Review: Apple Watch Series 4 & iPhone XS MaxSelected Ambient Works 2018

iPhone XS lede

Neuer Herbst, neue iPhones, neue Apple Watch: Wir nehmen die neuen Geräte aus Cupertino unter die Lupe, hören Brian Eno, schießen Selfies, tracken unsere Herzfrequenz und fragen die Frage aller Fragen: Ist Apple nun Techno, Ambient, oder doch beides?

iPhone XS Max – Tor zur Welt

Wollen wir uns ein bisschen Musik anmachen? Schön.

Es gab mal eine Zeit, da waren neue Smartphones purer Techno. Sie wurden jedes Jahr schneller (wie der Techno), größer (beim Techno wäre das lauter), waren aber gleichzeitig aber auch immer ein bisschen rumpelig, edgy, noch voller Fehler (so wie guter Techno eben sein muss) oder einfach nur mit einem crazy Feature ausgestattet, das überhaupt nicht funktionierte: Gabba-Remix. Lang ist’s her. Heute sind neue Telefone vor allem eins: Ambient. Auf dem Plateau der Technologie weht eine sanfte Brise, dünne und elegant gekurvte Ensembles aus Glas und Metall liegen in der Sonne. Die Innovationen prasseln nicht mehr wie Vulkanexplosionen auf uns hinab, sie mäandern, langsam aber stetig, aus den Laboren in die Geräte. Machen überall kleine, feine und wichtige Unterschiede und bringen das Projekt Perfektion stetig voran, aber auf leisen Sohlen. So wie es sich für zeitlosen Ambient gehört – stilles Flirren strahlt am längsten.

Nun mag ich beides: Ambient und Techno. Und im letzten Jahr releaste Apple dann tatsächlich nochmal eine Techno-12" mit der prägnanten Katalognummer „X“, auf der der sehr erfolgreiche, aber vor allem funktionale Groove der vergangenen Jahre über Bord geworfen und von Grund auf neu gedacht wurde. Der neue Sound war – und ist – schon sehr fresh, ungefähr so, als habe man im Studio endlich die Plug-ins gegen die echten Synths getauscht. Und das Sound-Design wurde in den vergangenen elf Monaten zigfach kopiert. Auch nur annähernd herangekommen an das Original ist niemand. Genau das ist der Grund dafür, dass es sich Apple 2018 leisten kann, statt neuer Bassdrum-Experimente einen Ambient-Remix zu veröffentlichen.

Ihr wisst, wo ich mit dem Gedankenspiel hin will. Das iPhone X von 2017 war eine Art Neustart in Sachen Smartphone-Business bei Apple. Und genau dieser Neustart wird aktuell ambient-mäandernd verbessert, feinjustiert und überarbeitet, während andere Hersteller einfach nur das markante Notch-Design übernehmen, ohne dabei diese Aussparung im Bildschirm faktisch rechtfertigen zu können – mit technischen Komponenten, die diesen Platz benötigen.

Confusio linguarum

2018 gibt es drei neue Telefone aus Cupertino: das XS – den direkten Nachfolger des X und dessen Display-Größe von 5,8" –, das XS Max – mit größerem Display, um das wir uns hier kümmern –, und das XR – das kommt erst in zwei Wochen in den Handel: preisgünstiger, ohne Dual-Kamera, mit einer Display-Größe von 6,1" in bewährter IPS-Technik. Natürlich sind die Namen ziemlich bis volle Kanne dämlich – nicht vergessen: Das X wird wie 10 ausgesprochen –, aber das nur nebenbei. Wofür mag das R im XR wohl stehen? Radical? Ridiculous? Rave, weil gibt es ja auch in bunt? Und wer ist eigentlich Max? Einzig das S ist ein alter Bekannter und bezeichnete in der Vergangenheit immer die verbesserten Versionen der durchnummerierten Gerätegenerationen. Wofür das S hingegen steht, weiß auch niemand wirklich. Speed, Sex, Siri, Super, Shuffle, Supercollider? Lassen wir das.

