Über die Zukunft des Rave10 Jahre ://about blank: virtuelle Geburtstage, neue Konzepte für Clubs und Persistenz in der Krise
24.4.2020 • Kultur – Interview: Ji-Hun KimIn einer anderen Welt würden wir alle diesen Sonntag im Garten des Blank schallernd raven und mit viel Sekt den zehnten Geburtstag der einzigartigen Club-Institution zelebrieren. Vom ersten Tag an war das :// about blank mehr als nur ein Club. Im ehemaligen Kindergarten am Berliner Ostkreuz waren Inhalte, Antifa, Feminismus und Politik schon immer bedeutsamer als in den anderen Clubs der Stadt, wenn nicht der Welt. Nun fällt die Party flach und findet stattdessen virtuell statt. Ein schwacher, aber immerhin Trost. Wir sprachen mit Eli Steffen und Simon Fronemann vom Blank-Kollektiv. Simon betreut seit 2017 die Tür und ist derzeit im Krisenstab des Clubs involviert. Eli fing in den Anfangstagen ebenfalls mal an der Tür an, ist seit 2015 Teil des Betreiber*innen-Kollektivs und kümmert sich derzeit hauptsächlich um die Öffentlichkeitsarbeit. Wie geht das Team derzeit mit der jetzigen Situation um? Wie kann man ohne Dancefloor überhaupt Geburtstag feiern? Wie geht es wenn weiter und wie könnte Feiern generell in einer veränderten Gesellschaft aussehen?
Den Umständen entsprechend – Wie geht es euch?
Eli: Die ersten Wochen waren wirklich krass. Wir waren alle im Dauerfeuermodus. Überall haben wir geschaut, an Informationen zu kommen. Wie geht es weiter? Was sind die laufenden Kosten? Was können wir stunden? Können wir Kurzarbeitergeld beantragen? Wie kommunizieren wir das mit der Crew? Wie kommunizieren wir nach außen? Das war ein Ausnahmezustand. Momentan ist weiterhin unklar, wie es weitergeht. Das betrifft die Finanzen, aber auch den Betrieb im Gesamten.
Ihr seid bekanntlich breit aufgestellt.
Eli: Wir haben das Glück, dass wir eine starke Struktur haben. Auch über das Kollektiv und die vielen AGs, in denen wir arbeiten. So entsteht ein starker Rückhalt. Wir haben viele Unterstützer*innen. Aber die Gesamtsituation ist natürlich belastend, wenn man nicht weiß, was man als nächstes tun kann und soll. Noch ist es aber keine Lähmung. Jede Woche passiert etwas Neues und alle machen irgendwie weiter.
Simon: Es gibt zweierlei Verunsicherungen. Intern fragen wir uns alle, was mit uns und unseren Kolleg*innen passiert. Viele Arbeitsplätze gehen flöten. Dann geht es aber auch um das Projekt im Allgemeinen. Wir sind ein politischer Ort und da müssen wir uns fragen, was in der Gesellschaft gerade eigentlich passiert. Was sind die Verschärfungen? Könnte das eine Blaupause sein für veränderte machtpolitische Konstrukte? Manchmal korrespondieren diese Bereiche, völlig getrennt lässt sich das gerade kaum denken. Wir als ://about blank müssen diese gesellschaftlichen Aspekte jedoch auch in Perspektive berücksichtigen.
Derzeit gibt es zaghafte Konzepte und Überlegungen, Clubs und Musikveranstaltungen zum September hin wieder zu ermöglichen. Von welchen Zeiträumen geht ihr intern derzeit aus? Man muss sich ja irgendwie motivieren können.
Eli: Anordnungen werden dauernd neu angekündigt. Die genießen wir aber mit großer Vorsicht. Weil es natürlich völlig unklar ist, wie sich die Fallzahlen entwickeln werden. Da von einer verlässlichen Leitplanke zu sprechen, ist nicht möglich. Bei uns kommt das Problem hinzu, dass der Sommer unsere Hauptgeschäftszeit ist. Hier verdienen wir die Rücklagen für den Winter.
