In der Welt des Indie-AlkoholsBuchtipp: „Geistige Getränke“
25.5.2015 • Leben & Stil – Text: Jan-Peter WulfMan stelle sich eine Musikwelt vor, in der es ausschließlich Major-Produktionen gibt. Was konsumiert werden kann, wird von einer Hand voll Playern bestimmt. Wäre das nicht ziemlich fad? Vielfalt ist wichtig. Und bei der Musik haben wir uns an dieses essentielle Gut schon längst gewöhnt, den zahlreichen Ausspielwegen sei Dank.
Was das alles mit Spirituosen zu tun hat? Geht man in die entsprechende Abteilung des Supermarkts, sieht es dort heute immer noch so aus wie in der CD-Abteilung früher: Die Majors dominieren. Die Sonys, Universals und Warners dieser Welt heißen Diageo, Pernod-Ricard (die auch hinter dem scheinbaren Indie-Wodka our/berlin stehen) und Bacardi. Unter ihren Dächern versammeln sie das Gros der bekannten Marken. Gut, Erzeugnisse kleiner Hersteller zu distribuieren ist in diesem – sehr physischen – Markt eine ganz andere Nummer als in der heute hochgradig immateriellen Musikindustrie. Das wird auch immer so bleiben.
Aber so langsam ändert sich trotzdem was: Immer häufiger tauchen unabhängige Produkte in Bars, Restaurants und Shops auf – ein „City-Gin“ aus Hamburg, Berlin oder München, ein handgemachter Mezcal aus Mexiko oder Sake aus einer kleinen japanischen Brauerei. Vielfalt, die man von den Limonaden kennt, wo es schon fast wieder hip wäre, den Major Coca-Cola statt Fritz-Kola zu trinken. Dort angefangen hat das alles mehr oder minder mit der Bionade, die heute bei einem Major unter Vertrag steht. Galionsfigur ist ein Gin aus dem Schwarzwald, der einen stolzen Literpreis von über 60 Euro hat, in einem braunen Apothekerfläschchen daherkommt und immer häufiger in Bars oder auf privaten Partys anzutreffen ist: Monkey 47. Dutzende Indie-Gins kommen mittlerweile alleine aus Deutschland, dazu Whiskys, Korn (wie Westkorn), Wodka sowieso, Obstbrände immer schon. Regale füllen sich, neben Altbekanntes wird Neuartiges gestellt, die Vielfalt wächst, das Interesse daran – gefühlt – auch.
Das neue Buch „Geistige Getränke“ widmet sich dieser Thematik und präsentiert auf 240 Seiten „Indie-Spirituosen“ und ihre Hersteller aus der ganzen Welt. Wir haben mit der Co-Autorin Cathrin Brandes gesprochen.
Cathrin, gibt es aus deiner Sicht eine Parallele zwischen Indie-Spirituosen und Musik?
Beide teilen einen irgendwie rebellischen Geist, eine Abkehr vom Mainstream-Geschmack, eine Hinwendung zu einem eigenen Stil und einen eigenen Produktionsprozess. Die meisten bleiben auch immer relativ klein.
Einen Major-Deal gibt’s selten.
Genau. Aber das sind auch die Hersteller, die uns für das Buch interessiert haben. Es musste klar sein, wo deren Zutaten herkommen, wie ihre Produkte entstehen. Und uns haben auch nicht so sehr solche Produkte interessiert, die nebenbei als Hobby entstehen, also z.B. von jemandem, der eine gut laufende Agentur als Hauptjob hat.
Manches entsteht auch daheim, wie beim Home Recording.
Natürlich gibt es Schwarzbrenner-Tradition und Schmuggel, aber wer Verkauf im Sinn hat, der mietet sich eher irgendwo in einer Destillerie ein. Sonst hat man wohl relativ schnell den Zoll vor der Tür stehen. Das ist quasi das Einstiegsmodell, bis es irgendwann Sinn macht, eine eigene Produktion aufzubauen.
Ihr habt rund 120 Produzenten portraitiert, vom Indie-Kräuterlikör „Borgmann 1772“ aus Braunschweig bis zu den Rum-Importeuren „Tres Hombres“, die den Rum klimaneutral mit einem Segelschiff nach Europa schippern. Eine Geschichte, die dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Mich hat besonders die gesellschaftliche Bedeutung fasziniert, die die Herstellung von Mezcal in Mexiko hat, wie sehr die Produkte in das dortige Leben eingebunden sind. Und „Chase Vodka“. Dahinter steht der englische Kartoffelbauer William Chase, der aus Frustation darüber, dass seine Kartoffeln zu schlechten Kartoffelchips verarbeitet wurden, auf die Idee kam, selbst – gute, handgeröstete – Kartoffelchips mit Meersalz herzustellen: Tyrell´s.
Die kennt man als Kartoffelchips-Fan.
Aber das hat ihm nicht gereicht, weil ein Teil seiner Ernte immer noch als Ausschuss nicht verarbeitet werden konnte. Er hat dann seine Chipsfirma verkauft und 2008 angefangen, aus seinen eigenen Kartoffeln seinen eigenen Wodka herzustellen und zu verkaufen: Chase Vodka. Jetzt macht er auch Vodka und Gin aus seinen Äpfeln. From farm to bottle.
Manchmal sieht man in Berlin ja noch, ganz verblichen, die Aufschrift „Destille“ an Häusern. Vor hundert Jahren stellte man an jeder Ecke Spirituosen für den lokalen, ja hyperlokalen Bedarf her. Kommt das wieder?
Einen Boom, wie es den aktuell in der Craft-Beer-Szene gibt, erwarte ich nicht. Wobei: In London gibt es schon ein halbes Dutzend solcher Mini-Destillerien. Was einfacher ist: das Mazerieren von Likören auf Basis eines Grundalkohols. Bianca Miraglia aus New York, die wir im Buch vorstellen, macht ihren „Uncut Vermouth“ aus wildem Wermut und mixt mit regionalem Wein und Brandy.
Bleibt noch die Frage: Wo kann man das alles kaufen?
Man muss schon etwas danach suchen, bei spezialisierten Händlern oder in Weinläden. Aber es ist ja auch nicht das Ziel, dass alles irgendwann im Supermarkt landet.
„Geistige Getränke“ hat 240 Seiten, kostet 38 Euro und ist bei Gestalten erschienen.