Mehr von allem

Auch Ambient kann schieben. Die aktuellen iPhones sind randvoll mit neuen Features, die einen all das, was man mit dem Telefon den ganzen Tag über so tut, an vielen Stellen noch besser bewerkstelligen lässt. Löblich: Das XS und das XS Max unterscheiden sich tatsächlich nur in der Bildschirm- und Akku-Größe, setzen sonst aber auf die gleichen Upgrades. Die lesen sich allesamt eher abstrakt – sind sie ja auch – und müssen hier nicht nochmal runtergebetet werden. Natürlich kann man all diese Verbesserungen jede Saison aufs Neue detailreich auseinandernehmen und kontextualisieren. Aber warum? Es ist doch so: Die echten Auskenner schauen sich die Benchmarks des neuen A12-Bionic-Prozessors an und bekommen dabei Hitzewallungen, ziehen die obligaten Vergleiche zu Intel-Chips und fragen sich, wie Apple es geschafft hat, in nur wenigen Jahren so ein Business aufzuziehen. Derweil sind die Nörgler am Nörgeln, da sei ja nun gar nichts Neues dran – schwache Vorstellung, die auch noch gleich aussieht. Und auf YouTube startet praktisch jede Review mit dem Satz: „Fangen wir doch mal beim Design an“. Ich fange lieber beim Display an. Mein Text, meine Party.

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Das iPhone XS Max (links) und das iPhone 8 Plus (rechts). Das XS Max ist minimal kleiner und hat doch ein deutlich größeres Display

Mit dem XS Max traue ich mir zum ersten Mal zu, ein eBook tatsächlich auf dem Telefon zu lesen.

Das Modell XS Max, das mir zum Test vorliegt, ist das iPhone mit dem bislang größten Display überhaupt. 6,5" in der Diagonale, wie schon beim X aus dem vergangenen Jahr in OLED und hier in diesem Fall mit 2.688 x 1.242 Pixeln. 6,5", das klingt ein bisschen wahnsinnig groß, kommt mir und meinen alten Augen aber sehr entgegen. Viel hilft viel, je schärfer und größer, desto besser – vor allem in Kombination mit der Kalibrierung des Bildschirms, die Apple hier vornimmt. Das Panel selbst dürfte wieder von Samsung stammen. Die Farbtreue jedoch wird in Cupertino bestimmt. Und die ist genau so: treu und akkurat. Nicht übertrieben bunt, keine bewusste Akzentuierung oder Hervorhebung bestimmter Farbbereiche – schlichtweg harmonisch und stimmig. Allein deshalb bin ich schon bereit, mir den Klotz in die Jacken- und ab dem Frühjahr dann wieder in die Hosentasche zu stecken. Schon vor ein paar Jahren war ich ob der größeren Displays in die Plus-Fraktion gewechselt, die aber immer eine kleine Mogelpackung waren. Natürlich war der damalige 5,5"-Bildschirm größer als der des 4,7"-Modells, aber die fetten Rahmen ober- und unterhalb des Screens entpuppten sich als pure Platzverschwendung. Mit dem XS Max traue ich mir zum ersten Mal zu, ein eBook tatsächlich auf dem Telefon zu lesen. Die neuen Abmessungen helfen auch in allen anderen Apps, selbst YouTube glänzt in einer Art cineastischen Barrierefreiheit – unterstützt durch die neuen Stereo-Lautsprecher, die im Vergleich zum X nochmals lauter und klarer klingen. Die Soundstage macht Stereo tatsächlich auch ohne Kopfhörer hörbar.

Ich fühle mich wahnsinnig wohl mit diesem Display, und – da sind wir wieder beim Thema Ambient – war das nicht das grundlegende Versprechen des Smartphone-Booms? Keine Tasten, keine Ablenkung, einfach nur ein Bildschirm? Verschärfter Fokus, die Konzentration auf das Wesentliche? Das beherzte Ausblenden der Welt um einen herum? Eben. Und damit wir die Welt nicht ganz vergessen, machen wir ein paar Bilder. Die Kamera des iPhone XS Max ist der eigentliche Star.