Simon: Wir müssen mit verschiedenen Modellen arbeiten und haben verschiedene Szenarien ausgearbeitet. Je nachdem, wann der Club wieder aufmachen kann. Da denken wir in parallelen Strukturen.
Kann man die Szenarien skizzieren?
Simon: Vom ökonomischen Aspekt abgesehen ist es wichtig, dass wir den Ort als politischen Ort erhalten können. Von Beginn des Projekts an war klar, dass es hier nicht um Gewinnabschöpfungen geht. Man hat politisch was vorgehabt mit dem Ort. Dass das nicht verloren geht, ist ein großer Aspekt. Was das konkret bedeutet, können wir derzeit nicht sagen. Wir versuchen, den Ort weiter auch politisch zu bespielen.
Eli: Es ist abzusehen, dass wir in diesem Sommer nicht im nennenswerten Umfang werden aufmachen können. Das ist ein ökonomischer Faktor. Wir fragen uns aber auch: In was für einer Gesellschaft machen wir den Laden wieder auf? Was für ein Feiern ist möglich? Die Club- und Kulturszene in Berlin war auch schon vor dieser Krise wirtschaftlich permanent auf Anschlag. Zwar ist in den Jahren viel im Bereich Stadtimage und Tourismus passiert. Aber de facto ist bei den einzelnen Produzent*innen wenig hängen geblieben. Das ist sicherlich ein Zustand, der sich nach der Krise verschärfen wird. Für uns, aber auch für alle anderen. Wer wird danach überhaupt noch Geld haben, feiern zu gehen? Die meisten schauen, dass sie ihre Jobs behalten und die Miete zahlen können. Unsere langfristige Perspektive beinhaltet politische und gesellschaftspolitische Fragestellungen, mit denen wir uns auseinandersetzen. Wie lässt sich so ein Projekt in einer veränderten Gesellschaft positionieren?
Schon in den Monaten zuvor war in vielen Medien vom Clubsterben die Rede. Es scheint, die derzeitige Situation würde ein darwinistisches Aussieben beschleunigen.
Eli: Das ist richtig. Wir haben davor schon versucht, Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen. Dabei ging es uns aber nicht nur ums Clubsterben an sich, sondern um die ökonomischen Verhältnisse, die dahinter stehen. Das betrifft die Clubs, aber auch Mieter*innen und kleine Gewerbetreibende. Die Verhältnisse waren davor schon hart in der Stadt, das zeigt sich jetzt natürlich in verschärfter Form. Da müssen wir anknüpfen. Es geht neben dem Clubsterben auch um Zwangsräumungen und andere Diskurse. Weil das etwas Größeres zum Ausdruck bringt.
Simon: Das Clubsterben wird auf jeden Fall beschleunigt. Wie vieles in der Krise, funktioniert so etwas wie unter einem Brennglas. Probleme, die vorher schon da waren, werden jetzt verschärft. In Familienstrukturen, die zuvor schon nicht so gut funktioniert haben, wird das Thema häusliche Gewalt akut. Uns war und ist immer wichtig, Clubs nicht isoliert zu denken. Wenn wir irgendwie aus dieser Situation herauskommen wollen, dann muss es aus politischer Seite etwas geben. Es muss aber auch aus sozialen Bewegungen etwas kommen. Ich glaube nicht, dass die Clubszene in Berlin überleben wird, wenn jeder nur isoliert für seinen Club argumentiert. Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe.
Wobei die Berliner Szene mit der Clubcommission etc. gut vernetzt ist. Wie beschreibt ihr die Zusammenarbeit mit den Verbänden in den letzten Wochen?
