Klub Katarakt 12Ein Interview mit den Festivalmachern plus ein exklusiver Mix von Nikae & Phuong-Dan
18.1.2017 • Kultur – Interview: Ji-Hun KimDas Festival Klub Katarakt, das jährlich im Hamburger Kampnagel stattfindet, ist Zeit seines Bestehens zu einer wichtigen internationalen Plattform für experimentelle Musik geworden. Auch diese Woche findet das Festival zum mittlerweile zwölften Mal statt, das Avantgarde, Elektronik, Neue Musik, aber auch Pop und Club mit einem speziellen Hamburger Blick auf die Dinge zusammenbringt. Dieses Jahr tritt beispielsweise erstmalig ein über hundertköpfiges Orchester auf und gerade im Jahr der Eröffnung der Elbphilharmonie zeigt sich, dass es hier den wahren Underground der zeitgenössischen Musik zu erleben gibt.
Wir sprachen mit den Festival-Organisatoren Jan Feddersen, Robert Engelbrecht und Ernst Bechert. Das Besondere an diesem Team: Alle sind nicht nur Musikliebhaber und passionierte Kuratoren, sondern auch selber aktiv als Komponisten und Musiker tätig. So bietet Klub Katarakt nicht nur internationalen Künstlern und der lokalen Szene eine Plattform, sondern auch den Machern selbst, die immer wieder mit ihren eigenen Projekten auf der Bühne stehen. Klüngel könnten die einen sagen. Bei so einer mainstream-resistenten Angelegenheit ist es aber auch wichtiger Teil des Erfolgsrezepts.
Wie ist es 2005 zu dem Festival gekommen? Wieso in Hamburg?
Jan Feddersen: Wir kommen ja zunächst aus Hamburg und von 2002 bis 2004 gab es eine schwarz-schwarze Landesregierung. Die damalige Kultursenatorin Dana Horáková hatte bestimmt, dass zeitgenössische Musik nur noch dann gefördert wird, wenn mehr als hundert Leute im Publikum sitzen. In den 90ern haben wir unter dem Katarakt-Label bereits Konzerte veranstaltet. Dadurch hatten wir einen riesigen Pool an Musikern und Komponisten. In der Szene gab es Bedarf, über mehrere Tage mal eine Plattform zu finden und sich darstellen zu können. Unter der Direktive ein Mindestpublikum zu erreichen – wir sahen so die Möglichkeit diese alberne politische Ansage zu umschiffen – und der Sehnsucht nach einem eigenen Festival ist der Klub Katarakt als jährliche Veranstaltung entstanden.
Wie beschreibt ihr selber das Genre, das beim Klub Katarakt präsentiert wird?
Robert Engelbrecht: Wir nennen es experimentelle Musik. Auch weil der Begriff Spielräume zulässt. Das ist bei Neuer Musik anders. Die gibt es natürlich auch bei uns. Es gibt viele, die John Cage auch unter Neuer Musik speichern würden. Bei uns gibt es aber auch zahlreiche audiovisuelle Performances. Schnittstellen zu Pop, Drone und Club finden sich genauso. Experimentelle Musik bedeutet für uns erstmal kein Genre.
Jan Feddersen: Spricht man von experimenteller Musik, kennt man amerikanische Komponisten wie John Cage, Morton Feldman oder Alvin Lucier. Wir wollten von Anfang an aber eine Perspektive jenseits dieses Kanons schaffen und auch europäische und lokale Künstler präsentieren.
Ernst Bechert: Es ist gerade wichtig, sich nicht auf einen Sound festzulegen. Klar gibt es Komponisten wie Phill Niblock, die auch bei uns eine Rolle spielen, aber nicht ausschließlich. Künstler wie Michael Maierhof, der dieses Jahr bei uns auftritt, haben einen ganz anderen Ansatz als Niblock. Der gemeinsame Nenner ist und bleibt der experimentelle Charakter. Viel genauer können und wollen wir da nicht werden.
Wie hat sich die Musik seit Bestehen des Festivals entwickelt?
Jan Feddersen: Wir machen Sachen, die uns am Herzen liegen. Das klingt platt, aber so wurde jedes Festival zu einem tollen, einmaligen Ereignis. Aber ohne Frage gab es einige Highlights. Zum hundertsten Geburtstag von John Cage hatten wir 2012 eine Konzertinstallation in drei miteinander verbundenen Räumen. In allen drei Räumen liefen Werke von Cage, allerdings zeitlich versetzt. Das Tolle daran war, dass wir alle nochmal verdeutlicht bekommen haben, wie Cage die Musik gedacht hat. Eben, dass verschiedene Stücke parallel laufen können und dass das sogar Teil des Konzepts ist. Mit anderen Musiken würde das gar nicht gehen. Die Zuhörerreaktionen waren ebenfalls spannend. Erst waren sie begeistert und dann spürte man eine Art Loch. Überforderung. Man kann ja nicht alles hören, was gerade stattfindet. Dieser Prozess war faszinierend.