Computational Photography

Ein ganz gutes Statement von jemandem wie mir, der am Auslöser eine wirklich schlechte Figur abgibt – vielleicht aber auch genau richtig. Ich habe keine Gefühl für Szenen, für Licht, für Belichtung sowieso nicht. Ich bin faktisch auf einen gut funktionierenden Automatik-Modus angewiesen, der mir akzeptable Ergebnisse liefert. iPhones haben im Bereich der Smartphone-Fotografie jahrelang die Nase vorn gehabt. Warum? Software. Diese Situation hat sich mittlerweile jedoch komplett gedreht – die Android-Konkurrenz hat dazugelernt und aufgeschlossen, allen voran Samsung und Huawei, aber vor allem Google selbst mit den Pixel-Telefonen. Schade, dass die kaum jemand kauft. Auch bei der gerade vorgestellten dritten Generation dieser Halo-Devices gibt es wieder nur einen Sensor für die rückseitige Hauptkamera – mit 12 Megapixeln. Den Rest regelt Software bzw. das maschinelle Lernen. Mit dem XS und dem XS Max macht man bei Apple einen großen in genau diese Richtung, der auch dringend erforderlich war. Denn auch wenn sich iPhones immer nicht wie geschnitten Brot verkaufen: Die Kamera ist seit jeher ein integraler Bestandteil der Produkt-Präsentationen, und es liegt im Interesse des Unternehmens, hier auch wirklich zu liefern, nicht nur, weil Apples Marketing-Vize Phil Schiller ein absoluter Kamera-Nerd ist.

Das Kamera-Setup des iPhone XS und XS Max gleicht dem des X bis auf das letzte Detail. Die beiden Sensoren der Hauptkamera lösen mit jeweils 12 Megapixeln auf. Die Weitwinkel-Linse (f/1,8) liefert jedoch im Vergleich zum Vorjahr einen dramatisch größeren Bildausschnitt als noch das iPhone X, die Tele-Linse unterstützt mit f/2,4. Beide Sensoren sind optisch stabilisiert. Während die Tele-Linse identisch mit der des letztjährigen iPhone X ist, ist die Weitwinkel-Kamera komplett neu – und macht den Unterschied. Der Sensor ist 32 Prozent größer. Eine abstrakte Zahl, die in Verbindung mit den schon im letzten Jahr angemerkten „deeper pixels aber rund 50 Prozent mehr Licht einfangen kann. Den Rest regelt die Software, konkret „Smart HDR“ – ein Algorithmus, der mehr Einzelbilder denn je zu einem Foto zusammenbaut, schon vor dem Drücken des Auslösers mitschneidet, Überbelichtungen mit Unterbelichtungen kombiniert und mithilfe der im Telefon integrierten „neural Engine“ fantastische, bzw. deutlich bessere Ergebnisse liefert. Das merkt man einerseits bei schlechten Lichtverhältnissen, vor allem jedoch, wenn man als Amateur ganz intuitiv und hoffnungsvoll in Richtung Sonne fotografiert. Im Vergleich zum iPhone X zeigt sich hier ein Unterschied wie Tag und Nacht. Nun ist HDR keine neue Erfindung, im Gegenteil – auch in iPhones ist der „High Dynamic Range“ schon lange integriert. War der Modus aktiviert, waren die Resultate oft auch tatsächlich ein wenig besser. HDR bedeutet, dass die Kamera drei Bilder aufnimmt – leicht überbelichtet, leicht unterbelichtet und ein „normales“. Die Software kombiniert die drei Bilder dann und holt nach bestem Algorithmus-Gewissen das Maximale heraus.

