„Klar könnten wir auch cheesy. Wollen wir aber nicht“Wajatta: Reggie Watts und John Tejada im Interview
2.3.2020 • Sounds – Interview: Thaddeus HerrmannDer eine ist Comedian, Musiker, Beatmaker, Moderator, Band-Leader und Schauspieler, der andere die gute Seele des Techno. Wenn zwei Superstars ganz unterschiedlicher Couleur sich entschließen, miteinander Musik zu machen, scheint das zunächst ein ergebnisoffenes Experiment. Aber Reggie Watts und John Tejada beweisen mit ihrem gemeinsamen Projekt Wajatta das Gegenteil – es ist weder Experiment noch ergebnisoffen. Tatsächlich ist ihr zweites Album „Don’t Let Get You Down“ ein echter Glamour-Slammer. Ein Gespräch über Techno-Rolltreppen, die Cocteau Twins und eine 909 im Abendprogramm.
Als vor knapp zwei Jahren Tejada und Watts ihr erstes Album Casual High Technology veröffentlichten, war das ein musikalisch wichtiger Wink mit dem als Diskokugel verkleideten Zaunpfahl. Ein sinnstiftender Hinweis darauf, was elektronische Tanzmusik sein kann – und manchmal sein muss. Keine darke Selbstzerfleischung, keine zugeknöpfte Kopfangelegenheit, kein konzeptueller Beinsteller, keine eigentlich längst abgekühlte Heißluft in grauen Ballons. Das Album versprühte Aufbruchstimmung, Leichtigkeit und Zuversicht – genau das, was man sich von guter Popmusik erhofft, nur eben verpackt in Tejadas legendäres Sound Design und Bassdrum-Geschick und besungen und berappt von Watts. Dass die beiden dabei ganz casual miteinander arbeiteten, war für viele nur schwer nachvollziehbar. Zu unterschiedlich schienen ihre Vitae. Watts, der Comedian, der unfassbare Band-Leader der „The Late Late Show with James Corden“, der Schauspieler, der Moderator als das Limelight liebende Rampensau – Tejada, der Meister des Understatements, der Strippen ziehende Hintergrundmann, der Don der House Music, der viel zu beschäftigt ist, um seine Lorbeeren in genau diesem Limelight einzusammeln. Nun legen die beiden ihr zweites Album vor. „Don’t Get Let You Down“ schreibt ihre gemeinsame Geschichte fort, setzt gleichzeitig neue Akzente und erreicht dank Brainfeeder als neuem Label hoffentlich auch außerhalb der USA alle nach weirder Pop-Euphorie dürstenden Raverinnen und Raver.
Wie arbeiten zwei Superstars eigentlich im Studio zusammen. Ihr wisst schon ... so ego-mäßig.
Reggie Watts: Ha! Das ist eigentlich total einfach. John ist so gut in dem, was er tut, und ich bin in meinem Teil ja auch ganz firm. Wir haben – und das ist wichtig – auch sehr ähnliche Vorstellungen davon, was cool ist, was funktioniert und auch ästhetisch passt.
John Tejada: Wow, also ich arbeite ja noch Teilzeit, wenn auch an der Uni – Vorsicht mit solchen Begriffen (lacht). Ich glaube, unsere Freundschaft ist der entscheidende Faktor. Noch bevor wir uns letztendlich kennenlernten, wusste ich, dass wir uns irgendwann begegnen würden. Wir haben einfach zu viele gemeinsame Freunde. Als wir uns dann trafen, wollte ich ihn zunächst auch gar nicht behelligen, zusammen ins Studio zu gehen. Jeder fragt ihn das. Ist ja auch klar: Producer wollen ihn auf ihren Tracks haben. Das wurde irgendwann natürlich lächerlich. Also haben wir es probiert. Wir hören oft, dass wir so ein „ungleiches Paar“ seien – Bullshit. Wir mögen beide die gleiche Musik. Wir machen beide Musik. Klar passt das. Mich fasziniert an Reggie vor allem sein Vocal-Style. Der ist einfach so vielfältig, ich weiß nie, was mich beim nächsten Track erwartet. Ich habe mit anderen Sänger*innen gearbeitet – alle großartig, ich wusste aber bei jedem Projekt ungefähr, was auf mich zukommt. Reggie ist, was das betrifft, schon ein Chamäleon. Also: Es ist vor allem die persönliche Verbindung.