Seid ihr architektonisch mit dem Kampnagel verwachsen?
Jan Feddersen: Klub Katarakt ist von Beginn an mit den Hallen im Kampnagel verknüpft gewesen und solche Abende repräsentieren unseren Ansatz perfekt. Es war nicht nur ein Konzert sondern zugleich Publikumsinstallation. Wobei wir gemeinsam gewachsen sind. Zu Beginn haben wir nur zwei Hallen bespielt. Die gerade erwähnte Cage-Performance war da ein Aha-Moment. Das hat unsere Definition von Klangraum, aber auch Raumklang verändert.
Robert Engelbrecht: Mittlerweile kennen wir die Hallen sehr gut und man stellt sich Fragen wie: Was können wir diesmal damit machen? Wenn wir über Künstler nachdenken, haben wir meist schon im Kopf, wo und in welchem Raum man ihn am besten präsentieren könnte. Die Räume des Kampnagels sind ein wichtiger Faktor der Programmierung geworden.
Ernst Bechert: Diesmal gehen wir einen Schritt weiter. Zum ersten Mal bespielen wir die ganz große Halle. Erstmalig arbeiten wir mit einem Orchester mit über hundert Musikern. So einen großen Klangkörper hatten wir noch nie. Das ist eine neue Dimension. Alleine durch die Fläche, die vom Orchester eingenommen wird, werden ganz neue Klangflächen geschaffen. Das war bei den Proben schon toll und wird besonders spannend.
Gab es im Laufe der Jahre nennenswerte Synergien zu anderen Hamburger Musikkulturen?
Ernst Bechert: Für den Bereich zeitgenössische Musik stellen wir schon eine Subkultur dar. Wie eingangs erwähnt, wollten wir für die lokale Szene ein Forum schaffen. Dabei sind natürlich viele Synergien entstanden. Wir stellen fest, dass die meisten Musiker ihren ganz eigenen Hintergrund haben. Ob Rock, Elektronik, Drone, Jazz, Techno – da ist alles dabei. Das ist aber heute normal und sollte auch so sein.
Jan Feddersen: Wir haben Künstler, die zum Beispiel aus dem Umfeld Golden Pudel Club kommen. Dieses Jahr spielen Nika Son und Phuong-Dan bei uns. Wir glauben, dass wir gerade in der elektronischen Szene Anhänger gewinnen konnten. Wir selber haben einen Rock-Background. So ist auch ein E-Gitarren-Orchester entstanden, das am letzten Abend spielt. Einige Sachen fallen in den Drone-Bereich. Diese minimalistische, mikrotonale Stimmungsmusik verbindet uns alle. Ich würde zwar nicht sagen, dass die Szenen dadurch enger zusammengerückt sind. Aber man sucht sich mehr, die Szene ist gewachsen. Sie ist offener geworden und man bekommt mehr voneinander mit. Viel mehr als noch vor 20 Jahren.
Auf dem diesjährigen Festival werden Künstler wie Élaine Radigue und Michael Maierhof portraitiert. Was gibt es über die Abende zu berichten?
Robert Engelbrecht: Éliane Radigue ist eine französische Komponistin, 84 Jahre alt, die viel Pionierarbeit im Bereich elektronischer Musik geleistet hat. Seit Anfang des Jahrhunderts experimentiert sie vermehrt mit akustischen Instrumenten. 2012 war sie bei uns bereits zu Gast. Dort wurde ihr erster großer Instrumentalzyklus gespielt. Mittlerweile hat sie aber wieder viele neue Stücke komponiert und für dieses Jahr haben wir sogar bei ihr eine Komposition in Auftrag geben können. Radigue arbeitet mit langen Stücken, sehr langen Töne, die sich langsam verändern. Man könnte Drone dazu sagen, das trifft aber nur bedingt zu. Zudem hat sie eine große emotionale, expressive Qualität. Ihre Musik ist nicht nur beeindruckend sondern auch rührend. Sie selber sagt, dass sie erst durch die akustischen Instrumente, den Klang gefunden habe, den sie zuvor jahrelang in der Elektronik gesucht hat. Wenn man ihre Musik hört, ist es selbst für geschulte Ohren schwierig herauszufinden, ob die Klänge elektronisch oder akustisch sind. Eine faszinierende und große Künstlerin.
