Der HoffnungsvolleDouglas Dare über Vaterliebe, gefälschte Gefühle und sein neues Album „Aforger“
17.10.2016 • Sounds – Text: Matti HummelsiepAls Kind eines Bauern hat man zwei Möglichkeiten: Entweder man wird selbst Bauer, oder man lässt es bleiben. Aber nur ein bisschen Bauer sein, das geht nicht.
Früher konnte Douglas Dare sich noch vorstellen, irgendwann den Hof seines Vaters in Südengland zu übernehmen. Ein einfaches und hartes Bauernleben im 13.000 Seelen-Nest Bridport zu führen, drumherum nichts als hügelige Felder, Wiesen und die Meeresbrise des Ärmelkanals. Prompt ahmt Douglas Dare im Interview den harten britischen Akzent seiner Heimatregion nach. Das versteht noch nicht mal jeder Engländer, geschweige denn ich. Er wollte dann doch kein Bauer sein. Stattdessen hörte er lieber seiner Mutter, der Klavierlehrerin, bei der Arbeit im Wohnzimmer zu. Irgendwann nahm Douglas Dare selbst auf dem Hocker platz und spielte mit 14 Jahren bereits eigene Stücke.
„Ich habe mir meine eigene Welt aufgebaut, Klavier gespielt und mir meine eigenen Gedanken gemacht. Ich bin auch nicht mit anderen Jungs draußen rumgelaufen oder so. Ich hatte sehr viel Zeit nur für mich. Ich hab sogar zum Geburtstag meinen Lehrer eingeladen, anstatt andere Leute (lacht).“
Weil auf dem Land nichts zu holen war, zog Douglas nach Liverpool, studierte Musik, lernte Gleichgesinnte kennen und entdeckte seine Liebe zu PJ Harvey, von der ein großes Bild in seiner Wohnung in London hängt. Besonders der elegische Klaviersound vom Album „White Chalk“ hatte es ihm angetan. 2013 erkannte man beim Label Erased Tapes – Auskenner in Sachen Klaviermusik – seine Begabung, und auf einmal fand er sich im Kreise gestandener Künstler wie Nils Frahm und Ólafur Arnalds wieder. Zusammen ging es auf Tour und schließlich wurde „Whelm“ (2014) das erste große Dokument seiner zerbrechlich schönen Musik voll poetisch verpackter Textzeilen. Für sein zweites Album „Aforger“ (erschienen im Herbst 2016) hatte sich der Singer-Songwriter noch mehr vorgenommen, das fing schon bei den Formalitäten an: So wurde das Schlafzimmer seines Schlagzeugers Fabian Prynn gegen ein richtiges Studio getauscht und fürs Mastering buchte man nichts Geringeres als die legendären Abbey Road Studios.
„Es ist ein absolut persönliches Album geworden und meiner Meinung nach direkter und mutiger. Ich erzähle unmittelbar aus meinem Gefühlsleben. Was den Klang angeht, fühlt es sich erwachsener an. Die Songs sind komplexer geworden, nicht zuletzt durch den Chor und das Bläserensemble.“
„Aforger“ ist eine tiefe Gefühlsoffenbarung, ein Album, bei dem der Text auch mal über der Musik stehen darf. Das könnte rebellisch und unberechenbar klingen – oder im schleimigen Kitsch versinken. Titelnamen wie „The Edge“, Thinking Of Him“ und „Stranger“ lassen Schlimmes ahnen. Zum Glück trifft beides nicht zu. Dares ruhige Stimme trägt Geschichten vor, denen genau zuzuhören sich lohnt. Sanfte Tonfolgen begleiten ihn, mal mit dezenten Beats, mal mit poppigen Synthies, aber fast immer in wohlig schönen Klangfarben.
