FamilienbandeIm Porträt: Moderat, die beste Band der Welt
31.3.2016 • Sounds – Text: Thaddeus Herrmann, Fotos: Benedikt Bentler, ModeratModeselektor + Apparat = Moderat. Mit ihrem dritten gemeinsamen Album – „III“ – treiben die drei Berliner Musiker den von ihnen erfundenen, in klassisches Songwriting gegossenen, Rave-Eskapismus auf die Spitze. Unglaublich gut, unglaublich kompatibel und anschlussfähig, aber auch unglaublich streitbar, gemacht für große Bühnen und ein sich nach Alternativen zur schnöden Bassdrum verzehrendes Publikum. Eine nahezu perfekte Platte der vielleicht aktuell besten Band der Welt, die trotz aller noch so verlockenden Angebote der Musikindustrie nach wie vor alles selber macht. Machen will. Machen muss. Gelernt ist gelernt. Ein O-Ton-loses Protokoll eines Gesprächs mit Gernot Bronsert, Sebastian Szary und Sascha Ring.
Wer Moderat verstehen will, muss sich zunächst mit Berlin beschäftigen. Mit den späten 90ern und frühen Nullerjahren, als der Underground der Clubkultur endgültig und nachhaltig in popkultureller Relevanz manifestiert und für die Zukunft fit gemacht wurde. Mit den Mythen von damals, den verklärten und zurechtgerückten Anekdoten, den betrunkenen Erinnerungen, den bekifften Bildern, über die sich in den Köpfen mittlerweile ganz von selbst Instagram-Filter gelegt haben, den geschnupften und gepillten Gesprächsfetzen, an die sich einige angeblich immer noch erinnern. Aber auch und vor allem mit den Menschen, die damals den Mut und die Ausdauer hatten, diese zweite Phase des Post-Wende-Nachtlebens voranzutreiben und bei aller Verpeiltheit und einer gesunden Portion Restnaivität anzugehen. Bei allem Twist, allen Zankereien und Streitigkeiten zwischen Club A, B und C durchzog die Stadt damals ein feinadriges Netzwerk von Verbindungstunneln, roten Telefonen und einem verbindenden und verpflichtenden Gefühl der Zusammengehörigkeit. Vielleicht nur, um dem schon damals aufziehende Gewitter der Gentrifizierung mit dem größten Regenschirm der Welt gemeinschaftlich zu trotzen, vielleicht aber auch nur, um weiterhin prekären Schampus zu trinken. Diese Menschen also, die gibt es noch heute. Sascha Ring, Gernot Bronsert und Sebastian Szary – Moderat – sind drei davon. Und viele andere von ihnen arbeiten bei Monkeytown, dem Label von Gernot und Szary. Hier erscheint das neue Album von Moderat. Wer also wissen will, warum Berlin bei allen Abstrichen und Einschränkungen immer noch so ist, wie es ist – vielleicht besser, bestimmt anders und auf jeden Fall direkter – kann das in dieser Fabriketage lernen. It‘s a family thing, stupid!
Wir schaffen das nur gemeinsam. Alles andere wäre Verrat.
Moderat waren Teil dieser Szene, auch als an Moderat noch gar nicht zu denken war. Jedes Wochenende stellten sie ihre Laptops und Plattenkoffer auf Bühnen und hinter Plattenspielern ab, um das zu machen, was ihnen am wichtigsten war, immer noch ist: Musik. Grenzgänger in Sachen Sound waren sie schon damals. Bei Modeselektor (Gernot und Szary) und bei Apparat (Sascha) musste das Eckige schon immer ins Runde (niemals umgekehrt!). Geht nicht gabs nicht. Was nicht ging, wurde selber gebaut. Das haben die drei von der Pike auf gelernt. Einordnendes Detail: Weil es keine Software gab, die gut genug war, um elektronische Musik mit genug Freiraum und Variationsmöglichkeiten auf der Bühne zu spielen, schrieb Sascha selbst ein Programm. Und nannte es Dschihad. Wäre heute undenkbar so ein Name, damals jedoch fast noch pc. So lange machen Sascha, Gernot und Szary schon Musik. Erst vor kurzer Zeit hat man umgesattelt. Fehler – auf allen Ebenen – gehörten immer dazu. Und so, wie man sich musikalisch weiterentwickelte und sich die drei schließlich fanden, so wuchs auch die Struktur um sie herum. Die ersten Tracks waren vielleicht genauso ungelenk wie die ersten Videos, die sie visualisierten. Die ersten Betten auf Tour genauso unbequem wie die Organisation der Konzertreise chaotisch. Scheiß drauf, morgen wird besser, nächstes Jahr erst recht. Wir schaffen das nur gemeinsam. Alles andere wäre Verrat.
