Der neue heiße Scheiß?Wir probieren Bulletproof Coffee
27.9.2014 • Leben & Stil – Text: Jan-Peter Wulf, Fotos: Benedikt BentlerKaffee, Butter, Öl – eine Kombination, die so sexy klingt wie Bier mit Zaziki, aber als der neue „hot shit“ gilt. Der sogenannte „Bulletproof Coffee“ verspricht schnellen Energiekick und einen Genickschuss fürs Hungergefühl. Das mussten wir natürlich mal probieren.
Früher Abend. Wir sitzen am Tresen des „Le Labo“, das ist eine neue Berliner Bar in der Charlottenstraße, ganz in der Nähe des „Checkpoint Charlie“. Eine bislang ziemlich mausetote Gegend, wenn nicht gerade Hochzeitsgesellschaften in den benachbarten Hochzeitssaal strömen, der ist nämlich Berlins größter für muslimische Hochzeiten. Drüben im Saal gibt es Stuhlhussen mit rosa Schleifen und keinen Alkohol, hier gibt es einen Vintage-Tresen und Alkohol. Aber nicht für uns, nicht jetzt. Wir sind leicht platt vom Tag und der Magen knurrt auch, Zeit für einen „Bulletproof Coffee“, den Aaron Plantener uns jetzt zubereitet.
Der nette Mann mit dem Zwirbelbart betreibt die Bar und die schlappen 2.000 Quadratmeter Coworking-Space dahinter und darüber noch dazu. Es finden gerade parallel zwei Meetups statt. Während Aaron den Kaffee in seiner zweigruppigen Maschine zubereitet, raten wir, welche der eintreffenden Gäste wohl zu welchem Meetup wollen. Manche sehen leicht schnöselig aus, die anderen wie Coder. Für die wäre so ein kugelsicherer Kaffee bestimmt auch eine gute Alternative zum ewigen Club Mate oder dem Mezzomix – sofern das Zeug hält, was es verspricht, einen langen Atem nämlich.
Basis ist eigentlich ein guter Filterkaffee, liest man im Netz. Wie der gemacht wird, wissen wir. „Ich persönlich finde, dass ein Kaffee aus der Siebdruckmaschine genauso gut geht“, erklärt uns der Chef des Hauses, und kippt zweimal 250 ml heißen Kaffee in den Blender vor uns, in dem zuvor grüne Smoothies gemixt wurden, das essen/trinken die Coworker hier nämlich besonders gern.
Dann Kerrygold. Es kann auch gute Butter aus der Ucker- oder Altmark oder dem Oldenburger Münsterland sein, Hauptsache nicht gesalzen aus Frankreich. Salz im Kaffee schmeckt nicht gut. Höchstens eine Idee Salz im Kaffeemehl mitgekocht, das hilft gegen zuviel Bitterkeit und hebt den Geschmack an. Für zwei Tassen Kaffee kommen zwei große Esslöffel Butter rein in den Blender. Irlands goldgrüner Stolz schwimmt und schmilzt langsam dahin. Spontan tauchen Wiesen, Kühe und das Cover von Pink Floyds „Atom Heart Mother“ auf dem inneren Bildschirm auf. Stichwort Kuh: In „Bullen Proof Coffee“ will Plantener sein Angebot umbenennen, sollte der kalifornische „Erfinder“, der im Himalaya beim Yakbutter-Teetrinken auf den Trichter gekommen sein soll, seine Androhung wahr machen: Er will sich den Begriff „Bulletproof Coffee“ weltweit schützen lassen und verkauft - neben angenehm pieksend stimulierenden Schlafverbesserungsmatten, die aus Finnland stammen und den putzigen Namen „piikimato“ tragen - nämlich auch das dritte Element in seinem Shop, das es für „seine“ Erfindung braucht: MCT-Öl.