Eli: Die Clubcommission ist neben Reclaim Club Culture einer unserer wichtigsten Dachverbände. Es ist eine spannende Phase, weil zuvor viele nur auf ihr eigenes Profil geachtet haben, und natürlich gibt es unterschiedliche Auffassungen und Meinungen. Reclaim Club Culture steht für eine radikalere Richtung. Beide leisten wichtige Arbeit. Im Bereich Awareness wurde in der Vergangenheit gemeinsam viel erreicht. Der Austausch ist da, aber viele sind damit beschäftigt, ihre eigenen Strukturen zusammenzuhalten. So viel Zeit bleibt da gar nicht übrig. Nach einem Plenum abends noch in ein Meeting zu gehen, um sich zu koordinieren, ist natürlich auch eine Ressourcenfrage. Entschleunigung ist bei den wenigsten angesagt.
Simon: Die Zusammenarbeit wird dynamisiert und politisiert. Im Zuge der Gentrifizierung haben zum ersten Mal Clubs im größeren Rahmen auch politisch nach außen kommuniziert. Da haben Reclaim Club Culture und Clubcommission viel gemacht – bei der Covid-19-Krise hat sich das noch mal verstärkt. Mit der von RCC initiierten Kampagne „United We Talk“ werden zur Zeit Themen besprochen, die über die Clubszene hinaus gehen. Was an den Außengrenzen der EU passiert und im privatisierten Gesundheitswesen. Dass das im Rahmen der Clubszene stattfindet, sehe ich als eine übergreifende Politisierung, die ich zuvor so nicht gesehen habe. Aber klar gibt es auch Reibereien, wenn eine so heterogene Szene aufeinander trifft. Dafür bin ich wahnsinnig erstaunt, wie sehr alle an einem Strang ziehen. Das betrifft den gemeinsamen Auftritt gegenüber der Politik, aber auch die Forderung nach Subventionen, um durch die Krise zu kommen. Bei Projekten wie „United We Stream“ gehen acht Prozent an Seebrücken. Ich sehe, dass viel passiert und hoffe, dass das danach bestehen bleibt.
Ich höre Optimismus.
Simon: Ohne Optimismus würde es das Blank längst nicht mehr geben.
Eli: Optimismus und Realitätsverweigerung. (lacht)
Wie seht ihr die bisherigen politischen Bemühungen, auch finanziell schnell zu helfen? Die Soforthilfe in Berlin für Solo-Selbstständige und Kleinunternehmer ist bspw. auf positives Feedback gestoßen.
Eli: Im Bezug aufs Blank und viele Berliner Clubs müssen wir sagen, dass es bis heute noch kein Soforthilfepaket gibt. Es ist eins angekündigt und wir warten sehnsüchtig darauf. Wir fallen aus den sonstigen Soforthilfeprogrammen raus. Wir haben einfach zu viele Angestellte. Darüberhinaus habe ich von vielen Künstler*innen mitbekommen, dass trotz der schnellen Zahlungen viele Unsicherheiten vorherrschen. Was gilt als Lebensunterhalt, was zählt in dem Kontext als Betriebsausgabe? Wir fahren – wie Angela Merkel sagen würde – auf Sicht. Wir warten aber schon darauf, dass es größere Unterstützungen für Clubs gibt. Bis jetzt sind wir auf uns selber gestellt und müssen auf die Unterstützung der Community setzen.
Simon: Eine klare Ansage würde uns helfen. Es gibt dieses und jenes Paket und mit dieser Summe kann man rechnen. So etwas könnte dann in unseren Liquiditätsplan einfließen und mehr Gewissheiten schaffen. So wüsste man auch eher, ob man bis September oder Dezember durchhalten kann. So eine Ansage vermissen wir sehr.
Es heißt ja, dass man erst merkt, dass etwas fehlt, wenn es wirklich nicht mehr da ist. Jetzt sind die Clubs seit vier Wochen oder teils länger leer. Was macht das mit eurer Welt und eurem Kosmos?