Smart HDR funktioniert anders. Sobald man die Kamera-App öffnet, nimmt das Telefon ungefragt Bilder auf. So wird sichergestellt, dass der Auslöser, wenn man ihn denn drückt, verzögerungsfrei reagiert. Bei Smart HDR wird von jedem dieser Einzelbilder immer auch eine unterbelichtete Version gespeichert. Und drückt man dann den Auslöser, kommt eine Langzeitbelichtung dazu – aus all diesem Material entsteht dann das finale Foto. Selbst im Video-Modus wird die Belichtung immer wieder korrigiert – auch hier dienen einzelne Frames zur Farbkorrektur längerer Aufnahmen. Die „neural Engine“ macht auch völlig neue Bearbeitungsmöglichkeiten von Selfies möglich – ein Feature, mit dem Apple zu Mitbewerbern aufschließt. So kann der Bokeh im Porträt-Modus im Nachhinein eingestellt bzw. verändert werden. Man kennt dieses Feature von anderen Herstellern. Die Software entpuppt sich bei Apple jedoch als kraftvoll, die Ergebnisse wirken alles andere als künstlich, was den Hintergrund betrifft. Damit einher geht aber auch ein neuer Look der Selbstporträts: Was im Android-Lager „Beauty-Mode“ genannt wird, also das Retuschieren von Hautunreinheiten, scheint bei den iPhones jetzt standardmäßig dazuzugehören, zumindest unter bestimmten Lichtverhältnissen. Das wird vielen gar nicht auffallen, einige werden es irritierend finden. Des Rätsels Lösung liegt wohl irgendwo mittendrin: Der 7-Megapixel-Sensor ist im Vergleich zu den Möglichkeiten der Hauptkamera eher schwachbrüstig, und der neue Algorithmus geht etwaige Probleme beherzt, wenn auch eindeutig an. Das bedeutet konkret: Es ist natürlich kein Beauty-Modus, sondern schlicht das Ergebnis der Software-Tricks und dem Kampf gegen das Bildrauschen, das zu solchen Resultaten führt. Übertrieben wie die Beauty-Modi aus China wirkt das zum Glück aber nicht.

Und Videos? Erstmals werden die nun auch in Stereo aufgenommen. Ein verrückter Gedanke: Ging das nicht schon immer? Nope.

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Links: das iPhone X, baugleich mit dem XS, mittig: das iPhone XS Max, rechts: das iPhone 8 Plus – von hinten ...

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... und von vorne

Das iPhone XR dürfte das spannendste iPhone 2018 werden.

Überraschendes Update

Das XS und das XS Max sind wieder ein ziemlich großer Schritt nach vorne. Wer im vergangenen Jahr ein X gekauft hat, muss nicht upgraden, auch dessen Kamera liefert hochqualitative Bilder. Aber: Die Richtung stimmt, in der Apple hier arbeitet – das ist wichtig. Es ist natürlich klar, dass man sich im Labor in Cupertino jedes relevante Android-Telefon ganz genau ansieht und sich mit Sicherheit monatelang darüber den Kopf zerbrochen hat, wie es Google nun geschafft hat, mit nur einem Sensor so unglaublich gute Fotos zu produzieren. Die Arbeit, hier aufzuschließen, hat sich ausgezahlt. Auch löblich ist die Tatsache, dass alle Features in beiden Modellen zur Verfügung stehen, die meisten davon sogar auch im kommenden XR, dem vielleicht attraktivsten 2018er-iPhone mit seinem 6,1" großen Display. Auch wenn das „nur“ ein LCD-Panel besitzt, dafür aber auch 300 Euro preisgünstiger sein wird. Noch ein generelles Wort zu den Preisen: Zum ersten Mal habe ich ein Telefon mit doppelt soviel Speicher, wie in meinem Rechner steckt: 512 GB vs 256 GB. Das kostet dann exakt 1.649 Euro. Der Startpreis des XS Max liegt mit 64 GB bei 1.249 Euro. Komplett unvorstellbar eigentlich. Und leider auch nicht abbildbar – Innovation hin oder her. Zum Glück hören wir Ambient, sonst würde die neue Apple Watch erhöhte Herzfrequenz melden.