##Pack schlägt sich (nicht), Pack verträgt sich
13 Jahre währt die Geschichte von Moderat mittlerweile. Schon die erste gemeinsame Platte „Auf Kosten der Gesundheit“ wies im Titel den Weg in die Zukunft. Moderat ist nicht einfach. Bzw.: Moderat sind nicht einfach. Wenn die drei unterschiedlichen Charaktere im Studio aufeinandertreffen, kochen die Emotionen mitunter höher als ein Subbass tief sein kann. Keine Überraschung, war das Projekt doch immer als klarer Kontrast zu den musikalischen Universen und Diversitäten von Modeselektor und Apparat angelegt. Martin Gore lief auch erst zu Hochform auf, wenn er splitternackt vor dem Mikro stand, bei Moderat läuft wenig ohne Seelen-Striptease. Aufhören jedoch kam nie in Frage. Auch heute nicht, wo das neue Album „III“ eine Trilogie beschließt, die als solche zwar kommuniziert wird, vielleicht aber so doch nie gemeint war. Hört man die drei Platten in Reihe, sticht die Entwicklung, die die drei Musiker verteilt auf 33 Songs gestemmt haben, ins Auge wie der erste Sonnenstrahl, der einen früh am Morgen vor der Club-Tür erwartet, der einen gut gelaunt und doch melancholisch begrüßt. Es wäre ein guter Zeitpunkt für den wohl geordneten Rückzug. Doch daran ist zum Glück nicht zu denken.
Das Interesse an Moderat ist in den letzten Jahren explodiert. Dabei hätte die Band auch implodieren können.
Wir sitzen im Studio und Gernot, Szary und Sascha ist anzumerken, dass sie eigentlich Wichtigeres zu tun haben, als im Halbstundentakt Journalisten die Hand zu geben. Größtes Verständnis. Die Tour steht an und vieles muss noch gedeichselt werden. Es ist nicht irgendeine Tour, eher die wichtigste, für die die Band jemals in den Nightliner gestiegen ist. Was die Aufmerksamkeit angeht, ist Moderat in den vergangenen Jahren explodiert. Dabei hätte die Band auch implodieren können, wäre da nicht die Familie von Gleichgesinnten um sie herum, die alle Zügel in der Hand halten und die Weichen stellen. Ohne Moderat wäre der medial immer wieder gefeierte Zugangsweg zu Musik heutzutage, die Festival-Kultur, noch viel eklatanter verroht, wäre zu einer noch banaleren All-Inclusive-Reise geworden, zu einer schnöden Schlammschlacht inmitten von Pfandbechern. Die Musik von Moderat ist die pure Psychoanalyse des Rave. Das Spiel mit den Erwartungen der Masse, gepaart mit dem was immer galt: Das Eckige muss ins Runde. Es ist die größte Platte von Moderat bislang, die beste, die durchdachteste. Der Sound hat ein neues Level erreicht, das Songwriting sowieso und der Gesang von Sascha erst recht. Wie das Hologram eines Engels nistet sich seine Stimme in den Basswellen, Rave-Hupen und retrofuturistischen Akzenten ein, wird von diesen Elementen getragen und feuert sie gleichzeitig an, hilft ihnen dabei, sich immer höher zu schrauben, bis die Essenz, der Grund all dessen, warum und wofür man überhaupt angetreten ist, wie eine Wand vor einem steht, es keinen Ausweg mehr gibt und man sich mit voller Wucht dieser Barriere entgegenwirft. Doch die Wand ist weich, vertraut, zärtlich gar. So etwas gelingt nur Moderat.