Simon: Wir merken das gerade bei den Projekten, die uns besonders wichtig sind. Dazu zählt die Plus1-Spendenkampagne. Ihre Arbeit für Refugees wird ja durch das Geld der Clubbesucher*innen finanziert. Der Shutdown betrifft also auch Projekte, die nicht direkt mit dem Nachtleben zu tun haben. Man muss sich die Clubszene als Versuch vorstellen, Freiräume zu schaffen, die jenseits von Dominanzgesellschaften stattfinden. Diese Orte fehlen natürlich jetzt. Die Queer-Community, Menschen, die sich vielleicht temporär mal nicht an der permanenten Selbstoptimierung und Selbstausbeutung beteiligen wollen. Das vermissen wir schmerzlich. Meine Arbeit an der Tür macht mir eine Menge Spaß. Man trifft interessante Leute und das fehlt mir natürlich auch.
Eli: Clubs sind wichtige soziale Orte. Es geht um alternative Möglichkeiten. Darum, sich mit anderen zu vergemeinschaften und zu vergesellschaften. Gerade in der jetzigen Krise geht es plötzlich wieder darum: Wo sind wir gemeldet? Mit wem haben wir eine Beziehung? Mit wem wohnen wir zusammen oder leben wir alleine? Leute mit stabilen sozialen Netzwerken haben gerade mehr Glück. Viele sitzen zu Hause und können nicht vor die Tür. Aber auch für viele von uns sind die Kolleginnen und Kollegen eine Art Ersatzfamilie und die kann man derzeit auch nicht sehen. Die soziale Funktion fehlt. Wir werden auf ganz klassische Beziehungsmuster zurückgeworfen.
Mir kommt es auch so vor, dass die klassische Spießerfamilie mit zwei festen Jobs, Haus, Autos und Garten am vermeintlich wenigsten davon betroffen ist. Da erkennt man am ehesten einen Hang zur Quarantäne-Romantisierung.
Eli: Doppelleben ist ein blöder Begriff. Aber es gibt viele Menschen, die eine normale akzeptierte Alltagsidentität leben und am Wochenende trotzdem das Bedürfnis haben, was anderes auszuleben. Das geht jetzt auch nicht. Wer zählt heute überhaupt als Lebenspartner? Wer nicht? Wer kontrolliert das? Wer jetzt alleine ist, wird es lange bleiben. Das ist bitter.
Simon: Wir versuchen das Schiff ://about blank irgendwie zu retten. Wir überlegen, wie man den Ort anders nutzen könnte. Für marginalisierte Gruppen den Raum zur Verfügung zu stellen und trotzdem alle Reglements und Einschränkungen zu beachten und umzusetzen, damit man nicht zu viert in einer Dreizimmerwohnung eingesperrt ist. Diese Lebensmodelle gibt es in der Stadt oft. Wie wir den Raum bespielen und zugänglich machen können, ohne jetzt zwangsläufig aufs Geld zu gucken. Das sind Überlegungen, die stattfinden.
Eli: Dazu kommen die Lohnausfälle. Die meisten bekommen derzeit 60 Prozent und das ist nicht viel. Es wird diskutiert, ob das erhöht werden kann, weil gerade in der Gastronomie die Einkommen nicht mit denen aus der IT-Branche verglichen werden können. Das sind herbe Einschnitte.
Simon: Alleine das Trinkgeld, das wegfällt.
Kriegt man als Türsteher Trinkgeld?
Simon: Eher nicht. (lacht)
Wie viele Menschen arbeiten bei euch?
Eli: Im Moment sind wir um die 100. Im Sommer wären wir eigentlich um die 200 Leute.
Beim Großteil des Teams bricht eine Haupteinnahmequelle ein?
Eli: Viele sind bei uns sozialversicherungspflichtig angestellt. Darauf haben wir lange hingearbeitet und sind stolz drauf, das anbieten zu können. Gerade in diesem Bereich langfristige und abgesicherte Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen. Es gibt einige Mini-Jobber*innen, die sonst studieren oder weitere Jobs haben. Es gibt Freelancer, die mit unserem Club assoziiert sind. Die haben teils ihre Soforthilfen bekommen, aber auch da drängt sich die Frage auf, wie es weiter geht und wo im schlimmsten Fall andere Jobs herkommen sollen. Es gibt in der Veranstaltungsbranche einfach keine Jobs derzeit.