Apple Watch Series 4 – Gesundheits-Profi

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Sinn und Unsinn von smarten Uhren mal dahingestellt – es ist beeindruckend, wie Apple nur vergleichsweise kurzer Zeit die Apple Watch auf Spur gebracht hat. Und dass die Kunden das mitgemacht und ausgehalten haben. Innerhalb von nur drei Jahren wurde aus einem chaotischen und unfertigen Produkt, das nicht weniger als die eierlegende Wollmilchsau für das Handgelenk sein sollte, ein Gerät, dessen Funktionsumfang mit jeder Iteration immer fokussierter wurde. 2018 – mit der Series 4 – ist das wieder so, geht aber auch einher mit dem ersten Redesign. Dass das dringend nötig war, merkt man jedoch erst, wenn man die neue Uhr wirklich anlegt.

Der Traum des Computers am Handgelenk – über den können wir in zehn Jahren nochmal philosophieren und in der Zwischenzeit die alte Casio-Uhr mit den selbst programmierbaren Wecktönen rausholen.

Der Traum des Computers am Handgelenk – über den können wir in zehn Jahren nochmal philosophieren und in der Zwischenzeit die alte Casio-Uhr mit den selbst programmierbaren Wecktönen rausholen. Was braucht es also wirklich? Die Essenz der Dinge, für die man sonst das Telefon aus der Tasche holen würde, gepaart mit Fitness und Gesundheit. Bei Apple hatte man das 2016 und der Series 2 auch erkannt und arbeitet seitdem kontinuierlich daran, diesen Fokus weiter zu schärfen: mit besserer Bedienung, klarerem Interface-Design und neuen Funktionen, die die Apple Watch nicht nur zu einem unverzichtbaren, sondern vor allem wirklich nützlichen Begleiter zu machen. Bei mir hat das in den vergangenen Jahren bestens funktioniert. Ich bin Fitness-Ring-Junkie und habe seit nunmehr 640 Tagen meine Trainingsziele täglich erreicht – tut mir gut. Dass die Apple Watch dabei so aussah, wie sie eben aussieht, hat mich nie gestört. Wahnsinnig schön fand ich sie noch nie, hässlich aber auch nicht. Eher angemessen minimal und unauffällig, genau richtig für mich. Ich wollte auch nie ein extravagantes Armband oder eine andere Farbe als Schwarz: Die kleinste Ausstattung ist vollkommen ausreichend. Wie man sich ein vermeintliches Statussymbol an den Arm hängen kann, habe ich nie verstanden. Dass es natürlich irgendwann ein neues Design geben würde, kann man in so einem Understatement-Alltag dabei fast vergessen.

Nun ist es nicht so, dass Apple mit der Series 4 alles umschmeißt. Zum Glück, kann man da nur sagen. Die Bauweise, also auch das Display, ist nach wie vor quadratisch – da sind wir wieder bei Casio und den ersten Computer-Uhren –, gaukeln also auch zu keinem Moment ein Ankuscheln an Schweizer Tradition vor. Entscheidend ist, dass beide Modelle größer geworden sind. Die 42mm-Variante wächst auf 44mm, die 38er auf 40mm. Am Handgelenk fällt das überhaupt nicht auf: Man schaut auf das 30 Prozent größere Display – eine eindeutige Parallele zum iPhone XS Max – und freut sich über dieses Mehr an Platz, den kräftigeren Text und größere Touch-Flächen, die den Umgang mit der Uhr deutlich vereinfachen. Dazu kommt ein neuer Prozessor, der die Series 4 nochmals flüssiger arbeiten lässt und eine neue Krone mit sehr fein abgestimmtem haptischen Feedback. Die Rückseite ist nun aus Keramik für besseren Empfang aller Kommunikationskanäle, also Bluetooth (erstmals in Version 5), WiFi und auch LTE.

Man merkt: Die Uhr ist verglichen mit anderen Apple-Produkten immer noch ein kleines rohes Ei.