Auf „Aforger“ hinterfragt Douglas Dare seine eigene Identität, nicht zuletzt im Zuge seines Outings gegenüber dem Vater. Diesen Schritt hat der Engländer erst kurz vor der Aufnahme gewagt. Das düstere „Oh Father“ beschreibt diese schwierige Vater-Sohn-Beziehung, die vor allem von zu wenig Zeit für den Junior geprägt war. Im Liedtext heißt es: „Oh father / You were there at my birth / You heard my first lines / And taught me my worst / Oh father / Nothing has changed / I'm still the child / We're one and the same.“ Viele hätten den Song depressiv und traurig gefunden, sagt Douglas im Interview. Doch für ihn steckt trotz Tragik auch Hoffnung darin: „Oh father / You always said / You'd always love me / No matter which way I head.“
Zum Lied passt das One-Shot-Video, das in einer Lagerhalle in Friedrichshain entstanden ist. Die Stimmung ist dunkel, das Bild auf das Wesentliche reduziert. Die Kamera folgt dem ganz in schwarz gekleideten Künstler. Dieser wird festgehalten, reißt sich los, krümmt sich mit nackten Füßen auf dem Betonboden. Schließlich rennt er vor innerer Zerrissenheit auf eine von ihm abgewandte Person zu und umarmt sie: „Oh father / It's not too late.“
„Einen Tag nachdem das Video veröffentlicht wurde, hab ich es ihm geschickt. Er hat mich angerufen, obwohl er mich eigentlich nie anruft. Er sagte, der Song sei sehr intensiv und er fände ihn gut. Mich hat das gefreut. Ich bin eben schwul, und mein Vater hat sich wohl nicht unbedingt einen schwulen Sohn gewünscht. Umso froher bin ich, dass ich erkannt habe, wer ich bin und nun so leben kann, wie ich möchte.“
Der 26-Jährige beschreibt sich als das komplette Gegenteil seines Vaters, der immer noch kein Handy, geschweige denn einen Computer benutzt. Ein harter Typ, der jeden Tag auf dem Hof schuftet – ein Mann mit klassischem Rollenverständnis.
„Ich fand mich nie besonders männlich, auch wenn ich mich manchmal durchaus stark und selbstbewusst fühle. Aber genauso gut weiß ich auch um meine feminine Seite. Ich weiß, dass mein Vater stolz auf mich ist und auf das, was ich tue. Mittlerweile haben wir eine gute Beziehung zueinander.“
Auch wenn der Pianist und Sänger kein Trennungsalbum machen wollte, am Thema Herzschmerz kommt „Aforger“ (a forger; eng. für Fälscher) nicht vorbei. Welches Gefühl ist wahr, welches ist vorgetäuscht? Soll man an die Liebe glauben, oder an was anderes? „New York“, des Künstlers Lieblingslied auf dem Album, dreht sich um genau diese Frage. Nach einer US-Tour verbrachte Douglas Dare noch ein paar Tage mit seinem damaligen Freund in New York. Wenig später flog das Doppelleben seines Partners auf. Der Liedtext steht für sich: „How can I ever believe / After I've been deceived? / Open it all up to me / Will I ever trust another / Or is this for good?“ Wie intensiv eine verletzte Gefühlswelt beschrieben werden kann, habe ihn besonders bei Björks Album „Vulnicura“ beeindruckt. Musikalisches Wundenlecken ist eben ein bewährtes Rezept.
Er sei ein „Overthinker“, sagt Douglas Dare über sich. Er denke zu viel nach und analysiere alles. Missmutig wirkt er im Interview aber nicht, eher britisch ironisch und offenherzig. Am meisten lacht er über einfache Dinge, den Slapstick des Alltags. Es braucht nur einer stolpern, ihn eingeschlossen. Und was passiert neben der Musik? Party! Dafür schmeißt er sich gerne in queere Schale, auch wenn das im Kontrast zur Musik stehen mag:
„Ich geh gerne auf Drag-Queen-Partys. Das ist ein Ausgleich, den ich brauche. Wenn mich dann jemand in meinem Outfit sieht und wüsste, was ich eigentlich für Musik mache. Das passt ja eigentlich gar nicht zusammen, aber es gehört beides zu mir. Ich könnte auch ein Konzert im Kleid spielen. Manche würden das sicher nicht gut finden. Ich würde denken: da hab ich jetzt total Bock drauf. Ich mach es aber trotzdem nicht. Auf mein Konzerten geht es schließlich um meine Musik.“