Wie läuft das ganz faktisch ab?
Reggie: Wir produzieren ja bei John zu Hause. Ich fahre also zu ihm rüber, dann hat er meistens schon eine Idee vorbereitet. Einen Beat, oder auch eine Zeile Text. Ich höre mir das an, wir arbeiten es gemeinsam aus, ich spiele etwas dazu auf dem Synth, und dann nehme ich die Vocals auf – eigentlich immer improvisiert und in einem Take.
John: Das hat sich mit der Zeit aber schon verändert, bzw. entwickelt. Reggie war bei der neuen Platte mehr in die Produktion involviert. Auf „Casual High Technology“ war es tatsächlich so, wie Reggie es gerade erklärt hat: Ich hatte eine Skizze aufgenommen, er gab Input, ich habe es dann editiert und finalisiert. Jetzt haben wir viele Tracks gemeinsam begonnen, er hat Beats programmiert, und wir haben auch an einigen Arrangements zusammen gearbeitet. Du magst das ja eigentlich nicht besonders, Reggie, aber ich bin mir sicher, dass sich das ausgezahlt hat. Das beste Beispiel ist der Titel-Track „Don’t Let Get You Down“ – den haben wir von A bis Z gemeinsam gemacht. Mir ist das auch wichtig, weil ich nicht möchte, dass Wajatta als mein Projekt wahrgenommen wird und Reggie nur Features abliefert. Nur an den Vocal-Parts hat sich nichts geändert. Die bleiben improvisiert und gehen in einem Take durch.
Das erste Album lief in weiten Teilen der Welt ja komplett unter dem Radar. „Don’t Let Get You Down“ ist also für viele euer Debüt.
John Tejada: Absolut. Und ich finde das auch gar nicht schlimm. Das ist ein bisschen wie früher, wenn man eine Band für sich entdeckte und nicht auf die Schnelle alles im Netz recherchieren konnte. Und dann hing man im Plattenladen rum und merkte plötzlich: Ups, die haben ja schon ein Album davor gemacht! Nach dem ersten Album habe ich mich natürlich gefragt, wie wir das Projekt fortsetzen können. Unsere Einflüsse sind sehr breit gefächert, das hört man auch in der Musik. Ich bin es schon seit längerem leid, Labeln Dinge erklären zu müssen. Für Reggie und mich ist klar, was hier zusammenkommt und warum. Wajatta verbindet all die Einflüsse, die uns wichtig sind, mit denen wir aufgewachsen sind. Ich will das niemandem mehr erklären. Und bei Brainfeeder musste ich das nich tun. Westcoast-Sound mit viel 808, New York, Oldschool, Lo-Fi: Das hängt ja alles zusammen.
Ich frage nach dem Sound, weil das neue Album in meinen Ohren noch mehr auf den Punkt klingt. Es wirkt spontaner, gleichzeitig aber auch ausformulierter. Es ist irgendwie überwältigend, aber auch unglaublich subtil. Könnt ihr euren Sound kurz und knapp auf den Punkt bringen?
John: Wer hat nochmal gesagt, Detroit Techno klingt wie Kraftwerk und George Clinton, die gemeinsam im Aufzug festsitzen? Derrick May?
Ja.