Den Mobilfunk hatte man mit der letztjährigen Series 3 erstmals als Option angeboten, um die Uhr unabhängiger vom iPhone zu machen. Ohne Apple-Telefon lässt sich die Uhr auch in der vierten Generation jedoch nicht betreiben. Es hapert schon bei der Einrichtung und den OS-Updates, deren Einspielen immer noch lange – zu lange – dauert und so allerhand Vorbereitung bedarf. Die Uhr muss zu mindestens 50 Prozent geladen sein, gleichzeitig auf dem Ladedock liegen und das iPhone sich in unmittelbarer Nähe befinden. Daran erkennt man, dass die Uhr verglichen mit anderen Apple-Produkten immer noch ein kleines rohes Ei ist. Zum Glück merkt man das im Alltag aber nicht. Wer die LTE-Variante kauft, freut sich zudem über einen deutlich lauter und klarer klingenden Lautsprecher für seine Telefonate oder die Walkie-Talkie-Funktion. Letztere konnte ich nicht ausprobieren, denn: Tatsächlich hat außer mir niemand in meinem Freundeskreis eine Apple Watch. Eigentlich absurd, liegt die iPhone-Dichte doch bei ungefähr 9:1, und Apple soll schon heute mehr Uhren verkaufen als die gesamte Schweizer Branche zusammen. Naja.

Warum die Uhr aber so erfolgreich ist und mit Sicherheit noch erfolgreicher werden wird, merkt an an den Neuerungen im Fitness- und Gesundheitsbereich der Series 4. Zum einen wird hier an einigen Stellen endlich nachgebessert. So werden Trainings dank dem neuen Betriebssystem watchOS 5 nun automatisch erkannt. Das manuelle Starten von Workouts war bislang mitunter ein bisschen lästig. Läuft man nun einfach los ohne Start zu drücken, vibriert die Uhr nach ein paar Minuten und fragt nach: Workout? Bejaht man die Frage mit einem Tap auf dem Display, wird die Aktivität geloggt – und zwar nicht erst ab diesem Zeitpunkt, sondern von Beginn an – Kalorienverbrauch inklusive. Und bewegt man sich nicht mehr, kommt eine erneute Nachfrage: Training vorbei? Für die Fitness braucht es eben harte Fakten und präzise Daten. All das ist prima, aber auch keine Revolution – andere Hersteller von Trackern bieten diese Möglichkeiten schon lange an. Der Schlafüberwachung mit der Apple Watch verweigert man sich bei Apple jedoch nach wie vor. Skurril: Denn wenn man kein Hochleistungssportler ist und pro Tag mehrere Stunden Training mitschneiden will, muss die Uhr höchstens alle zwei Tage an die Ladestation.

Geht es dir gut?

Schon seit vergangenem Jahr, der Series 3 und watchOS 4 überprüfte die Apple Watch regelmäßig die Herzfrequenz – nicht nur während des Trainings. War die jenseits von Workouts über längere Zeit zu hoch, löste die Uhr Alarm aus. Das Netz ist voll mit Geschichten darüber, die von Apple natürlich auch nur zu gerne ausgeschlachtet werden – geschenkt. Viele der betroffenen User sind dem Tod so aber tatsächlich noch einmal von der Schippe gesprungen. Mit watchOS 5 wird diese Funktion nun nach unten erweitert – denn auch eine zu niedrige Herzfrequenz kann gefährlich sein. Die Schwellenwerte kann jeder selbst einstellen, und die Uhr meldet sich erst, wenn die zu hohen oder zu niedrigen Werte zehn Minuten gemessen werden. Um die Messungen kümmert sich der optische Sensor auf der Rückseite der Uhr. Das bedeutet, dass alle älteren Modelle, die watchOS aufspielen können, auch davon profitieren. Nur die allererste Uhr fällt hier raus.

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Die „alte“ Series 3 oben, die neue Series 4 unten – deutlich dünner und mit neu gestalteter Krone

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Die Rückseite der Series 4 ist erstmals aus Keramik gefertigt und hat den neuen elektrischen Herz-Sensor. Rechts: die Series 3

Die Series 4 ist auch das erste mobile EKG-Gerät, das es ohne ärztliche Verordnung am freien Markt gibt. Perspektivisch ist damit auch die Zukunft der Apple Watch gesetzt.

