Plattenkritik: Wajatta – Casual High TechnologyJohn Tejada und Reggie Watts erfinden Techno neu, ohne dabei Techno zu sein
11.5.2018 • Sounds – Text: Thaddeus HerrmannEin Glücksgriff ungeahnten Ausmaßes: Techno-Legende John Tejada und das Multitalent Reggie Watts haben eine Band gegründet.
Es ist an der Zeit, das popkulturelle Durchstarten der elektronischen Musik Revue passieren zu lassen. Mal wieder. Eigentlich haben die, denen dieser Sound wirklich etwas bedeutet, das ja längst hinter sich. Es ist zu viel geschehen, woran man unter gar keinen Umständen erinnert werden möchte. Der Schmerz sitzt tief, die Wunden sind noch nicht geheilt. Dort, wo das Geld verdient wird, gedeihen die Missverständnisse, die falschen Interpretationen und Schulterschlüsse. Da helfen keine eingeübten Rechtfertigungsmechanismen mehr, die per se zum Einmaleins jeder Subkultur gehören, gehören müssen. Das Großkapital aus Musikindustrie, Massenmedien und Werbetreibenden rollt einmal quer über die Wildblumenwiese der Beats, pflückt sich, was gebraucht wird, und zieht weiter. Und die Subkultur hat keine bessere Idee, als genau diese Mechanismen zu übernehmen. Zur Hölle mit dem Underground, verzehnfachen wir doch einfach unsere Gagen und steigen ein in die Achterbahn des Festival-Zirkus. Und genau in dem Moment, wo der zum x-ten Mal wieder den Staubwedel des Saisonbeginns schwingt, wo man wieder zum von allen Holi-Festivals verdreckten und mit Lollapalozza-Bändchen geschmückten Stingefinger greifen möchte, „We are so fucked“ brüllen und jeden Red-Bull-Kühlschrank in Brand setzen möchte, passiert das:
Plötzlich steht John Tejada – und mit ihm seine zwei Elektrons – gemeinsam mit Reggie Watts im US-amerikanischen Fernsehen in der Late-Night-Show von Conan O’Brien und sie spielen „Runnin’“ von ihrem Album „Casual High Technology“. Live. Ohne doppelten Boden und mit jeder Menge Loop-Pedalen, mit flatternder 909 und einem Verständnis dafür, wie das eben doch funktionieren kann: das vermeintlich Kleine mit dem episch Großen zusammenzubringen und so neue Türen für eine bessere Zukunft aufzumachen. Wajatta bei O’Brien ist etwas anderes als Scooter bei Gottschalk.
Das Album „Casual High Technology“ belegt: Hier treffen sich zwei Genies auf Augenhöhe. Tejada ist eine der letzten Lichtgestalten des Techno, Watts ein begnadeter Sänger, talentierter Schauspieler, der Band-Leader der „Late Late Show with James Cordon“, Comedian und der best frisierte Mensch, der jemals ein Loop-Pedal bedient hat. Beide machen das, was sie am besten können: ihr Ding. Es ist genau dieser Freiraum, den sich beide lassen, der dieses Album so besonders macht. Die besten in ihren Metiers sind sie ja ohnehin.
Hier klingt alles casual, wie aus dem Ärmel eines Nachmittags in Los Angeles geschüttelt, an dem erst alles aus den Tisch gelegt und dann mit einem sonnenbebrillten Drink runtergespült wird.
Die Kombination aus Beats in 4/4 und frei schwingenden Vocals ist nichts Neues. Oft genug war es in der Vergangenheit jedoch so, dass diese beiden Ebenen nicht wirklich zueinander finden wollten oder konnten. Auch wenn es genug Beispiele gibt, die belegen, dass genau diese Mischung gut funktionieren kann, hinterließ dieser Versuch oft genug einen mehr als schalen Geschmack. Weil beide Teile nichts von ihrer etablierten Vorherrschaft einbüßen wollten und sich so immer wieder Beine stellten. Wer auf dem Dancefloor unterwegs ist, weiß, dass es eine schlechte Idee ist, aus dem Takt zu geraten. Nicht so auf „Causal High Technology“, einem Album, das seinen Titel souverän auslebt. Alles klingt casual, wie aus dem Ärmel eines Nachmittags in Los Angeles geschüttelt, an dem erst alles auf den Tisch gelegt und dann mit einem sonnenbebrillten Drink runtergespült wird. Hier ist alles Instrument. Tejadas Synths und Drum Computer genauso wie Reggies Vocals und Lyrics, die nicht nur wunderbar auf die fluffig sequenzierten Sequenzen passen, sondern mehr sind als popkultureller Anhaltspunkt. Was Watts singt, wird von Tejada immer wieder prozessiert und zerlegt, eingearbeitet und wiederverwertet für die strukturellen Bedürfnisse, die so ein 4/4-Track eben hat. Atmer, kurze Phrasen und andere Versatzstücke aus der Vocal-Booth übernehmen die Rolle in den Stücken, von denen Matthew Herbert immer geträumt hat. Sampling will eben gelernt sein.
So ist das bislang vielleicht beste Album 2018 entstanden. Wajatta sind weder Techno noch Pop und erst recht kein Techno-Pop – hier reiben sich zwei Vollblutmusiker eine knappe Stunde lang nicht nur an den Dingen, die sie von der Pike auf gelernt haben, sondern stellen eben dieses Wissen kontinuierlich in Frage. „Casual High Technology“ ist ein originär neuer Entwurf einer Musik, die immer noch nicht benannt und kategorisiert wurde. Hier geht es nicht darum, Vocals auf Beats zu packen. Hier geht es nicht um Features. Hier haben sich zwei Menschen gefunden, die die alte Challenge der elektronischen Musik kongenial und Hand in Hand vorantreiben: Let’s push things forward, ohne dabei einen Scheiß auf die systemimmanenten Widersprüche ihrer ganz eigenen Geschichte zu geben.