John: Dann klingt Wajatta für mich wie Reggie und ich auf einer nicht enden wollenden Rolltreppe. Mein Gott, ist auf dieser Rolltreppe was los! Ich habe ja schon gesagt, dass wir viele gemeinsame Einflüsse haben. Dann gibt es aber auch solche, die der jeweils andere wahrgenommen hat und wertschätzen kann, in der persönlichen Geschichte aber keine so große Rolle spielen. Ist ja auch logisch: Er ist Sänger, das ist seine Ausdrucksform. Ich habe dieses Bedürfnis nie in mir gespürt. Für mich war die Musik immer wichtiger.
Reggie: Das Fundament ist Techno. Detroit, Berlin – und Chicago House. Natürlich auch HipHop der 80er. Bei mir kommen noch andere Dinge dazu, die ich in unserer Musik höre und wichtige Einflüsse für mich waren und sind: 4AD, und ganz besonders der Vocal-Sound von Elisabeth Fraser von den Cocteau Twins, aber auch Dead Can Dance. Diese eher düsteren Elemente versuche ich bei Wajatta mit einzubringen – und irgendwie mit dem Habitus einer echten Chicago-House-Diva zu verbinden.
Mit Elizabeth Fraser und Lisa Gerrard hätte ich jetzt nicht gerechnet. Aber: volle Sympathie!
Reggie: Ich bin mit ihren Platten aufgewachsen – beide gehören für mich zu den besten Sängerinnen überhaupt. Und Harriet Wheeler von The Sundays. Und natürlich Siouxsie Sioux. Für sie ist Gesang auch immer Textur.
John: Jetzt siehst du, wer auf der Rolltreppe alles so mitfährt. Für Reggie wäre also Elisabeth Fraser, für mich eher Arthur Baker oder Trevor Horn, Orbital oder Future. Ganz unterschiedlich in der Stilistik also, aber gemacht mit den gleichen Instrumenten. Vielleicht würden Chris & Cosey auch gerade mit nach oben fahren. Ich finde den Verweis auf Elisabeth Fraser auch total logisch, weil: Du teilst einen Style mit ihr, Reggie. Ihr improvisiert beide, es geht nicht immer zwangsläufig um Worte. Und das ist wiederum genau das, was mich zur Instrumentalmusik hinzieht: Man wird nicht von Worten erschlagen, es geht um den Klang. Und bei den Cocteau Twins oder auch This Mortal Coil ist es ähnlich. Hier verschwimmt Sprache. Sie wird zum Gegenstand der persönlichen Interpretation. Genau so mache ich das auch mit Reggies Vocals.
Ich weiß ja ungefähr, wie John musikalisch aufgewachsen ist, aber wie sah das bei dir aus, Reggie?
Reggie: Bei uns zu Hause lief immer Musik, schon mal eine gute Basis. Als ich fünf war, bekam ich Klavierunterricht, das habe ich viele Jahre lang gemacht. Später in der Schule spielte ich dann noch Geige – auch im Orchester.
Und der HipHop? Und House?
Reggie: Wenn ich von HipHop spreche, meine ich immer die 80er. Vielleicht noch die frühen 90er. Als es dann Gangster-mäßig wurde, verlor ich das Interesse. Ich bin mir über die Dimension dieses Shifts natürlich bewusst und kann ihn historisch einordnen – für mich ist Musik aber immer mit Freude verbunden. Die fand ich dann nicht mehr im HipHop, also beschäftigte ich mich mehr und mehr mit House. Oder eher elektronischer Musik – auch im Pop-Kontext. Art Of Noise waren enorm wichtig für mich. Oder Herbie Hancock mit „Rockit“. In dieser Zeit damals – ich springe ein bisschen, du merkst das – verschmolz ja eh alles mit allem.
Ihr spielt viel live, nicht nur im Club und auf Festivals, sondern auch im landesweiten TV. Wie fühlt es sich, eure ja doch recht besondere Musik, und damit einen Teil der elektronischen Musikkultur, auf so eine große Bühne zu stellen? Das hat Implikationen.