Auf der mit dem neuen Werkstoff Keramik gebauten Rückseite der Series 4 befinden sich aber noch ein weiterer – neuer – Sensor: ein elektrischer Herzsensor. Damit verspricht man bei Apple für die Zukunft eine noch bessere Überwachung des Herzens. Zum einen soll das Messen der Herzfrequenz deutlich beschleunigt werden. Dazu legt man legt man einen Finger auf die Krone, die in der Series 4 mit einer Elektrode bestückt ist. Auch auf der Rückseite der Uhr befinden sich Elektroden. Legt man den Finger auf die Krone, schließt sich buchstäblich ein Kreislauf, der die Messung ermöglicht. Mit dem gleichen Prozedere will man auch die Erstellung eines EKG ermöglichen, was schon ziemlicher Wahnsinn ist – im positiven Sinne. Bis es soweit ist, wird es jedoch noch eine Weile dauern. Die Messung der Herzfrequenz soll noch in diesem Jahr zur Verfügung gestellt werden. Auch das EKG, aber zunächst nur in den USA. Von der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde hat man sich dafür schon die Zertifizierung besorgt. Damit ist die Apple Watch Series 4 das erste mobile EKG-Gerät, das es ohne ärztliche Verordnung am freien Markt gibt. Perspektivisch ist damit auch die Zukunft der Apple Watch gesetzt: Gesundheit rules. Wann man auch hierzulande davon wird profitieren können, bleibt abzuwarten. Erste Stimmen aus Fachkreisen signalisieren Respekt und Interesse, aber auch noch viel Gesprächsbedarf. Ist ja auch ganz gut so.

Ebenfalls nur für die Series 4 gibt es ein weiteres neues Feature: Der überarbeitete Beschleunigungssensor und das Gyroskop erkennen, wenn man hinfällt. Nicht einfach nur so, sondern vielmehr schwer und drastisch. Tritt dieser Fall ein, alarmiert die Uhr darüber. Und bewegt man sich nach dem Fall eine Minute lang nicht, wird automatisch der Notarzt gerufen und eine SMS an den vermerkten Notfallkontakt verschickt. Bei Menschen über 65 Jahren ist dieses Feature automatisch aktiv, alle Jüngeren können es händisch anschalten.

Ich mag das. Nicht nur, weil ich älter werde und ich mich dabei immer öfter frage, wie das später mal werden soll.

Es sind genau diese Features, die zeigen, wohin die Reise der Apple Watch in Zukunft gehen wird. Eine iMessage am Handgelenk lesen zu können, ist das eine. Sich mit Morse-Code-artigen Vibrationen durch die Stadt zu navigieren das andere. All das ist wichtig und toll und auch, dass man nun tatsächlich Vorschauen von Websites auf dem Display anschauen kann bestimmt toll. Die Gesundheits-Funktionen jedoch sind es, die die Apple Watch von anderen Trackern und Smart Watches positiv abgrenzt. Wer hätte gedacht, dass aus dem Unternehmen, das den Macintosh erfunden hat, mal so etwas rauspurzelt!? Ich mag das. Nicht nur, weil ich älter werde und ich mich dabei immer öfter frage, wie das später mal werden soll.

Ich war immer Fan der Apple Watch und bin es mit der Series 4 noch mehr. Die Hardware scheint potent genug, viele wichtige Entwicklungen auch der kommenden Jahre noch tragen zu können. Dass das Display größer ist: toll, aber geschenkt. Es geht mit eher um die perspektivischen Möglichkeiten dieser Uhr, die – das wird immer klarer – eben viel mehr ist und auch sein muss als nur eine Smart Watch. Es weiß ja eh niemand, was das sein soll. Der Fokus auf den Gesundheitssektor macht Hoffnung – zumal alle anderen Funktionen ja nicht abgeschafft werden. Achtsamkeit? Um Gottes Willen, nein. Aber jeder sollte jeden Tag ein bisschen auf sich achten. Es ist an Apple, den Einstiegspreis in diese Welt – mit der Series 4 aktuell bei 429 Euro – soweit zu senken, dass sich das alle leisten können.

Leseliste 14. Oktober 2018 – andere Medien, andere ThemenAnti-Terror, Klimakollektivismus, Red Bull, Avicii

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