Heute leider nichtBerlinale 2019: „Berlin Bouncer“ von David Dietl
11.2.2019 • Film – Text: Christian Blumberg„Berlin Bouncer“ ist das Porträt von drei illustren Türstehern. Einerseits. Anderseits geht es um das Berliner Nachtleben. Schon wieder. Dieser allseits bekannten Geschichte hat der Film aber leider nicht viel hinzuzufügen. Da müssen wir jetzt durch.
Perspektivwechsel: Im Normalfall sind es ja die Türsteher, die ihr Publikum mit Blicken mustern. Da ist es eigentlich nur fair, wenn die sich auch mal beäugen lassen, und sei es nur für die Länge eines Dokumentarfilms. Den hat jetzt David Dietl gedreht. Natürlich in Berlin. Und ja, Sven Marquardt kommt auch darin davor. Und nein, er verrät wieder nicht, wie man garantiert an ihm und seinem Team vorbeikommt. Und ja, es gibt auch noch andere Türsteher. Und ja, mit Smiley Baldwin (früher vorm Cookies) und Frank Künster (früher vorm King Size, und noch früher vorm Delicious Doughnuts) werden hier auch zwei davon portraitiert. Aber nein, sorry, keine andere Tür generiert so viel Interesse wie die des Berghains, und deshalb muss, nochmal sorry, auch dieser Text mit ihr beginnen.
Erstmal googeln. Von der großen Tageszeitung bis zu diesen seltsamen Online-News-Portalen: Alle haben mindestens einen Artikel in petto, der mit einer vermeintlichen Einlass-Formel Clickbait betreibt. Wenn es dann trotzdem nicht geklappt hat, spendet vielleicht eine andere Sorte Artikel Trost: solche, die aufzählen, welche Promis auch alles schon an der Tür gescheitert sind. Diese Art der Berghain-Berichterstattung ist schon deshalb ein bemerkenswertes Mikro-Genre, weil sich hier journalistische Gepflogenheiten fröhlich verkehren: Über welchen anderen Ort lohnt es sich schon zu berichten, wenn es doch eigentlich gar nichts zu berichten gibt, weil man schließlich gar nicht da war? Vielleicht Atlantis? Aber gibt es dafür etwa Einlass-Training-Apps wie Berghaintrainer.com? Oder Facebook-Gruppen, deren Mitglieder ihre Tür-Experiences täglich in Memes übersetzen? Vor einigen Wochen erschien mit „Die Clubmaschine: (Berghain)“ ein Buch, das den Club als soziokulturellen Raum beschreiben und - Zitat Klappentext – „kein verklärender Erfahrungsbericht“ sein will. Und jetzt raten Sie bitte, aber nur einmal, mit welcher Szene dieser Text beginnt. Auflösung: „(…) dann stellt sich Sven vor mich hin, verschränkt die Arme und und schaut mir tief in die Augen“. Mythos! Mythos! Mythos! Kein Wunder, dass in der Schlange vorm Berghain jedes Wochenende demütige Stille einkehrt, je näher man sich der Tür denn wirklich nähert.
Künster präsentiert sich mal als Ladies Man (an der Tür), mal als Intellektueller (beim Artist Weekend), dann wieder als knuffiger Grobian (beim Klassentreffen am Grill). Außerdem schmiert er wirklich spektakuläre Nutellabrötchen.