Simon: Ich würde schätzen, dass mindestens 75-80 Prozent wirklich abhängig von ihrem Job bei uns sind. Gerade bei Mini-Jobs, auch weil die Mieten in den letzten Jahren so horrend gestiegen sind. Im Bereich Tür kenne ich mich am ehesten aus und da braucht jeder mit einem 400-Euro-Job diesen auch in irgendeiner Form, um über die Runden zu kommen.
Lass uns über eure Crowdfunding-Kampagne sprechen. Ich kann mir vorstellen, dass das intensiv diskutiert wurde.
Simon: Es wurde tatsächlich diskutiert. Und es ist eine Art Paradigmenwechsel. Das Blank ist schon immer ein Ort der Solidarität gewesen. Das hat von Beginn an eine große Rolle gespielt. Sei es die Plus 1-Kampagne oder das zur Verfügung stellen von Räumlichkeiten für Solidaritäts-Partys, um Geld für soziale und politische Projekte zu akquirieren. Direkte Spenden oder das Weitergeben von erwirtschaftetem Geld spielen ebenfalls seit jeher eine Rolle. Jetzt ist die Situation gekommen, in der wir festgestellt haben, dass wir das aus eigener Kraft nicht mehr hinbekommen. Wenn von einem auf den anderen Moment alle Einnahmen für eine Genossenschaft aus über hundert Mitarbeitenden wegfallen, dann folgt die Insolvenz eigentlich auf dem Fuße. Wir haben darüber gestritten, ob man einen „Techno-Schuppen“ mit Crowdfunding-Geld überhaupt retten darf. Wir sahen aber keine andere Möglichkeit, als auf die Solidarität unserer Community zu setzen. Hier fährt keiner der Geschäftsführer nach einer guten Saison mit einem Porsche vor. Das ist ein politischer und solidarischer Ort und so haben sehr viele unserer Unterstützer*innen die Spendenkampagnen auch verstanden.
Eli: Jeder Gewinn wurde von uns in Sanierung, Ausbau und Lohnerhöhungen gesteckt. Es wurde immer knapp gewirtschaftet mit dem Ziel Gewinne in die Löhne zu reinvestieren. Tatsächlich werden wir Teile des Crowdfunding-Gelds an soziale Projekte weiterleiten. Am Wochenende werden wir zum Clubgeburtstag um Spenden bitten, um die Kampagnen für Bewegungsfreiheit und Plus1 zu unterstützen. Wir sind derzeit aber auf Hilfe angewiesen, weil wir mit aller Kraft diesen Ort retten wollen. Um auch für die Zukunft zu zeigen, dass man einen Betrieb führen kann, der sich für Einheitslohn einsetzt, eine feministische Agenda und Gleichstellung lebt, Gewinne an Hilfsprojekte spendet und nicht nur an Profite denkt.
In den letzten Wochen gab es Streams aus eurem Club. Einige liefen sogar im Öffentlich-Rechtlichen auf Arte. Einmal haben wir zu Hause mitgefeiert. Die Bassdrums aus dem Fernseher waren aber sehr dünn.
Eli: Das ist natürlich ein anderes Feeling. Den ersten Stream aus dem Blank habe ich sehr intensiv geschaut. Am nächsten Tag habe ich mich auch so verkatert gefühlt, als wäre ich wirklich da gewesen. Das Feiererlebnis ist natürlich nicht das selbe. Wir haben uns mit der Crew in einem Chat getroffen und gemeinsam geschaut. Das war dennoch sehr schön und ein rührender Moment. Es ist ungewohnt, den eigenen Club für Kameras ausgeleuchtet zu sehen. Ein bisschen skurril, und es ersetzt natürlich nicht das Feiern. Aber für viele von uns war das dennoch schön, den Laden mal wieder bespielt zu sehen. Freundinnen und Freunden beim Auflegen zuzugucken, war bewegend.
Simon: Wenn auch im geringen Umfang, findet eine Vergemeinschaftung dennoch statt. Es gibt einen Austausch über das, was man sieht. Diese Einsamkeit und Isolation zu Hause kann dadurch ein bisschen durchbrochen werden. Das schwebt uns auch an diesem Wochenende vor und dazu sind alle herzlich eingeladen.