Reggie: Zunächst wollte ich eigentlich gar nicht live spielen. Aus ganz egoistischen Gründen. Ich wollte vermeiden, mich an die ganzen Details und Abfolgen in meinen Vocal-Parts erinnern zu müssen. Die ersten Shows waren also ein vorsichtiges Herantasten. Wie kann ich an welchen Stellen erneut improvisieren, woran muss ich mich erinnern? Das hat sich aber schnell gelegt. Wir lassen das jetzt einfach auf uns zukommen, jedes Mal von Neuem. Und wollen sowieso nicht unbedingt im Vordergrund stehen. Im Moment geht es eher darum, die Gigs auch visuell interessanter zu gestalten und uns damit aus dem Fokus zu nehmen. Underworld haben das ja immer hervorragend gelöst.
John: Ich verstehe die Frage, sie spielt für mich aber keine Rolle. Erstens weiß man nie, welche Tracks oder Projekte nun größere Aufmerksamkeit bekommen. Das ist nicht immer nur Pop. Und die Grenzen verschwimmen aktuell ja ohnehin. Auch Bands mit reichlich Ecken und Kanten sind immer wieder im Fernsehen aufgetreten. Uns hat auch noch niemand den Vorwurf gemacht, Sell-out-mäßig unterwegs zu sein. Wir klingen, wie wir klingen. Hinzu kommt: Klar könnten wir auch cheesy. Wollen wir aber nicht.
Dass John Tejada 2020 im landesweiten Fernsehen auftritt ... ist das eine selbsterfüllende Prophezeiung?
John: Ich bin mir ja immer noch nicht sicher, ob das wirklich passiert ist. Ein Ziel war es nie. Ich bleibe ja lieber im Hintergrund, das gilt auch für andere größere Projekte, ob das nun Solo-Geschichten sind oder Kollaborationen mit anderen. Ich habe immer das Gefühl, dass es keinen wirklichen Unterschied macht, ob ich nun dabei bin oder nicht. Gute Freunde von mir schrieben mir jedoch gleich nach dem Auftritt und sagte: Hey, das war vielleicht die erste 909 im landesweiten Fernsehen! Das macht mich dann doch sehr glücklich. Genauso wie es mich schon als Kind glücklich gemacht, wenn ich solche Momente vor dem Fernseher erlebt habe. Wenn jemand vor großem Publikum im TV etwas Verrücktes gemacht hat oder hinter einem wirklich besonderen Instrument stand. Ich kann mittlerweile aber auch besser mit solchen Situationen umgehen. Mein Job an der Uni hat mir dabei geholfen. Man kann nicht vollkommen in sich gekehrt 20 Student*innen unterrichten.
Im Albumtitel „Don’t Let Get You Down“ fehlt ja ein Wort. Die Idee mit dem Platzhalter ist natürlich toll, aber: Was macht euch im Moment am meisten fertig?
Reggie: Natürlich die offensichtlichen Dinge – von Trump bis Klimawandel. Ich versuche aber, irgendwie damit umzugehen und nicht alles an mich heranzulassen. Deshalb ist der Titel für mich auch so passend. Die Sorgen der Menschen sind immer individuell. Was man da einsetzt, ist jedem selbst überlassen.
John: Natürlich regen mich immer wieder Dinge auf, ich kann aber konstatieren, dass ich mittlerweile anders damit umgehen kann. Reggie ist nicht ganz unschuldig daran. Er schlug irgendwann einmal etwas vor. Ich sagte nur: Wie soll das denn funktionieren? Und er antwortete mir: Weißt du was, wir machen das einfach. Das klingt nach einer kleiner Episode, hat in mir aber tatsächlich etwas ausgelöst. Ich bin sehr dankbar dafür. Dieses ewige Gebitche über dieses und jenes in der Musik – das kostet so viel Zeit. Ich bin mittlerweile überzeugt davon, dass diejenigen, die sich damit genau nicht beschäftigen, am Ende übrig bleiben. Und weiter machen.