Die gute Nachricht ist, dass Dietls Film zumindest diese Mythenbildung nicht mitmacht. Ob dies nun eine kluge Entscheidung war oder dem Umstand geschuldet, dass Marquardt sich nicht bei der Arbeit filmen lässt, das sei mal dahin gestellt. Berlin Bouncer beschäftigt sich auch gar nicht so sehr mit der Tür an sich oder der Frage, warum eine „harte Tür“ überhaupt notwendig ist – das erledigt dann Frank Künster mit seiner Vokabel des „Exzessbetreuers“. Also erstmal Fokus auf die drei Protagonisten. Das Portrait von Künster gelingt hier am besten, weil der die Aufmerksamkeit einer Kamera offensichtlich genießt. Künster hat die Aussprache eines Theaterschauspielers, rollt bedeutungsvoll das R und beherrscht die lateinische Pluralbildung. Er präsentiert sich mal als Ladies Man (an der Tür), mal als Intellektueller (beim Artist Weekend), dann wieder als knuffiger Grobian (beim Klassentreffen am Grill). Außerdem schmiert er wirklich spektakuläre Nutellabrötchen. Sven Marquardt gibt sich ebenso auskunftsfreudig, wahrt dabei aber professionelle Distanz. Eine Sequenz zeigt ihn beim Wochenend-Retreat an der Ostsee, Regisseur Dietl versucht ihm etwas sehr Privates zu entlocken. Während Marquardts Antwort kann man beobachten, wie er sich darauf einzulassen erwägt, sich dann aber doch noch dagegen entscheidet.
Auch Smiley Baldwin folgt Berlin Bouncer über die Stadtgrenzen hinaus, bis auf die Virgin Islands. Von dort stammt Baldwins Familie, der einst als G.I. in die Hauptstadt kam. Jetzt sitzen er und sein Onkel auf einer Veranda, sie haben sich jahrelang nicht gesehen. Baldwin trägt ein #Black Lives Matter-Shirt, sie vergleichen das Leben in der Karibik mit dem im fernen Deutschland. Eigentlich eine dankbare Ausgangssituation für einen Dokumentarfilm. Und was macht Dietl? Pickt aus dem Gespräch zwei stereotype Halbsätze über das ach so „organisierte“ und „saubere“ Deutschland, schneidet zur Bestätigung noch Klischeebilder von überquellenden Mülleimern auf St. Thomas hintendran und fertig. Viel weniger Interesse kann man seinem Gegenstand kaum entgegenbringen.
Formal fällt dem Film nichts ein. Wie ein Beitrag aus einem öffentlich-rechtlichen Kulturmagazin sieht er aus. Nur eben länger.
Die Szene offenbart das eigentliche Problem des Films. Der interessiert sich nämlich vor allem dafür, das allseits bekannte, langsam auserzählte Narrativ des Berliner Nachtlebens einfach noch ein weiteres Mal aufzurollen. Da sind sie wieder, die Verklärung und der Mythos. Die wilden 90er in Mitte! So frei, jaja, so lebendig. Wird man ja wohl irgendwie abgreifen können, diese Lebendigkeit. Wird schon auf den eigenen Film abstrahlen. Da machen wir noch ein paar Bilder von Clubgänger*innen, mit S-Bahn-Trasse im Hintergrund, hui! Hauptstadt-Flair und Clubszene, das geht schließlich immer. Geht doch auch bei Netflix und so. Im Pressematerial zum Film gibt es ein Director’s Statement. Da erzählt Dietl, wie er die Idee hatte, einen Film über das Berliner Nachtleben zu drehen. Oh boy! Ein Film über das Berliner Nachtleben – ist das nicht sowas wie das Gegenteil einer Idee? Formal fällt Berlin Bouncer auch nichts ein. Wie ein Beitrag aus einem öffentlich-rechtlichen Kulturmagazin sieht er aus. Nur eben länger. Fast so lang wie einmal Schlange stehen am Wriezener Bahnhof. Da ist die Zeit aber besser investiert, denn Berlin Bouncer ist leider nur ein ganz dünnes Süppchen von einem Film, der nur deswegen nicht vollends absäuft, weil ihm mit Baldwin, Marquardt und Künster eben drei interessante Typen zur Verfügung stehen, denen man gerne zuhört. In diesem Sinne: Don’t forget to thank your bouncer!
Berlin Bouncer
Deutschland, 2019
Regie: David Dietl
Mit: Smiley Baldwin, Sven Marquardt, Frank Künster
Screenings während der Berlinale:
11.02., Colosseum 1, 22h
16.02., CinemaxX 1, 20h
Kinostart: 11.04.2019