Plötzlich gibt es wieder ein Bedürfnis nach zeitgebundenen Medien. Alle gucken Tagesschau und auch lineares Streaming gibt einem ein partizipatives Moment.
Eli: Ich brauche für so etwas wirklich noch einen Chat. Nur passiv DJ-Streams kann ich mir weniger angucken, als wenn ich mich mit anderen treffe. Dann habe ich auch mehr Spaß, wenn man das mit anderen teilen kann.
Jetzt feiert Ihr euren zehnjährigen Geburtstag. Ich gehe davon aus, die ursprünglichen Pläne waren andere.
Eli: Wir haben Woche um Woche gewartet, ob wir die Party nicht vielleicht doch noch feiern können. In den ersten Tagen haben wir realitätsfern gehofft und wir uns dagegen gesträubt, den Geburtstag in real life abzusagen. Nun werden wir nicht in der exzessiven Länge und Form feiern können, wie wir es gerne gemacht hätten. Aber nichtsdestotrotz dachten wir uns – an dem Wochenende jetzt gar nichts zu machen wird der Sache auch nicht gerecht. So gibt es jetzt einen Geburtstag im Zeitraffer.
Simon: Das Blank war immer durch die Community geprägt. Es ging hier nie um die krassesten und teuersten Bookings. Dieser Drive soll am Wochenende auch zu spüren sein. Es wird nicht nur reine Streams geben. Wir setzen auf Beteiligung.
Wie hat man sich das vorzustellen?
Eli: Wir arbeiten mit Entwickler*innen an einer Beteiligungsplattform, das wird die Blankrealität sein, in der alle, die mit uns feiern möchten, mitmachen können. Wir planen verschiedene Räume und Orte, die das reale Blank ein bisschen nachempfinden. Die Kinderdisco wird ihren Platz haben. Und neben DJ-Sets gibt es interessante Videobeiträge, an denen wir basteln und uns auch aus dem Umfeld zugeschickt wurden. Das könnte eine interessante Sache werden. Es gibt auch einen Sektempfang. Leider werden wir uns nicht die Frage stellen dürfen, ob der eingekaufte Sekt für alle reichen wird. Um den muss sich die Community selber kümmern.
Trotz aller Probleme würde ich gerne einen Blick nach vorne wagen. Ich kann mir schwerlich vorstellen, dass in den nächsten ein, zwei Jahren Feiern auch nur ansatzweise gleich funktionieren wird wie noch im letzten Jahr. Dass enge Ansammlungen bei vielen Menschen mittlerweile Aversion und teils Ekel hervorrufen, spielt dabei auch eine Rolle. Wo seht ihr Implikationen, die für die Zukunft relevant sein werden?
Eli: Wir haben nicht nur den Club, sondern auch Proberäume und Werkstätten. Und wie bereits gesagt, soll auch jenseits des Ravens das Blank ein Ort für politische Inhalte bleiben. Sicherlich wird das alles nicht nur aus wirtschaftlichen sondern auch aus hygienischen Aspekten das Feiern grundlegend verändern. Das betrifft aber auch den klassischen Partytourismus in der Stadt, den es so in der bekannten Form vielleicht auch nicht mehr geben wird. Wie das genau aussieht, kann ich nicht sagen. Es sind kulturelle und ökonomische Fragen. Wie sehen Finanzierungsmodelle aus, die so einen Ort am Leben halten können? Normalerweise haben wir im Sommer fünf bis sechs Veranstaltungen die Woche. Davon haben wir die laufenden Kosten bezahlt und das sind eben keine Talk-Veranstaltungen mit 20 Leuten, bei denen jeder ein Bier kauft und danach wieder geht. Ich weiß, das ist vage und wir alle haben vielleicht auch unterschiedliche Vorstellungen davon, wie es weitergeht. Irgendwann wollen wir schon alle wieder raven.
