 29. Mai bis 2. Juni 2019 in Leipzig statt. Mit Helena Hauff, Carla Dal Forno, Juliana Huxtable, VTSS, M.E.S.H. und vielen mehr. Mehr Informationen zum Festival gibt es hier: Balance Festival