Zum Abschied FrauenpowerWas ihr bei der Berlinale 2019 nicht verpassen dürft

Berlinale2019

Weitermachen Sanssouci / © Carlos Andrés Lopéz & Amerikafilm

Endlich startet die Berlinale. Die 69. Ausgabe ist die letzte von Festivaldirektor Dieter Kosslick. Tim Schenkl hat wie jedes Jahr das Programmheft gewälzt und verrät euch, für welche Filme es sich lohnt, sich in die Schlange zu stellen.

Ein Filmfestival im Wandel. Dieter Kosslick verabschiedet sich nach 18 Jahren von der Berlinale. Der umstrittene Festivaldirektor, dem häufig vorgeworfen wurde, mehr vom Essen als vom Kino zu verstehen – das „Kulinarisches Kino“ gilt als Kosslicks wichtigster inhaltlicher Beitrag seiner Amtszeit – übergibt das Zepter an Carlo Chatrian, der bis vor Kurzem das Festival von Locarno geleitetet hat. Es wird spannend werden zu sehen, ob es dem Italiener besser als es seinem Vorgänger gelingt, erfolgreiches Publikumsfestival und anspruchsvollen sowie international anerkannten Arthousefilm miteinander in Einklang zu bringen.
Der Ruf nach besseren Filmen, besonders im Wettbewerb, wurde in der Kosslick-Zeit jedes Jahr lauter und fand seinen Höhepunkt 2018 in einem offenen Brief, der von 79 deutschen Filmschaffenden unterzeichnet wurde. Es ist jedoch weiterhin schwer vorstellbar, dass große Namen wie Lars von Trier, Pedro Almodóvar oder Michael Haneke zukünftig die sonnige Croisette in Cannes gegen den kalten Berliner Winter eintauschen werden, und man darf auch nicht vergessen, dass von den Kritikern gefeierte Autorenfilmer wie Hong Sangsoo oder Lav Diaz ihre Werke in den letzten Jahren durchaus im Wettbewerb präsentieren durften, dies jedoch dann zumeist vor äußerst leeren Rängen taten.

Spätestens seit Asia Argentos Auftritt 2018 in Cannes sind #metoo sowie das Thema Ungleichbehandlung von Frauen im Filmgeschäft auch in der Filmfestivalszene angekommen. Dieter Kosslick und sein Team versuchen in diesem Jahr ein deutliches Zeichen gegen die weiterhin existierenden Missstände zu setzen, und dafür verdienen sie Applaus! Juliette Binoche ist die Jury-Präsidentin der Berlinale 2019; die Dänin Lone Scherfig hat den Eröffnungsfilm The Kindness of Strangers gedreht; die Retrospektive trägt den Titel „Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen“. Im Wettbewerb lassen sich sage und schreibe acht Filme von Regisseurinnen finden – im Wettbewerb von Cannes waren es 2018 lediglich drei. Betrachtet man jedoch die Gesamtheit der Wettbewerbsfilme, so muss man feststellen, dass wir von einer Gleichstellung von Frauen und Männern immer noch weit entfernt sind: 15 Filme des Wettbewerbs wurden von Regisseuren gedreht.

Eggert

Maren Eggert und Dane Komljen in Ich war zuhause, aber / © Nachmittagfilm

Rogowski

Franz Rogowski in Ich war zuhause, aber / © Nachmittagfilm

Wettbewerb

Der Film, auf den ich mich im Wettbewerb am meisten freue, stammt von Angela Schanelec. Mit Ich war zuhause, aber folgt sie dem Vorbild ihres Berliner-Schule-Kollegen Christian Petzold, der 2018 für seinen Wettbewerbsfilm Transit ebenfalls den deutschen Jungstar Franz Rogowski castete. Es ist jedoch zu hören, dass dessen Rolle diesmal deutlich kleiner ausfällt.
Im Mittelpunkt der Handlung stehen, so verrät es das Programmheft, Astrid (Maren Eggert) und ihr Sohn Phillip (Jakob Lassalle). Beide müssen nach dem Tod von Phillips Vater ihr Leben neu sortieren und ihre Beziehung zueinander überdenken.
Die sehr strengen und eher unterkühlten Filme von Angela Schanelec können teilweise recht anstrengend sein und sind sicher nicht jedermanns Sache. Ihre große künstlerische Konsequenz und ihr starker Formwille machen die Regisseurin jedoch zu einer der wichtigsten Stimmen der deutschen Filmlandschaft.
Zu diesen zählt auch der Hamburger Filmemacher Fatih Akin, der bei seiner letzten Festivalteilnahme für Gegen die Wand (2004) den Goldenen Bären erhielt. Dieses Mal ist er mit der Adaption des Romans von Heinz Strunk Der goldene Handschuh am Start. Der Trailer ist mit seiner ausgestellten Ekligkeit so gar nicht mein Fall, gespannt bin ich aber trotzdem.