Die Sorgen des Tages
Es ist also die größte Platte und wird die größte Tour und natürlich haben sich alle Beteiligten im Vorfeld darüber Gedanken gemacht, ob es nicht an der Zeit wäre, loszulassen, das Projekt in andere – größere – Hände zu geben, das Album also bei einem Major zu veröffentlichen. Schlange gestanden haben bestimmt alle. Der größte ist nur vier Bushaltestellen entfernt von der Fabriketage, da reicht fast ein Kurzstrecken-Ticket. Zum Glück wurde der Plan schnell wieder verworfen. Weil man immer alles selber gemacht hat, selbst geschleppt, selbst gebaut, vor allem selbst investiert hat. So hat man angefangen, so ist man gewachsen, so wird es weitergehen. Und nur so kann man sich vor ungeliebten Überraschungen schützen, das Prinzip Moderat weiterhin als Arschloch-freie Zone bewahren, das unter Sound-Schutz stehende Habitat hegen und pflegen. Also sitzt man in Meetings und hört Vorträge zum Design der P.A., auch wenn es weh tut und man nur die Hälfte versteht und am Ende sowieso alles anders kommt. Lieber über- als unterfordert. So hat das schon immer funktioniert. Und es kann ja auch ganz geil sein. Das sind die kleinen Sorgen des Tages, die Ablenkungen, die Verwunderung darüber, womit man sich plötzlich beschäftigen muss, damit die Maschine auch weiter läuft und wächst, überhaupt wachsen kann. Das ist das eigentlich Geile. Wenn der Familienbetrieb wächst, aus eigener Kraft und nicht nur mit Risikokapital von Investoren. Wenn man will, kann man alles wuppen.
What's next?
Der falsche Moment für eine berechtigte Frage. Dass die gemeinsame Arbeit der drei mittlerweile mehr Aufmerksamkeit bekommt, als die Projekte, die sie zusammengebracht hat, scheint kein Problem. Wenn das der Weg ist, den es zu beschreiten gilt, dann ist das eben so. Egal wie die nächste Platte klingen wird, oder wie sie heißt – diese Entscheidung scheint mit deutlich mehr Konfliktpotenzial behaftet als musikalische Grundsatzentscheidungen –: Niemand hier im Studio hat Angst vor irgendwas. Moderat war bislang immer ein bewusst gebuchter Arbeits-Urlaub, ein Freiraum, in dem drei Musiker das ausleben und ausprobieren konnten, was niemand von ihnen erwartete. Mittlerweile erwartet die ganze Welt genau das. Und bitte immer öfter. Und länger. Und lauter. Diesen Druck kennen Sascha, Szary und Gernot aus anderen Situationen zur Genüge, kein Grund zur Sorge also.
Viel wichtiger ist die Tatsache, dass sich an der Haltung der drei Musiker seit 2003 nichts geändert hat. Natürlich muss immer alles besser werden, knackiger und fordernder. Einige Dinge ändern sich hingegen nie. Die Begeisterung für Musik, die Bewunderung für Kollegen und Vorbilder, die Verzauberung, die ein Beat, ein Sound auslösen kann. Wenn man ein Stück Musik hört und sich vollkommen hilflos seiner Faszination ergibt, kategorisch entscheidet, dass dieser Zauber niemals entzaubert werden darf. Moderat müssten nur das Telefon in die Hand nehmen, diese Musikerkollegen anrufen und konkret nachfragen. Oder sie backstage irgendwo auf der Welt schnell interviewen. Gehört sich nicht. Schadet der Perspektive. Und auch wenn das Equipment während der Tourvorbereitungen in der Fabriketage immer weiter wächst – noch ein Rack, noch ein Rechner, noch ein Tisch – wissen die drei, dass sich dieser Aufwand auszahlen wird. Zwei CDJs, ein USB-Stick und ein Mikro reichen Sascha, Szary und Gernot nicht aus. Der Rave braucht Orientierung. Einen Gegenpol. Einen Leuchtturm. Und Moderat scheint 2016 heller denn je.