Simon: Kann man noch so ausgelassen an die Sache rangehen? Die Nähe auf der Tanzfläche – Tröpfcheninfektionen in Clubs sind gang und gäbe. Ich möchte das aus der Türperspektive beschreiben. Hier geht es ja auch darum, viel Verantwortung in die Hand der Gäste zu geben. Die Community soll selber auf sich aufpassen. Die wichtigste Regel beim Raven ist der Respekt vor anderen. So eine Philosophie ließe sich durchaus auf veränderte Grundlagen anwenden. Wir müssen achtsamer sein. Themen wie Safer Use und kein Bareback im Darkroom wurden zuvor ja auch schon diskutiert. Es wird eine intensivere Sensibilisierung des aufeinander Aufpassens stattfinden. Hemmungen könnten in Achtsamkeit umgepolt werden. Auch ich habe noch keine konkreten Bilder, aber das sind definitiv Diskurse, die wir werden führen müssen.
Eli: Es gibt natürlich dystopische Konstrukte wie Clubbesuche, bei denen sich jeder vorher mit Namen und Adresse registrieren muss und bei denen ein Sensor-Armband obligatorisch wird, mit dem man seine Immunität beweist. Hier merkt man, wie tief alle Bereiche in ihren sozialen Elementen davon betroffen sind.
Simon: Wird es neue Formen des Feierns geben? Und kann man das Misstrauen in so etwas wie Vorsicht und Rücksichtnahme umformen? Eine Vergemeinschaftung kann auch ohne engen Hautkontakt entstehen. Da ist viel in Verhandlung.
Ich sehe in vielen Bereichen der Musikkultur einschneidende Veränderungen. Auch der Superstar-DJ mit sonst über 200 Gigs im Jahr auf fünf Kontinenten wird diese gesetzten Umsatzvorgaben nicht mehr halten können.
Eli: Ich halte nichts von der Krise als Entschleunigung. Das wäre zynisch. Trotzdem sehen wir, dass in diesem turbokökonomischen Business, mit dem wir uns alle auseinandersetzen, neue Überlegungen angestellt werden müssen. Die ganze Musikindustrie wird sich verändern.
Simon: Ich sehe zwei Entwicklungen. Das eine wird eine Basisdemokratisierung sein. Ich kann mir gut vorstellen, dass es wieder mehr illegale Raves geben wird. Mehr Leute, die sich auf diese Art zusammenschließen. Auch weil es die bisherigen Orte dafür gar nicht mehr geben wird. Das andere wird sein, dass Clubs als marktwirtschaftlicher Faktor völlig neu gedacht werden müssen. Die Clubs, die am längsten durchhalten, werden am Ende ihren Umsatz steigern können. Viel Konkurrenz wird ausgeschaltet. Und auch wenn das für das Blank keine Rolle spielen wird, werden Investoren in Clubs bestimmt auch bald ein Thema sein. Die Clubs, die am Ende überleben, versprechen hohe Dividende und Gewinnausschüttungen. Persönlich spannender finde ich aber das erste Thema.
Wie feiert ihr den 20. Geburtstag?
Eli: Im besten Fall haben wir bis dahin die Autobahn zu Fall gebracht. Am liebsten bis dahin auch die kapitalistischen Verhältnisse. Es ist schwer zu sagen. Wir halten daran fest, dass das ://about blank entstanden ist, weil wir Teil von gesellschaftlichen Bewegungen und Zusammenhängen sein wollen. In zehn Jahren wird hoffentlich nicht alles noch beschissener. Die Aufgabe wird sein, darauf hinzuarbeiten, dass das Gegenteil eintritt.
Simon: Wenn wir erfolgreich gewesen sind, wird Berlin in zehn Jahren hoffentlich nicht unter einer reinen Verwertungslogik stattfinden. Die Stadt wird weiterhin bunt gemischt sein, rotzig, hip, alles zugleich – und die Antifa-Fahne wird auf dem Dach des ://about blank wehen.
Weitere Infos zum kollektiven Couch-Rave am Samstag:
United we blank | never be alone again