Forum

Auch das Forum befindet sich nach dem Abschied von Sektions-Leiter Christoph Terhechte im Umbruch. In diesem Jahr zeigt sich interimistisch eine Troika, bestehend aus Milena Gregor, Birgit Kohler und Stefanie Schulte Strathaus, für das Programm verantwortlich. Denjenigen, die schon einmal eine Universität von innen gesehen haben oder planen, dies zu tun, und natürlich auch allen anderen kann ich nur Max Linz’ Weitermachen Sanssouci empfehlen. Der Film ist eine brillant beobachtete und teilweise sehr witzige Bestandsaufnahme der aktuellen Wissenschaftswelt und verfügt mit Sophie Rois und Sarah Ralfs über zwei tolle Hauptdarstellerinnen. Gutes habe ich auch von der Horror-Satire Demons von Daniel Hui sowie über den Schweizer Kolonialismus-Essayfilm African Mirror von Mischa Hedinger gehört.

Panorama

Über das Panorama, welches in jedem Jahr einen Überblick über das internationale Filmschaffen geben will, wurde an dieser Stelle schon häufiger gelästert. Um so erstaunlicher ist es, dass hier dieses Mal gleich mehrere interessante Filme laufen.
Neben dem Regiedebüt von Casey Affleck Light Of My Life gibt es auch die erste Arbeit hinter der Kamera von Jonah Hill zu sehen. Mid90s porträtiert die Skateboardszene im Los Angeles der 1990er-Jahre: Ein aus Komödien bekannter Schauspieler macht einen „künstlerisch anspruchsvollen“ Film über seine Jugendzeit, gedreht wird dieser natürlich auf 16mm-Filmmaterial und im 4:3-Format. Dazu hört man die besten HipHop-Tracks der Dekade. Klingt nach Hipster-Bullshit, aber irgendwie habe ich trotzdem große Lust auf den Film.
Nachdem er mit A Blast (2014) über den Amoklauf einer frustrierten jungen Mutter internationale Erfolge feierte, kommt Syllas Tzoumerkas nun mit seinem neuen Film The Miracle of the Sargasso Sea nach Berlin. Mit dabei ist wieder die griechische Star-Schauspielerin Angeliki Papoulia, die eine Polizistin verkörpert, welche charakterlich anscheinend an Harvey Keitels Figur in Bad Lieutenant erinnern soll. Außerdem werde ich mir auf jeden Fall What She Said: The Art of Pauline Kael über die einflussreiche US-amerikanische Filmkritikerin Pauline Kael ansehen. Der Regisseur Rob Garver führte für den Film unter anderem Interviews mit Quentin Tarantino, Alec Baldwin, Paul Schrader und Sarah Jessica Parker.

melancholisches Mädchen

Das melancholische Mädchen / © dffb

Angucken sollte man sich unbedingt auch Das melancholische Mädchen von Susanne Heinrich. Der Film sollte eigentlich auf der parallel zu Berlinale stattfindenden „Woche der Kritik“ zu sehen sein. Nachdem er aber den Hauptpreis beim diesjährigen Max-Öphuls-Preis gewann, läuft er nun zusätzlich auch auf der Berlinale in der Sektion „Perspektive Deutsches Kino“. In der Jurybegründung heißt es: „Ein Film, dem es endlich gelingt, eine Sprache für eine ganze Generation von traurigen Mädchen zu finden“. Das klingt doch gut.

„The Brexit Landscape“Infografik-Pionier David McCandless erklärt den Brexit

„Beim Apfel sehe ich nicht die braunen Stellen, sondern den knackigen Rest“Interview: Sophia Hoffmann über ihr neues Buch „Zero Waste Küche“