„Man muss nicht vorgebildet sein, um die Musik zu verstehen. Man braucht offene Ohren. Der Rest spricht für sich. Man braucht keine Theorie. Es geht ums Erlebnis, um Raumklang. Wir hatten oft Leute, die nichts von der Materie kannten, dennoch konnten wir sie damit erreichen.“ (Robert Engelbrecht)
Jan Feddersen: Das andere Portrait gibt es von Michael Maierhof. Er wird selber vor Ort sein und auch einen Vortrag vor dem Konzert halten. Eine Stunde lang seine Arbeit erläutern, auch mit Notenbeispielen und Ausschnitten. Wir haben die letzten Jahre mit dem Format gute Erfahrungen gemacht. Nach den Vorträgen gab es immer angeregte Diskussionen und Gespräche. Wir wollen uns nicht als Lehrer aufspielen. Das machen zur Zeit so viele andere. Aber zu Michael Maierhof: Er ist ein Komponist, der mit Klängen unseres Alltags komponiert: Wäscheklammern, Plastikbecher, Luftballons, elektrische Zahnbürsten. Wie er selber sagt, bewusst auch mit Klängen, die ihn nerven. Beispielsweise ist er ein Meister darin, komplex komponierten Klängen Stille gegenüberzustellen. Das Prinzip von Aktion, Klang, Stille, Nichtaktion – er ist für mich ein wichtiger Komponist aus unserer Generation.
Robert Engelbrecht: Dazu kommt, dass er Hamburger ist.
Jan Feddersen: Die Elbphilharmonie würde ihn mit Sicherheit nicht portraitieren. Daher übernehmen wir das.
Wie würdet ihr einen Außenstehenden in experimentelle Musik einführen? Welche Aufnahmen sollte man zum Beispiel unbedingt gehört haben?
Jan Feddersen: Ich würde von vornherein keine Alben vorschlagen. Ich würde sagen: Geh ins Konzert! Am besten zu Éliane Radigue, die gibt es im Jahr vielleicht zweimal überhaupt zu hören. Auf Platte diese Musik zu verstehen, kann man eigentlich vergessen. Da muss man live dabei sein.
Robert Engelbrecht: Man muss aber nicht vorgebildet sein, um die Musik zu verstehen. Man braucht nur offene Ohren. Der Rest spricht für sich. Man braucht keine Theorie. Es geht ums Erlebnis, um Raumklang. Wir hatten oft Leute, die nichts von der Materie kannten, dennoch konnten wir sie damit erreichen.
Ernst Bechert: Die Zugänge sind sehr unterschiedlich. Vor allem beim letzten Abend, unserer langen Nacht, kommen viele, die noch nie damit etwas zu tun hatten. Die Zuschauer finden auch nicht alles toll. Dass aber so viel live gespielt wird, finden die allermeisten attraktiv. Selbst wenn man von einem Stück total genervt ist, kann das nächste Stück schon wieder total inspirierend sein. Auch wenn man vom Konzept des Künstlers vielleicht nichts verstanden hat. Da wir ein intimes Festival sind, ist der Austausch innerhalb des Publikums besonders interessant. Man tauscht sich über das Erlebte aus und hat oft sogar die Möglichkeit mit Musikern und Komponisten über die Musik zu sprechen. Das können große Festivals ja gar nicht anbieten. Das, und die Tatsache, dass wir alle als Musiker auch aktiv an dem Programm beteiligt sind, macht den Klub Katarakt in unseren Augen aus.
Nikae & Phuong-Dan: Exklusiver Klub-Katarakt-Mix
Im Rahmen des Festivals, das von Das Filter mit präsentiert wird und vom 18. bis zum 21. Januar 2017 im Kampnagel in Hamburg stattfindet, haben die beiden DJs Nikae und Phuong-Dan einen exklusiven Mix zusammen gestellt. Beide Künstler treten dieses Jahr auf dem Festival auf. Ein wunderschöner Mix mit Aufnahmen von Künstlern wie Phillip Schulze, Vernon & Burns, Meriç Algün Ringborg, Volcano the Bear, Ghedalia Tazartes, Dome, 33.10.3402, Bernard Parmigiani, Shivers, Borngräber & Strüver, E.g Oblique Graph, Martin Kippenberger, Conrad Schnitzler, Tolouse low trax, Muslimgauze und C.