MCT steht für „medium chain triglycerides“, das sind die Fettsäuren Capronsäure, Caprylsäure, Caprinsäure und Laurinsäure. Ein Capronsäure-Molekül hat die Summenformel C6H12O2, der Geruch der Flüssigkeit wird als „stechend schweißartig nach Ziege“ beschrieben. MCT wird von Bodybuildern recht gerne benutzt, weil es für direkte Energiezufuhr sorgt, weil es sofort verbrannt und kaum vom Körper gespeichert wird. Auch die mittlerweile recht ausgelassene Butter nimmt es gleich mit und sorgt dafür, dass Kerrygold nicht zu Hüftgold wird. Komische Vorstellung, wenn demnächst ausgemergelte Hipster den ausdefinierten Hulk im Uncle-Sam-Shirt hinterm Tresen im Pumperladen fragen, ob er MCT vertickt. MCT-Fette haben besonders gute metabolische Eigenschaften und forcieren die Verstoffwechselung. Sie kommen z.B. auch in Kokosfett vor, das manchmal auch für den „Bulletproof Coffee“ verwendet wird. Wir kriegen das mittelkettige Hochkonzentrat einer in Hamburg ansässigen Vital-Firma, das Packaging sieht vertrauenswürdig aus und die Kontakt-Mailadresse endet immerhin auf T-Online. Rein damit, zwei Esslöffel für zwei Tassen. Fünfzehn Sekunden Blenden auf Höchststufe, fertig. Auf geht’s.
Jetzt stehen zwei Tassen mit ordentlich Schaum vor uns. Er knistert leicht. Der Schaum sieht aus wie ein Mix aus Bierschaum und Latte-Macchiato-Schaum, er geht nicht so schnell zurück wie beim Bier und ist aber auch nicht so wattig wie bei einem herkömmlichen lauwarmen Berliner Samstagmorgen-Milchkaffee. „Ich trinke das gerne mal als Frühstücksersatz“, erklärt Plantener. Es halte ihn bis mittags satt, sagt der gertenschlanke Mann. Dass „Bulletproof Coffee“ nicht nur als energiegeladener Wachmacher, sondern auch als Hungerstiller genutzt wird, kann man allenthalben nachlesen. Zumindest einem der zwei anwesenden Redakteure stünden ein paar Pfund weniger auf der Uhr nicht schlecht. Der andere meint: „Klingt eigentlich ideal zum Feiern gehen.“ Mal sehen, was heute noch geht.
Nach dem optischen Sensoriktest nun der olfaktorische: Es riecht nach Milchkaffee, nach sehr milchigem Milchkaffee, „koffie verkeerd“, wie man ihn aus den Niederlanden kennt. Zudem leicht buttrig. Aber bei weitem nicht so schlimm, wie wir es uns ausgemalt haben. Wir trinken. Erster Eindruck: Es schmeckt, wie es gerochen hat. Nase mal kurz zugehalten, ist der Geschmack fast weg. Aha. Es ist weniger Geschmack, mehr retronasaler Effekt, daher auch die Korrespondenz. Die Textur ist cremig-weich, die Lippen fühlen sich an wie vom Labello geküsst. Es könnte jedoch deutlich mehr nach Kaffee schmecken, vielleicht nehmen wir nächstes Mal einfach mehr davon. Falls uns nicht jetzt gleich schon die Sicherung rausknallt. Die Menge ist ja schon nicht unwesentlich, wird eben nur von Öl und Butter perfide kaschiert.
Wir warten. Schlägt es ein? Müder sind wir nicht geworden, vielleicht ein klein wenig wacher. Ja, jetzt doch: Leichte Aufgekratztheit, marginal verstärkte Redseligkeit. Und vor allem: Der Hunger weg, das Knurren verstummt.
Zeit für ein Tannenzäpfle. Das trinken auch die leicht schnöseligen Anzugträger neben uns, die sich eine Meetup-Pause gönnen. Das hübsche Schwarzwaldmädel auf der Flasche heißt übrigens Birgit Kraft.
Wer Bulletproof Coffee testen möchte, wir haben ihn hier probiert:
Le Labo
Charlottenstraße 2
10969 Berlin
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